Читать книгу Wie viel wiegt mein Leben? - Antonia C. Wesseling - Страница 15
Wem vertraue ich mich an?
ОглавлениеÜber Gefühle zu sprechen, ist auch im 21. Jahrhundert nicht einfach. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Doch der erste Schritt lohnt sich! Wenn du aus einer Familie kommst, in der psychische Probleme mit Vorurteilen belegt sind oder belächelt werden, ist es wichtig, dass du dich selbst trotzdem ernst nimmst. Nur du kannst deine eigenen Gefühle einschätzen. Je nachdem, in welcher Ausgangslage du dich befindest, gibt es verschiedene Wege, Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Wenn du noch zu Hause wohnst und ein gutes Verhältnis zu deinen Eltern oder deinen Geschwistern hast, rate ich dir, einen ruhigen Moment abzupassen und deine Sorgen direkt zu erklären. »Ich habe Angst, dass du mich nicht ernst nimmst«, ist ein guter Satz zum Anfang. So weiß die andere Person, dass es um etwas Wichtiges geht. Du kannst auch in der Schule mit einem Vertrauenslehrer sprechen, dich online an eine Beratungsstelle wenden oder das Gespräch mit einem Arzt suchen.
Was ich aber vornweg unbedingt sagen möchte: Gib auf keinen Fall auf, wenn der erste Anlauf ein Reinfall ist. Viele Allgemeinmediziner zum Beispiel geraten oft an ihre Grenze, wenn es um die Psyche geht. Wenn du dich an deinen Hausarzt wendest, kannst du also eventuell Pech haben. Das muss aber absolut nichts heißen.
Erst letztens hatte ich eine Blasenentzündung und erklärte dem Urologen, dass ich Antidepressiva nehme. Er sah mich verdutzt an: »Warum denn das? Sie sehen für mich nicht depressiv aus.« Die beste Antwort darauf wäre vermutlich gewesen: »Warum sagen Sie denn so was? Sie sehen gar nicht so dumm aus.« Aber erstens war ich viel zu überrascht, um etwas erwidern zu können, und zweitens habe ich aufgehört, solche Kommentare persönlich zu nehmen. Das Problem liegt, wie mir immer wieder schmerzhaft bewusst wurde, nämlich nicht bei den einzelnen Menschen, sondern in unserer Gesellschaft. »Es existiert nur, was ich sehen und greifen kann.« Die meisten Menschen setzen Depressionen einfach mit traurig sein gleich, Borderliner sind die, die sich die Arme aufschlitzen, und Essstörungen kann man am besten in Kilogramm messen.
Schockierend finde ich im Übrigen, dass es in der Medizin sogar den sogenannten Body-Mass-Index gibt, der bestimmt, ab welchem Gewicht eine Person als magersüchtig eingestuft wird. Für mich ist das so, als würde man Depressionen an der Litermenge der geweinten Tränen messen. Absoluter Schrott, denn: Jeder Körper ist anders! Jeder Mensch hat andere Symptome, ein anderes Ausgangsgewicht und eine andere Geschichte. Essstörungen sind auf keinen Fall gleichzusetzen mit starkem Untergewicht. Und genauso wenig wie alle untergewichtigen Menschen magersüchtig sind, sind alle von Magersucht Betroffenen untergewichtig. Okay?
Mein Tipp
Gib nicht auf, sondern setz dich für dich ein! »Nein, das ist keine Phase. Nein, ich stelle mich nicht nur an!« Ab deinem 15. Lebensjahr kannst du übrigens sogar Psychotherapie in Anspruch nehmen, ohne dass deine Eltern davon wissen. Die gesetzliche Krankenkasse bezahlt diese Therapie, sodass für deine Eltern keinerlei Gebühren anfallen. Fällt es dir also schwer, mit deiner Familie über deine Probleme zu reden, oder nehmen sie dich nicht ernst, ist das kein Hinderungsgrund, dir Hilfe zu suchen. Kämpfe für dich und deine Gesundheit!
Erste Anlaufstationen in Deutschland
Nummer gegen Kummer (Sorgentelefon für Kinder und Jugendliche)
116111
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung – Essstörungen
+49 221 892031
PS: Ich habe mal beim Sorgentelefon angerufen, und es hat mir wirklich geholfen. Offen mit jemand Fremdem zu reden, kann echter Balsam für die Seele sein. Die Person am Ende der Leitung ist auf dich vorbereitet, und ein Gespräch ergibt sich von ganz allein. Du kannst das Angebot jederzeit beanspruchen, auch wenn dein Problem sich für dich vielleicht »nicht schlimm genug« anfühlt. Sobald du das Bedürfnis hast, mit jemandem zu reden, ist die Berechtigung gegeben.