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Vorwort zur Neuausgabe

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Ich habe mein Leben in einer Zeit verbracht, in der große und dramatische Veränderungen in allen Bereichen der menschlichen Gesellschaft stattfanden. Dies ist wohl ein guter Grund, das Erlebte und Beobachtete festzuhalten. Was mir dabei zugute kam, ist die Tatsache, dass ich die gesamte soziale Skala durchlebt habe: von „unter der Brücke“ bis zur Gründerzeitvilla, vom verfolgten „Untermenschen“ bis zum anerkannten Künstler.

Ich schildere in diesem Buch Personen und Situationen, die mir für die jeweilige Zeit und soziale Situation aussagekräftig schienen. Über mich selbst schreibe ich in der dritten Person, denn es ging mir nicht darum, einen detaillierten Lebenslauf zu schildern, eher wollte ich mir vorstellen, wie mich meine Mitmenschen und „Mittiere“ erleben.

Wenn ich Tieren menschliches Denken zugeschrieben habe, so ist dies natürlich eine stilisierte Vereinfachung. Ich glaube aber, dass alle Lebewesen auf ihre Art die Welt nicht viel anders erleben als wir. Alle Ereignisse, die von Tieren bezeugt werden, haben sich im Wesentlichen so zugetragen, wie sie von der Qualle, der Krähe, dem Murmeltier, der Wanze und dem Wolf geschildert werden. Dass ich dem Wolf die Rolle des SS-Mannes aufgebürdet habe, ist eigentlich unzulässig, denn Wölfe haben ja im Unterschied zu SS-Männern Artgenossen gegenüber eine Tötungshemmung. Ich möchte mich hiermit bei den Wölfen entschuldigen.

Das tragische Ende der Autistin, des „Dummerls“, habe ich, so weit wie es möglich war, recherchiert. Ihre kleine Blockflöte besitze ich bis heute und spiele darauf manchmal das Schubertlied „Du bist die Ruh“.

Bei dem Erlebnis mit der Sklavin ist wohl das Wunschdenken mit mir durchgegangen. Die Geschichte entspricht bis zu ihrem Ankauf durch die Fremdenlegionäre den Tatsachen. Ihre anschließende Karriere habe ich erfunden. Wahrscheinlich hatte sie das traurige Schicksal einer Prostituierten in Algerien.

Eine Nachbarin in Ottakring, die eine entfernte Verwandte des SS-Mannes Gerhard war, hat mir sein Schicksal während des Krieges in groben Zügen geschildert. Das Plakat „Kommt zur Waffen-SS“ hat existiert. Es war so gut gezeichnet, dass ich als 10-jähriger Jude bedauert habe, nicht zur Waffen-SS gehen zu können.

Die kleine Fruchtbarkeitsgöttin steht bei uns in einer Vitrine zwischen byzantinischen Gläsern und ihr Gesicht zeigt ein zufriedenes Grinsen, wenn die Scharen unserer Nachkommen eintreffen.

Dass sich das Schiller-Denkmal an den Kunstgesprächen der Akademie-Zentauren öfters beteiligte, ist schwer nachzuweisen, aber dass Schiller ein lüsternes Grinsen zeigte, wenn Kunststudentinnen auf seinem Sockel saßen, dafür gibt es zahlreiche Zeugen.

Den Palästinenser-Krieger habe ich nach und vor unserer kurzen dramatischen Begegnung nie gesehen. Ich kenne aber durch zahlreiche intensive Kontakte mit Arabern und Drusen die unterschiedlichen Abläufe der Flüchtlingsschicksale sehr gut. Meine Schilderung kommt sicher der Wirklichkeit sehr nahe.

Was das Tagebuch der Kaulquappe betrifft, es gibt in der Wüste tatsächlich eine Krötenart, deren Überleben durch geplanten Kannibalismus ermöglicht wird.

Die Malerei ist natürlich ein zentrales Thema in meinem Leben und daher auch in meinem Buch. Künstler sind sicher nicht die richtige Adresse, um die verschiedenen zeitgenössischen Strömungen der Kunstgeschichte zu beurteilen, da sie natürlich alles auf die eigene Tätigkeit beziehen. Ich war bemüht, mir in diesem Buch diesbezügliche Werturteile zu ersparen, was mir vielleicht nicht immer gelungen ist. Geht es aber um das „Sein oder Nichtsein“ der Malerei oder des Kunstbegriffs schlechthin, muss sich wohl jeder Künstler verpflichtet fühlen, Stellung zu beziehen. „Jeder ist Künstler“ oder jeder Gegenstand wird zum Kunstwerk, wenn er von einem Künstler dazu erklärt wird. Das sind griffige Parolen, in denen sich aber der Begriff und das Wort Kunst in Luft auflösen. Das Entstehen von Kunst setzt voraus, dass jemand Kunst anstrebt und dafür begabt ist. Alle Kunstsparten basieren auf arterhaltenden Fähigkeiten, mit denen wir geboren werden. Wir sind imstande, uns zu bewegen, und diesbezüglich besonders Begabte tanzen. Wir können schreien – Begabte singen. Wir können sprechen – Begabte dichten. Wir lernen als Kind zeichnen – Begabte können im Alter von 10 Jahren ein naturgetreues Porträt der Mama zeichnen und haben damit das Potenzial, Künstler zu werden. Der bleibende Wert eines Kunstwerks hängt einzig und alleine von der Begabung des Künstlers ab und keineswegs von der zeitgebundenen Wichtigkeit, die das Werk im Lauf der Kunstgeschichte erhält. Johann Nestroy sagte: „Kunst is, was man net kann, weil wenn man es kann, ist’s ja ka Kunst.“ Diesem brillanten Sager könnte man auch eine andere Bedeutung geben: Kunst kann man nicht „können“. Die Muse küsst, wen sie will und wann sie will.

Arik Brauer Sommer 2014

Mein Vater wurde im Jahr 1883 in Vilna geboren. Er emigrierte 1907 nach Wien und arbeitete hier als selbstständiger Schuhmachermeister. Im Jahr 1924 heiratete er die 1898 geborene Hermine, geb. Sekirnjak, die zwei Kinder zur Welt brachte – 1927 meine Schwester Lena und 1929 mich, Erich. Meine Familie wohnte in einer Zimmer-Küche-Wohnung im 16. Wiener Gemeindebezirk.

Die Rassegesetze in den Jahren 1938 bis 1945 hatten auch für unsere Familie katastrophale Folgen. Mein Vater wurde aus dem Haus gewiesen, musste sich verstecken und seine Werkstätte wurde konfisziert, desgleichen die Ersparnisse meiner Mutter. Meine Schwester und ich wurden aus den Schulen geworfen. Meine Mutter und meine Schwester waren zum so genannten Stichtag 1933 nicht Mitglieder der Israelitischen Kultusgemeinde (Ältestenrat der Juden in Wien), sie mussten daher keinen Judenstern tragen. Ich hingegen war Mitglied, trug den Stern, hatte jüdische Lebensmittelkarten und im Reisepass das große rote „J“. Die Flucht nach Riga gelang nur meinem Vater. Für den Rest der Familie war es zu spät. Bis zu meinem 13. Lebensjahr besuchte ich noch diverse jüdische Schulen, dann arbeitete ich in der Kultusgemeinde. Gegen Ende des Krieges wurde mir die Kennkarte abgenommen und ich wurde zur Verschickung „ausgehoben“. Es gelang mir unterzutauchen und in den Wirrnissen des Kriegsendes zu überleben. Mein Vater verstarb 1944 in einem Konzentrationslager in Lettland, meine Mutter lebte in Wien bis zu ihrem Tod 1987.

Die Farben meines Lebens

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