Читать книгу Die Farben meines Lebens - Arik Brauer - Страница 17
ОглавлениеZwölfe wird’s, des Liacht geht aus, mei Nachbar sitzt und want.
Tränen wia die Silberkugeln rennen übers Gwand.
Die schmecken so nach Spiritus, drum sauft er’s aus der Hand,
dann schlaft er und i wissert gar so gern, was er tramt, der
Spiritus.
Im Nebenhaus wohnte eine Gelegenheitsprostituierte. Sie besaß eine Ziege und es ging die Mär, dass dieses Vieh regelmäßig die verschwitzten Socken der Kunden auffraß. Davon kann man aber als Ziege nicht gut leben, und sie musste täglich zum Grasen auf die Schmelz geführt werden, die damals noch eine unbebaute Wiese war. Die Kinder vom Ludo-Hartmann-Platz machten das gern, denn auf der Schmelz, da war immer etwas los. Es gab da zum Beispiel einen Mann, der immer mit Breeches und schwarzen Reitstiefeln unterwegs war. Ein Kinderfreund war dieser Herr ganz und gar nicht. Wenn man Raffler (Papierdrachen) steigen ließ, kappte er die Schnur, wenn Fußball gespielt wurde, nahm er einem das Fetznlaberl weg. Seine Stiefel waren aber immer auf Hochglanz gewichst und die Kinder nannten ihn „Stiefelwichser“ – ein auslegbarer Spitzname. Er hörte das natürlich gar nicht gerne und hetzte seinen Hund – Deutscher Schäfer versteht sich – auf die Kinder. Eines Tages, als die Ziege mit den Kindern auftauchte, war der Hund gerade „gut drauf“ und sagte zu sich: „Eigentlich eine fesche Hündin, diese Geiß“, denkt’s und sprintet los. Die Ziege aber verstand diese Angelegenheit völlig falsch, senkte den Kopf und rammte dem Hund ihre Hörner in die Rippen. Dieser jaulte auf und gab Fersengeld. „Deutscher Schäfer flüchtet vor Ziege!“, das darf doch nicht wahr sein! Stiefelwichser zückte seine Peitsche und stapfte in Richtung Ziege. Diese, motiviert durch den Sieg über den geilen Wolf, senkte wieder ihr kampferprobtes Gehörn und stürmte los. Stiefelwichser bekam starre Augen und rannte, was er konnte, dicht an seinen Fersen die Ziege und dahinter eine sich rasch vergrößernde Schar von Ottakringer Gassenbuben, die mit hellen Knabenstimmen jubelten: „Hinter deiner rennt die Gaß, Stiefelwichser los an …“ Auf der Schmelz wurde der Stiefelwichser nie mehr gesehen. Es war ein früher Sieg über den Nazi-Faschismus.
In Ottakring trieb sich ein Roma herum, der mit einem bemerkenswerten Kunststück die Leute faszinierte: dem Froschermandl. Seine Ausrüstung bestand aus einer Trommel, einer vollen Wasserflasche und einem Frosch. Die Vorführung fand täglich an mehreren Orten statt und es gab etliche Groupies, die mit ihm von Platz zu Platz mitgingen. Wenn er genügend Publikum herbeigetrommelt hatte, legte er seinen Hut auf den Boden und setzte den Frosch, der mit einem Bein an einer Schnur festhing, hinein. Er schilderte wortreich, welche Sensation die werten Damen und Herren erwarte, die allerdings nur durchführbar sei, wenn der Frosch, der offenbar zählen konnte, genügend Groschen im Hut hatte. War es so weit, versuchte der Frosch, dem die vielen Groschen lästig wurden, aus dem Hut zu klettern. Und dann begann endlich die Aktion. Der Frosch wurde weithin sichtbar hochgehoben, der Roma riss den Mund auf, trank die Wasserflasche leer, stopfte den Frosch in den Rachen und schluckte ihn hinunter. Daraufhin machte er mit offenem Mund und dem Hut in der Hand noch einige Runden und zuletzt zog er an der Schnur, die ihm aus dem Mund hing, und der Frosch kam lebendig unter frenetischem Applaus wieder ans Tageslicht.