Читать книгу Glücklicher als gedacht - Antoine Laurain - Страница 16
ОглавлениеIch zögerte kurz, ein seltsames Schamgefühl packte mich: François Heurtevent bei der Pornomesse? Und wenn mich jemand erkannte? Wie stand ich dann da? Sogleich schob ich die Frage beiseite: Sollte mich jemand erkennen, wäre er ein Besucher wie ich, das stellte den Zähler auf null. Vielleicht würden mich die Parteifreunde suchen, aber mein Stimmverlust erklärte den diskreten Abgang.
Auf dem Weg zum Eingang der großen Halle grüßte ein junger Mann in Freizeitkleidung, der eine Angel mit Mikrophon und ein großes Aufnahmegerät vor dem Bauch trug, meinen Begleiter mit einem Augenzwinkern und sagte: »Wir sehen uns später, François.«
»Komm an meinen Stand, der Produzent wird da sein«, antwortete Clément.
»Er hat dich François genannt«, sagte ich, als wir weitergingen.
»Ja, das ist mein Pseudonym, François Truffix.«
»Wie bitte?«
»François Truffix, als Würdigung an Truffaut, mit dem »X« für Porno. Bei uns hat man oft Pseudonyme, die sich an große Regisseure anlehnen. Es gibt Stan Lubrick, für Stanley Kubrick, Fred Coppula für Francis Ford Coppola. Das da ist Rollando Bertolutschi.«
Er zeigte mir einen Mann in weißer Windjacke mit einem roten Basecap auf dem Kopf, der eine Zigarette rauchte.
»Ist das ein Scherz?«
»Keineswegs. Wir gehen mal kurz bei ihm vorbei.«
»Hallo, François, ich warte auf Gwendy für die Show, aber ich weiß nicht, wo die blöde Ziege abgeblieben ist«, begrüßte er uns.
»Das ist François Heurtevent, ein Klassenkamerad. Er glaubt mir nicht, dass du Rollando Bertolutschi heißt.«
»Doch, das ist mein Deckname, aber Sie können mich Claude nennen«, sagte er und drückte mir die Hand.
»Na endlich! Seit zwei Stunden warte ich auf dich für die Vorbesprechung«, rief er gleich darauf.
Ich drehte mich um. Vor mir stand ein riesiges blondes Mädchen auf Rollschuhen und in neonrosa Minirock. Aus dem winzigen goldenen Hemdchen quoll ein offensichtlich künstlicher Busen.
»Ja, ich weiß«, antwortete sie kaugummikauend, »aber ich wollte Cynthia sehen, wir treffen uns nicht mehr, seit sie bei Private ist. Sind Sie mein Partner?«
»Nicht doch«, sagte Clément. »François ist ein Klassenkamerad von mir, er wird nicht mit dir drehen.«
»Schade, Sie sind goldig. Der Anzug steht Ihnen gut«, sagte sie und zupfte an meiner Gucci-Krawatte. »Ich liebe Männer, die Klasse haben, mit dem Look von Bankern oder Politikern, der Wall-Street-Typ. Meinem Kerl stehen Anzüge nicht, er sieht darin aus wie ein Clown. Er trägt nur T-Shirts und Baggie-Hosen, Ihnen würden Baggies nicht stehen.«
»Nein, da haben Sie sicher recht«, sagte ich, ohne den Blick von ihren mit Paillettenglanz lackierten Nägeln lösen zu können, die sich endlich entschlossen, meine Krawatte loszulassen.
Damit endete die Unterhaltung, weil Rollando Bertolutschi ihre Show besprechen wollte und Gwendy ihn lange genug hatte warten lassen. Beide gingen vor uns her, und ich verlor sie in den Gängen aus den Augen.
»Willkommen in meiner Welt«, sagte Jacquier lächelnd.
Ich spürte, dass er mir bei diesem Satz gern auf den Rücken geklopft hätte, sich aber nicht traute.
Die Welt des Clément Jacquier. Gänge und Sitzreihen, Stände, Verkäufer, Schaulustige – wie beim Automobilsalon oder der Landwirtschaftsmesse, nur dass hier weder Ventile noch frische Sahne verkauft wurden, sondern die ganze Vielfalt der kommerziellen Erotik. Mein Blick streifte im Vorbeigehen DVD-Hüllen mit eindeutigen Titeln, Pornofotos, Dutzende von Sexspielzeugen in den unglaublichsten Formen und Farben, Kalender und Poster mit halb nackten Mädchen und Männern. An allen Ständen wurde eifrig Werbung gemacht. Ich schnappte einzelne Sätze auf: »Er vibriert besonders sanft«, »Sie ist der kommende Star«, »Wir filmen Sie gern bei sich zu Hause«, »Das ist unsere Website«.
An einer Kreuzung zweier Gänge gab es Gedränge, die Blitzlichter der Digitalkameras trafen eine schöne, sehr stark geschminkte Brünette. Sie signierte einen Stapel DVDs unter der bunten Statue eines riesigen Tukans, dem Emblem des Standes.
»Das ist Mila Fievra«, erklärte mir Jacquier. »Eine Italienerin, die zur Zeit bei Dorcel sehr gut läuft.«
Wer waren diese Männer, die sich mit einer DVD in der Hand um sie drängten und sie nicht aus den Augen ließen? Kranke? Widerwärtige Perverse ohne jedes Schamgefühl, die sich mit entblößtem Gesicht auf dieser Messe zeigten und auf eine Widmung hofften? Ich hatte immer geglaubt, dass Männer nur heimlich Pornos sahen und selbst unter Folter niemals gestanden hätten, dass sie so etwas mochten. Nichts davon war zu merken. Einige Männer, die auf ihre Widmung warteten, hatten zwar etwas Zwielichtiges in ihrem starren Blick, aber das war bei weitem nicht die Mehrheit. Die meisten wirkten völlig normal. Eine Porno-Schauspielerin um eine Widmung zu bitten war lustig und offenbarte für sie keineswegs eine verdorbene oder, noch schlimmer, eine nicht vorhandene Sexualität. Es gab sogar ein Paar um die dreißig, das sich bei der Hand hielt. Gerade waren sie an der Reihe.
»Wir lieben Ihre Filme«, erklärte die junge Frau.
»Danke, das ist lieb, ihr seid so süß«, antwortete Mila Fievra mit einem Lächeln, das sein Strahlen sicher irgendwelchen Zahnbleichern verdankte.
Um sie herum hatten andere Besucher nach den Handys gegriffen und fotografierten sie. Sie erhob sich von ihrem Stuhl, um dem Paar ein Küsschen zu geben, und ließ sich dann von einem Mann um die vierzig die DVD reichen.
»Das ist der schönste Tag meines Lebens!«, rief er begeistert.
»Wenn du willst, stelle ich sie dir vor«, bot mir Jacquier an und zog mich weiter. »Das ist ein tolles Mädchen. Sie hat eine komplizierte Familiengeschichte, der Film gibt ihr Halt.«
»Das ist schön für sie«, antwortete ich, ohne allzu sehr über die Familiengeschichte von Mila Fievra nachdenken zu wollen, die vermutlich einen Cocktail aus alkoholkranker Mutter, prügelndem Vater, Flucht mit vierzehn Jahren und ähnlichen Dramen enthielt. »Sie haben wohl alle eine schwierige Vergangenheit«, fügte ich hinzu, während ich an einem riesigen lilafarbenen Plakat vorbeiging, auf dem in weißen Lettern stand: »Die Nutten am Strand, Vintage-Porno, der Charme der Siebziger auf DVD«.
»Da irrst du dich! Sie sind nicht alle Opfer von Inzest und anderen Traumata. Viele machen es für Geld und um sich zu amüsieren. Gwendy, das Mädchen auf den Rollschuhen, ist Wäscheverkäuferin in einem Warenhaus in der Provinz. Keine Cosette, ihre Eltern haben ein Reisebüro, sie hat zwei Brüder, in der Familie verstehen sich alle miteinander. Nichts Auffälliges.«
»Wissen sie, was sie macht?«
»Ja.«
»Und das stört sie nicht?«
»Nein, jedenfalls sagen sie nichts, schließlich ist sie volljährig.«
Ich stellte mir vor, Amélie würde uns mitteilen, dass sie Pornos dreht, und Sylvie und ich würden im Chor antworten: »Was für eine originelle Idee, mein Schatz, mach, was dir gefällt, schließlich bist du erwachsen.«
Undenkbar, nicht mal im Traum.