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Die Amerikanische Universität in Beirut

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„Der nächste bitte.”

Die Frauenstimme klang etwas überfordert. So viele Studenten wie heute hatten sich noch nie ins Erstsemester eingeschrieben. Aber dieser Ansturm hätte sie auch gleichzeitig beruhigen müssen: Es war nämlich der erste deutliche Beleg einer allmählichen Normalisierung der Lebensumstände im Libanon. Denn nachdem die Amerikanische Universität in Beirut bei mehreren Bombenangriffen der israelischen Luftwaffe vor nunmehr fünf Jahren beinahe völlig zerstört worden war, sich der nachfolgende Wiederaufbau über fast viereinhalb Jahre hinzog und die Wunden des letzten Waffenganges zwischen der Hisbollah und dem Judenstaat an der Universität mühsam verheilt waren, begann sich jetzt endlich auch der Lehrbetrieb zu normalisieren.

In Anbetracht dieses gar nicht so lange zurückliegenden, verheerenden Ereignisses betrachteten viele Libanesen, die es sich finanziell leisten konnten, ihre studierwilligen Sprösslinge an diesen Ort des unpolitischen Know-hows zu schicken, den Wiederaufbau als Zeichen der Normalisierung der gesellschaftlichen Lage. Viele gebildete, aufgeklärte Menschen hatten auch angesichts des zurückliegenden Chaos von Religion und Politik erst einmal die Nase voll, so dass zum Beispiel die MINT-Fächer äußerst beliebt waren.

Diese Universität verfügte zudem auch über die Grenzen der Levante hinaus einen so hervorragenden Ruf, dass sogar aus den anderen Teilen der arabischen Welt wissbegierige, junge Menschen hierher strömten: Denn hier war es noch, in einer der wenigen verbliebenen unpolitischen Einrichtungen, möglich, ,reine’ Wissenschaften zu studieren, ohne politischer oder religiöser Indoktrination der zahllosen Fraktionen ausgesetzt zu sein, die um Macht und Einfluss seit jeher im Zedernstaat stritten.

Ahmad Johar nahm sich - trotz der Hektik um ihn herum - die Zeit, das Innere des Gebäudes, das er soeben betreten hatte, näher in Augenschein zu nehmen. Er stand vor einem langen, das ganze lichtdurchflutete Erdgeschoss teilenden, aus hellem Zedernholz gebauten Tresen, der die sich neu Einschreibenden vom Personal der Universitätsverwaltung trennte. Der ringsherum verglaste, über acht Meter hohe Raum, eröffnete einen prächtigen Ausblick auf die mediterrane Flora: Blühende Mandel-, Kirsch- und Orangenbäume sowie Oleander- und Hibiskussträucher, die um das Zentralgebäude herum neu angepflanzt worden waren. Zudem strukturierten, ordentlich und symmetrisch wie die Soldaten einer Kompanie aufgestellt, drei Reihen von zum Teil meterhohen Säulenkakteen den Raum: Die niedrigeren Exemplare befanden sich auf den beiden ausgedehnten, in der Längsrichtung des Raumes verlaufenden, durchgehenden Fensterbänken und die anderen auf dem Boden entlang des hölzernen Raumteilers, wobei die Abstände zwischen den bis zu vier Meter hoch aufragenden Pflanzen so gewählt waren, dass die Universitätsangestellten nicht Gefahr liefen, von den Dornen, Haken und Dolchen verletzt zu werden.

Viele junge Erstsemester, die sich hier anmeldeten, drängten sich an diesem sonnigen Morgen im Einschreibungsbüro. Ahmad traf auf aufgeschlossene, hellwache Gesichter. Sie kamen aus allen Regionen des Landes und den angrenzenden Regionen des Nahen- und Mittleren Ostens.

Die meisten der Bewerber an der Hochschule waren westlich gestylt; einige jedoch zogen es vor, sich nach den Traditionen ihrer jeweiligen Heimatländer zu kleiden. Es herrschte ein babylonisches Sprachgewirr. Alle möglichen arabischen Dialekte konnte Ahmad unterscheiden, daneben aber auch Englisch und Französisch, selbst Farsi sowie Indonesisch identifizierte er nach einiger Zeit durch aufmerksames Zuhören.

„Bitte.”

Die Stimme wurde durchdringender. Ahmad richtete seinen Blick auf die Mitarbeiterin vor ihm. Eine Mittvierzigerin mit schwarzem Haar, blaugrünen Augen - was auf europäische Vorfahren schließen ließ - und einer ziemlich breiten Nase. Ihre Mundwinkel waren etwas nach unten gezogen und mit zartrotem Lippenstift zusätzlich betont. Das dezent geschminkte, leicht gebräunte Gesicht, machte einen energischen Eindruck wie jemand, der sich durchzusetzen wusste. Die Dame trug zudem ein elegantes, zweiteiliges, dunkelblaues Hosenkostüm, welches ihr zusätzliche Autorität verlieh.

„Entschuldigung”, murmelte er in fast akzentfreiem Englisch. Es wurde nachdrücklich darauf Wert gelegt, dass alle Studenten schon bei ihrer Bewerbung mit dieser Sprache vertraut waren, da sämtliche Veranstaltungen in diesem Hause ausschließlich in dieser Kommunikationsform geführt wurden.

Ahmad übergab der Frau den Anmeldebogen, seinen Pass, Lichtbilder, das Abschlusszeugnis und einen handgeschriebenen Lebenslauf. Sie prüfte die Dokumente sorgfältig, ergänzte einige Angaben auf dem Formular und verglich sie mit den Daten der Aufnahmeprüfung, die in ihrem Computer gespeichert waren.

„In Ordnung, Ahmad. Sie haben die Zulassungsprüfung mit ,gut’ abgelegt. Damit können Sie sich für die Fächer Geologie und Journalistik einschreiben. Es fehlt nur noch der Nachweis, dass Sie in geordneten finanziellen Verhältnissen leben.”

Ahmad legte ihr einen Auszug seines Kontos vor, das eine für das Studium ausreichende Deckungssumme aufwies. Gleichzeitig übergab er die für die Immatrikulation erforderliche Gebühr. Er zahlte in Gold, und zwar gleich den Betrag für die nächsten beiden Semester.

Sie stutzte: „Wieso alles in dieser Währung? Nicht, dass wir diese Devisen nicht akzeptieren würden, aber normalerweise wird in diesem Land in US-Dollar abgerechnet. Mit Gold hat in diesem Einschreibungsbüro bisher noch niemand bezahlt.”

„Nun, meine Eltern und ich haben überlegt, wie mein Studium langfristig gesichert werden könnte. Da aber das Libanesische Pfund und der US-Dollar in der Vergangenheit zeitweise erheblichen Inflationsgefahren und dem damit verbundenen Wertverlust ausgesetzt waren, fiel die Wahl auf diese in den letzten Jahren doch sehr stabile Währung.”

„Eine hervorragende, vorausplanende Entscheidung. Ich hoffe, sie zahlt sich für Sie auch durch einem guten Abschluss aus.”

Mit diesen Worten stempelte die Angestellte einen Sperrvermerk in das Anmeldeformular.

„Ich erinnere Sie daran, dass wir für die nächsten fünf Jahre diese Summe” - sie deutete mit einem Stift auf den zutreffenden Passus in den Einschreibeunterlagen - „auf dem Konto Ihrer Verfügung entziehen, die Sie nur mit einer entsprechenden Bescheinigung von uns bei Ihrer Bank abheben können, um sie bei der Universitätskasse in zweisemestrigen Abständen einzuzahlen. Für das kommende Studienjahr haben Sie ja schon den notwendigen Betrag bereitgestellt.”

Sie reichte ihm ein entsprechendes Formular, worin die Studienbedingungen noch einmal aufgelistet waren.

„Bitte links unten unterschreiben und das Dokument mit dem heutigen Datum versehen.”

Ahmad überflog den Text, dessen Inhalt ihm bereits geläufig war, und setzte seine Unterschrift an die dafür vorgesehene Stelle.

Er reichte ihr das Blatt zurück.

„In Ordnung. Denken Sie bitte auch daran, dass zu Semesterbeginn die offizielle Begrüßung der neu eingeschriebenen Studenten durch den Rektor der Universität und die Professoren stattfindet.”

Sie übergab ihm noch zusätzliches Informationsmaterial über den Studienverlauf und reichte ihm zum Abschied die Hand.

„Viel Erfolg bei Ihrer Ausbildung.”

„Danke”, entgegnete Ahmad und wandte sich um.

„Der nächste bitte”, ertönte eine nun schon vertraute Stimme hinter ihm.

Ahmad schob sich durch die wartende Menge zurück zum Ausgang. Dabei traf sein Blick auf ein dunkelhäutiges, sehr ebenmäßiges, etwas längliches, wohlproportioniertes und fast schon weiches Gesicht eines attraktiven, jungen Mannes mit dunklen, fast schwarzen Augen. Fast identisch zur Augenfarbe präsentierte sich trotz Rasur sein kräftiger, dichter und intensiv schimmernder Bartwuchs an Kinn, Wangen und um seine Lippen. Die Mundwinkel waren ein wenig nach oben gebogen, was seine insgesamt lebensbejahende Ausstrahlung noch unterstrich. Er unterhielt sich mit einer jungen Frau rechts neben ihm. Der junge, schätzungsweise 20 Jahre alte, angehende Student, schien ein lebhaftes, fröhliches Wesen zu haben. Als Ahmad sich ihm näherte, schien er sich über irgend etwas köstlich zu amüsieren und lachte.

Er war hochgewachsen, bestimmt 1,85 Meter groß, schlank und machte einen sportlichen Eindruck. Dazu trug er einen hellblauen Jeansanzug, wobei die hautenge, seine Körperproportionen betonende Jeanshose Ahmad besonders faszinierte. Zudem war er mit einem blaukarierten Hemd bekleidet, das ihm besonders gut stand und seine fröhliche Art unterstrich. Ahmads Gegenüber erwiderte kurz seinen Blick und sah ihm dabei tief in die Augen. Dabei schien er leicht in seine Richtung zu nicken, bevor er den Blick von ihm abwandte.

Ahmad erreichte die Außentür des Gebäudes, drehte sich dabei nochmals um und traf erneut auf den leuchtenden Blick des jungen Mannes, der vielleicht für die Dauer einer Sekunde auf ihn gerichtet war, bevor sich der Fremde verunsichert abwandte. In diesem Moment wurde die Tür von außen aufgerissen: Eine Gruppe lärmender, junger Frauen zwängte sich an ihm vorbei.

Draußen empfing ihn eine milde, würzige Brise.

Der Kurator Band 1

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