Читать книгу Glücklicher als gedacht - Antoine Laurain - Страница 7
ОглавлениеEin Monat war vergangen. Die Sonne schien durch die Vorhänge des Schlafzimmers, es war ungefähr elf Uhr, vielleicht auch schon zwölf. Meine Frau stand weiterhin um sechs auf, um ins La Musarde zu gehen. Für mich war das Aufstehen zum schwierigsten Akt überhaupt geworden, der mir neuerdings eine mehrstündige mentale Vorbereitung abverlangte. Zwischen neun und halb zwölf spielte ich flüchtig mit dem Gedanken und versank wieder im Halbschlaf, die Nase ins Kissen gebohrt, wie eine komatöse Katze auf einem Heizkörper. Während dieser leeren Stunden im stillen Haus kam nur Archipattes ab und zu vorbei, um meinen Schlaf zu kontrollieren. Der Familienkater war Frühaufsteher, er schlief erst ab dreizehn Uhr und wachte gegen zwanzig Uhr zu den Fernsehnachrichten auf.
So wurden meine Vormittage unter der Bettdecke nur kurzzeitig durch das Trommeln der Krallen am Bettrahmen unterbrochen. Kleine Angelhaken, die sich gleich darauf mit Wut und Genuss in den Lakenstoff bohrten. Ich brauchte nur unter dem Kopfkissen hervor »Archipattes!« zu schimpfen, dann hörte er sofort auf; nach ein paar Sekunden Stille folgten ein wilder Galopp und das Rutschen von Krallen in der Diele. Dann war Stille, und Morpheus nahm mich bis mittags erneut in seine Arme.
Archipattes war zwölf Jahre zuvor durch das Fenster meines Büros im Rathaus gekommen. Ich hatte eine Besprechung mit der Kulturabteilung, um unseren Salon du Livre vorzubereiten: »Ein Buch, viele Autoren, eine Region«. Als ich in mein luxuriöses, mit Deckenleisten verziertes Büro ganz im Stil Napoleons des Dritten zurückkam, stand der Kater mitten auf meinem Schreibtisch auf dem Dossier über die Aktionen des Gewerkschaftsbundes. Er sah mich näher kommen, ohne mit der Wimper zu zucken, und als ich vor ihm stand, lächelte er mich mit gelangweilter Miene an. Hätte man in dem Moment ein Foto gemacht, hätte man denken können, der Bürgermeister von Perisac sei ein Kater. Nur Sempé konnte solche absurden Situationen in einer Zeichnung einfangen. Am selben Abend brachte ich die Raubkatze nach Hause, und meine damals sechsjährige Tochter Amélie taufte sie Archipattes.
Man kann durchaus sagen, dass mein neuer Tagesrhythmus meine Umgebung beunruhigte. Missbilligend beobachtete meine Frau, wie ich immer länger schlief. Zunächst waren alle voller Verständnis für den kleinen Durchhänger und rieten mir, mich zu erholen, »Abstand zu nehmen«. Sylvie machte mir sogar eine heiße Zitrone, so eine Fürsorge hatte es seit den ersten Jahren unserer Ehe nicht mehr gegeben. Ungefähr nach der dritten Woche wurde es suspekt. Dass sich François Heurtevent, führender Kopf seiner Partei und ehemaliger Bürgermeister einer Stadt mit mehr als zweiundsechzigtausend Einwohnern, wie sein Kater benahm, war auf die Dauer offenbar schwer hinnehmbar.
Eines Morgens klingelte das Telefon auf dem Nachttisch. Schlaftrunken nahm ich den Hörer ab und knurrte ein »Hallo«.
»Heurtevent?«
»Am Apparat.«
Veillergant, PR-Chef meiner Partei, klang aufgeregt. Der Parteivorstand plane ein großes Meeting mit dem Vorsitzenden in Paris, auf dem Messegelände an der Porte de Versailles. Neben den Gewinnern seien auch alle Bürgermeister eingeladen, die die Wahlen verloren hätten. Man wolle die Reihen wieder schließen, sich um die Führung scharen und eine klare Linie für die Zukunft festlegen. Meine Teilnahme sei unerlässlich. Er wiederholte das letzte Wort und ergänzte es um Schlagwörter wie Strategie, Zweck, Ziel und Kampf.
»Wir müssen uns aufraffen!«, schloss er.
Aufraffen? Ich schlug das Wort im Wörterbuch nach: »aufraffen (V., refl.) sich – mühsam, mit Überwindung aufstehen, sich erheben; sich zusammennehmen, sich zusammenreißen, mühsam Haltung annehmen.«
Genau darüber stand: »aufquellen: (V., i. 192; ist) quellen, durch Aufnahme von Flüssigkeit anschwellen.«