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Markierkünstler

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Das Beinchenheben des Rüden dient der Kennzeichnung des Reviers und der Verbreitung seiner speziellen Urin-Nachrichten. Rüden markieren gerne vertikale Oberflächen, da die Höhe ihrer Markierung Aussagen über ihre Größe macht, die ja bekanntlich Einfluss auf die Stellung in der Rangordnung nimmt. Daher bemüht sich jeder Rüde, das Hinterbein so hoch wie möglich zu heben. Je höher er seine Duftmarken-Botschaft platziert, umso schwerer haben es andere Hunde, sie durch ihre eigene zu überdecken. Es gilt also in der Hundegesellschaft der Grundsatz: je höher, desto besser!

Aber nicht für King! Er bevorzugt schon seit fast acht Monaten horizontale Flächen, hockt sich hin und erledigt, was es zu erledigen gibt, ohne Wert darauf zu legen, Nachrichten an exponierten Stellen zu hinterlassen. Dabei hätte er eine ganze Menge zu erzählen: »58 cm bin ich jetzt schon groß, kerngesund, hatte heute Hühnchen mit Gemüse und Leinöl zum Frühstück und stehe als Trainingspartner für spielintensiven Wiesenschnelllauf in meinem Revier jederzeit zur Verfügung.« Die Nachrichten anderer Vierbeiner jedoch lassen ihn keineswegs kalt, er liest sie zunehmend interessierter, sodass ich die berechtigte Hoffnung hege, bald statt eines Riesenbabys einen gestandenen Rüden an meiner Seite zu haben.

Heute schnüffelt King ausgiebig an dem dicken Baumstamm der schönsten Linde in unserem Revier. Er umrundet ihn im Schneckentempo, einmal, zweimal und ich schleiche fast auf Zehenspitzen hinter ihm her, um ihn ja nicht aus seiner Konzentration zu bringen. Jetzt rückt er an den Stamm, dreht sich in Markierposition und hebt – das rechte Vorderbein. Nun ja, der Anfang ist gemacht und der Tag noch lang!

Beim nächsten Versuch geht King schon routinierter vor. Eine Buche ist Ziel der Markier-Übung. King macht mit geschickten Drehungen jedem Walzerkönig Konkurrenz, rückt dem Baum ganz dicht zu Leibe, hebt den linken Hinterlauf einige Zentimeter hoch, gerät ins Wanken und fällt um. Verdutzt rappelt er sich wieder auf, schaut erst die Buche, dann mich an, schüttelt sich und hüpft gut gelaunt um mich herum. Wie immer, wenn er mich dazu bringt, laut zu lachen, ist er mit seiner Leistung überaus zufrieden. Stolz beschnüffelt er sein Werk, das immerhin die beachtliche Höhe von 10 Zentimetern aufweist und sich auf einer der Baumwurzeln befindet.

Inzwischen haben wir das Dorf hinter uns gelassen und King bekommt Freilauf. Er liebt es, alle Wege x-mal zu machen, saust ein ganzes Stück voraus, kommt im Tiefflug zu mir zurück, um sofort wieder durchzustarten. Auf einer Bank am Waldrand sitzt ein älterer Herr und genießt mit geschlossenen Augen die Sonne. Kings Interesse gilt aber nicht dem Mann, sondern dem Fuß der Bank. Er wird doch nicht … Doch, er wird! Ich sehe, wie der Hinterlauf angehoben wird, und brülle: »Hier!« Stolz müsste ich sein auf mein Riesenbaby! Wäre ich auch, wenn es nicht vor dem zügigen Zurückkommen noch ein paar Spritzerchen in Richtung menschliches Hosenbein losgelassen hätte. Es gibt wirklich nette Menschen, tolerant und hundefreundlich. Der Herr schmunzelt, besichtigt seine Jeans und stellt lakonisch fest: »Dir fehlt aber noch ein bisschen Übung, mein Kleiner! Keine Sorge, junge Frau, nichts passiert!«

Für den Abend dieses Tages gilt das allerdings nicht mehr. Wir besuchen wie so oft Ares, einen 5 Jahre alten Welshterrier-Rüden und sein Frauchen. King liebt sein kleines Ebenbild sehr, und während wir uns angeregt im Wohnzimmer unterhalten, spielen die Hunde Esszimmertisch-Rundlauf mit Quietsche-Ente und Ringen mit Ganzkörpereinsatz. Kurz bevor ich mich verabschiede, fällt meiner Bekannten eine beachtliche Pfütze auf. »Unglaublich, hat Ares doch tatsächlich meinen Esszimmerschrank markiert. Ich glaube, dein King wird erwachsen und mein Lümmel hält es für notwendig, ihm zu zeigen, wer hier das Sagen hat. Sei froh, dass ich dich dabei nicht erwischt habe, Ares!«

Als ich die leidige Angelegenheit noch einmal genau in Augenschein nehme, fällt mir auf, dass es zwei Markierspuren gibt, die eine Ares-kompatibel, die andere ein ganzes Stück höher. King wird also nicht erst erwachsen, er ist es schon!

Könige zum Anfassen

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