Читать книгу Der Kurator, Band 2 - Arno Wulf - Страница 9
Zurück an Bord
ОглавлениеNach tiefem Schlaf wachte Knud auf. Er fühlte sich frisch und ausgeruht. Mouad hatte sich von ihm weggedreht und schlief immer noch fest.
„Computer, wie spät ist es?”
„8 Uhr, 4 Minuten und 30 Sekunden galaktischer Standardzeit.”
„Bitte gedämpftes Licht einschalten, die aktuellen Informations- und Schiffsparameter einblenden.”
Während sich am Ende des Raumes die metallisch grünliche Außenwand in ein riesiges, reflexionsfreies, absolut scharfes Monitorbild verwandelte und zahllose Grafiken, Zahlenkolonnen und 3D-Objekte sichtbar wurden, die Knud rasend schnell in sich aufnahm, erstrahlte ganz allmählich ein warmes, gelbliches Dämmerlicht aus einem großen, gläsernen Kronleuchter, der in der Mitte des Raums hing. Knud hatte ihn in Italien gekauft. Seine Freunde und Kollegen an Bord des Schiffes hatten sich amüsiert, als so etwas Altmodisches, was es in der Magellanschen Föderation seit vielen tausend Jahren nicht mehr gab, in sein Quartier geschafft wurde.
„Nun ja, der Wirkungsgrad ist ja sehr bescheiden, mit all diesen vorsintflutlichen Lampen.”
Aber Knud bestand auf dieses altertümliche Beleuchtungsobjekt.
„Dafür erhöht es die Gemütlichkeit dieses Quartiers”, pflegte er zu sagen.
Der Raum war auch mit verschiedenen anderen antiken Gegenständen ausgestattet. In der Mitte des Raumes befand sich ein Jugendstilesstisch mit sechs dazu passenden Stühlen. Sie wurden häufig benutzt, da Knud gegenüber Besuchern Wert auf eine gediegene Atmosphäre bei qualitativ hochwertigem Essen legte. Neben dem hypermodernen Bett, dass sich durch Computersteuerung an jede Körperhaltung anpasste, standen zwei zierliche französische Nachtschränkchen mit verschnörkelten Beinen aus dem siebzehnten Jahrhundert irdisch-christlicher Zeitrechnung.
Ein alter Eichenschrank aus Norddeutschland bildete ein Gegengewicht zu dem massigen Tisch. Er diente als Weinlager und Wäscheschrank; auch Töpfe und Besteck fanden hier noch Platz. Neben dem Außenfenster erhoben sich zwei halbrunde Vitrinenschränke aus dunklem Mahagoniholz, darin Gläser und Porzellan. Auch hier merkte man Knuds Faible für den Jugendstil. Werke von Daumè, Gallè und Tiffany waren die führenden Vertreter von 15 Meisterwerken der Glasbläserkunst des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die Knuds Sammlung ausmachten. Ein zauberhaftes, mit blauen, schwingenden Wellenlinien verziertes WMF Porzellanservice aus Deutschland gehörte ebenfalls dazu.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Bettes befand sich ferner ein altmodischer, ockerfarbener, französischer Herd mit einem voluminösen Ofen, der eine extrem gute, gleichmäßige Temperaturverteilung beim Backen gewährleistete und elektrisch beheizbar war: Denn Knud war leidenschaftlicher Koch und ein Fan alter, irdischer Zubereitungsarten. Wenn es ihm seine Zeit erlaubte, konnte er seinen Gästen die verschiedensten Speisen nach uralten Rezepten vielerlei Geschmacksrichtungen herbeizaubern. Besonders seine sradogonischen und menschlichen Freunde wussten diese Köstlichkeiten zu schätzen.
Ergänzt wurde der Herd durch einen hochaufragenden, auf der Außenseite feuerrot bemalten Kühlschrank, der vielerlei Getränke und mancherlei Gemüse- und Fleischsorten bewahrte. Wenn man an dem markanten, wie ein gebogenes Ausrufezeichen geformten goldfarbenen Griff zog, präsentierte sich eine schon beinahe verschwenderische Fülle: Knud hatte immer besondere kulinarische Spezialitäten darin gelagert, auch wenn man so einen Aufwand eigentlich an Bord des Schiffes nicht betreiben musste, da das Bordrestaurant exzellente Qualität lieferte.
„Wie ist das Befinden Mouads?”
„Körperlich sehr erschöpft, keine Verletzungen, keine Infektionen, im Moment REM-Schlaf, jedoch keine übermäßig belastende Traumaktivität. Keine Anzeichen von Stress”, meldete der Computer
„Was ist mit seiner Narbe in der Lunge?”
„Ist durch Ihre zweimalige Injektion des Zellaktivators seit etwa 16 Stunden vollständig ausgeheilt. Keinerlei Einschränkungen der körperlichen Leistungsfähigkeit feststellbar.”
„Bestehen gesundheitliche Gefahren, wenn jetzt sein Gehirn mit den Grundstrukturen UniKaLs implementiert wird?”
„Nein. Soll Mouads Programmierung erfolgen?”
„Ja.”
„In Ordnung. Spracherkennungsautorisation Knud Larssen erfolgreich. Sie können das Gerät aktivieren.”
Der Neuronenaktivator sah wie ein altmodischer Soldatenhelm aus, nur dass er über und über mit einem neuronalen künstlichen Netzwerk innen und außen bestückt war. Unzählige winzige Lichtimpulse leuchteten rhythmisch auf. Zum Schutz vor Beschädigungen war der Helm außen von einer klaren, glasartigen Substanz überzogen, während innen diese Strukturen offen lagen.
Knud setzte Mouad das Gerät auf. Er wusste, dass in diesem Moment unzählige mikroskopisch kleine, künstliche Nanoneuronen in sein Gehirn eindrangen und sich fest mit den für die Sprachfunktion bestimmten Synapsen im Gehirn verbanden. Sie waren so fein, dass sie keinerlei Verletzungen anrichten konnten. Chemisch waren sie dermaßen inert, dass sie auch nicht irgendwelche toxikologischen Schäden anrichten konnten. Durch eine Mischung aus Botenstoffen und elektrischen Reizen, die in einem komplizierten Zusammenspiel das Sprachlangzeitgedächtnis aktivierten, würde Mouad innerhalb weniger Stunden in der Lage sein, perfekt und akzentfrei in UniKaL zu kommunizieren.
„Beginn der Datenübertragung”, meldete sich die Computerstimme erneut.
Die Blitze begannen sich rascher zu bewegen; sie bildeten rhythmische Wellenmuster aus Lichtpunkten auf der Oberseite des Geräts. Durch diese optische Signalkopplung an die von außen unsichtbaren Übertragungssignale war die Bordsoftware jederzeit in der Lage, in die laufende Prozedur einzugreifen und, wenn es sich bei Fehlfunktionen als notwendig erweisen sollte, den Vorgang abzubrechen. Die reine Programmierung würde jetzt ungefähr eine Stunde dauern, die sich anschließende chemische Verschaltung in Mouads Gehirn noch einige weitere Stunden.
„Computer, wenn Mouad kurz vor dem Erwachen steht, teleportiere mich von jedem Ort dieses Schiffes hierhin, mit 300 Sekunden Vorwarnzeit. Ich möchte bei ihm sein, damit er nicht allein ist, wenn er wieder bei Bewusstsein ist.”
„Bestätigt.”
Knud zog sich die an Bord übliche nachtblaue Borduniform über und verließ den Raum. Er drehte sich noch halb um und teilte dem Computer, bevor sich die Tür hinter ihm schloss, mit:
„Computer: Licht aus, Panoramafenster deaktivieren!”
Es herrschte gerade Schichtwechsel an Bord der Intrepid. Ein Teil der Mannschaft eilte zu den Verpflegungsräumen, ein anderer zu den Arbeitsplätzen in dem weitläufigen Schiff. Alles verlief ohne Hektik. Jedermann benahm sich diszipliniert und rücksichtsvoll. Knud musste sich, verursacht durch sein langes Fernbleiben von Bord, an den Anblick der nichtmenschlichen Besatzungsmitglieder, wie zum Beispiel den der Xyrchh, Sradogoner, Mrrhachtthnerr und Qwrth, um nur die wichtigsten Rassen zu nennen, gewöhnen.
,Man hat doch nach einem solchen mehrjährigen Einsatz auf Terra eine gewisse eingeschränkte Sichtweise auf das Leben in der Föderation’, dachte er, während er zuvorkommend den einen oder anderen Freund oder Bekannten grüßte.
Ein hochgewachsener Sradogoner kam auf ihn zu und fragte in etwas gebrochenem UniKaL (seine Hornplatten des am Bauch sitzenden Sprechorgans erschwerten die Kommunikation in dieser Sprache mit dessen relativ weicher Intonation):
„Hallo, Knud, bist du auch mal wieder unter uns? Wie war denn der Einsatz? Kommst auch du mit zur Besprechung über diese eigenartige Rasse der Terraner? Hast du wieder schöne antike Stücke für dich mitgebracht oder endlich einen Freund oder eine Freundin fürs Leben gefunden?...”
Sradoganer können nur schwer allein sein. Partner, auch mehrere, waren für sie ein absolutes Muss. Der Redeschwall würde so in einem fort weitergehen, wenn Knud nicht erwidert hätte:
„Bitte Xsorchegar, nicht so schnell und alles auf einmal. Ich bin vor ungefähr einem halben Tag nach einer für terranische Verhältnisse extrem anstrengenden und gefährlichen Flucht zurückgekommen und - ja, ich habe jemanden gefunden.”
„Wo denn das? Auf Terra?” Xsorchegar starrte ihn aus den gelben, raubkatzenartigen Augen intensiv an.
„Ja, ich habe mein Glück gefunden.”
„Du weißt ja hoffentlich, dass so eine neue Bekanntschaft vom Föderationsrat nicht gern gesehen wird. Bewohner sogenannter primitiver Welten vertragen häufig den Kulturschock nicht und können irreparable psychische Schäden erleiden. Pass ja gut auf ihn oder sie...”
„Ihn”, verbesserte Knud Xsochegar,
„...auf”, beendete der Sradogoner seinen Satz.
„Ich erinnere mich: Du stehst ja auf Männer.”
„Und um deine dritte Frage zu beantworten: Ja”, fuhr Knud fort, „ich begebe mich jetzt ebenfalls zu dem von mir anberaumten Treffen der Führungsoffiziere. Lass uns doch zusammen dorthin weitergehen.”
„Und was ist mit deinem Liebsten?”
„Der schläft und lernt gerade unsere Sprache. Aber keine Sorge, ich habe dem Computer einen Teleportationsbefehl erteilt, damit ich, wenn er wach wird, sofort an seiner Seite bin. Deshalb betrachte es nicht als Unhöflichkeit, wenn ich dann plötzlich aus der Mitte der Tagung verschwinde.”
„Sehr gute Planung von dir, wie immer. Ich hoffe, er erholt sich noch eine Weile, damit du uns allen von den Erlebnissen auf dieser seltsam zerrissenen Welt berichten kannst. Denn für sämtliche anderen Rassen, die im Regelfall über eine planetenweite Zentralregierung verfügen, ist diese extreme politische Zersplitterung überhaupt nicht nachvollziehbar.”
Der Gang, den sie entlangschritten, endete vor einer Lifttür.
„Brückenkonferenzraum”, forderte Knud.
Die Tür öffnete sich und gab den Blick auf die lavabedeckte, gelb glühende Oberfläche eines jungfräulichen Planeten frei. In der Ferne war eine grelle, in weißlich-bläulichem Licht strahlende Explosion hinter einer kilometerhohen Feuerwand auszumachen. Knud, der von dieser Aufnahme fasziniert war, merkte nicht, dass sich augenblicklich die Kabine mit hoher Geschwindigkeit in Bewegung setzte. Kaum 30 Sekunden später stoppte der Lift.
Die Kabinentür öffnete sich zu einem eindrucksvollen runden Saal, der einen Durchmesser von etwa 75 Metern hatte. Dessen Mitte wurde durch einen kolossalen, silbermetallisch schimmernden, hochpolierten, runden Tisch beherrscht. Suspensorensessel standen in gleichmäßigen Abständen um ihn herum. Im Umkreis ermöglichten in regelmäßigen Abständen symmetrisch angeordnete, 6 Meter hohe und 10 Meter breite, imposante Panoramascheiben, die durch zwei Meter breite Stützstreben voneinander getrennt wurden, einen faszinierenden Rundumblick auf den sternenübersäten, tiefschwarzen Weltraum. Der Raum über ihnen, der die eigentliche Kommandobrücke beherbergte, wurde durch eine dodekagonale Säulenanordnung, die den Raum in gleichförmige Segmente unterteilte, abgestützt. In diesen ungefähr drei Meter mächtigen Gebilden befanden sich Aufzüge, Versorgungsleitungen für Luft, Wasser und Energie, Fluchtwege für den Notfall und Hygienefazilitäten. Im Inneren des Säulenkranzes befand sich der eigentliche Sitzungsbereich, um den es sich bereits 20 Offiziere bequem gemacht hatten und auf den Beginn der Konferenz warteten.
Knud begrüßte jeden namentlich und setzte sich dann neben Xsochegar. In diesem Moment betraten der Admiral und der erste Offizier den Saal, nickten den Anwesenden höflich zu und ließen sich gegenüber Knud in zwei Sesseln nieder.
„Ich nehme an”, so begann letzterer unvermittelt, „dass jeder der hier Anwesenden darüber informiert wurde, dass ich vor nunmehr 11 Stunden von Sol III zurückgekehrt bin. Zunächst bitte ich um Entschuldigung, wenn ich während des nun folgenden Vortrages fortteleportiert werden sollte. Aber ich habe jemanden auf dieser Welt in den letzten Monaten unserer Mission kennen gelernt und mit an Bord dieses Schiffes gebracht, um den ich mich kümmern muss.”
Ein allgemeines erstauntes Gemurmel war zu vernehmen.
„Ich kenne die Risiken für Bewohner primitiver Planeten, wenn sie in unsere Zivilisation mitgenommen werden. Aber ich stehe zu meiner Entscheidung. Wenn es schief gehen sollte, bin ich bereit, mich für mein Handeln vor dem Föderationsrat zu rechtfertigen.”
„Sire, wir kennen Euch bereits seit vielen Jahren so gut, dass wir davon ausgehen, dass Ihr in dieser Angelegenheit aus ehrenwerten Motiven gehandelt habt”, entgegnete Youness. „Wir denken, dass Ihr mit Eurem künftigen Lebenspartner verantwortlich umgehen und ihn behutsam und rücksichtsvoll auf das neue Leben vorbereiten werdet. Aber dies ist letztendlich auch Eure Privatsache.”
Nach einer Pause, wobei er die zustimmenden Blicke der anderen Teilnehmer registrierte, fuhr er fort:
„Bitte, berichten Sie uns nun über die eigentliche Mission, die Ihr und alle anderen Kundschafter auf diesem Planeten durchgeführt habt und die Eurer Leitung bis jetzt noch untersteht.”