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An einem Mittwochmorgen Anfang April saß Clara in der überfüllten U-Bahn neben einem hustenden Schuljungen, der es nicht für nötig hielt, sich die Hand vor den Mund zu halten, weil er höchstkonzentriert Angry Birds auf seinem Smartphone spielte. Ob er in der Schule wohl auch immer so konzentriert bei der Sache war? Wahrscheinlich bekam er nicht einmal mit, dass er hustet, dachte Clara und versuchte den Atem anzuhalten. Ihr gegenüber saß eine ältere Dame mit hängenden Mundwinkeln, muffigem Trenchcoat und langen blassroten Fingernägeln, die sich an einer weit ausgebreiteten Tageszeitung festkrallten. Jeden Tag hatte Clara auf dem Weg ins Büro Angst, sich in der U-Bahn die Masern oder Läuse einzufangen. Zu allem Übel quetsche sich noch eine Grundschulklasse mit in die U-Bahn. Die Kinder fielen Clara auf dem Schoß oder hielten sich mal wie ganz selbstverständlich an ihren Knien fest.

»Ey, Rosalie! Emma hat mir erlaubt, dass ich neben ihr sitzen darf. Geh weg!«, rief ein gemeines blondes Mädchen. Eigentlich passte nicht mal mehr eine Ratte auf die Sitzbank, aber das Mädchen, wollte sich unbedingt noch dazu quetschen.

»Nein, ich war zuerst hier! Geh selber weg!«, verteidigte sich Rosalie.

»Nö! Und außerdem hast du Mundgeruch!«, sagte das fiese Mädchen und begann zu singen: »Rosalie hat Mundgeruch! Rosalie hat Mundgeruch!«

Ein weiterer Grundschüler mit massiver Garagentor-Zahnlücke brüllte zu einem Freund rüber: »Kies, hast du auch das Plämobil Tipizelt?«

»Ich habe das ganze Western-Fort«, gab Keith stolz an.

Clara schmunzelte. So süß und frech die Kinder auch waren, länger als fünfzehn Minuten hielt sie das nicht aus und war froh, als endlich ihre Station kam und sie aussteigen konnte. Sie hätte niemals die Geduld, Grundschullehrerin zu werden und konnte nicht nachempfinden, wie man diesen Job jahrzehntelang aushalten konnte.

Es wurde Zeit, dass es wieder wärmer würde und sie mit dem Fahrrad ins Büro fahren konnte. Zumindest war ihr bereits aufgefallen, dass mit dem Fahrrad aktivere und attraktivere Männer unterwegs waren als in der U-Bahn. Auf den Radwegen herrschte eine ganz andere Atmosphäre.

»Huhu, Clara! Juten Morgen! Sie seh‘n ja aus, als ob Sie pennen«, lachte Gitte, die Sekretärin, als sie mit ihrer aufdringlichen guten Laune in Claras Büro reinstolzierte. Alle Mitarbeiter nannten Gitte hinter ihrem Rücken nur Gifti, weil sie wie ein Giftzwerg war, der niemandem etwas gönnte und den ganzen Tag einen säuerlich-toxischen Kaffeegeruch ausdünstete, weil sie selbst der größte Abnehmer der vielen Kannen Kaffee war, die sie über den Tag regelmäßig frisch brühte. Genießbar war der Filterkaffee jedoch nicht, sondern schmeckte staubig, mit einem modrigen Aroma.

»Was? Nein, der Bildschirm ist zu niedrig, ich schaue nur etwas nach unten, Gitte! Müssen Sie nicht die Spülmaschine ausräumen oder frischen Kaffee kochen?«

Schon Claras Lehrerin sagte immer, sie sähe so verträumt aus. Ihre Kollegen sagten das heute noch, dabei war sie einfach nur konzentriert.

Seit die waagerechten PC-Kisten unter den Monitoren Ende der 90er Jahre verschwanden, steht heute in jedem Büro ein Flachbildschirm auf den Schreibtischen und Claras war bereits in seiner maximalen Höhe eingestellt war. Daher der verträumte Blick. Claras ältere Schwester Carina sagte ihr auch schon immer, dass sie Kuhaugen hätte. Dabei war Carina nur neidisch, weil ihre Augen kleiner waren und ihre Iris nicht so ein leuchtendes Blau hatten, wie Claras Augen. Trotzdem waren Claras Augenlider so groß, dass Smokey-Eyes immer nach einem Unfall aussahen oder als gehöre sie zur Panzerknackerbande. Daher bevorzugte Clara bloß einen hellen Lidschatten mit einem kräftigen Lidstrich auf den oberen Augenlidern. Sie befürchtete, eines Tages mal wie Vicky Leandros auszusehen, wenn sie alt werde.

Nachdem Gifti mit ihrer bitteren Kaffeewolke weiter durch das Büro gezogen war, machte sich Clara an ihre Arbeit. Sie war in einer kleinen Agentur für Kommunikation namens Hackstedt & Haase als Marketing- und PR-Referentin angestellt. Die Agentur hatte kaum mehr als eine Handvoll Mitarbeiter, aber etliche Freelancer, die projektbezogen involviert waren. Eigentlich sollte sie neue Konferenzräume für die Seminare akquirieren, welche die Agentur ausrichtete. Stattdessen schrieb sie aber lieber an einem Ratgeber, den sie als E-Book veröffentlichen wollte und welcher die Liebe als ein Investment betrachtete. Ihr Arbeitstitel war „Die Mission Partnerfindung“.

Die Mission Partnerfindung

Das Investment deines Lebens!

Eine Partnerschaft ist nichts anderes als ein Investment beziehungsweise ein Share Deal. Man erwirbt Anteile am Leben des Anderen. Aus unternehmerischer Sicht können wir also alles haben! Nur zu welchem Preis?

Um erfolgreich ans Ziel zu kommen, habe ich einen Fragenkatalog erstellt, welchen ich im Folgenden näher erläutern will, um den Mann schlichtweg aus betriebswirtschaftlicher Sicht als Produkt oder Leistung zu betrachten.

Zuerst schaut man sich die Merkmale an:

Was ist das Produkt?

Ein Mann.

Was oder woraus besteht die Dienstleistung?

Das Leben beziehungsweise Momente im Leben zu zweit zu genießen und nicht allein (Hinweis: Für einige Frauen würde die Dienstleistung auch darin bestehen, diese Momente zu zweit auch finanziert zu bekommen).

Dann betrachtet man die Zielgruppe:

Wer ist die Zielperson? Wie definieren wir die Zielgruppe?

Entweder bin ich gerade in einen Mann total (ggf. auch blauäugig) verliebt oder es kommen mehrere Männer in Frage, aber an keinem von ihnen habe ich derzeit direkt mein Herz verloren. Meistens meldet sich der Mann, von dem man etwas will, nicht. Dafür nerven die Typen, an denen man nicht interessiert ist, umso mehr mit Textnachrichten, Anrufen oder E-Mails. Diese gehören aber durchaus zur Zielgruppe!

Als nächstes überlegt man sich, welche Gemeinsamkeiten vorhanden sind und konzentriert sich auf den Nutzen und den Vorteil des Mannes:

Was nützt mir der Mann? Welchen Bedarf deckt der Mann? Was kann ich mit einem Mann besser machen? Wie viel Zeit spare ich durch einen Mann? Was tue ich mit einem Mann besser, schneller, sicherer? Was habe ich von einem Mann? Was habe ich langfristig von einem Mann?

Die Antworten können unendlich lang werden und individuell sehr unterschiedlich ausfallen. Wichtig ist hier, dass es auf den materiellen Wert des Mannes ankommt.

Bei den Vorteilen prüft man den emotionalen Wert:

Welches emotionale Spektrum weist der Mann auf? Freiheit, Offenheit, Fairness, Zurückhaltung, Sicherheit, Ordnung, Pünktlichkeit, Unabhängigkeit, Lebendigkeit, Hilfsbereitschaft, Respekt, Ehrlichkeit?

Emotionale Werte bestimmen unsere Zufriedenheit und sie sind der Antrieb für unser Verhalten. Wenn der Mann im Einklang mit seinen Werten lebt, geht es ihm gut und er ist zufrieden.

Welche seelischen Vorteile erlange ich durch einen Mann?

Hier denke ich darüber nach, was mir der Mann ermöglicht, was er in mir steigert, wozu er mich befähigt, was er für mich bedeutet, wozu er mir verhilft und was ich mit einem Mann erreichen kann.

Zur Erinnerung: Wir betrachten den Mann nur experimentell als ein Produkt!

Sobald ich mir im Klaren darüber bin, welcher Mann (Merkmale), welchen Bedarf (Nutzen) und welche Bedeutung (Vorteile) für mich hat, dann hat er immerhin schon mein Interesse geweckt.

Doch wie sähe das umgekehrt aus? Ich will doch sein Interesse wecken! Wie verkaufe ich mich? Wie sähe das ganze aus, wenn ich das Produkt wäre?

Nun gut, in meinem Fall sähe das wie folgt aus: Ich bin ungebunden, im gebärfähigen Alter, keine Kinder, keine Scheidungen, eigenes Einkommen, eigener Haushalt, optisch vorzeigbar, kultiviert, ich habe Humor und bin aber auch ein bisschen naiv.

Meine Dienstleistung? Ebenfalls das Leben beziehungsweise Momente im Leben zu zweit zu genießen und nicht allein, (vielleicht auch irgendwann für ihn zu kochen, die Wohnung zu putzen, seine Wäsche mit zu waschen – und wenn es richtig gut läuft, eine Familie mit ihm zu gründen).

Wenn ich einen Mann kennenlerne, der mir sehr gut gefällt, dann versuche ich die Situation wie ein Projekt, das zum Verkauf steht, zu behandeln. Wenn ich also einem Mann begegne, genauer gesagt „ein Angebot für mein Projekt bekomme“, dann prüfe ich das zunächst sehr genau. Das bedeutet, dass ich diesem Mann für einen gewissen Zeitraum Exklusivität gewähre und mit keinem anderen Interessenten in nähere Verhandlungen trete. Sollte es nach Beendigung der Due Diligence (Risikoprüfung) zu keinem Abschluss kommen, wäre die Verkaufsrunde wieder neu eröffnet!

Auf ein berühmtes Vertriebs-Zitat bezogen, lässt sich die Investition in die Liebe seines Lebens auch wie folgt ausdrücken:

„Dating (Verkaufen) ist mehr, als nur Männer kennenzulernen (Waren abzusetzen). Es ist in seiner vollkommenen Form die Kunst der Verständigung, der Wertschätzung und die Beeinflussung anderer im gegenseitigen Vorteil.“

Ebenso beachtenswert ist ein Zitat des britischen Schriftstellers und Sozialphilosophen John Ruskin über einen günstigen Kauf:

„Es ist nicht klug, zu viel zu bezahlen – es ist aber auch nicht klug, zu wenig zu bezahlen! Wenn Sie zu viel bezahlen, ist alles, was Sie verlieren können, ein wenig Geld. Das ist alles! Wenn Sie zu wenig bezahlen, verlieren Sie aber vielleicht alles, weil das Ding, das Sie kauften, unfähig war, das zu tun, wofür Sie es kauften. Wenn Sie sich mit dem niedrigsten Anbieter einlassen, so ist es gut, dem Angebot noch etwas Geld hinzuzufügen, für das Risiko, das sie eingehen. Und wenn Sie das tun, dann haben Sie auch genügend Geld, etwas Besseres zu kaufen“.

So weit, so gut. Für unsere Partnerfindung kann man in diesem Zitat die Wörter „bezahlen“, „Geld“, „das Ding“ und „kaufen“ durch „investieren“, „Liebe“, „den Mann“, „an der Angel haben“ und „fischen“ ersetzen – und schon haben wir eine brauchbare Anleitung für unsere Verabredungen:

Es ist nicht klug, zu viel zu investieren – es ist aber auch nicht klug, zu wenig zu investieren! Wenn Sie zu viel investieren, ist alles, was Sie verlieren können, ein wenig Liebe. Wenn Sie zu wenig investieren, verlieren Sie aber vielleicht auch alles, weil der Mann, den Sie an der Angel hatten, unfähig war, das zu tun, wofür sie ihn gefischt hatten. Wenn Sie sich mit dem niedrigsten Interessenten einlassen, so ist es gut, dem Angebot noch etwas Liebe hinzuzufügen, für das Risiko, das sie eingehen. Und wenn Sie das tun, dann haben Sie auch genügend Liebe, etwas Besseres zu fischen.

Ganz genau! Nur leider lief diese Taktik bei Clara immer wieder aus dem Ruder. War sie eigentlich von Sinnen? Wieso schrieb sie ausgerechnet einen Ratgeber über ein Thema, in dem sie selbst nicht erfolgreich war? Vielleicht sollte sie ihre Ratschläge verstärkt ebenfalls in die Praxis umsetzen.

Auf dem Weg in die Agenturküche dachte sie darüber nach, wem hier im Büro alles gar nicht bewusst war, dass Dating ein richtiger Job ist. Ja, richtig harte Arbeit, in die man viel investieren musste, wenn man erfolgreich sein wollte!

»Na, Clara? Haben Sie gestern auch wieder die Wiederholung von Sex and the City geschaut?«, unterbrach Heinz Hackstedt ihre Gedanken.

Heinz Hackstedt war pervers. Wer möchte sich schon über die letzte Folge SATC mit seinem 55-jährigen Chef aus-tauschen?

»Ich gucke nicht Sex and the City. Ich lebe Sex and the City«. Nur ohne Sex, fügte Clara in Gedanken hinzu.

»Ah, wie läuft’s denn mit Herrn Scheffler?«

»Das wüssten Sie gerne, was? Ich muss jetzt aber weiter-arbeiten.«

Herr Scheffler war Harald „Harry“ Scheffler. Ein Kunde der Agentur Hackstedt & Haase, der ein paar PR-Aufträge für die Brandenburgische Baufirma seines Vaters einbrachte. Clara musste beim letzten Business-Dinner, welches vor einem Monat von ihrer Agentur veranstaltet wurde, unglücklicherweise neben ihm zu Abend essen. Als Gifti die Sitzordnung erstellte, war sie der Meinung, dass Clara sich neben dem jungen Mann sicher hervorragend amüsieren würde. Der „junge Mann“ war zwölf Jahre älter als sie und hatte ihre höfliche Freundlichkeit nach seinem dritten Glas Wein leider etwas überinterpretiert. Seitdem wurde sie ihn nicht mehr los. Allerdings war Harry auf den ersten Blick ziemlich attraktiv – in seinem Anzug, mit seinem ergrauenden Haar und mit seinem gewinnenden Lächeln. Er war durchaus auch erfolgreich, nur sein EQ, sein emotionaler Intelligenzquotient, schien Clara etwas gering zu sein. Er wusste einfach nicht, wie man mit Frauen umging und hatte zudem noch einen undefinierbaren süddeutschen Dialekt, obwohl seine Familie in Brandenburg angesiedelt war. Darüber hinaus hatte er einen „Genau-Tick“. Es war nicht der Fall, dass er alles genau nahm, er benutze nur das Wort „genau“ sehr gerne. Es war für Clara sehr irritierend, wenn ein Mann aussah wie Richard Gere, sich aber wie ein Provinz-Prinz ausdrückte und zu allem „genau“ sagte.

Clara holte sich zwei Bananen aus dem Obstkorb in der Küche und überlegte sich in ihrem Büro weitere Tipps für ihren Ratgeber zur Partnerfindung.

Tipps für eine erfolgreiche Partnerfindung

1. Warte nicht auf andere! (Denn die anderen Frauen warten auch nicht.)

2. Vertraue darauf, dass nichts unmöglich, sondern alles möglich ist.

3. Positives Denken und Handeln sind die wichtigsten Grundlagen für die erfolgreiche Partnerfindung.

4. Freude bereiten und erleben, eigenen Zielen näherkommen und dennoch einen Ausgleich zum Dating schaffen. Denn wer sich in seiner Freizeit nur noch mit der Partnerfindung beschäftigt, macht sich früher oder später abhängig. Besonders, wenn sich zunächst kein Erfolg einstellt. Sorge daher auch für Erfolgserlebnisse außerhalb der Dating-Zone!

Das Ziel besteht anfänglich aus einer Idee, einer Vision, welche ein Ergebnis beschreibt, das den zukünftigen Zustand (Beziehung) kennzeichnet, der zu erreichen wünschenswert ist – und gesteckte Ziele müssen formuliert werden: Warum will ich diesen Mann und wie?

Ziele sind Antreiber jeglichen Handels, sie sind Motivatoren, die den Leistungsgrad unserer Aktivitäten bestimmen.

Je realistischer, klarer und eindeutiger eigene Ziele formuliert sind, desto größer ist die Aussicht, das gesteckte Ziel zu erreichen!

Merke: Wer das Ziel nicht kennt, kann den Weg nicht finden.

»Ach Clara, warum ist eine Frau wie Sie, eigentlich noch Single?«, wurde sie von Ruth, einer Kollegin, die kurz vor dem Ruhestand war, unterbrochen.

Okay, dachte Clara, das ist einer der überflüssigsten Fragen, die man einer alleinstehenden Person stellen kann. Was sollte sie darauf antworten? Weil ich es mir wert bin? Und dabei wie in der L'Oreal-Werbung selbstbewusst ihr Haar nach hinten werfen? Oder: Weil ich noch keinen Mann gefunden habe, der mehr saufen kann als ich? Gut, den Witz sollte man besser nicht unter Kollegen machen. Am liebsten hätte Clara ihr geantwortet: Dafür gibt es viele Gründe und sie tagen alle männliche Namen! Doch stattdessen sagte sie:

»Vielleicht, weil mein Mr. Right es noch nicht mitbekommen hat, dass ich zu haben bin? Ich wünschte ja auch, es würde ihm endlich mal einer sagen. Denn jedes Mal, wenn ich es versuche, stellt sich kurz darauf heraus, dass es nicht Mr. Right war. Aber irgendwo muss er doch sein und irgendjemand muss ihn doch kennen? Und der soll ihm dann bitte endlich sagen: Hey, Clara ist zu haben, geh endlich und hole sie dir!«

»Na ja, solange Mister Right noch nicht da ist, können Sie sich sicher mit einem Mister Ride vergnügen«, warf Heinz Hackstedt im Vorbeigehen ein, kreiste abstoßend mit seinem Becken nach vorne und lachte über sein tolles Wortspiel. Hackstedt war wirklich peinlich.

»Als ich in Ihrem Alter war, Clara«, nervte Ruth weiter, »da war ich schon zum dritten Mal schwanger!«

»Sie hatten doch auch keine andere Wahl.«

»Tja, das haben wir nun, von dem ganzen Feminismus: Wählerische Frauen!«

»Nur kein Neid, Ruth. Ich bin mir sicher, dass Sie das Beste aus Ihrem Leben und mit Ihren Möglichkeiten gemacht haben.«

Dennoch beschlich Clara das Gefühl, dass Ruth sie um ihr „freies“ Leben beneidete. Dabei hatte Clara dies gar nicht bewusst gewählt. Es ist einfach so passiert. Oder eben nicht passiert. Sie hat nun mal noch keinen Heiratsantrag bekommen und sie wurde nun mal noch nicht geschwängert. Na, und? Andere Frauen waren schon mit Mitte zwanzig wieder geschieden. Clara sah sich sowieso nicht mit einem weißen Kleid in einer Kirche vor den Altar treten. Das wäre für sie schlimmer als Karneval! Sie würde sich total verkleidet oder wie in einem Theaterstück vorkommen. Wenn sie jemals heiraten würde, dann wenigstens als der Mensch, der sie wirklich war und nicht als eine kitschige Sahnehaube unter einem gekreuzigten Jesus, mit ganz viel Publikum im Nacken. Nein, danke! Clara war lange genug katholisch, bis sie die Kirche als Institution zu frauenfeindlich und homophob fand.

»Ich trete erst wieder in die Kirche ein, wenn eine lesbische Frau Päpstin wird!«, sagte sie immer und erntete ein spöttisches: »Na, das wirst du nicht mehr erleben. Darauf kannst du lange warten!«

»Nein, die können lange auf mich warten!«

Clara fand ihr Leben ohne die Kirche irgendwie ehrlicher und spendete hin und wieder etwas von den eingesparten Steuern an diverse Wohltätigkeitsorganisationen. Damit käme sie bestimmt auch in den Himmel oder bekäme ein wunderbares neues Leben geschenkt. Sie war sich noch nicht ganz sicher, ob nach dem Tod ein himmlisches Paradies oder eine Reinkarnation auf sie warten würde, aber darüber würde sie sich erst in frühestens sechzig Jahren Gedanken machen.

Nur wie langweilig wären denn sechzig Jahre ohne Mann und ohne Kinder? Vielleicht gar nicht langweilig, sondern erholsam? Nein, erholsam wäre auf Dauer zu langweilig, beschloss sie.

Am fortgeschrittenen Nachmittag telefonierte Clara gerade mit einem Kunden, als plötzlich Harry Scheffler grinsend in der Tür stand und etwas hinter seinem Rücken versteckte.

Was will der Vogel denn hier? Clara wunderte sich und sah ihn irritiert an.

Artig wartete er, bis sie ihr Gespräch beendet hatte.

»Na, wie läuft’s denn heute so? Hast du einen schönen Tag?«

»Bis jetzt, ja!« Ab jetzt wohl nicht mehr. »Was willst du denn hier?«

»Genau, ich hatte noch ein spontanes Meeting mit Heinz. Also, mit Herrn Hackstedt. Und ich wollte dich besuchen!«

Na toll, das würde dafür sorgen, dass sich alle ihre Kollegen über seinen Besuch das Maul zerreißen – und Heinz hat die gestrige Folge Sex and the City wohl nicht gereicht, sodass er Harry garantiert heute mit Absicht hierher bestellt hatte. Dankeschön, wirklich prima, dachte sich Clara.

»Ich habe dir etwas mitgebracht!«, fügte er stolz und strahlend hinzu als er in Zeitlupe seine Hand hinter dem Rücken hervorholte.

Als Clara schon einen peinlichen Blumenstrauß erwartete und sich eiskalter Schweiß in ihrem Nacken bildete, hielt er ihr plötzlich zwei postgelbe, undefinierbare Gegenstände vor die Nase.

»Oh, was ist das?« Das konnte doch nicht sein Ernst sein?

»Genau, das ist ein Geschenk für dich von meiner Firma! Genau genommen ist das ein Gurtschneider mit Notfallhammer und das andere ist eine Warnblinkleuchte – falls du mal einen Unfall hast.«

Es war sein Ernst.

Und er hat wieder „genau“ gesagt!

»Wahnsinn! Äh, danke!«, stammelte sie.

Unfall? Was hatte Harry denn für eine kranke Fantasie? Und was für eine seltsame Art der Zuneigung? Leider wusste er nicht, dass Clara letztes Jahr ihr Auto verkauft hatte, um sich einen Shopping-Urlaub in Barcelona leisten zu können.

»Hast du denn Lust, mit mir bald mal was essen zu gehen?«

Nein! Bitte nicht, dachte Clara.

»Ich weiß es nicht, ich bin gerade sehr beschäftigt …«, versuchte sie ihn abzuwimmeln.

»Bitte, komm schon. Es ist doch nur ein Abendessen.«

»Hmmm …«, seufzte Clara.

»Ich würde mich wirklich freuen!«

»Was meinst du, worüber ich mich alles freuen würde?«, fragte sie zynisch zurück.

»Wir haben uns doch so gut verstanden, genau? Ich finde, dass wir den netten Abend auf dem Business-Dinner unbedingt noch genauer fortsetzen sollten!«

»Tja, dann beim nächsten Hackstedt & Haase-Business-Dinner vielleicht?«

»Genau, dann muss ich also noch elf Monate lang jede Woche hier auftauchen und dir ein Geschenk vorbeibringen?«

»Okay, gut, von mir aus! Ich habe aber genau genommen nur nächste Woche Zeit und auch genau nur am Mittwoch! Für genau ein Abendessen«, sagte sie zackig und imitierte mit sarkastischer Absicht seinen Genau-Tick.

»Genau, prima! Um 18 Uhr?«

»Ja, hol mich einfach zu Hause ab.«

»Ich freue mich, genau!«, Harry strahlte und wippte vergnügt auf seinen Fußballen auf und ab.

»Bis dann, Harry.«

Clara hoffte, dass er sie in Ruhe ließe, wenn er das bekam, was er wollte – ein Date mit ihr. Vielmehr konnte er ja nicht wollen, soweit sie sich erinnerte, hatte er sogar eine feste Freundin. Daher versuchte sie es als ein Afterwork-Dinner unter Geschäftspartnern zu betrachten und nicht als ein Date. Könnte sie überhaupt einen Abend lang seinen Genau-Tick ertragen? Clara hatte Angst, dass sie diesen Spleen unbewusst übernehmen würde und dann auch zu allem immer nur „genau“ sagen würde.


Kein Date ohne Katastrophe

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