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KINDER WOLLEN SICH SPÜREN

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Kinder wollen aber mal für sich sein, möchten unbeobachtet und nur für sich »mal die Sau rauslassen«, ohne dass ihr Verhalten kommentiert oder bewertet wird. Manches Mal gewinnt man den Eindruck, die Mädchen und Jungen benötigten gegenwärtig eine ungeheure Kraft, den Raum und die Zeit ihrer Kindheit gegen ständig anglotzende Erwachsene zu verteidigen.

Kinder brauchen Räume, die sie erobern, die ihnen gehören und für ihre Vorhaben geeignet sind. Im Lied vom »Hänschen klein« heißt es in der zweiten Zeile: »Hänschen klein ging allein!« Welch revolutionärer Satz, der die Bedürfnisse eines Kindes nach körperlicher Tätigkeit spiegelt: Hänschen geht, es wird nicht gefahren, Hänschen (die Hanna natürlich auch) erprobt sich und seinen Körper. Dazu braucht es Wege, die sich im Winter anders anfühlen als im Herbst und im Frühling anders als im Sommer. Was es dazu braucht, ist angemessene Kleidung. Mehr nicht! Und Freunde und Freundinnen, die es begleiten.

Wer Wege geht, Räume erkundet, der gebraucht seinen Körper, der fordert ihn. Nun gibt es tatsächlich auch Wege, die Risiken bergen. Aber mit dem Hinweis auf mögliche Gefahren werden kindliche Körper stillgelegt, entkörperlicht man Erfahrungen, lässt glückhafte Flow-Erlebnisse des sich selbst Erlebens nicht mehr zu. Ein Kind liebt – egal ob Junge oder Mädchen – das Rangeln, das Raufen, das Um-die-Wette-Rennen, weil es ihm und seinem Körper guttut. Wer die körperliche SELBSTERFAHRUNG seines Kindes nicht fordert, nimmt ihm wichtige, für seine gesunde Entwicklung unentbehrliche Erlebnisse.

FALLGESCHICHTE

Veronika, eine Erzieherin, berichtete von einer Erfahrung der besonderen Art: Die fünfjährige Anna hatte einen sehr eng getakteten Tagesablauf, in dem Bewegung eher am Rande vorkam. Deshalb liebte sie zwei Dinge im Kindergarten besonders: »Das Rennen und das Toben mit mir und den anderen Kindern! Sie konnte davon nicht genug kriegen!« Und sie habe sie auch gelassen. Sie hätte ihre Freude daran gehabt und ihre Augen hätten danach jedes Mal vor Zufriedenheit gestrahlt. So weit, so gut. Bis eines Tages Annas Mutter mit bitterbösem Blick auf Veronika zukam und um ein Gespräch bat. Sie wolle nicht mehr, so eröffnete sie mit gestrenger Miene und einem noch gestrengeren Stimmklang, dass Anna im Kindergarten so viel tobe. Als Veronika irritiert schaute und nachhakte, warum die Mutter das unterbinden wolle, lautete die Antwort wie aus der Pistole geschossen: »Weil Anna dann so viel schwitzt!« Veronika wäre perplex gewesen und hätte nur ein irritiertes »Wie bitte?« murmeln können. Dann habe Annas Mutter sie – von oben herab – angelächelt und ganz cool gemeint: »Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Meine Anna darf natürlich schwitzen!« Das Kind würde jede Woche zum Ballett gehen: »Da schwitzt sie dann richtig!« Veronika wäre der Kinnladen heruntergefallen, als sie das vernahm: »So etwas hatte mir noch niemand gesagt! Ich konnte erst mal nichts erwidern!«

Aber sie sei ja nicht unbedingt auf den Mund gefallen und als sie ihre Fassung wiedergefunden hatte, habe sie lächelnd gemeint: »Das ist für mich heute ein besonderer Tag!« »Wieso denn das?«, wollte Annas Mutter wissen. Veronika: »Heute habe ich gelernt, dass es ein pädagogisch wertvolles und ein anarchistisches Schwitzen gibt!« Nun habe Annas Mutter merkwürdig dreingeschaut, als wolle sie ausdrücken, was denn diese Bemerkung nun solle: »Und wissen Sie, was ich mehr mag?« Ohne eine Antwort abzuwarten, setzte Veronika noch einen drauf: »Das Anarchistische, weil es so streng riecht!« Denn alle Kinder wären nach dem Toben reif für eine Dusche gewesen … Die Mutter hätte sich kopfschüttelnd abgewendet und habe nie mehr mit ihr geredet.

Man kann über diese Situation lachen oder auch den Kopf schütteln. Wer die Räume eng macht, so weiß jeder Fußballtrainer, macht es dem Gegner schwer, sein Spiel aufzuziehen. Wer die Spielräume der Kinder einengt, wer sie ständig mit wertenden Augen beobachtet und klassifiziert, beengt Kinder in ihrer Entwicklung und verhindert Gefühle von Glück und Ausgelassenheit.

So große Gefühle!

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