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Krwysnoggh

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Spät in der Nacht wurde Knud durch ein Klopfen an der Tür wach. Er öffnete sie und Archidux Krwysnoggh schwebte herein, von Antigravitonenemittoren getragen, die ihm den notwendigen Auftrieb in der weniger dichten Atmosphäre des Schiffes ermöglichten. Der Qwrth trug einen Luftverdichter mit Stimmentzerrer an der Unterseite des vergrößerten Kopfes, durch den er die Luft einatmete. Er benötigte, wie viele andere Spezies auch, Oxygen, aber unter bedeutend höherem Druck verglichen mit den meisten übrigen Lebensformen innerhalb des Föderationsraumes. Der Normaldruck an Bord des Schiffes würde bei ihm zu einer Atemnot führen, die dann in kurzer Zeit zu inneren Schäden an den sauerstoffaufnehmenden Membranen führen würde. Aber dank dieser technischen Hilfsmittel konnte er sich überall ohne Einschränkungen bewegen. Seine an einen Chitinpanzer erinnernde Aussenhaut war dermaßen robust, dass sie dem verminderten Außendruck von innen widerstand.

„Danke, dass du Zeit für mich hast”, meinte er zu Knud, der lang und ausgiebig gähnte und sich ziemlich gerädert fühlte.

„Ich hätte dich vielleicht noch schlafen lassen sollen.”

„Das geht schon in Ordnung, Archidux. Es interessiert mich schließlich auch, wie es meinen Freunden geht.”

„Nun gut, dann lass mich doch zunächst einmal sehen, wie es um das Wohlbefinden unserer neuen Gäste bestellt ist.”

Er trieb in Richtung Mouad, warf einen langen, prüfenden Blick mit seinen sechs Augen auf ihn und veränderte seine Haut von bläulich auf grün, was als Signal der Zufriedenheit zu deuten war. Knud hatte viele Jahre intensiv mit Qwrths zusammengearbeitet. Sogar die Sprache hatte er größtenteils gelernt, doch gaben menschliche Stimmbänder die glucksenden und knarzenden Geräusche nur unvollständig wieder. Daher verständigte er sich häufig auch gerne telepathisch mit ihnen, da dann dieses physiologisch-anatomische Hindernis nicht bestand.

,Pschscht, sei bitte leise’, dachte Knud an ihn gewandt. ,Ich möchte nicht, dass er geweckt wird. Lass uns doch gedanklich miteinander kommunizieren.’

,Wenn du es erlaubst, ist mir das sehr recht.’

Knud berichtete ihm telepathisch, was in den letzten Tagen vorgefallen war.

,Wie geht es ihm?’, fragte er Krwysnoggh, nachdem dieser sich mehrere Minuten auf die Gedanken Mouads konzentriert hatte.

Der setzte seine Kontaktaufnahme mit Mouads Gedankenwelt noch eine Weile fort, wie durch seine intensiv blaue Hautfarbe zu erkennen war, und lauschte sorgfältig auf dessen Gehirnaktivität.

,Er hat, glaube ich, das Schlimmste hinter sich und bereits innerlich akzeptiert, dass er bei dir und hier an Bord des Schiffes absolut sicher ist. Und er ist total in dich verliebt’, kam nach einer Weile die überraschend - erlösende Antwort.

Dabei schmunzelte er und freute sich, was an rasch wiederkehrenden rhythmischen Farbmustern von rot, gelb, grün und blau erkennbar war.

,Gib ihm möglichst viel Informationen über alles, was er wissen muss und offensichtlich auch möchte. Er platzt beinahe vor Neugier. Mouad will sich unbedingt in diese Welt einfügen, da er für sich und auch seine Familie keine Zukunft mehr auf der Erde sieht.’

Knud stieß einen erleichterten Seufzer aus.

,Dann kann auch ich bald beruhigt schlafen. Was ist mit den anderen drei Familienmitgliedern im Nebenraum?’

,Der jüngere Sohn, Elias, fühlt sich in der neuen Umgebung auch schon ziemlich sicher und geborgen. Um ihn musst du dich nicht sorgen.’

Knud empfing anschließend eine ganze Zeit keine telepathischen Signale mehr vom Archidux, denn der musste sich wieder konzentrieren und analysierte die Gedankenmuster vom Professor und seiner Gattin.

Dann aber kommunizierte er erneut auf telepathischem Wege mit Knud.

,Über Fatima brauchst du dir ebenfalls keine Gedanken mehr zu machen. Sie ist unglaublich froh, dass die Familie wieder beisammen ist und die beiden Söhne keinerlei Gefahren mehr ausgesetzt sind: Das ist ihr schließlich das Wichtigste. Sie macht sich natürlich Sorgen über ihr Schicksal und ihre Zukunft. Aber ich denke, dass auch sie nur mit genügenden Informationen versorgt werden muss. Dann dürften ebenfalls keine Integrationsschwierigkeiten mehr bestehen.’

Er lachte und signalisierte dies mit einem farbenfrohen Punktemuster.

,Typisch für etwas eitle Frauen deiner Rasse. Die Ultraschalldusche hat alle Schminke und alle künstlichen Farben aus ihrem Haar beseitigt und sie fragt sich nun, wie sie morgen auf dem Schiff mit diesem Äußeren herumlaufen soll.

Sie ist außerdem darüber ausgesprochen glücklich, dass du alle materiellen Erinnerungen gerettet hast. Sie träumt schon wieder von einem neuen Haus, wo sie in Frieden wohnen und einen neuen Garten Eden aufbauen kann.’

,Dies wird bereits in wenigen Wochen der Fall sein. Sie werden bei mir wohnen können. Meine Gästehäuser auf dem Saphir sind groß genug.’

,Ich denke, dass diese Option eine sehr gute Idee ist und ihre Psyche auf hervorragende Weise stabilisieren dürfte. Aber du weißt ja: Du musst ihnen unbedingt ausreichende Freiräume schaffen, dass sie sich selbstständig psychisch weiterentwickeln können. Jedoch dürfte das kein Problem sein: Das uralte Anwesen, das du bewohnst und schon von den Gründungsrassen der Präthener und Borennon genutzt wurde, ist ja weitläufig genug.’

Er lauschte erneut.

,Der Professor ist noch wach. Er ist der einzige, um den ich mir Sorgen machen würde. Er verdient deine besondere Zuwendung. Die Rolle des fürsorglichen Paschas, so heißt dieses Verhaltensmuster ja bei euch, hat er beibehalten. Und jetzt kommt da solch ein junger ,Bengel’ wie du an, und bist ihm in vielen Fähigkeiten überlegen. Hast du ihm nicht erzählt, wie alt du bist? Das solltest du unbedingt nachholen. Wahid schätzt klare, offene Worte ganz besonders.’

,Ich habe es in dem Bericht über meine schon surreal wirkende Kontaktaufnahme mit der Föderation vor etwa 120 Jahren nicht explizit erwähnt, sondern es lediglich bei Andeutungen belassen.’

Krwysnoggh schüttelte seinen Kopf, beziehungsweise gab ein dieser menschlichen Verhaltensweise entsprechendes Farbmuster ab.

,Auch dass du diverse wissenschaftliche Lorbeeren bereits erhalten hast, dürfte ihn interessieren. Ich denke, es täte ihm des Weiteren gut, zu erfahren, wie intensiv und lange auch du an deiner akademischen Laufbahn gefeilt hast, um so weit zu kommen.

Und gib ihm sein Selbstwertgefühl zurück. Er hat lange schwer an seiner Professur und dem damit verbundenen wissenschaftlichen Renommee gearbeitet.

Jetzt bricht diese Welt zusammen, denn auch seine Rolle als Ernährer der Familie ist weggefallen. Du hast jetzt diese Aufgabe, ob bewusst oder unbewusst, übernommen. Sprich diese Schwierigkeiten an und gib ihm um Himmels willen sein Selbstwertgefühl zurück. Als er auf der Intensivstation lag, hatte er schon solcherlei Probleme gezeigt. Da hilft nur eins: Vertrauen aufbauen, ihn auch etwas entscheiden lassen, zeigen, dass er wichtig ist und gebraucht wird. Er ist ein - für diesen primitiven Planeten - unglaublich kluger Kopf, denn er ist fast so intelligent wie du.

Aber, und ich betone es hiermit noch einmal ausdrücklich: Er ist im Moment selbstmordgefährdet. Nur seine Verantwortung gegenüber der Familie hält ihn noch vor einer solchen Tat zurück und natürlich seine unbändige Neugier. Daher solltest du bei ihm zweigleisig vorgehen: Füttere ihn mit möglichst vielen Daten und baue ihn, wie oben bereits erwähnt, seelisch wieder auf. Gib ihm sein Selbstbewusstsein wieder zurück. Zeige ihm, dass er gebraucht wird - in jeder Hinsicht.

Und noch etwas: Dies wird ein schwieriger Prozess für euch beide. Demonstriere auf keinen Fall irgendwelche Überlegenheit deiner neuen Familie gegenüber!’

,Aber diesen Fehler habe ich doch schon auf der Erde begangen und es hat Fatima und den beiden Söhnen nicht geschadet.’

,Ich weiß. Aber du siehst die Situation womöglich zu undifferenziert, da jeder deiner Freunde natürlich einen anderen Charakter hat. Fatima und die beiden Söhne sind endlich froh, Ruhe, Frieden und Geborgenheit zu haben, und Mouad wird mit sehr großer Wahrscheinlichkeit dein Mann werden. Somit bricht also die Familie auseinander, was eigentlich ein natürlicher Prozess ist. Aber durch die Reizüberflutung und das Infragestellen von Wahids Position könnte es bei ihm zu einem gefährlichen Overflow kommen.’

Er brach ab und lauschte wieder. Nach einer Weile fuhr Krwysnoggh fort:

,Er ist immer noch wach und kann nicht schlafen. Er würde am liebsten alles über die Föderation wissen und allen Frust aus sich herausschreien.’

,Was rätst du mir?’

,Geh jetzt zu ihm rüber, führe ihn durchs Schiff und beantworte ihm alles, was er wissen will. Und informiere ihn behutsam über das, was ich dir gerade mitgeteilt habe. Auch, dass du an ihm hängst und ihn brauchst.’

Knud stieß einen Seufzer der Erleichterung aus.

,Danke, du bist ein guter Freund und Ratgeber - auch in Extremsituationen.’

,Dein Motto ist es doch auch: Einzelkämpfer sind unsozial, gefühlsmäßig kalt und egoistisch. Daher müssen wir uns doch gegenseitig unterstützen. Oder meinst du, die Föderation hätte sich die letzten 15 000 Jahre so prächtig entwickelt, wenn wir nicht liebe- und verständnisvoll miteinander umgegangen wären? Das ist doch gerade das Problem der Welt, die ihr Terra nennt; dieser Egoismus, dieses Streben nach Macht und Reichtum auf Kosten anderer und der Umwelt.

Aber am schlimmsten ist meiner Meinung nach das Potenzgehabe und der so genannte Machismo der Spezies, die ihr Männer nennt. Glücklicherweise führen sich die maskulinen Terraner in der Föderation inzwischen wesentlich gesitteter auf im Vergleich zu dem Verhalten, das sie auf Terra in über 90 Prozent der Fälle an den Tag legen, in denen es um soziale Kontakte geht - wie ich zu meinem Leidwesen aus deinen Berichten entnehmen musste.’

,Noch etwas, Krwysnoggh. Hast du irgendetwas von unserer Geheimvereinbarung umsetzen können? Konntest du auf irgendeine Weise helfen?’

,Ich habe in meinem gesamten Leben als Arzt noch nie solche grauenhaften Verletzungen bei Terranern gesehen. Diese Aussage bezieht sich aber nicht nur auf den physischen Zustand der Betroffenen. Ihr psychischer Zustand ist vielleicht noch viel besorgniserregender. Wenn ich dich und so manch ehrenwerte Humanoide nicht kennen würde und eben aus diesem Grunde nicht wüsste, dass es viele herausragende Vertreter dieser Spezies gibt, so hätte ich die Erde schon längst einem Terraforming-Prozess unterworfen. Wie kann man mit wehrlosen Personen, mit Minderheiten aller Art, nur so umgehen?! Steinigen, lebendig begraben, Kehle langsam und nur zum Teil durchschneiden, den After zukleben, die Lunge mit spitzen Gegenständen von außen perforieren...!! Und das auch bei den über 1 000 Kindern! Warum macht man so etwas mit der nachfolgenden Generation einer Rasse?’

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,Aber ich denke wohl zu positiv gegenüber dem Entwicklungsstand vieler Humanoiden. Denn ein solch abartiger Umgang von Mitgliedern deiner Spezies gegenüber Frauen, Lesben und Schwulen ist mir ja schon begegnet...’

Krwysnoggh war außer sich. Er signalisierte mit einem dunklen Violettrot, wie böse, enttäuscht aber auch tieftraurig er war. ,Auch wenn du damit erneut gegenüber föderalen Vorschriften verstoßen hast - von mir wird niemand etwas darüber je erfahren. Denn du hast damit in meinen Augen das einzig Richtige getan. Aber wir - damit meine ich sämtliches medizinisches Personal einschließlich der dazu qualifizierten Roboter an Bord dieses Schiffes - werden noch mindestens zwei Wochen allein für die Regeneration der entsetzlichen Verletzungen benötigen. Es kommt noch hinzu, dass auch meine Mitarbeiter fast am Ende ihrer Leistungsfähigkeit sind - und dies bei überwiegend Nichthumanoiden, die ich eigentlich bisher als psychisch sehr belastbar gegenüber schweren Verletzungen eingeschätzt hatte! Wenn du den Zustand insgesamt ansprichst... das wird noch Jahre dauern, bis die Betroffenen über den Berg sind. Im Moment sind sie in einem Holodeck untergebracht - physisch zwar zum Teil genesen, aber noch wissen sie nichts über die neue Realität. Sie sind daher mit den Wahrnehmungen ihrer letzten Situation im Libanon noch stets konfrontiert... Du musst dieses Problem daher auch schon sehr bald lösen, auch wenn es von dir fast alles abverlangen wird.’

,Mein Gott...’

,Und ich muss dir auch sagen, dass ich andererseits ziemlich enttäuscht über dich bin. Denn du hättest die beiden verstümmelten Männer sofort hierher evakuieren müssen. So waren sie schon beinahe tot, als sie hier ankamen und in einem körperlich und seelisch dermaßen miserablen Zustand, dass wir sie womöglich umprogrammieren müssen. Sie haben euch schließlich wahrgenommen; die Bilder von dir und Mouad finden sich schließlich noch in ihren Engrammen.’

,Aber...’

,Ich will jetzt nichts von deinen mir bereits sattsam bekannten Argumenten hören! Es war dir zwar verboten, jemanden mitzubringen. Aber du weißt, dass in diesem Staate doch so manches toleriert wird - selbst wenn dies Ärger gibt. Dazu gehört auch das unbefugte Einführen von Flüchtlingen. Denn niemand - auch nicht die Mitglieder der Föderationsregierung - konnte sich auch nur im Traum vorstellen, was Menschen, die vom Mainstream abweichen, auf Terra widerfährt. Und denk daran - du hast ja auch Clark glücklicherweise gerettet. Daher konnte man von dir erwarten, deutlich mehr Engagement gegenüber diesen Unglücklichen an den Tag zu legen.”

Knud war überrascht und zugleich ziemlich erleichtert, dass er in Krwysnoggh einen Verbündeten in den zu erwartenden Auseinandersetzungen hatte. Aber wo hätte er die Grenze seiner Evakuierungsmaßnahmen ziehen sollen?

,Im Zweifelsfall bei der Transportkapazität dieses Schiffes... Aber mit dieser Meinung stehe ich mit Sicherheit so ziemlich alleine da. Ich hätte jedenfalls versucht, noch mehr Kinder deiner Art zu retten.’ Knud versank ins Grübeln.

Aber viel Zeit darüber nachzudenken blieb ihm nicht. Denn Krwysnoggh bohrte nach: ,Was ist eigentlich aus der Flüchtlingsgruppe sowie den Militärangehörigen geworden, die die Zivilisten begleiteten? Wo sind die beiden Israelis Salusch und Juda abgeblieben, denen du doch die Position deines Abflugortes mitgeteilt hattest?’

,Wie - sind die alle hier nicht aufgetaucht?’

,Nein - keine Spur von ihnen.’

,Ich werde das klären lassen.’

,So, ich muss jetzt meine biologischen Schaltkreise in den Ruhemodus versetzen. Und Knud, auch wenn du hundemüde bist, solltest du jetzt unmittelbar dasjenige durchführen, was wir anfangs besprochen haben. Hilf diesem Mann. Er hat es wirklich verdient.’

,Ich werde dir morgen berichten, wie es gelaufen ist.’

,Das würde mich sehr freuen, wenn du mich an deinen Erfahrungen und Gedanken mit diesem Professor teilhaben lässt. Wenn alles gut läuft, würde auch ich mich gern mit ihm unterhalten - aber vermutlich erst in ein paar Wochen, wenn du ihn stabilisiert hast. Wie ich schon angemerkt habe: Er ist ein faszinierender Charakter und ein herausragender Vertreter seiner Rasse.’

,Aber ich möchte auch sehen, was aus den Geretteten geworden ist’

,Bist du dir sicher, dass du dazu psychisch jetzt schon die Kraft hast? Denn auch du hast ganz schön was mitgemacht - auch wenn es dir vielleicht noch nicht so deutlich geworden ist.’

,Ich weiß... Wenn ich mit Wahid geredet und meine sonstigen Verpflichtungen als Kommandant erledigt habe, möchte ich mir trotzdem unbedingt selbst ein Bild davon machen.’

,Gut. Meldest du dich dann bei mir?’

,Ja, auf jeden Fall.’

Der Kurator, Band 2

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