Читать книгу Kein Date ohne Katastrophe - Annie Sattler - Страница 8

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Partys waren Claras Highlights in ihrem meist trostlosen Singleleben. Beim Feiern gehen bestand wenigstens die Chance, auch im realen Leben, außerhalb der Online-Plattformen oder Dating-Apps, auf andere Singlemänner zu treffen. Mit dem Alkohol fühlte sich Clara auf der Tanzfläche leicht wie eine Feder und vor den Spiegeln auf der Damentoilette in den Clubs unglaublich attraktiv. Einmal hat sie sogar eine Frau gesehen, die sich auch ebenfalls ziemlich attraktiv fand. So sehr attraktiv, dass sie ihrem eigenen Spiegelbild ein High Five gegeben hatte. Mit einem „Yeah, du sieht so geil aus heute!“ klatsche sie sich mit ihrem Spiegelbild ab. So fühlte sich Clara auch meistens, nur dass sie sich nicht traute in der Öffentlichkeit mit ihrem Spiegelbild abzuklatschen.

Und genau vor den Toiletten dieses Clubs, in welchem Clara die Szene beobachtet hatte, lungerte immer ein Pfarrer herum, ganz in Schwarz mit einer weißen Halskrause. Er stand meist neben dem Hocker, auf dem die Toilettenfrau saß, die wie eine Mama für die Clubkinder war. Ebenso freundete sich fast jeder der Feierjünger in seinem Rausch mit dem Pfarrer an. Clara überlegte immer, ob der Pfarrer tatsächlich nur Prävention und Aufklärung betreiben wollte, um den Drogenkindern zu helfen oder ob er bloß missionieren wollte. Sunny meinte immer, der Pfarrer käme zum persönlichen Spaß in den Club und er stehe nur vor den Toiletten, um zu Spannen. Clara erfuhr nie, ob er wirklich jemandem helfen konnte. Sie wusste nur, dass 90 Prozent der jungen Leute in diesem Club Ecstasy oder noch gefährlichere Drogen nahmen sowie familiäre oder psychische Probleme zu haben schienen. So falsch konnte der Pfarrer an diesem Ort also nicht gewesen sein.

Nachts war Clara mutig und je mehr Alkohol sie in ihren Magen kippte, umso größer und schöner wurde sie. Dass ihre Wangen vom Alkohol jedoch rot leuchteten und ihr Blick ganz schief wurde, ignorierte sie und nahm es oft erst auf den Fotos hinterher war.

Immer, wenn Clara betrunken war, wurde sie jedoch ganz schnell sehr anspruchsvoll was den Unterhaltungsgrad betraf. Wenn Clara sich auf einer Party schnell langweilte, meinte sie für mehr Stimmung sorgen zu müssen. Dann tanzte sie auch mal MC Hammer in der Russendisko oder machte Bauchtanz zu Elektro. Vielleicht war das auch genau der Grund, warum sie beim Feiern niemanden mehr kennenlernte.

Mit dem entsprechenden Alkoholpegel fühlte sich Clara irgendwann immer unglaublich hungrig und wahnsinnig reich. Beides war jedoch ein Trugschluss, auf den sie immer wieder hereinfiel. Plötzlich war es egal, wie teuer die Cocktails waren und es wurde Geld über den Tresen gereicht, als gäbe es keinen Morgen mehr. Auf dem Heimweg wurden zwei Döner bestellt, die sowieso kurz darauf wieder ausgekotzt in der Toilette landeten oder es wurde in einem Fast-Food-Restaurant riesige Menüs mit allen Extras bestellt, wovon mehr als die Hälfte unangerührt auf dem Tablett liegen blieb.

Wenn Clara ihrem Leben wieder ein Highlight setzen wollte, musste sie einfach nur mit Sunny feiern gehen. Die Nächte mit Sunny waren spannend, denn zusammen waren sie gerne betrunken und mutig. Wie auch immer die Nacht endete oder der nächste Tag begann, sie hatten wenigstens etwas erlebt!

Wie auch in jener Nacht, als Clara in diesem Frühling seit Langem einmal wieder mit Sunny unterwegs war. Sie quetschen sich kurz nach halb eins in einen angesagten Club, der so überfüllt war, dass das Kondenswasser von der Decke tropfte. Um sich von der Hitze abzukühlen, tranken sie ein paar Weißweinschorlen. Diese waren billig, kühl und eleganter als Bier. Der DJ spielte ein euphorisches House-Set und versetze, am Höhepunkt seines Sets angekommen, die feiernde Menge gefühlt nach Ibiza. Der Alkohol zeigte schnell seine Wirkung und so suchten Clara und Sunny einen Platz zum Tanzen, aber auf der Tanzfläche war es noch viel zu voll. Es sei denn man stand darauf, in fremdem Schweiß zu duschen. In der Lounge nebenan setzten sie sich auf ein freies Sofa und hofften, dass der Club sich ab zwei Uhr langsam etwas leeren würde.

Plötzlich setzten sich ihnen zwei Männer gegenüber. Sie waren eindeutig etwas älter als sie, aber bestimmt noch keine 45 Jahre alt. Beide trugen Anzughosen, edle Schuhe und weiße Hemden, deren Ärmel hochgekrempelt waren. Sie stellten sich kurz vor und berichteten, dass sie diese Lounge-Ecke eigentlich gemietet haben, da ein Freund heute seinen Geburtstag feiere. Clara und Sunny durften aber sitzen bleiben, bekamen kühlen Champagner angeboten und unterhielten sich angeregt mit den beiden. Nur worüber sie sich unterhielten, wusste Clara am nächsten Morgen nicht mehr, als sie zu Hause auf ihrem Sofa aufwachte und erschrocken feststellte, dass einer der Typen neben dem Sofa auf dem Boden saß und ihre Beine streichelte.

Wie kam er in ihre Wohnung? Wie war sie überhaupt nach Hause gekommen?

Nach und nach kamen Bruchstücke der letzten Nacht in ihr Gedächtnis zurück. Sie fand einen der Typen plötzlich ziemlich heiß. Zu viert waren sie auf der Tanzfläche. Tanzten mit viel Körperkontakt. Sunny und sie holten ihre Mäntel an der Garderobe ab. Sie saßen in einem Taxi – zu viert! Die beiden Männer halfen Clara und Sunny die Treppen zu Claras Wohnung hinauf. Hatte sie ihn geküsst? Wahrscheinlich! War noch mehr passiert? Nein. Oder konnte sie sich einfach nicht erinnern?

In ihrem Schlafzimmer fand sie Sunny und den anderen Kerl. Beide waren noch bekleidet, aber schliefen. Der Kerl hatte seine Hand unter ihrem Rock.

»Ich glaube, es ist besser, wenn ihr jetzt geht!«, sagte Clara laut und eindringlich zu den beiden Männern. »Raus aus meiner Wohnung!«

Die Typen suchten ihre Schuhe und Jacken zusammen und verließen müde, betrunken und ohne Widerstand die Wohnung. Sunny war ähnlich verstört, während Clara ihre Räume sicherheitshalber nach noch weiteren Männern durchsuchte.

»Sunny, was weißt du noch?«

»Mach dich locker, Clara. Hier ist sonst keiner mehr!«

»Kannst du dich noch an alles erinnern?«

»Ich weiß nur, dass wir im Taxi saßen. Der eine Kerl wollte mit uns noch in eine Wodka-Bar, der andere mit uns in sein Hotel. Der Taxifahrer meinte aber, dass er dort hinfahren werde, wo die Mädels hinwollen und du hast ihm deine Adresse genannt.«

»Wie gruselig! Ich habe noch nie etwas gesagt, woran ich mich nicht mehr erinnern konnte. Ich weiß nicht einmal mehr, worüber wir uns mit denen unterhalten haben!«

»Ich weiß es auch nicht mehr, die Nacht ging so schnell rum. Sorry, Clara, aber ich glaube, die haben uns was in den Champagner getan.«

»Das glaube ich auch. Bitte erzähl es keinem.«

»Erzähl du es bitte keinem! Ich treffe mich nachher wieder mit Jakob und so wie es aussieht, kommen wir sehr bald zusammen! Glaub mir, es ist nur noch eine Frage von ganz wenigen Tagen … oder Nächten!«

»Keine Sorge, von mir erfährt er nichts! Wer weiß, wann ich ihn überhaupt mal kennenlerne.«

»Mir ist schlecht, hauen wir uns noch aufs Ohr?«

»Ja, gut Idee. Ich schließe vorsichtshalber nur noch meine Wohnungstür von innen ab.«

Als Sunny kurz vor Mittag nach Hause ging, holte Clara die Katerstimmung ein, welche in Depressionen umzuschlagen drohte. Von der Nacht war nichts mehr übriggeblieben und von dem Tag war auch nichts mehr zu erwarten. Die verkaterten Sonntage allein zu Hause waren schlimm. Wenn sie wenigstens einen Freund hätte, dem sie jetzt vorjammern konnte, wie schlecht es ihr ginge. Oder noch besser: Sie müsste erst gar nicht mehr Feiern gehen und sich so sehr betrinken, wenn sie einen Freund hätte.

Hinzu kamen die ständigen Gedanken an Montag. Einerseits freute sie sich, wieder unter Leute zukommen und einen geregelten Tagesablauf zu haben. Andererseits erfüllte sie ihr Job in der kleinen Agentur auch nicht so richtig.

An diesem Abend konnte nur noch Falafel ihre Stimmung etwas heben. Kaum hatte sie ihre Wohnung verlassen und die Tür abgeschlossen, kam auch gerade ihr Nachbar Yorick aus seiner Tür. Besorgt wollte er wissen, was am frühen Morgen los war. Er war wach geworden, als die Vier nach Hause kamen und durchs Treppenhaus polterten. Clara versuchte, ihm zu erklären, wie es dazu kam.

»Du widersprichst dir!«, meckerte Yorick, nachdem er sich die Geschichte angehört hatte. »Erst erzählst du, dass da nichts mit diesen Typen gelaufen sei und dann sagst du, dass du dich an nichts erinnern kannst! Also, was denn nun?«

Clara schämte sich, bemühte sich aber um Schadens-begrenzung, da sie nicht wollte, dass ihr attraktiver Nachbar Yorick ein falsches Bild von ihr hatte.

»Woher sollte ich wissen, dass der Champagner mit Rohypnol bereichert war? Das schmeckt man nicht raus!«

»Ist das nicht die fiese Vergewaltigungsdroge?«

»Ja genau, die war es! Willkommen in Berlin, Yorick!«

»Warum hast du das denn getrunken?«, fragte er besorgt.

»Weil ich schon so besoffen war! Ich konnte an mögliche Gefahren nicht mehr denken und hätte diesen schnieken Typen das auch niemals zugetraut! Jetzt lass mich damit in Ruhe, das ist mir schon peinlich genug.«

»Das nächste Mal komme ich gerne rüber und schmeiße die Kerle raus!«

»Es gibt kein nächstes Mal! So schnell lassen wir uns nichts mehr von fremden Männern was ausgeben. Hoffentlich …«

»Das will ich auch für dich hoffen!«

Yorick war Claras Traumnachbar, aber verlieben könnte sich Clara niemals in ihn. Er sah gut aus, obwohl er für einen Mann etwas klein geraten war, er hatte einen anständigen Job bei einer Bank und einen niedlichen schwedischen Akzent. Im Gegensatz zu Harrys Dialekt war Yoricks Stimme Musik in ihren Ohren. Clara fühlte sich jedoch zu unreif und schäbig für so einen achtbaren Mann. Vielleicht wäre er als Partner auch zu langweilig oder er wäre von ihr und ihren wirren, oft schwermütigen Gedanken ebenso gelangweilt. Clara fühlte, dass sie so einen Mann nicht verdient habe. Das würde nur im Unglück enden. Sie hatte ein genauso schemenhaftes Bild von ihrer Zukunft wie von dem Mann, der darin vorkommen sollte. Was für einen Mann wollte sie eigentlich? Und welcher Mann würde mit ihr glücklich werden?

Sich ihr zukünftiges Leben auszumalen, deprimierte sie. Wahrscheinlich, weil es ihr schwerfiel, an das perfekte Glück zu glauben. Das perfekte Glück klang für Clara nach Stagnation. Wovon sollte man dann noch träumen, wenn alles perfekt wäre? Was käme danach? Ewige Liebe, ewige Langeweile? Viele Menschen jammern über die Midlife-Crisis. Clara fand, dass eine Pre-Life-Crisis genauso schlimm war und nur weniger von der Gesellschaft beachtet wurde.

Kein Date ohne Katastrophe

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