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Johanna - Hilfe oder Wahnsinn

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Ich muss zugeben, eine zweite Scheidung zustande gebracht zu haben, weckte gemischte Gefühle in mir. Einerseits dachte ich: „Ganz toll, wie kaputt muss man sein um zweimal zu scheitern“. Andererseits hörte ich aber auch ein Stimmchen, das flüsterte: „Macht nix, du hast zumindest den Mut bewiesen, es auch zuzugeben!“

Für das Wochenende nach meiner Scheidung hatte ich mich für einen Workshop bei einer Schamanin angemeldet, mit dem Titel „Zeit für Weiblichkeit“. Ich hatte keine klare Vorstellung von dem, was mich dort erwarten würde. Die Broschüre mit dem Programm lag schon Monate bei mir zu Hause und ich hatte sie schon längst vergessen. Ich suchte in einem Stapel von Papieren nach etwas anderem, als sie mir wieder in die Hände fiel. Mir gefiel die Idee, nach der Scheidung etwas für meine Weiblichkeit zu tun, was auch immer das sein sollte. Mit anderen Frauen mein Leid zu teilen und mich für die Zukunft inspirieren zu lassen, konnte nie verkehrt sein. Ich rief die angegebene Nummer an, um die Details abzuklären und zu fragen, ob überhaupt noch ein Platz frei wäre. Ariana, eine aus Peru stammende Schamanin, hatte schon am Telefon eine so herzliche Art, dass ich auf alle Fälle hingehen wollte. Ich schrieb mir auf, was ich alles brauchen würde. Die Sache war beschlossen. Ich hatte mich angemeldet für ein neues Kapitel in meinem Leben.

Es würde meine erste Berührung mit dem Schamanismus sein und ich war sehr neugierig auf das Wochenende. Außer mir nahmen nur zwei weitere Frauen an dem Kurs teil. Wir waren also zusammen mit unserer Kursleiterin Ariana zu viert. Der Seminarraum war gut ausgestattet mit Kissen, Fellen und Decken, damit wir es uns gemütlich machen konnten. Es gab Trommeln und Klanginstrumente in allen Größen und Formen und jede Menge Kristalle, Federn und Kerzen. Eine kleine Schatzkammer, in der man gut hätte stöbern können, aber ich wollte nicht zu neugierig sein. Der Raum war in dem Sinn nicht schön, aber aufgrund der Feuerstelle und den ungewöhnlichen Gegenständen herrschte eine ganz besondere Atmosphäre.

Letztendlich kann ich nicht sagen, was genau es war. Ob Ariana, die Stimmung, das ganze Ambiente, irgendetwas brachte uns Frauen innerhalb kürzester Zeit dazu, unsere innersten Geheimnisse zu offenbaren. Vielleicht war die Not groß genug und wir nutzten diesen Rahmen um das Ventil zu öffnen. Jede Frau brachte etwas anderes mit und die eigene Geschichte auszubreiten war genauso schmerzlich, wie die Verletzungen der anderen Frauen zu hören. Es wurde viel geweint. Das Akzeptieren und offene Teilen unserer Traurigkeit hatte etwas sehr Tröstliches. Es war der Einstieg in ein langes Wochenende. Eine Depressive, eine sexuell Frustrierte und dazu ich, die ich gar nicht wusste, welche Überschrift mir auf die Stirn geschrieben war. Nachdem die letzten Tränen getrocknet waren, ging die Arbeit richtig los. Es wurde getrommelt, gefühlt, meditiert, aufgeschrieben und ausgesprochen, hinterfragt und reflektiert. Harte Arbeit. Wir bearbeiteten unsere Glaubenssätze und sollten deren Auswirkungen auf unser Leben benennen. Wir machten Feuer und verbrannten all das, was wir nicht mehr brauchten und schrien unseren Schmerz in die Welt hinaus. So ging das zwei Tage bis spät in die Nacht hinein. Es war Februar und ich fand mich bei Eiseskälte barfuß vor einem Erdloch wieder, kniend und mit den Händen in der Erde. Würde ich hier noch mehr Einzelheiten verraten, müsste ich ernsthaft befürchten, dass ihr an meinem Verstand zweifelt. Und doch fühlte es sich richtig und absolut stimmig an.

Als wir uns Samstagabend verabschieden wollten, bat Ariana, uns zu überlegen, ob wir am nächsten Tag eine schamanische Familienaufstellung machen wollten. Sie würde noch so viel Unterdrücktes und Unausgesprochenes wahrnehmen und dies wäre ein Weg, der uns vieles davon aufzeigen könnte. Ich war hundemüde und einfach zu erschöpft um mir darüber Gedanken zu machen. Worauf ich keine Lust hatte, war, wieder ein sehr altes Thema aufzugreifen. Sexueller Missbrauch. Ich bin eine der Dunkelziffer-Frauen. Ich wurde nicht vergewaltigt. Also zumindest nicht bis zum Äußersten. Aber das Betatschen meiner gerade wachsenden Brüste und Genitalien von einem Onkel war und ist mir Abgrund genug. Ich schäme mich. Meine Hilflosigkeit und die Tatsache, dass ich mich nicht gewehrt habe und seine eklige Lüsternheit über mich ergehen ließ, erfüllt mich noch heute mit tiefer Scham. Mein Kopf weiß, dass nicht ich, sondern er sich schämen müsste. Ich hatte die Erinnerung an diese Geschichte sehr lange im Niemandsland meines Gedächtnisses vergraben. Als ich mich vom Vater meiner Kinder trennte, war ich wegen der Kinder bei einer Psychotherapeutin. Sie hatte mir geraten, bei mir hinzuschauen, wenn ich meinen Kindern helfen wollte. Und dabei dann das Schloss geknackt. Üble Geschichte und tragisch, dass ich mich nicht nur der Tatsache wegen schäme, sondern auch noch Gewissensbisse habe, weil ich es laut ausspreche und so hässliche Dinge über einen zwischenzeitlich verstorbenen Mann sage. Ich dachte damals, was macht es für einen Unterschied, wenn ich es meiner Mutter oder anderen Verwandten erzähle? Doch es hätte sehr vieles geändert. Heute weiß ich, dass es bedeutet hätte, zu mir zu stehen.

Ich erklärte also Ariana, wie es mir ging und dass ich nicht in diese Richtung weiter arbeiten möchte. Ariana meinte: „Das ist vollkommen in Ordnung, höre was dein Herz dir sagt. Welches Thema möchtest du denn klären?“. Und da kam eine ganz klare Antwort aus mir heraus, die mich sehr überraschte: „Mein Vater. Ich möchte wissen, wer mein Vater war.“

Kopfstand

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