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Achtes kapitel

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Wie Emilie die Bekanntschaft der Frau Kommerzienrat Beer machte

Im Hotel Schweizerhof in Luzern wurde „zum Besten der Abgebrannten von Alpnach“ ein Fest veranstaltet.

Die Liste der Teilnehmer wanderte von einem Gaste zum andern. Spät erst kam sie zu Lessers.

Das war ein Fressen für Frau Emilie, die längst alle Gäste des Hotels auf ihr Einkommen hin geschätzt hatte. Endlich sah man, mit wem man zusammen war. Endlich war der Augenblick da, wo man zeigen konnte, wer man war! Leidenschaftlich griff sie nach der Liste. Zwanzig Francs hatten die meisten gezeichnet und dafür noch die Billetts verlangt, die im Prospekt mit fünf Francs veranschlagt waren. Doch waren der Wohltätigkeit keine Schranken gesetzt. Gottlob! dachte Emilie – tauchte voller Kraft den Halter in die Tinte und schrieb: Leopold Lesser aus Berlin: Zwei Billetts – 200 Francs.

„So, nun platzt!“ sagte sie laut und reichte Leopold die Liste: „Da, lies! – eine nette Gesellschaft, in der wir uns bewegen. Im nächsten Sommer gehen wir nach St. Moritz.“

Leopold las und schüttelte den Kopf.

„Für wen ist die Sammlung?“ fragte er seine Frau.

„Wieso?“ erwiderte sie erstaunt, „das ist doch ganz gleich. Steht’s denn nicht drauf?“

„Ach so – natürlich! da steht’s ja. Ich möchte wissen, ob für uns jemand sammelt, wenn wir ins Unglück geraten.“

„Red’ nich so’n Unsinn!“ fuhr ihn Emilie an. „Wenn das jemand hört. Es ist schon traurig genug, dass kein Mensch etwas von unseren Millionen weiss – wenn du wenigstens Kommerzienrat wärst oder ein paar anständige Orden hättest. Du solltest dich mit diesem Kommerzienrat Beer anfreunden – der weiss bestimmt, wo so was zu haben ist.“

„Langsam Kind!“ erwiderte Leopold: „Wir wollen froh sein, dass wir glücklich soweit sind.“

„Ich denke vorwärts und nicht zurück.“

„Was!“ rief Leopold. „Du bist ein schlechter Geschäftsmann!“

„Wieso?“ fragte Emilie.

„Siehst du denn nicht, dass wir die letzten auf der Liste sind.“

Emilie sah ihn erstaunt an.

„Ja, und?‘ fragte sie.

„Nun, diese Liste geht von hier aus an die Kurbehörde – und kein Mensch erfährt je etwas von diesen zweihundert Francs.“

Emilie wurde blass.

„Nich zu glauben!“ rief sie wütend, „da kannst du wieder sehen, wie man uns behandelt. Schämen muss man sich. Das wäre ein nettes Sündengeld, zweihundert Francs für nichts und wieder nichts aus dem Fenster zu werfen! Nein, mein Lieber!“ – Und sie nahm ihm die Liste aus der Hand, tauchte den Halter wieder in die Tinte, machte hinter die zwanzig einen Punkt und fügte hinten eine Null an, so dass anstelle der 200 Francs nun 20.00 Francs stand.“

Leopold lächelte.

„Ich werde meine Bücher künftig von dir führen lassen,“ sagte er.

Aber Emilie war mit ihren Gedanken schon wieder ganz wo anders:

„Wenn man nur wüsste, wie man es anfängt!“ sagte sie unvermittelt:

„Was?“ fragte Leopold.

„Dass man mit diesen Beers bekannt wird.“

„Die Leute wissen eben nicht, wer man ist.“

„Was heisst das?“ erwiderte Emilie – „Wir haben die teuersten Zimmer im Hotel! Wir trinken jeden Abend Champagner! Ich meine, daraus müssten sie doch sehen, dass wir nicht die ersten besten sind.“

„Se scheinen doch aber nicht zu wollen.“

„Darauf kommt es nicht an.“

„Wieso nicht?“

„Man hat seinen Verkehr nicht zum Vergnügen.“

„Sondern?“

„Um vorwärts zu kommen.“

„Gewiss, aber was können wir den Leuten bieten?“

„Das ist es ja eben!“ sagte Emilie ganz verzweifelt. „Nichts!“ und sah ihren Mann vorwurfsvoll an.

„Wenn diese Unsitte mit den separaten Tischen nicht wäre! Früher plazierte einen der Oberkellner für ein paar Silbergroschen wohin man wollte. Für zehn Mark habe ich vorigen Sommer in Nauheim acht Tage lang mittags und abends neben einem Marquis gesessen.“

„Und hast es nicht verstanden, den Verkehr aufrecht zu erhalten.“

„Das war nicht möglich, weil der Marquis kurz darauf wegen Falschspiels verfolgt wurde und verschwand.“

„Immerhin könnte man aus dieser Bekanntschaft Nutzen ziehen; es wird mehrere seines Namens geben. – Unser Freund, der Marquis, brauchte nicht grade er zu sein!“

„Gewiss nicht,“ erwiderte Leopold; „nur war dieser Hochstapler gar kein Marquis – sondern, wie sich bald herausstellte, der Sohn eines ganz gewöhnlichen Schreibers aus der Bretagne.“

„Das sieht dir ähnlich!“ sagte Emilie verächtlich.

„Wieso mir?“ fragte Leopold erstaunt.

„Hast du dir von dem Oberkellner wenigstens die zehn Mark wiedergeben lassen?“ fragte sie allen Ernstes.

„Gewiss!“ erwiderte er; „ich habe sie ihm auf das Trinkgeld angerechnet.“

„Ich hab’s!“ rief Emilie plötzlich laut.

„Was ist dir?“ fragte er ängstlich.

„Wir werden Beers kennen lernen!“ sagte sie triumphierend. „Und zwar noch heute.“

Dann setzte sie ihren Hut auf und rief Leopold, der ihr fast ängstlich nachsah, zu: „In zehn Minuten bin ich zurück.“

Sie stieg eilig die breite Treppe hinunter, überzeugte sich durch einen flüchtigen Blick auf die Hoteltafel, dass Beers noch immer die Zimmer 47 und 48 bewohnten, und verschwand dann–wie Leopold, der auf den Balkon getreten war, deutlich sah – in einem Laden, der neben dem Hotel lag.

Leopold zog die Schultern hoch und schüttelte den Kopf. – Er begriff nichts. Aber er beruhigte sich bald. Sie wird schon wissen! sagte er vor sich hin; dann vertiefte er sich wieder in seine Korrespondenz.

Emilie aber war möglichst breit in den Laden getreten und hatte mit verblüffender Nonchalance „das teuerste Korsett“ verlangt. Sie nahm, da ihre Grösse 80 in der teuersten Preislage nicht auf Lager war, Grösse 56, – wobei nur auffiel, dass der Chef keine Miene verzog – zahlte und beorderte Korsett mit quittierter Rechnung noch im Laufe des Nachmittags ins Hotel Schweizerhof, Chambre 47 und 48.

Als Beers am Nachmittag von einer Spazierfahrt zurückkehrten – Emilie sah das zufällig von ihrem Balkon aus – fanden sie im Salon ein Paket, dem die quittierte Rechnung beilag.

Die Zofe wusste nur, dass es vor einer Viertelstunde etwa abgegeben worden war.

„Oeffnen Sie!“ befahl Frau Beer.

„Jawohl, gnädige Frau,“ – und sie entnahm dem Karton ein leichtes, seidenes, spitzenbehängtes Korsett.

„Etwa von dir?“ fragte Frau Beer und sah ihren Mann an.

Beer lachte.

„Gehen Sie raus!“ befahl er dem Mädchen; und als es draussen war, sagte er mit erheblich verändertem Tone.

„Ich habe dich nicht aus Liebe geheiratet.“

„Das hast du mir schon hundertmal erzählt! Ich weiss es! – Aber was hat das mit dem Korsett zu tun?“

„Dass du mich totschlagen kannst, wenn ich in den zweiundzwanzig Jahren unserer Ehe auch nur ein einziges Mal darauf geachtet habe, was für ein Korsett du trägst.“

„Keins wie dies für hundertundfünfundsiebzig Francs;“ erwiderte Frau Beer gekränkt – „darauf kannst du dich verlassen.“

„Also hab’ ich doch nichts verloren – was mich aber interessieren würde: wer schickt dir so etwas?“

„Wenn ich eine Ahnung hätte!“ sagte Frau Beer.

„Ich lass’ mir gefallen, dass man dir Blumen schickt; – wenngleich ich’s nicht verstehe; meinetwegen auch Schokolade – zumal Lind. – Korsetts aber verbitt ich mir. Das legt mir die Verpflichtung auf, mich um deine Lebensführung zu kümmern. Dazu aber habe ich weder Lust noch Zeit.“

In diesem Augenblicke klopfte es. Und ehe einer der beiden Beers noch Herein rufen konnte, stürzte Emilie Lesser in grosser Frisur und Abendtoilette ins Zimmer.

„Verzeihen Sie, verehrte Frau Kommerzienrätin,“ wandte sie sich an Frau Beer und verbeugte sich dann vor ihm – „auch Sie, verehrter Herr Kommerzienrat, bitte ich um Entschuldigung.“

Beide Beers standen erstaunt, rissen die Münder auf und sahen sich an.

„Eine höchst peinliche Verwechselung führt mich zu Ihnen,“ – dann nannte sie ihren Namen – „Sie wissen gar nicht, wie entsetzlich mir dies unglückselige Versehen ist – obgleich es natürlich nicht meine Schuld ist.“

„Aber ich bitte Sie!“ sagte Frau Beer, „Sie sind ja ganz ausser sich – was ist denn geschehen? – so kommen Sie doch erst mal zu sich!“ – und sie schob ihr einen Stuhl hin, auf den Emilie, noch ehe Frau Beer „bitte“ sagte, niederglitt.

Emilie atmete tief auf.

„Gott sei Dank! Jetzt ist mir schon leichter;“ sagte sie. „Der Gedanke, Ihnen etwa ein Aergernis gegeben zu haben, wäre mir schrecklich.“

„Ja, gnädige Frau;“ erwiderte Beer, „Sie müssen uns schon erklären, um was es sich eigentlich handelt.“

Emilie sah beide gross an.

„Waas? – Sie wissen gar nicht?“

Da entdeckte sie auf dem Tisch den Karton – und daneben lag ausgebreitet in seiner ganzen Grösse, das leichte, spitzenbehängte, seidene Korsett – und zwischen beiden lag die quittierte Rechnung.

„Da!“ rief sie entsetzt, richtete sich auf und wies auf den Tisch, um in erheuchelter Scham gleich wieder in sich zusammenzusinken.

„Ach so!“ kam es wie eine Erlösung von Beers Lippen; und seine Frau warf ihm einen spöttischen Blick zu.

Emilie hielt sich ihr Spitzentuch vors Gesicht.

„Sie werden begreifen,“ sagte sie mit der Scham eines jungen Mädchens – „wie entsetzlich peinlich mir diese Verwechslung ist, – und dass ich es unmöglich einem andern übertragen konnte, den Irrtum richtigzustellen.“

„Aber ich bitt’ Sie!“ sagte Beer ermunternd und legte das Korsett ohne viel Umstände in den Karton – „wenn es weiter nichts ist! und bezahlt ist es auch!“

„Aber Julius,“ sagte Frau Beer vorwurfsvoll und wandte sich voll Teilnahme an Emilie.

„Ich begreife durchaus, gnädige Frau ...“

Aber Beer war nicht auf diesen Ton gestimmt.

„Ich begreife gar nicht,“ unterbrach er seine Frau. „Die Existenz dieses Kleidungsstückes ist uns Männern am Ende ja kein Geheimnis.“

„Dir ja wohl doch!“ widersprach seine Frau.

„Ich bitte dich, den speziellen Fall von vorhin nicht zu verallgemeinern,“ gab er zur Antwort.

„Wenn ich gewusst hätte, Herrn Kommerzienrat hier zu treffen“ – flüsterte Emilie – „ich vermutete Sie noch unterwegs.“

„Sehr liebenswürdig!“ erwiderte Beer und lachte. „Jedenfalls haben Sie meiner Frau mit diesem Korsett eine grosse Augenweide bereitet.“

„Wirklich! Ich habe Ihren Geschmack bewundert;“ bestätigte Frau Beer.

„Ich bin glücklich, Frau Kommerzienrat, wenn es Ihren Beifall hat.“

Dann warf Frau Beer einen Blick auf Emiliens Taille und brachte vor Staunen kein Wort mehr heraus.

Und da auch Emilie nichts mehr zu sagen wusste, so stand sie auf, reichte Frau Beer die Hand und sagte: „Es war mir eine Freude, Sie kennen zu lernen. Ich hoffe, ich werde nun öfter das Vergnügen haben.“

Dann lief sie, den Karton unterm Arm, den langen Hotel-Korridor entlang, in ihr Zimmer, fiel ihrem Mann um den Hals und rief:

„Wir haben sie!“

„Wen?“ fragte Leopold.

„Beers!“ –

Auf Chambre 47 sagte Kommerzienrat Beer zu seiner Frau:

„Eins möchte ich bloss wissen, wozu gleich wieder diese Intimität? – Was hat man von den Leuten?“

Frau Beer stand ganz in Gedanken; sie machte ein ernstes Gesicht und sagte:

„Das muss ich herausbekommen!“

„Was?“ fragte er.

„Wie diese Frau mit der Taille es fertig bringt, Grösse 56 zu tragen.“

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