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Angst vorm Psychodoktor

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Als meine Mutter mich zu meiner ersten Therapeutin brachte, hatte ich riesige Angst, nicht ernst genommen zu werden. Was, wenn mein Untergewicht nicht dramatisch genug war, um als klassisch magersüchtig zu gelten? Ich fragte mich, ob ich nicht anderen Patienten den Platz wegnahm, indem ich mich behandeln ließ.

Bin ich krank genug?

Man hört oft, viele Essgestörte hätten keine Krankheitseinsicht. Ich glaube, dass die meisten Betroffenen schon wissen, dass sie ein Problem haben, aber sie nehmen sich selbst nicht ernst oder gönnen sich die Hilfe nicht. Ich kann mich an Tage erinnern, an denen ich mir vor der Therapie dunklen Lidschatten unter die Augen schmierte, um kränker auszusehen. Ich dachte, nur wenn ich krank genug wäre, hätte ich einen Anspruch auf Hilfe. Heute verstehe ich: Allein der Wunsch, krank zu sein, ist die Krankheit selbst! Ein gesunder Mensch wünscht sich nicht, krank zu sein. Und niemand sollte sich abhungern, um Unterstützung zu bekommen.

Ich habe erst Jahre später akzeptiert, dass dieser Gedanke eines der gefährlichsten Merkmale vieler psychischer Erkrankungen ist. Jahrelang hatte ich das Gefühl, trotz Magersucht gesund zu sein und deshalb keine Hilfe zu verdienen. Selbst auf meinem niedrigsten Gewichtsstand war ich immer noch davon überzeugt, noch mehr abnehmen zu müssen. Heute weiß ich: Der Zeitpunkt, an dem man sich krank genug fühlt, wird niemals eintreffen. Das Gefühl hat nämlich nichts mit dem tatsächlichen Gewicht zu tun, sondern mit der Einstellung, die man zu sich selbst hat. Menschen mit seelischen Problemen fühlen sich oft wertlos oder fehl am Platz. Sie räumen sich nicht die Berechtigung ein, Hilfe anzunehmen. Ich zum Beispiel wollte mich jahrelang beweisen. Ich wollte zeigen, dass ich keine Heuchlerin war oder nur nach Aufmerksamkeit suchte, indem ich mir eine Selbstdiagnose aufdrückte. Deswegen war ich in meinen Augen nie krank genug.

»Hallo, Antonia«, begrüßte mich die Therapeutin bei unserem Erstgespräch. »Jetzt lerne ich dich also endlich kennen. Deine Mutter hat gesagt, dass wir uns mal unterhalten sollten. Magst du mir etwas über dich erzählen?«

Ich war ziemlich unschlüssig, wo ich anfangen sollte. Es war mir so unangenehm, eine Selbstdiagnose zu stellen. Also schob ich es einfach auf meine Mutter: »Meine Mutter sagt, ich esse zu wenig.«

Die Therapeutin nickte. »Und du? Findest du das auch?«

Ich wusste absolut nicht, was ich sagen sollte. »Ich … ich weiß nicht«, stotterte ich nur. »Wahrscheinlich schon. Ich habe so ein schlechtes Gewissen.« Nach und nach erzählte ich ihr, was in den letzten Monaten passiert war. Ich versuchte, möglichst nichts auszulassen.

»Du Arme«, warf sie immer wieder ein.

In den nächsten Stunden ließ mich meine neue Therapeutin mehrfach meinen eigenen BMI ausrechnen und gab mir außerdem einen Zettel mit, auf dem die möglichen Folgen der Magersucht aufgelistet waren. Sie sollten mich vermutlich abschrecken. Taten sie aber nicht. Ganz im Gegenteil: Meine kranke Magersuchtstimme sagte mir, dass ich endlich von anderen wahrgenommen wurde.

In der folgenden Zeit ging zu Hause alles mehr und mehr den Bach runter, weil wir in der Therapie keinen roten Faden fanden. Die Gespräche zwischen meiner Therapeutin und mir blieben oberflächlich. Jede Stunde ging es nur um mein weiter sinkendes Gewicht, die sogenannte Körperschemastörung und verbotene Lebensmittel. Aber selbst diese Erfahrung mit einer inkompetenten Therapeutin war im Nachhinein wichtig für mich. Ohne ein paar Wochen lang ausschließlich über mein Essverhalten zu sprechen, hätte ich vielleicht niemals erkannt, worum es bei meiner Krankheit eben nicht geht.

Mein Tipp

Wenn du merkst, dass die Chemie zwischen dir und deinem Therapeuten oder deiner Therapeutin nicht stimmt, solltest du einen Wechsel in Betracht ziehen. Allerdings ist es hier wichtig, sich ehrlich selbst zu fragen: Warum möchtest du den Therapeuten wechseln? Meine erste Therapeutin war auf keinen Fall unsympathisch, aber sie machte es mir zu bequem. Psychotherapie sollte ein sicherer Raum sein, aber kein Wünsch-dir-was-Programm. Man muss dabei über Dinge sprechen, die außerhalb der eigenen Komfortzone liegen. Gute Therapeuten reden dir nicht immer nach dem Mund, sie bedauern dich nicht, sondern helfen dir dabei zu wachsen. Deswegen frage dich: Magst du deinen Therapeuten nicht, weil er dir nicht weiterhilft oder weil er dich herausfordert?

Bei mir dauerte es ziemlich lange, bis ich das Konzept einer Psychotherapie überhaupt verstand. Ich fühlte mich in den Gesprächen oft orientierungslos und wusste nicht so recht, worauf das Ganze hinauslaufen sollte. Schließlich waren meine Gefühle nicht so einfach zu erklären, und es gab auch keine Checkliste, auf der ich meine Probleme abhaken konnte. Ich will deshalb ein paar grundlegende Dinge erklären: Am Anfang will dich ein Therapeut nur kennenlernen. Er möchte wissen, was du für ein Mensch bist, welche Beziehung du zu deiner Familie hast und welche Gedanken und Gefühle in dir herrschen. Es gibt hier kein Richtig oder Falsch. Es gibt nur dich.

Die menschliche Psyche ist nun einmal ziemlich komplex und vor allem individuell. Du musst daher niemals befürchten, etwas falsch zu machen. Lass dich bloß nicht von irgendwelchen Horrorstorys abschrecken, die behaupten, dass du dich in der Therapie auf irgendeine Liege legen musst, jedes Wort, das du von dir gibst, umgedreht wird und du ab sofort den Stempel »Verrückt« auf der Stirn trägst. Keine Therapie dieser Welt kann einen anderen Menschen aus dir machen. Und bisher konnte keiner meiner Therapeuten erfolgreich meine Gedanken lesen. Von daher: keine Angst! Du hast die Kontrolle über die Therapie und bestimmst die Themen, über die gesprochen wird, immer mit.

Welche Therapieformen gibt es?

Analytische Therapie: Hier liegt der Patient tatsächlich auf einer Liege und erzählt alles, was ihm gerade einfällt. Auf diese Weise kann der Therapeut typische Denk- und Beziehungsmuster erkennen.

Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie: Unterbewusste und verdrängte Konflikte werden durch Gespräche aufgearbeitet.

Verhaltenstherapie: Verhaltensmuster werden im Hier und Jetzt verändert, und für Probleme werden neue Umgangsmöglichkeiten gesucht.

Neben diesen drei Hauptformen gibt es noch andere Therapieansätze, zum Beispiel Gestaltungs-, Musik- und Tanztherapie sowie andere Praktiken, mit denen sich gute Ziele erreichen lassen. Allerdings werden diese Therapieformen häufig von den gesetzlichen Krankenkassen abgelehnt, und auch private Versicherungen übernehmen oft nicht die Kosten. Es lohnt sich aber definitiv nachzufragen.

Ich weiß, dass es vor allem für gesetzlich Versicherte verdammt schwierig sein kann, einen Therapieplatz zu finden, aber ich möchte dich nochmals ermutigen, auf keinen Fall sofort die Schultern hängen zu lassen. In Deutschland ist es für Therapeuten sehr schwierig, eine Kassenzulassung zu bekommen, was bedeutet, dass viele von ihnen keine Rechnungen für gesetzlich Versicherte schreiben können. Das ist unfair, und das System gehört dringend überarbeitet, aber es ist niemals persönlich gemeint. Ich kenne Mitleidende, die sich durch die vielen Absagen verunsichern ließen und glaubten, keine Hilfe zu verdienen. Das stimmt nicht! Sei hartnäckig und beschreibe immer wieder den Ernst deiner Situation, damit dir hoffentlich bald geholfen wird.

Mein Tipp

Du musst nicht von Anfang an Begriffe für deine Gefühle finden. Heute betrete ich das Sprechzimmer meiner Therapeutin, und die Worte fließen nur so aus meinem Mund. Aber das war längst nicht immer so. Zu Beginn meiner Therapie saß ich häufig nur schulterzuckend da und wusste nicht einmal genau, wie ich mich fühlte. Das ist okay. Therapie ist ein Lernprozess. Und das Schöne an Gefühlen ist, dass niemand sie bewerten oder dir aberkennen kann. Sie gehören dir, und kein Therapeut dieser Welt kann oder will sie dir wegnehmen!

Wie viel wiegt mein Leben?

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