Читать книгу Kein Date ohne Katastrophe - Annie Sattler - Страница 6

4

Оглавление

Eine Woche später bereitete sich Clara nach Feierabend auf ihre Verabredung mit Harry vor. Wenn sie auf ein Treffen mit einem Mann richtig Lust hatte, nannte sie es ein Date, ansonsten war es einfach eine Verabredung. Einen Unterschied in der Aktivität gab es nicht, ein Date klang für sie bloß vielversprechender. Sie war gespannt, in welches Restaurant oder in welche Bar Harry sie heute ausführen würde und hatte sich vorsichtshalber ein bisschen chic angezogen. Sie saß an ihrem Küchentisch und blätterte unruhig in einer Zeitschrift, während sie auf ihn wartete.

Aufgeregt war sie nicht, sie wurde nur nervös, weil Harry schon über zwanzig Minuten zu spät war. Erst wollte er unbedingt mit ihr ausgehen und dann kam er nicht.

Nach einer gefühlten Ewigkeit klingelte es endlich an ihrer Tür und Clara schritt langsam und würdig zur Sprechanlage.

»Hallo?«, sagte sie emotionslos.

»Hi, hier ist der Harry! Lässt du mich rein?«

»Nein, ich komme runter!«, brüllte sie in die Sprech-muschel und hing schnell den Hörer wieder hin, um ihm keine Möglichkeit zu geben, darauf noch etwas zu antworten.

Draußen vor der Tür begrüßte Clara ihn jung, frisch und hip mit einem „Hey, wie geht's dir?“-Bussi-links-Bussi-rechts und ließ ihn erneut nicht zu Wort kommen: »Tja, wärst du pünktlich gewesen, hättest du nochmal rauf kommen können, aber jetzt müssen wir los. Wo hast du denn geparkt?«

Sie schritt auf dem Bürgersteig voran, ohne nach hinten zu blicken.

»Es war Stau auf der Autobahn. Ich bin superpünktlich losgefahren und wollte punktgenau um Sechs hier sein.«

»Wo ist denn nun dein Auto?«

»Genau, das Weiße da vorne.«

Clara sah nur ein grau-weiß-schmutziges Auto. Einen Renault Rapid Kleintransporter.

»Sorry, ich bin mit dem Baustellenfahrzeug gekommen. Eigentlich wollte ich dich ja mit dem Mercedes-Benz abholen.«

»Und warum tust du es dann nicht?«

»Genau, mein Vater hat ihn heute Morgen genommen.«

Dann halte doch einfach den Mund, du Flitzpiepe, dachte sich Clara genervt. Sie nahm einen tiefen Atemzug, um sich schnell wieder zu beruhigen. Es war ja sowieso kein Date, erinnerte sie sich. Außerdem konnte sie doch über jeden Mann froh sein, der sie überhaupt mit einem Auto abholte.

Der Boden des Rapids war voll mit Kaugummipapier und kleinen Cola-Pfandflaschen, die er noch schnell grob auflas und nach hinten auf den Rücksitz warf. Im Getränkehalter stand ein alter Kaffeebecher aus Pappe von der Tankstelle.

»So, wo soll’s denn jetzt genau hingehen?«, fragte Harry fröhlich, als Clara eingestiegen war.

»Wie? Hast du dir denn noch nichts überlegt?«

»Nein, du wohnst doch hier in Berlin. Du kennst dich doch bestimmt besser aus, genau?«

»Aber du wolltest doch unbedingt mit mir Essen gehen!«, sagte Clara und wunderte sich, dass man als Geschäftsmann aus Brandenburg in Berlin nichts kannte.

»Genau jetzt sag, schon«, lachte er, »wo können wir hinfahren?«

»Na gut, dann fahren wir einfach zum Fernsehturm«, schlug sie vor und ihr war klar, dass er die Speisekarte oder besser gesagt die Preise dort nicht kannte.

»Hast du Gänsehaut oder sieht dein Arm immer so aus?«, fragte Harry sie, als Clara sich gerade anschnallte.

»Wie bitte? Nein, ich bin nicht mit Wolverine verwandt!«

Was sollte das denn? Ihr Arm war ein kleines bisschen dunkler behaart, aber solch eine Bemerkung musste sie sich noch nie anhören! Wie viel Minuspunkte wollte Harry an diesem Abend noch sammeln? Wer wollte hier eigentlich wen loswerden?

Auf der Fahrt durch Berlin drehte er das Radio laut auf, es dröhnte „Don’t Stop Believin“ von Journey aus den scheppernden Lautsprechen und Harry grinste bloß. »Ich freu mich, dass es endlich geklappt hat!«

Clara lächelte höflich und bereute schon jetzt, dass sie dem Treffen zugestimmt hatte.

Harry parkte in einem Parkhaus nahe dem Alexanderplatz. Als sie am Fernsehturm ankamen, wollte die Dame am Empfang wissen, ob sie einen Tisch reserviert hatten.

»Nein, haben wir nicht. Das war eine spontane Entscheidung, heute hier her zu kommen«, sagte Clara.

»Dann tut es mir leid. Im Restaurant sind heute Abend alle Tische belegt, aber im Bar-Bereich hätte ich noch etwas für Sie frei. Dort können Sie auch ein paar Snacks bestellen.«

Clara und Harry fuhren in die Aussichtsetage und nahmen an der Bar Platz, mit einem atemberaubenden Blick über die Stadt, die in das sanfte Licht der Abenddämmerung getaucht war. Wäre sie nicht mit Harry hier, würde sie eine tiefromantische Emotion überkommen.

»Und? Sonst so?«, fragte Harry ganz einfallsreich, nachdem sie ihre Drinks bestellt hatten.

»Och du, ja, mir geht es ganz gut«, beantwortete Clara abfällig seine spröde Frage.

»Bei mir läuft’s richtig super! Genau gesagt, komme ich gerade aus Stockholm zurück und nächste Woche muss ich nach Genf.«

»Wow, da kommst du ja richtig viel rum«, kommentierte Clara und musste sich ein Gähnen unterdrücken.

»Ganz genau!«

Irgendwie war Harry richtig attraktiv, solange er den Mund nicht aufmachte. Sein Dialekt war für Clara sehr gewöhnungsbedürftig, aber sie versuchte dem Abend eine Chance zu geben und vielleicht doch noch etwas Anziehendes an ihm zu finden. Zumindest fühlte sie sich jung und begehrenswert, irgendwie machtvoll. Ja, er wollte etwas von ihr, sie hatte die Macht über den Abend. Dies war eigentlich sonst nicht ihr Ding, aber sie sah es als Experiment.

Vielleicht passierte ja noch etwas Tolles, wenn sie nett zu ihm war, glaubte sie naiv.

»Und was machst du dann genau in Genf?«

»Ich besuche einen Supplier, bei dem wir eine größere Order machen wollen.«

Sein Denglisch passte irgendwie zu seinem Dialekt. Er wirkte wie eine Parodie. Wenn sie sich vorstellte, ein Opfer der „Versteckten Kamera“ zu sein, würde es vielleicht doch noch unterhaltsam werden. Aber irgendwie wollte er gar nicht viel über Clara wissen, sondern nur von sich erzählen. Nur leider nicht die richtig spannenden Details aus seinem Leben.

Clara wusste nicht mal, ob er verheiratet war oder sogar Kinder hatte. Dennoch vermutete sie, dass er eine Partnerin hatte. Aber sie wollte auch nicht allzu direkt fragen. Denn sobald sie davon wüsste, würde sie sich schuldig fühlen. Sie würde niemals mit einem Ehemann oder gar Familienvater ausgehen. Das könnte sie mit nicht ihrem Gewissen vereinbaren.

»Wusstest du, dass genau fünfzig Prozent der Weltbevölkerung nie einen Telefonanruf gemacht oder erhalten haben?«, fing er plötzlich an.

»Nein.« Wusstest du, dass mindestens 99% der weiblichen Weltbevölkerung von so einem Typ wie dir total genervt wären, dachte sich Clara.

»Doch, das stimmt genau!«

»Ich habe es auch nicht dementiert. Vermisst denn die telefonlose Hälfte der Weltbevölkerung das Telefon oder bräuchten sie es gar nicht? Mit wem würden sie telefonieren, wenn sie eines hätten?«

»Ja, das kann ich dir jetzt auch nicht so genau sagen. Aber wusstest du, dass das Tragen eines Kopfhörers von nur einer Stunde, die Anzahl der Bakterien in deinem Ohr um genau 700% erhöht?«

»Nee, echt? Und ist das schlimm?«

»Ja! Da kannst du viel schneller eine Mittelohrentzündung bekommen!«

Plötzlich wurde Clara furchtbar müde. Wenn das hier ein TV-Film wäre, würde sie jetzt umschalten.

»Und dass das Feuerzeug vor dem Streichholz erfunden wurde, das wusstest du bestimmt auch nicht, genau?«

»Doch, ich glaube, das habe ich schon mal irgendwo gehört …«, log sie und dachte sich bloß: Wen interessiert’s?

»Sag mal, wer bügelt denn deine ganzen Hemden, wenn du so oft verreist?“, wechselte Clara das Thema.

»Genau, die Reinigung.«

Boah, gib schon zu, dass du eine Freundin hast, dachte Clara. Sie lehnte sich in ihren Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor dem Oberköper. Mit hochgezogenen Augenbrauen sah sie ihn fragend an.

»Ja, ich habe eine Freundin. Aber genau genommen läuft es nicht so gut.«

Harry erwähnte, dass er sich mit seiner Freundin nicht so entspannt unterhalten könne wie mit ihr. Oh ja, diese Sorte Typen waren Clara am liebsten. Schlummern in einer festgefahrenen Beziehung, machen die Partnerin für ihr ganzes Unglück verantwortlich und warten nur darauf eine neue, super tolle Frau kennenzulernen, mit der alles anders wird.

Nicht mit ihr!

Clara hielt die Verabredung noch eine knappe Stunde durch und hörte sich Harrys Beziehungsprobleme an.

»Ich bin so froh, dass wir endlich zu einem Date zusammen haben«, sagte er schließlich als er gerade die dritte Runde Drinks bestellen wollte.

Hilfe, dachte Clara, er nannte es tatsächlich ein Date. Am liebsten hätte sie gelacht, aber eigentlich wollte sie nur noch, dass es endete. »Gern geschehen«, sagte sie und griff nach ihrer Tasche. »Aber ich muss jetzt wirklich langsam nach Hause. Danke für den amüsanten Abend.«

»Warte!«, sagte er und ergriff ihren Arm und hielt sie zurück. »Bleib noch, ich fahre dich nach Hause.«

»Danke, aber ich nehme mir einfach schnell ein Taxi. Mach’s gut!«

Nach diesem Abend hatte Clara von Harry Scheffler endgültig die Nase voll, aber er anscheinend nicht von ihr. Denn am nächsten Tag rief er sie abends wieder an und beklagte sich über seinen schrecklichen Tag. Er jammerte ihr die Ohren voll, dass sein Vater ihn in der Firma angeschrien hätte und dass seine Freundin seine Hemden nicht aus der Reinigung abholen wollte. Clara fühlte sich gelangweilt bis desinteressiert. Aber das hatte sie sich offensichtlich selbst eingebrockt.

»Genau, ich hoffe, dein Tag war besser, Clara! Wann können wir uns denn wieder treffen? Ich möchte dich gerne bald wiedersehen!«, flehte Harry sie in einem fast verzweifelten Ton an.

»Ich bin momentan wirklich sehr beschäftigt, aber ich melde mich bei dir, sobald ich mehr Zeit habe, okay?«, versuchte Clara ihn abzuwimmeln.

Pff! Darauf konnte er lange warten! Clara würde niemals wieder Zeit für ihn haben. Als ob sie all seine Luxus-Probleme lösen könnte! Sie würde seine Hemden auch nicht aus der Reinigung abholen, wenn sie seine feste Partnerin wäre.

Clara hakte ihn ab und wollte gerade seine Nummer löschen, als sie sich dann doch überlegte, seine Nummer nicht mehr unter Harry sondern unter „Flitzpiepen-Alarm“ abzuspeichern. Welche Frau gibt sich schon die Blöße und geht ans Handy, wenn „Flitzpiepen-Alarm“ auf dem Display aufleuchtet?

Kein Date ohne Katastrophe

Подняться наверх