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37. Kapitel.

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Lamprecht Overmans hatte eine Tapetenfabrik übernommen oder richtiger übernehmen müssen, um nicht zuviel zu verlieren, denn der bisherige Inhaber der Fabrik war sein Schuldner gewesen.

Anfangs beabsichtigte Lamprecht Overmans die Fabrik zu verkaufen oder nach und nach aufzulösen, um möglichst viel von seinem Gelde herauszuziehen, aber Trautchen mischte sich energisch ein und veränderte seine Entschliessungen.

„Wir wollen die Fabrik behalten, Grosspapa,“ schlug sie vor und machte dabei ihre ernsthaftesten und nachdenklichsten Augen, „denn ich bin der Meinung, dass die Fabrik nicht mehr ging, war nur Schuld ihres Besitzers. Wir wollen Leben in die tote Sache bringen, ich bin überzeugt, es gelingt uns. Der bisherige Inhaber war rückständig, war ein Mann aus dem vorigen Jahrhundert. Er konnte sich nicht auf die neue Zeit umstellen, er trug dem modernen Geschmack keine Rechnung, sondern arbeitete mit lauter altfränkischen Mustern, wie sie heutzutage nicht einmal mehr die Leute in den abgelegenen Provinznestern in ihren Wohnungen sehen möchten. Glaube mir, lieber Grosspapa, wenn wir die alten Vorräte billig abstossen und mit einem Teil davon, der ganz unmöglich ist, Feuer anmachen, dann ist der Weg zum Erfolg schon frei. Sind wir soweit, dann suchen wir uns schleunigst einen oder mehrere Musterzeichner, die Schwung und Schmiss haben. Moderne Menschen mit dem richtigen Blick für das, was die Leute von heute wollen. Sie dürfen uns keine Rosenkränzchen vorlegen und keine steifen Schablonenmuster, keine Dreiecke und Bälle in Blätterranken und keine Schmetterlinge auf Riesenblumen. Es gibt so viele Tapetenfabriken und es dürfte schon ziemlich schwierig sein, mit ihnen Schritt zu halten. Wir aber müssen sie noch überflügeln, sonst lohnt es für uns gar nicht erst anzufangen. Ich bin kein Zeichner und kein Maler, aber mir schweben allerlei Motive vor, die apart sind und die gefallen würden, bilde ich mir ein. Ich habe das Gefühl, einem Zeichner Winke geben zu können und Ratschläge, wie er es machen müsste. Kitschdurchschnittszeichner können wir nicht brauchen, sondern nur hochintelligente Menschen. Künstler, besondere, die wir gut bezahlen müssen, damit sie merken, sie werden für ihre Kunst bezahlt. Dafür wagen sie es dann auch gar nicht, uns Handwerksmässiges zu bringen. Am besten wäre es, junge Maler heranzuziehen, die über Phantasie verfügen.“

Lamprecht Overmans hatte aufmerksam zugehört, hatte danach verschiedene Fragen gestellt und schliesslich gesagt: „Topp, Mädel, dein Vorschlag ist angenommen, weil er mir durchaus einleuchtet. Ich überlasse dir einen Teil der Vorarbeiten, der Organisation, denn du bist ein grundgescheites Dingelchen. Du hast eben die natürliche Veranlagung für das Kaufmännische, den richtigen kaufmännischen Blick.“

Da hatte Traute in jäh aufwallender Freude die Hand des alten Herrn fest, ganz fest gedrückt und ihn strahlend angelächelt: „Ich freue mich sehr, bei der Gründung deines neuen Unternehmens mitschaffen zu dürfen. Ich denke mir ausserdem die Tapetenfabrik noch interessanter als die Brauerei und die Pianofortefabrik.“

Ende Januar erschien in verschiedenen Stuttgarter Zeitungen eine Annonce, durch die eine junge künstlerische Persönlichkeit gesucht wurde für das Entwerfen von modernen Tapetenmustern bei sehr guter Honorierung.

Es liefen verschiedene Offertbriefe ein und Lamprecht Overmans übergab sie uneröffnet dem jungen Mädchen, mochte Traute sie prüfen. Er wollte sie ziemlich selbständig handeln lassen, solange er das Gefühl hatte, sie handelte richtig.

Und dachte sie über manches anders wie er, so bedeutete das noch nicht, sie handelte falsch.

Er war ja reich genug, um sich schliesslich auch einmal ein Experiment leisten zu können.

Er wollte einmal sehen, was das junge Geschöpf fertig brachte, das doch noch über keine wertvollen praktischen Erfahrungen verfügte, das nur eine Art Instinkt und ein heller Kopf leitete.

Wenn er irgendeinem Geschäftsfreunde erzählt hätte, er überlasse jetzt seiner sechzehnjährigen Enkelin die Reformierung und Oberleitung einer Tapetenfabrik, würde man ihm sicher erklärt haben, er sei reif für eine Kaltwasserheilanstalt. Und deshalb verriet er lieber niemand etwas davon, das hatte Zeit bis nach dem Erfolg. Dass sein Sohn und Karola die Köpfe schüttelten, störte ihn weiter nicht.

Traute begann damit, den bisherigen Angestellten der Fabrik ihre Pläne zu erzählen, und sie fand sofort bei allen ein begeistertes Echo. Erstens freute man sich, in Lohn und Brot zu bleiben und zweitens freute man sich darauf, einmal etwas anderes aus den Maschinen hervorgehen zu sehen wie die alten Muster.

Es waren übrigens schon seit langen Jahren keine neuen Muster mehr entworfen worden und kein Zeichner ward brotlos dadurch, dass der Betrieb nicht im alten Stile weitertrottete, gleich einem verbrauchten, müden Karrengaul.

Drittens war man begeistert von dem reizenden, blutjungen weiblichen Chef.

Durchs Feuer wären Arbeiter und Bureauangestellte für die dunkellockige Traute Overmans gegangen.

Am Abend lief Traute zu Lamprecht Overmans hinüber in das Nachbarhaus. Sie benützte die kleine Verbindungstür in der Mauer, die beide Gärten trennte.

Sie fand den alten Herrn in seinem, mit geschnitzten dunklen Möbeln eingerichteten Wohnzimmer im bequemen Lehnstuhl, die Stummelpfeife rauchend und die Zeitung lesend.

Sie zog sich einen Stuhl dicht neben den seinen, nahm ihm sacht die Zeitung fort.

„So, Grosspapa, nun habe ich die Offertbriefe genau geprüft. Eigentlich kommt nur einer davon besonders in Frage. Und denke dir, Grosspapa, welch ein Zufall, der Absender dieses Briefes ist der Maler, der das entzückende Bild gemalt hat, das du Mutti zum Weihnachtsfest schenktest. Ich nehme wenigstens nicht an, es gibt zwei Maler ganz gleichen Namens. Alfred von Bassing heisst er und wohnt zurzeit in Ludwigsburg.“

„Natürlich muss er es sein,“ bestätigte der alte Herr, „denn der Kunsthändler Meifinger erzählte ja, als wir das Bild kauften, der Maler wohne zurzeit in Ludwigsburg.“

Traute reichte dem alten Herrn einen Brief, der eine klare, charakteristische Handschrift zeigte.

Er las:

„Auf Ihre Annonce erlaube ich mir, Ihnen meine Dienste anzubieten.

Ich bin Maler, fünfundzwanzig Jahre alt, verheiratet, und habe als Maler schon einige Erfolge zu verzeichnen. Im vorigen Jahre entwarf ich für eine grosse norddeutsche Tapetenfabrik einige Zeit Muster zur vollsten Zufriedenheit, und glaube ich, die an mich gestellten Erwartungen erfüllen zu können. Ich bin stets zur persönlichen Vorstellung bereit.“

Es folgten die üblichen Höflichkeitsfloskeln, und dann der Name Alfred von Bassing.

Lamprecht Overmans gab den Brief zurück.

„Man kann sich den Malersmann ja einmal angucken, das verpflichtet ja noch nicht. Uebrigens empfinde ich grosses Interesse für ihn, schon des Bildes wegen.“

Noch am gleichen Abend schrieb Traute ein paar Zeilen an Alfred von Bassing, er möge sich in der Tapetenfabrik von Lamprecht Overmans vorstellen.

Die Namenlose. Schicksal eines vertauschten Kindes Bd.2

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