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Erstaunliche Affinität

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Der menschliche Zeigefinger dient zum Zeigen, das sagt bereits der Name. Zeigen kann man auf viele Dinge, auch auf Welpen. Das ist zunächst einmal ungefährlich. Ungefährlich ist es auch, den Zeigefinger zu Kommunikationszwecken mit dem neuen Familienmitglied als moralischen zu erheben. Anders sieht die Sache aus, wenn man mit besagtem Zeigefinger eine Welpenannäherung vornimmt.

Will ein Hundekundiger einen ersten Kontakt zu einem ausgewachsenen Lebewesen der Gattung Canis lupus familiaris aufnehmen, hält er ihm die Hand hin, um dem Vierbeiner Gelegenheit zu geben, ihn auf Hundeart kennenzulernen. Hundewelpen erzeugen auch beim Menschen durch das Kindchenschema das unbedingte Bedürfnis, sie zu streicheln, zu verhätscheln und zu beschützen. Welpen sind natürlich noch klein und das ist wohl der Grund dafür, dass zum Kennenlernen nicht die ganze, im Verhältnis zum Welpen überdimensional große Hand hingehalten wird, sondern nur ein Zeigefinger und zu diesem entwickelt mein King schon am Tag des Kennenlernens meiner engsten Freunde eine erstaunliche Affinität.

Sein erster Besucher ist unser Nachbar Wolfgang, genauso airedale-verliebt wie ich, und so gerät er bei dem Anblick des neuen Familienmitglieds sofort in Verzückung. Das muntere Fellknäuel liefert im Moment eine bühnenreife Vorstellung mit Buddelarbeiten und Phantom-Hetzjagden in meinem Garten, Kings heißgeliebtem Abenteuerspielplatz. Noch ist der Neuankömmling für den Kleinen uninteressant. Irgendwann haben sich Wolfgangs Augen aber sattgesehen und sein Wunsch nach näherem Kontakt in Form von Streicheleinheiten wird übermäßig. Also hockt er sich auf die Terrasse und lockt King. »Ja, du bist ja niedlich! Komm doch einmal her! Ja, King, komm schnell, komm zu Wolfgang!«, säuselt er in den höchsten Tönen und hat Erfolg. King unterbricht das Totschütteln seines Plüschesels und wackelt auf seinen Bewunderer zu.

Und jetzt kommt er ins Spiel, der bereits erwähnte Zeigefinger. Wolfgang streckt ihn aus und King, der sich nicht mit Beschnüffeln aufhält, locht ihn umgehend mit einem nadelspitzen Fangzähnchen. Wolfgang starrt fassungslos die blutende Bisswunde an und verlangt nach sofortiger Desinfektion. Jod & Co. habe ich nicht im Hause, aber den guten 80-prozentigen, aus Österreich importierten Strohrum. Der tötet mit Sicherheit alle Krankheitserreger, hat allerdings eine schmerzhafte Nebenwirkung bei Wundkontakt. Ich verzichte trotzdem darauf, Wolfgang wie im Wilden Westen als schmerztherapeutische Hilfe ein Stück Kaminholz zum Hineinbeißen anzubieten, und träufele vorsichtig den Rum auf den lädierten Zeigefinger. Wolfgang zieht geräuschvoll die Luft zwischen den Zähnen und zeitgleich blitzschnell den Finger ein. Natürlich schütte ich dadurch den Rum ins Leere. Mein Airedale-Baby, das zu Wolfgangs Füßen sitzt und interessiert die Prozedur verfolgt, öffnet das kleine Mäulchen, streckt die winzige Zunge hervor, fängt geschickt ein paar Tröpfchen Rum auf und findet sie offensichtlich so sehr schmackhaft, dass die Terrassenplatten nach dem Geschmackstest akribisch rumfrei geleckt werden.

An diesem Tag sind noch drei weitere medizinische Rum-Desinfektionen bei Besuchern nötig und dadurch hat sich jetzt unverbrüchlich etwas in dem kleinen Hunde-Hirn verknüpft: ein ausgestreckter Zeigefinger ==> Aufforderung zum Anbeißen ==> Rumkur ==> zungenunterstützter Putzeinsatz mit Partyflair. Ich überlege ernsthaft, ob ich nicht spätestens morgen an der Haustür ein Schild anbringe, das ein Ausstrecken des Zeigefingers Richtung King kategorisch untersagt. Man stelle sich nur vor, die nächsten Zeigefinger-Opfer bestehen auch noch auf innerer Anwendung des Hochprozentigen. Der dann regelmäßig notwendige Import von österreichischem Strohrum würde für mich in Anbetracht der langen Wegstrecke und stets steigender Benzinpreise unerschwinglich.

Könige zum Anfassen

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