Читать книгу Der Kurator, Band 2 - Arno Wulf - Страница 10
Die Konferenz
Оглавление„Sie werden sich vielleicht gefragt haben, welcher historische Anlass in der Föderationsgeschichte dazu geführt hat, diese gefahrvolle Mission auf Terra zu starten. Es hat sich zudem möglicherweise die Meinung festgesetzt, dass diese Welt es nicht wert sei, näher untersucht zu werden, obwohl sie sich möglicherweise an der Schwelle der kompletten Selbstauslöschung befindet. Aber diesem Gedankengang kann ich angesichts der aktuellen Entwicklungen absolut nicht zustimmen.”
Nach diesen Worten machte Knud erst einmal eine kurze Pause, als müsste er seine Gedanken erneut ordnen. Die Konferenzteilnehmer warfen sich irritierte Blicke zu oder zeigten ihre Überraschung durch die für ihre Spezies typische Körpersprache.
Knud fuhr aufgewühlt fort: „Der Grund für unser Engagement liegt in einem Ereignis, das etwa 80 galaktische Standardjahre zurückliegt. Die Föderation war zu diesem Zeitpunkt durch die so genannte Core-Explosion an ihre wirtschaftlichen, politischen und logistischen Kapazitätsgrenzen gelangt. Die Katastrophe selbst beruhte auf einer gravitationsbedingten Instabilität einiger Tausend Roter Riesensterne im Zentrum der Milchstraße. Das zentrale, etwa 10 Millionen Sonnenmassen umfassende Schwarze Loch hatte durch seine ungeheure Schwerkraft einige Hundert dieser stellaren Objekte auf immer engere Spiralbahnen gezwungen. Dabei kam es zu Kollisionen, wobei die für Supernovaexplosionen und Gammabursts erforderlich kritische Masse gleich um ein Mehrfaches überschritten wurde.
Als Resultat dieses verheerenden Ereignisses wurde eine dermaßen heftige Schockfront aufgebaut, dass viele weitere Sterne nahe dem Milchstraßenzentrum ebenfalls instabil wurden und in Kataklysmen detonierten. Zusätzlich erzeugte das Schwarze Loch aus der in den Ereignishorizont hereinstürzenden Materie zwei Jets, die von seinen magnetischen Polen aus mit mehreren 10 000 Kilometern pro Sekunde ins umgebende All schossen und eine weitere Kettenreaktion explodierender Sterne erzeugte. Dieses Ereignis drohte außerdem tausende von Zivilisationen, die sich im Bereich von ungefähr 250 Lichtjahren um das Zentrum befanden, im Laufe der Zeit zu vernichten. Als man das Ausmaß dieser Katastrophe erkannte, wurden alle verfügbaren politischen und gesellschaftlichen Kräfte der Föderation in der damaligen Zeit darauf gebündelt, die rund 4 000 verschiedenen Rassen, denen insgesamt 50 Billionen Lebewesen angehörten, in den folgenden sechs Jahren aus der Kernregion der Milchstraße zu retten.
Durch die Evakuierung der Bewohner und den Transport der kompletten, am dichtest besiedelten Planeten in die Magellanschen Wolken, gelang dieses damals für fast unmöglich gehaltene Unterfangen. Außerdem warnten wir viele weitere Welten vor dieser furchtbaren Bedrohung und boten ihnen an, in die Magellansche Föderation mit ihren Welten umzusiedeln. Und so flutete noch einmal das Vierfache der ursprünglichen Zahl an Flüchtlingen in die Föderation. Aber man muss diese Zahlen im Vergleich mit den fast zwei Trillionen Bewohnern sehen, die die Föderation ursprünglich umfasste. Dann erscheint das Verhältnis von Bewohnern zu Flüchtlingen nicht ganz so dramatisch.
Folge dieser großartigen Leistung ist das nachhaltig von Toleranz, Nächstenliebe und Respekt geprägte Miteinander von den über 66 000 unterschiedlichen Rassen, die die Föderation damals ausmachten, da jeder Bewohner für die Neuankömmlinge etwas ,Platz’ machen musste. Es herrschte zudem eine unglaubliche Hilfsbereitschaft, Aufgeschlossenheit und Freundschaft gegenüber den fremden Lebensformen. Dies war eine bis dahin - nach den mir vorliegenden Quellen - einmalige Erfahrung. Sie war letztlich die Ursache für die stürmische Fortentwicklung des Zusammenhalts und Miteinanders. Viele Lebewesen, die bis zu diesem Zeitpunkt scheinbar gleichgültig nebeneinanderher gelebt hatten, verkörpern nunmehr das soziale Gewissen dieser Föderation. Dazu kam noch ein Entwicklungsschub im Bereich von Wissenschaft und Technologie: Neue Antriebs- und Feldtechniken, Entwicklung der Larssen-Sphären, um nur einige technologische Highlights hervorzuheben.
Sie werden sich fragen - was aber haben nun diese beiden Ereignisse miteinander zu tun, was verbindet sie? Auf der einen Seite das furchtbare, alles bedrohende Abadon und auf der anderen Seite diese zerrissene Welt Sol III, auf der wir die letzten Jahre gearbeitet haben.
Die Core-Explosion ist zu ihrer Zeit ins Bewusstsein aller vorgedrungen und hatte absolute Priorität und ist auch heute noch allen Föderationisten wohl bekannt.
Aber es gab da leider noch ein Ereignis zu jener Zeit, das diese Erfolgsgeschichte überschattete: Warendula.
Die damalige föderale politische Führung erfuhr rein zufällig von den Galaktischen Fliegenden Händlern, dass mit einer Welt, die als Warendula VII bezeichnet wurde, irgend-etwas nicht stimmte. Der Himmelskörper wurde als metastabiles Pulverfass geschildert - ein Planet, der sich an der Schwelle zur Selbstauslöschung befand. Es wurde berichtet, dass dort zahllose Kriege ausgebrochen seien. Hass und gegenseitiges Aufhetzen der Bevölkerungsgruppen gehörten damals zur politischen Agenda vor Ort - ein Kollaps dieser Zivilisation stünde unmittelbar bevor.
Zu dieser Zeit waren jedoch sämtliche Raumschiffe, die es in der damaligen Föderation gab und noch fliegen konnten, an den Ort der Katastrophe im Zentrum der Milchstraße entsandt worden. Wir konnten daher nicht eingreifen. Nur eine kleine, schon fast als privat zu bezeichnende Erkundungsmission, die etwa 40 Emissäre umfasste, bestätigte die damalige dramatische Entwicklung auf dieser Welt.”
Ein Raunen ging durch den Saal. Man spürte die Spannung unter den Konferenzteilnehmern. Vieles von dem, was Knud berichtete, war nur Wenigen bekannt.
„Zu diesem Zeitpunkt war mein eigenes Schiff nur einige zehn Lichtjahre von dem Planeten entfernt. Als leitender Kommandant unterstand mir der reibungslose Verlauf der Mission, somit auch die Gewährleisung einer sicheren Relokalisation der Core-Flüchtlinge.
Jedoch: Man hätte dennoch theoretisch innerhalb weniger Stunden eingreifen können, um das Schlimmste zu verhüten.
Aber die Mathematik diktierte damals meine Entscheidung. Denn ich war mir völlig sicher, keine Zeit und nicht genügend Schiffe zur Verfügung zu haben, um mein Augenmerk auch noch auf diese Welt zu lenken. Denn die Schockwelle aus Plasma, Sterntrümmern und hochenergetischer Strahlung, die von der kosmischen Explosion ausgesandt worden war, diktierte exakt den Evakuierungsablauf. Deshalb musste der Abtransport der Bewohner zügig umgesetzt werden. Die Besiedlungsdichte im Zentrum der Galaxis erwies sich nämlich überraschenderweise als sehr hoch. Zum Teil lagen die einzelnen Welten nur Bruchteile von einem Lichtjahr voneinander entfernt. So waren wir gezwungen, alle paar Wochen die Delokalisation eines weiteren, dicht besiedelten Planeten voranzutreiben.
Sämtliche damals verfügbaren Einheiten - und das entsprach etwa zehn Millionen Schiffen - waren deshalb mit Flüchtlingen völlig überfüllt.”
Knud stockte. Seine Stimme schien zu versagen. Die anderen Offiziere warfen sich erstaunte Blicke zu. So emotional hatten sie Knud noch nie erlebt.
Schleppend fuhr er fort: „Als man sich endlich sechs Wochen später auf den Weg zu dieser bedrohten Zivilisation machte, bot sich ein Bild des Grauens. Der Planet war kurz nach dem Ende der kleinen Erkundungsmission in eine radioaktive Wüste verwandelt worden.
Die näheren Umstände für die Katastrophe konnte damals durch die Aussagen sterbender Bewohner kurz vor deren Ableben rekonstruiert werden.
Auslöser des planetenweiten Krieges war eine Großmacht, die unter extremer Energieknappheit litt. Sie hatte mit Waffengewalt versucht, sich der Brennstoffvorräte der Nachbarstaaten zu bemächtigen. Es kam zunächst zu einem konventionellen, dann nuklearen Schlagabtausch. Als wir endlich mit genügend Schiffen diese Welt erreichten und auch hinreichend Transportkapazität bereitgestellt hatten, konnten wir jedoch nur noch entsetzt feststellen, dass die Bewohner des Planeten über Wochen furchtbar gelitten haben mussten.
Diejenigen, die bei den anfänglich konventionell geführten Kampfhandlungen nicht sofort starben, wurden im Anschluss daran von den Krieg führenden Parteien wochen- und monatelang über den Planeten gehetzt. Die Zivilisation kollabierte schließlich allein dadurch fast vollständig. Dann ereilte diese Welt ein atomares Armageddon ...
Ein Nuklearer Winter brach als unmittelbare Folge davon innerhalb weniger Tage über die Oberfläche herein. Zwar existierten am Ende des atomaren Infernos noch einige Millionen Überlebende; aber auch diese waren durch die Strahlenschäden grauenhaft entstellt. Sie verhungerten und erfroren zudem qualvoll. In der aufkommenden Eiszeit sanken die Temperaturen um 60 Grad bis weit unter den Gefrierpunkt. Als wir etwa drei Wochen nach dem Ende der Apokalypse diesen Planeten endlich erreichten, war es für ein Eingreifen definitiv zu spät: Einige hundert Bewohner trafen wir zwar überraschenderweise noch lebend an, obwohl sie auf Grund der entsetzlichen inneren Verbrennungen einem qualvollen Tode geweiht waren. Aber da uns damals ihre Physiologie unbekannt war, konnten wir niemanden mehr retten.”
Er machte eine Pause.
„Bis heute,” so führte er flüsternd aus, „fühle ich mich für den Tod von Milliarden Bewohnern mitverantwortlich und denke, dass ich damals versagt habe. Dazu kommt, dass unzählige dieser Wesen einfach verschwunden zu sein scheinen, ein Rätsel, das trotz aller offiziellen Bemühungen zur Klärung des Schicksals der Verschollenen bis heute nicht aufgeklärt wurde.”
Er setzte sich, berührte dabei eine Schaltfläche auf der Tischoberfläche. Über der Mitte des Konferenzsaales flammte eine holographische, dreidimensionale Projektion auf.
„Das sind die letzten Erinnerungen an diese Zivilisation, die damals von uns aufgenommen wurden. Dokumente, die während des Krieges von den Bewohnern selbst aufgezeichnet worden waren und die uns auf der Suche nach Überlebenden in die Hände gefallen sind, ergänzen diese Präsentation.”
Alle Anwesenden sahen während der folgenden 15 Minuten unglaublich realistische Aufnahmen der immer noch rauchenden Kriegsruinen, der wimmernden und vor Schmerzen stöhnenden Überlebenden.
Obwohl die Bewohner Warendulas nichtmenschlich waren und mit ihren tonnenförmigen Körpern und 15 Greifarmen sowie einem durchgehenden Ring aus Photorezeptoren um ihren Rumpf zunächst abstoßend wirkten, so berührten die Bilder doch ungemein und lösten Trauer und Entsetzen bei den Anwesenden hervor.
Knud wandte sich von dem Film ab. Zu oft hatte er dieses Grauen bereits über sich ergehen lassen müssen.
Das Hologramm erlosch. Erschütterte und in höchstem Maße emotional aufgewühlte Offiziere blieben zurück. Auch die nichtmenschlichen Teilnehmer zeigten sich tief bewegt.
Ein Offizier der Qwrth ergriff als erster das Wort und sprach beruhigend auf ihn ein:
„Sire! Wenn ich mich recht daran erinnere, seid Ihr es gewesen, der die Core Explosion vorhergesagt hat. Ihr habt schließlich damals alles, was in Eurer Macht stand, unternommen, um die Zivilisationen im galaktischen Zentrum und somit auch unseren Planeten zu retten. Ihr habt somit meine Welt vor dem Untergang bewahrt. Somit war Euer Reaktionsvermögen und der unbedingte politische Wille zu helfen dafür verantwortlich, unzählige Lebewesen vor ihrer Vernichtung zu bewahren.
Jede der hier vertretenen Rassen hatte damals extreme existenzielle Entscheidungen zu treffen! Und Ihr seid es schließlich auch gewesen, der veranlassen ließ, dass die wichtigsten und kulturell wertvollsten Heimatplaneten der dort lebenden Rassen auch noch komplett in die Magellanschen Wolken transportiert wurden. Natürlich musste auch ein erheblicher Verlust kultureller Güter in Kauf genommen werden, denn die Ladekapazität reichte bei der damaligen Technologie nicht aus, um alle Heimatwelten hierher zu schaffen.
Ihr habt damals darüber hinaus auch dafür Sorge getragen, dass selbst die Rassen, die nicht direkt betroffen waren, dem Armageddon entfliehen konnten. Diese, noch viel gewaltigere Flüchtlingswelle im Vergleich zu den unmittelbar Betroffenen fand deshalb eine neue Heimstatt, indem damals Unmengen neuer Planeten erbaut und kostenlos zur Verfügung gestellt wurden. Wenn ich die Daten noch korrekt rekapituliere, sind bei der gesamten Operation - ohne Warendula - nur drei Flüchtlinge gestorben. Und auch unter Berücksichtigung der tragischen Selbstvernichtung dieser Welt würde ein Mathematiker sagen: 8 Milliarden gegen 250 Billionen. Jeder einunddreißigtausendzweihundertfünfzigste starb somit.”
Der Offizier der Qwrth setzte sich wieder. Knud warf ihm einen erleichterten Blick zu und sagte laut:
„Ich danke Ihnen, das habe ich jetzt gebraucht.”
Die bläuliche Hautfarbe des Qwrth wurde für den Bruchteil einer Sekunde rotviolett, was bei dieser Rasse so viel wie: ,Ich habe Achtung vor Euch und schätze Euch’, bedeutet. Auch die anderen Konferenzteilnehmer signalisierten durch Kopfnicken, Rudern mit den Extremitäten und Farbsignalen Zustimmung.
„Sollen wir eine kurze Pause machen?”, bot der Admiral an und warf Knud dabei einen nachdenklichen Blick zu.
„Nein, es geht schon wieder”, entgegnete Knud. „Mein terranischer Freund wird bestimmt bald das Bewusstsein wieder erlangen und dann möchte ich bei ihm sein.”
„Wie Ihr meint. Aber auch Ihr solltet Eure Psyche nicht nach Belieben überlasten. Jeder hier hätte Verständnis, wenn Ihr um eine Verschiebung dieser Konferenz bitten würdet”, ließ sich Astrid vernehmen.
„Danke, dass Sie sich alle Sorgen um mich machen. Aber ich denke, dass jeder von Ihnen ein Anrecht darauf hat, zumindest eine aktuelle Zusammenfassung der Lage auf Terra zu bekommen:
Diesem Planeten steht nämlich eine ähnlich verheerende Entwicklung bevor. Immer mehr Staaten und Gesellschaften werden unregierbar. Fanatischer fundamentalistischer Glaube, Extremismus und brutaler Egoismus greifen immer mehr um sich.
Nach den Daten und Berichten, die Sie alle auf Ihrem Tischpanel unter Terra 1. bis 8. finden, rechnen meine Kundschafter und viele Wissenschaftler mit einer ähnlichen Katastrophe wie auf Warendula in drei bis sechs Jahren. Dabei liegt die prognostizierte Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines solchen Ereignisses bei 98 Prozent. Und selbst diese sehr pessimistische Schätzung scheint von den aktuellen Ereignissen im Nahen- und Mittleren Osten überholt zu werden: Es sind bereits zwei Kernsprengsätze detoniert, ehe die Dienst habenden politische Akteure - oder sollte ich vielleicht besser sagen Hazardeure? - sich doch noch ihrer Roten Telefone erinnert haben, um einen weitergehenden Atomwaffeneinsatz fürs Erste abzuwenden. Aber dies dürfte nur eine kurze Atempause bedeuten - denn Israel war es schließlich, der das strategisch wichtige Homs ausradierte sowie einen mehreren Divisionen starken Truppenaufmarsch des IS in Westsyrien kurz vor der syrisch-israelischen Grenze durch den Einsatz einer 30 Kilotonnen-Bombe vereitelte. Denn die Anhänger Baghdadis sind bereits seit Kurzem im Besitz von atomaren, biologischen und chemischen Waffen. Und den Ersteinsatz von Kernwaffen gegen das Kalifat durch Israel wird nicht unbeantwortet bleiben...”
Die Konferenzteilnehmer warfen sich entsetzte Blicke zu.
„Ich halte es außerdem für sehr sinnvoll, wenn einige der hier anwesenden Kundschafter schon mal aus ihrem Blickwinkel ein ungeschöntes Bild der Lage auf Sol III präsentieren. Es handelt sich dabei lediglich um skizzenhafte Eindrücke, die natürlich subjektiv gefärbt sein mögen. Aber ich denke, derartige Berichte sind für das Gremium ein idealer Einstieg in das Schicksal dieser Welt, als wenn nur Fakten und Zahlen studiert und ausgewertet werden, was natürlich im Anschluss an diese Sitzung und natürlich auch zur Vorbereitung des nächsten Treffens unbedingt nachgeholt werden sollte.”
In den nächsten vier Stunden wurden zum Teil erschütternde Berichte über den Zustand Terras dargeboten. Auffällig war es, dass sich Anarchie und Chaos allmählich über immer größere Gebiete ausbreiteten.
Die eine Region war Zentralasien und fast der gesamte vorderasiatisch-arabische Raum, wo religiöser Fundamentalismus die letzten Reste staatlicher Autorität beseitigt hatte; ein faschistisch-religiöses Imperium war entstanden. Letzte Warlords, die einst die politische Szene beherrscht hatten und der Bevölkerung ihren brutalen Stempel totaler Rechtlosigkeit und Willkür aufgedrückt hatten, wurden von den noch gewalttätigeren Terroristenarmeen ausradiert. Aber trotz der äußersten, perfiden Brutalität, mit der die diese Truppen gegen sämtliche Gegner vorgingen und sie auslöschten: Die Menschen, die sich der Diktatur unterwarfen, fanden überraschenderweise ein wirtschaftlich im Wesentlichen funktionierendes Gemeinwesen vor. Denn die Gas-, Strom und Wasserversorgung klappte, ganz im Gegensatz zu früher, reibungslos, die Lebensmittelverteilung wurde ebenfalls gewährleistet. Und dies waren die wesentlichen Gründe dafür, dass die politisch angepasste Bevölkerung nach all den Jahren der Unsicherheit, ja des Chaos unter Saddam Hussein, den amerikanischen Eroberern und dem schiitischen irakischen Premierminister Nuri al-Maliki, den neuen Machthabern seit einiger Zeit ein gewisses Vertrauen entgegenbrachte.
Zweitens war Zentralafrika eine weitere Region, die seit fast einem Jahrhundert praktisch unregierbar geworden war. Der Erste Afrikanische Weltkrieg schien dort niemals enden zu wollen. Fast 70 Millionen Menschen hatte das Gemetzel in den vergangenen 50 Jahren gefordert und das Herz Afrikas in einen apokalyptischen Albtraum verwandelt. Dies hatte als Konsequenz, dass Millionen Menschen versuchten, sich in Sicherheit zu bringen. Es lagen inzwischen Augenzeugenberichte vor, die glaubwürdig vermittelten, dass an manchen Fluchtrouten - insbesondere in der Sahara - alle paar 100 Meter Leichen lagen. Erst in jüngerer Zeit schien sich die Lage erheblich zu stabilisieren.
Dann schilderte Knud seine Erlebnisse im Libanon, ergänzt durch Kurzberichte überdas Wirtschaftswachstum in China, den mit diesem Umstand verbundenen politischen und wirtschaftlichen Machtzuwachs dieses Landes. Damit unmittelbar verknüpft der ungeheure Rohstoffhunger und die rücksichtslose Zerstörung der Umwelt: Im eigenen Land und den Weltregionen, in denen China in einer Art wirtschaftlichen Neokolonialismus Entwicklungsländer auspresste und die dortigen Potentaten bestach,die bereits einige Zeit zurückliegende wirtschaftliche Psoblematik in den Staaten Sudan, Zentralafrikanische Republik, Angola und Elfenbeinküste, in denen ergänzend zum vorherigen Bericht die Chinesen, die Amerikaner sowie Teile Europas rücksichtslos Öl, Coltan, und Diamanten ausgebeutet hatten und mit Waffen bezahlten. Diese wurden in der Vergangenheit dann sehr häufig erneut für das blutige Anheizen und Ausfechten inner- und zwischenstaatlicher Konflikte benutzt,die weltweite Flucht der Menschen in Spiritualität und religiösen Wahn, um den entsetzlichen Lebensumständen und dem ständigen Kampf ums Dasein geistig für eine Zeit zu entgehen,massive Auswirkungen des Klimawandels: Großflächig verdorrende Regionen in Afrika, Australien und Südamerika, Überflutungen flacher Landstriche im pazifischen Raum, Bangladesch und Pakistan mit damit verbundenen katastrophalen Flüchtlingsströmen und enorm zunehmender politischer Instabilität. Stark steigende sommerliche Temperaturen mit unzähligen Hitzetoten in zuvor gemäßigten Klimaregionen.
Xsochegar - der Sradogoner mit seinem reptilienhaften Aussehen - gab ein Grunzen von sich. Er wußte, wenn Knud so eine Aussage traf, die zudem noch von Berichten Anderer bestätigt wurde, dass alle geschilderten Szenarien auch eintreffen würden. Unruhe kam auf.
Der Admiral schaute auf die Daten, die er auf seinem in der Tischplatte eingelassenen Display las. Auch die anderen Teilnehmer diskutierten zunehmend erregt. Die Konferenz nahm tumultartige Züge an.
Knud erhob seine Stimme: „Verehrte Anwesende! Bitte beruhigen sie sich. Dies ist zunächst eine, wenn auch wahrscheinlich sehr präzise, Prognose. Ich schlage vor, dass wir alle in den nächsten 40 Stunden die Daten in Ruhe sichten, analysieren und auswerten. Bis dahin wird von verschiedenen Kundschaftern, die sich jetzt noch auf der Erde befinden, weiteres Material eintreffen. Insbesondere aus dem Irak, Iran, der Türkei, China und den Vereinigten Staaten. Die unmittelbaren Auswirkungen und längerfristigen politischen Konsequenzen des jüngsten Atomwaffeneinsatzes sind ebenfalls noch genau zu analysieren. Wir sollten uns daher in zwei Tagen erneut hier treffen und unsere Beratungen fortsetzen.
Überdies wird die Zentralregierung übermorgen auch die Missionsaufsicht ablösen. Ein Ersatzschiff wird bis dahin eingetroffen sein. Außerdem erwartet der Föderationsrat auf dem Saphir möglichst bald unseren - insbesondere meinen - Bericht.”
Mit diesen Worten schloss er die Sitzung und erhob sich. In kleineren Gruppen wurde erregt und kontrovers weiter diskutiert. Er strebte dem Ausgang zu. Aber Astrid fing ihn gerade noch ab.
„Ich habe soeben weitere Daten von unseren Botschaftern auf Terra, dem Kondor und den Wissenschaftlern in diversen föderalen Wirtschaftsforschungsinstituten erhalten, die Prognosen über die Zukunft von Sol III erstellen. Der Ansatz, dass die Zukunft der Erde nur von einem Kräftespiel zwischen den USA, China, und den Kampf um Rohstoffe im Nahen und Mittleren Osten abhängt, beleuchtet die Situation nur unvollständig. Die Lage ist nämlich bedeutend vielschichtiger. Inzwischen zeichnet sich nämlich am Horizont ab, dass sich die USA mit der rücksichtslosen Ausbeutung aller Lagerstätten fossiler Energieträger durch Fracking peu à peu vom Energieimporteur zum Energieexporteur gewandelt haben. Durch die dadurch langfristig verursachte völlige hydrologische Zerstörung und Verseuchung der Grundwasserlagerstätten in weiten Teilen der USA wird ein Bumerang geschaffen, dessen Folgen den verantwortlichen Politikern absolut nicht bewusst sind. Denn die Verringerung der Abhängigkeit von Erdölimporten entlastet auf der einen Seite das zerrüttete Budget der USA - nämlich durch Abnahme der Binnenenergiekosten und massiv zunehmenden Exporterlösen durch fossile Energieträger.
Aber all dies hinterlässt auf der anderen Seite ein in jeder Hinsicht vollständig ruiniertes Land - in allen Punkten eine apokalyptische Vorstellung: Zerstörte Böden bis hinab zu tiefen hydrogeologischen Strukturen sowie eine vernichtete Landwirtschaft durch Vergiftung der Grundwasserressourcen durch den beim Erdölfracking verwendeten Chemikaliencocktail. Künstliche Bewässerung ist dann nur noch eine Utopie, da sich die in die Lagerstätten eingebrachten Chemikalien über die Nahrungskette in den Ackerfrüchten anreichern. Dies ist dann das Todesurteil für die US-amerikanische Landwirtschaft. Und durch die nicht nachhaltige Förderung der letzten Ressourcen fossiler Energieträger resultiert letztendlich ein vollkommen ruinierter Staat - auch wenn sich keiner der Strategen in den ökonomischen Think-Tanks dies auch nur im Entferntesten vorstellen kann.”
Knud: „Das dürfte dann wohl das Ende Amerikas sein - wenn es nicht doch noch eine Revolution zu mehr Nachhaltigkeit erfährt. Kurz- bis mittelfristig könnte sich Amerika noch den Luxus erlauben, den Chinesen die arabische Golfregion zu überlassen. Das würde das Militärbudget Amerikas erheblich entlasten - sollen sich doch die Chinesen die Finger an diesem politischen Pulverfass verbrennen, so lautet die in letzter Zeit propagierte Militärdoktrin in den Vereinigten Staaten.
Aber auch dieses Bild ist vielschichtig und nicht eindeutig. Denn es scheint so zu sein, dass es stark divergierende Interessengruppen im politischen und militärischen Apparat der US-Regierung gibt - die sich mit diesem ,Ausruhen’, dieser Isolation nicht anfreunden können. Das würde auch die militärische Konfrontation erklären, die ich im Libanon hautnah miterleben konnte. Das Ausbleiben eines globalen Atomkrieges und dessen Beschränkung auf einen regionalen atomaren, biologischen und chemischen Konflikt zwischen dem Kalifat, Israel, Iran und Pakistan könnte eventuell durch diese im Hintergrund agierenden politischen Strömungen erklärt werden. Aber ein Spieler fehlt noch: Die NATO mit ihrem südöstlichen Vorposten, der Türkei. Auch sie wird mehr und mehr über die Konflikte mit ISIS und den Kurden in das arabische Chaos hineingezogen.”
Astrid: „Ein weiterer Punkt: Es gibt noch eine andere Region auf Terra, die ich unbedingt unter intensive Supervision stellen würde, denn es droht möglicherweise von dort ausgehend ein politischer Flächenbrand: Der Sahararaum. Er ist nämlich bereits seit 2013 Aufmarschgebiet diverser religionsfaschistischer Gruppierungen, die ihren Einfluss durch Subversion in alle Bereiche der dortigen Staatsstrukturen immer weiter ausdehnen. Immer wieder kam es dort in der Vergangenheit zu kriegerischen Auseinandersetzungen - insbesondere mit der alten Kolonialmacht Frankreich, die ihren Einfluss in dieser rohstoffreichen Gegend nicht aus den Händen geben will. Dieser Problembereich ist in der Vergangenheit - über einen Zeitraum von weit über 20 Jahren - in jeder Hinsicht sträflich vernachlässigt worden.
Jedoch: Seit geraumer Zeit ist es dort verdächtig ruhig. Nachforschungen meinerseits haben zu keinem befriedigenden Ergebnis geführt. Auch aus dem völlig zerstörten Mali, das immer wieder für besonders negative Schlagzeilen, dank rigoroser Auslegung der islamischen Rechtsvorschriften, sorgte, hört man absolut nichts mehr. Ist das nicht ziemlich merkwürdig?”
Knud entgegnete nichts darauf, hob nur seine Schultern und wandte sich zum Gehen.
Sie beobachtete ihren Bruder ganz genau. Irgendwie wurde sie den Eindruck nicht los, dass er ihr etwas verheimlichen würde.
„Aber...”, begann sie.
Knud beachtete sie nicht weiter. Er wollte diese Beobachtung zu diesem Zeitpunkt nicht weiter kommentieren, obwohl seine Schwester mit ihren Vermutungen vollkommen richtig lag. Jedoch hatte er das Gefühl, dass Mouad bald zu sich kommen würde, und das hatte für ihn jetzt höchste Priorität. Er wurde extrem nervös.
Und tatsächlich: Der Intercom summte; der Computer teilte ihm mit, dass Mouad in weniger als fünf Minuten erwachen würde.
„Teleportation ist nicht erforderlich”, entgegnete Knud atemlos und hektisch, als er zu seinem Quartier sprintete.
Und mit diesen Worten stand er bereits wieder vor der Tür seines Raumes. Sie öffnete sich geräuschlos.