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Johanna - crazy life

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Seit meinem Weiblichkeitsseminar ging ich regelmäßig zu Ariana zur Trommelmeditation. Wir wussten nie vorher, wie der Abend verlaufen würde. Es wurde immer getrommelt, aber das Programm um das Trommeln herum, entschied sie spontan nach Stimmung und Anliegen der Teilnehmer. Ich liebte diese Abende. Am letzten Treffen vor den Osterferien erzählte sie mir, dass sie am Ostermontag mit einer Gruppe von Musikern in einem kleinen Dorf im Chiemgau trommeln würde und fragte, ob ich nicht Lust hätte auch zu kommen. Ich wusste noch nicht genau, wie ich die Feiertage verbringen würde, deshalb haben wir uns nicht fest verabredet und sollte ich kommen wollen, würde ich einfach direkt dorthin fahren. Und so hielt ich es auch. Vormittags war ich mit meinem Sohn auf einer Bergwanderung und unsere Rückkehr am Nachmittag, passte zeitlich genau richtig, um noch das Konzert besuchen zu können. Ich wusste, wo das Dorf war, in dem die Veranstaltung stattfinden sollte. Ich meinte mich zu erinnern, dass es dort nicht viele Häuser gab. Es sollte keine Schwierigkeit sein den Veranstaltungsort zu finden. Als ich dann aber vor Ort war, konnte ich nichts ausmachen, das irgendwie Ähnlichkeit gehabt hätte mit einem Konzertsaal, einem Restaurant oder Café. Es gab in dem kleinen Kaff natürlich kein Mobilnetz und ich war schon leicht genervt. Nachdem ich schon zweimal durchs Dorf gefahren und auch alle Seitenstraßen abgelaufen war, kam nur noch ein größeres Wohnhaus in Frage, vor dem mehrere Autos parkten.

Gerade als ich auf der gegenüber liegenden Straßenseite geparkt hatte, fuhr ein anderes Auto direkt vor das Haus, das ich als meine letzte Chance ausgespäht hatte. Ich beeilte mich, um den Fahrer noch zu erwischen, bevor er oder sie im Haus verschwand. Kennt ihr das, ihr seid irgendwie vollkommen von der Rolle, habt nur noch eins im Kopf und könnt nicht mehr links und rechts schauen. In meinem Fall wollte ich nur diesen Veranstaltungsort finden, alles andere war in dem Moment ausgeblendet. Ich rief dem Mann hinterher: „Können Sie mir bitte helfen? Ich bin auf der Suche nach dem Klangschalen Konzert.“ Er drehte sich um und vor mir stand ein Mann mit schwarzen langen Haaren, dunklen Augen, und schwarzem, sauber gestutztem Vollbart. Er trug Jeans, ein schwarzes Jackett mit passender Weste und weißem Hemd darunter. Einer von der Sorte Edelhippie. Wow. Dieses Bild von einem Mann stand also vor mir, breitete seine Arme aus und sagte: „Madame, sie sind ier rischtiesch“. Ein echt witziger Typ. Ich bedankte mich mit meinem strahlendsten Lächeln. Wollte ich Ariana noch begrüßen, bevor es losging, hatte ich jetzt leider keine Zeit mich länger mit ihm zu beschäftigen. Es kam mir seltsam vor, dass ich ihr Auto nirgends gesehen hatte. Ich folgte dem schönen Mann mit dem französisch klingenden Akzent. Er steuerte auf eine etwas versteckte Glastür zu, hinter der sich eine seltsam anmutende kleine Gruppe von Leuten versammelt hatte. Sie schienen sich alle zu kennen, begrüßten ihn mit Küsschen und waren sehr vertraut miteinander. Ich lief einfach hinterher, wurde aber von einem großen, bärtigen, alten Mann mit wallend grauem Haar gestoppt. „Der Haupteingang ist auf der anderen Seite.“ Vollkommen untypisch für mich und vielleicht wegen dieser ganzen Sucherei vorher und weil es inzwischen schon ziemlich spät geworden war, sagte ich ihm ganz einfach und bestimmt, dass ich aber jetzt hier reingehen wollte, tat dies und ließ ihn stehen. Saufrech siegt also doch. Ich stand in einem riesigen Raum, der durch jeweils zwei Säulen aufgeteilt war. Wie in einer Kirche, in der Mitte viel Platz, links und rechts zwei Seitengänge und dort, wo in einem Gotteshaus der Altar zu finden wäre, gab es drei hohe Steinstufen, die heute als Bühne fungierten. Die niedrige Gewölbedecke gab dem Raum eine geborgene Atmosphäre. Schätzungsweise war es früher mal ein Kuhstall. Im rechten Seitenteil stand nicht ein Klavier, nein, da waren gleich drei Flügel. Gegenüber der Bühne hatte man für etwa 20 Menschen bestuhlt und links davon lagen große Matratzen, auf denen es sich fünf oder sechs Männer und Frauen gemütlich gemacht hatten. Manche alleine, ein paar kuschelnd zu zweit. Interessant! Die Instrumente standen schon bereit, aber von den Musikern oder Ariana war nichts zu sehen. Irgendwie war das alles merkwürdig hier. Ich war durch meine italienischen Freunde und auch durch Ariana einiges an seltsamen Szenarien gewohnt, doch wo war ich hier gelandet? Ich schnappte mir einen der freien Stühle, weil ich nicht so verunsichert und alleine im Weg herumstehen wollte. So konnte ich mich auch besser umsehen und unauffällig die Leute beobachten, die sich hier versammelt hatten. Insgesamt können es nicht mehr als dreißig gewesen sein. Ich war mir sicher, die kannten sich alle. Ich war die einzige fremde Person hier. Hätte ich nicht die Kristallschalen auf der Bühne gesehen, wäre ich mir sicher gewesen, dass ich auf der falschen Veranstaltung gelandet war.

Da war der Mann mit seinen langen schwarzen Haaren, der mit mir hier angekommen war. Ich musste schmunzeln. Er erinnerte mich etwas an eine Jesusdarstellung und unterhielt sich mit einem anderen Mann, der mit seinem grauen wilden Schopf und Bart, vollkommen weiß gekleidet, dann wohl Gott Vater verkörperte. Neben den beiden standen zwei ältere Damen. Eine mit wallendem, türkis farbigen, bodenlangem Kleid, Hochsteckfrisur und roter Blume im Haar, die andere Lady mehr im Stil von Queen Elisabeth. Und dann war da der Seebär, der mich nicht reinlassen wollte. Mein freches Eintreten schien jetzt niemanden mehr zu interessieren. Im Gegenteil, als die fünf sich Sitzplätze suchten, kamen sie auf mich zu, begrüßten mich mit Handschlag und Gott Vater meinte, wie schön, dass ich den Weg zu ihnen gefunden hätte.

„Versteckte Kamera oder Sekte? Auf alle Fälle Bühnenreif! Ariana, wo bist du?“ Die Musiker hatten zwischenzeitlich die Bühne betreten und der Mann, der sich vorher mit einer schönen Blonden auf einer der Matratzen geräkelt hatte, begrüßte die Klangkünstler. Er kündigte an, dass es nach der ersten Performance eine kleine Pause gäbe und im Anschluss Petra Obertöne für uns singen würde. Er bat noch darum, das Eintrittsgeld in den Korb im Eingangsbereich zu legen und fragte, ob noch jemand eine Liege möchte, weil die entspannende Wirkung der Klangreise liegend viel besser aufgenommen werden könne. Inmitten dieser Ansammlung von unkonventionellen Menschen hatte ich keine Hemmung, mich zu melden. Der Mann ging und brachte eine dicke große Matratze für mich, die er auf der freien Fläche zwischen Stühlen und Bühne ablegte. Na Bravo, ich lag also direkt im Blickfeld der sitzenden Zuhörer. Ja was soll’s, dachte ich mir, für den Rückzug ist es jetzt zu spät. Über die wunderbaren Klänge von Kristallschalen und Monochord vergaß ich bald, dass ich praktisch wie auf einem Präsentierteller lag. Wenn mir danach war, bewegte oder streckte ich mich. Ich ließ mich vollkommen fallen und genoss das Konzert mit allen Sinnen. Als die letzten Töne abgeklungen waren und ich wieder realisierte, dass ich umgeben von Menschen war, musste ich über mich selber lachen. Was für ein Abend. Ich machte mich auf die Suche nach etwas zu trinken. Auf dem Weg zum Ausgang kam mir eine Frau in meinem Alter entgegen, die meinem Blick mit einem Lächeln begegnete und die einen für diese Umgebung vollkommen bodenständigen Eindruck auf mich machte. Sie hieß Paula. Ich erklärte ihr, wie ich hier her gekommen war. Und auch, dass ich gar nicht wüsste, wo ich denn hier gelandet war, was das hier eigentlich sei und wie das alles zusammenhänge. Sie lachte und versicherte mir, dass sie meine Verwirrung durchaus verstehen könne.

Ich war in einem Wohnprojekt gelandet. In dem Haus lebten 19 Menschen in 12 Zimmern, jeweils mit eigenem Bad. Die Räume im Erdgeschoss, also Küche, Toiletten, Abstellkammern und natürlich der Säulensaal waren alles Gemeinschaftsräume. Sie führte mich durch das Haus und zeigte mir auch ihre Räumlichkeiten unterm Dach. Es war sehr schön eingerichtet und vor allem sehr ordentlich aufgeräumt. Ich staunte, dass man seine Besitztümer auf so kleinem Raum unterbringen kann und dabei nicht das Gefühl hat in einer Abstellkammer zu wohnen. Ob ich das auch könnte? Ich verteile meine Sachen momentan auf drei Stockwerke! Da könnte es durchaus eng werden, wollte ich in so ein Zimmer übersiedeln.

Die Leute der Wohngemeinschaft hatten alle sehr unterschiedliche Geschichten und Motivationen, warum sie hier lebten. Der Seebär, zum Beispiel, war ein verarmter Adliger und alles was ihm geblieben war, waren die drei Flügel, die ich in der großen Halle gesehen hatte. Paula hatte sich vor kurzem als Fotografin selbstständig gemacht und war zum einen aus Kostengründen hier gelandet, zum anderen fand sie das Leben in der Gemeinschaft eine spannende Erfahrung. Auch, wie sie sagte, wenn es oft anstrengend war und die Regeln nicht eingehalten wurden. Ihre Mitbewohner lebten oft in den Tag hinein und taten was sie wollten. Ich musste schmunzeln, weil ich an meinen Eintritt durch den Seiteneingang dachte. Da hatte ich wohl ganz unbewusst die Hausregel Nummer 1 übernommen. Die Küchenbenutzung und vor allem das Saubermachen würden überhaupt nicht funktionieren. Und ja, da gab es dann trotz all dem Gerede über Toleranz und Liebe und Offenheit ziemlich oft Streit.

„Ich würde mich echt freuen, wenn wir in Kontakt bleiben. Und vielleicht hast du ja Lust hier auch mitzumachen.“ Ohne Zweifel sind mir genau solche Gedanken durch den Kopf geschwirrt. Ich fragte sie noch nach Ariana und ob sie etwas über deren Verbleib wüsste. Nein, da habe sie keine Ahnung. Die Organisation aller Veranstaltungen lag bei Heribert, dem Mann, der zu Anfang gesprochen hatte und so eine Art Hausvorstand war. Es war auf alle Fälle spannend, einen Einblick in ein Gemeinschafts-Wohnprojekt bekommen zu haben. Vor allem von jemandem, der durchaus in der Lage war, verschiedene Aspekte zu sehen und auch relativ neutral die Vor- und Nachteile abwägen konnte. Paula war jedenfalls eine Supernette und warum sollte so eine Wohnkonstellation nicht auch für mich in Frage kommen? Wieder zurück im Säulensaal bekam ich dann gleich eine Kostprobe in Sachen „hier tut jeder was er will“. Das Konzert ging nicht mehr weiter, weil Petra, die Obertonsängerin, und übrigens die Frau mit dem türkisfarbenen Friseurumhang, der hier zum Abendkleid umfunktioniert worden war, sich nicht in Stimmung fühlte und lieber zu einem Vortrag im Nachbarort fuhr. Ich war belustigt und das, was ich an diesem Abend schon alles gesehen und gehört hatte, war das Eintrittsgeld von 10 Euro, die ich bis jetzt nicht mal bezahlt hatte, allemal wert. Paula hatte noch etwas vor und machte sich auf den Weg. Sie gab mir ihre Telefonnummer und verabschiedete sich.

Es waren nur noch ein paar Leute da und ich wusste nicht so recht, wohin mit mir. Ich wäre gerne noch da geblieben an diesem seltsam aufregenden Ort, mitten in der bayerischen Pampa. Aber nachdem sich hier alles aufzulösen schien und ich nicht unschlüssig rumstehen wollte, ging ich und suchte nach dem Körbchen, in das ich das Eintrittsgeld legen sollte. Auf einem Stehtisch vor der Küche lag eine Liste, beziehungsweise das, was eine Liste hätte werden sollen. Ein Blatt Papier auf dem sich die Konzertbesucher eintragen sollten. Es stand nur ein Name auf der Liste und in dem Bastkorb daneben lag eine einzelne Euromünze. War ja klar. Ich liebe die Atmosphäre, die diese Leute verbreiten, den Spirit des Freigeistes. Doch warum musste das so oft einhergehen mit Geldknappheit und vor allem Verantwortungslosigkeit, Unzuverlässigkeit und Respektlosigkeit. Da fallen mir eine ganze Reihe von Eigenschaften ein, die leider sehr oft bei Künstlern und spirituell Suchenden zu finden sind. Diese Untugenden werden dann gerechtfertigt mit Kreativität und Freiheit. Zu guter Letzt muss meist auch noch die bedingungslose Liebe als Ausrede herhalten. Ich bekomme auch gerne etwas geschenkt, aber bitte freiwillig und nicht, weil ich es mir leicht ergaunern kann. Deshalb schrieb ich brav meinen Namen auf die Liste, legte mein Eintrittsgeld in den Korb und kam mir nur ein kleines bisschen wie eine konservative Spießerin vor. Denn ich muss einräumen, dass ich durchaus den Gedanken im Kopf hatte: „Hoffentlich kommt das Geld auch da an, wo es hin soll!“ Das Konzert war wunderschön gewesen und ich hoffte, dass die Musiker nicht nur mit meinen 10 Euro heimgehen mussten.

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