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Erstes kapitel
ОглавлениеEmilie Lesser entwirft ihr Wochenprogramm
Frau Emilie Lesser sass an einem Sonntag nachmittag mit ihrer Tochter Jette vor der zehnten Beilage des Berliner Tageblatts und strich mit einem roten Bleistift diejenigen Theater, Konzerte und Vergnügungen an, deren Besuch in dieser Woche in Frage kam.
Es ging etwas bunt durcheinander. Jette schlug vor, wovon sie sich Vergnügen versprach. Aber Emilie traf ihre Wahl nach Zweckmässigkeit. Dabei liefen Irrtümer aller Art mit unter.
Der Prophet wurde abgelehnt, weil der Name des Komponisten kein Vertrauen einflösste. Ja, Emilie konnte gar nicht fassen, was ein Mann namens Meyerbeer im Königlichen Opernhause zu suchen hatte – und entschied sich für die Quitzows, von denen ihr Bekannte schon in Neutomischel erzählt hatten.
„Donnerstag sind wir bei Sterns.“
„Bex!“ sagte Jette.
„Was heisst bex?“ fragte Emilie. „Die Leute sind zwar auch mir unausstehlich und haben keinen guten Namen; dafür aber eine grosse Zukunft. Also verhält man sich mit ihnen.“
Jette suchte zu widersprechen:
„Mit der grossen Zukunft braucht sich doch ihr Name nicht zu bessern,“ sagte sie.
Da legte Emilie die zehnte Beilage des Berliner Tageblatts beiseite und sagte in feierlichem Tone:
„Mein liebes Kind! Du bist im nächsten Jahre erwachsen. Merke dir als ersten Grundsatz allen gesellschaftlichen Lebens: Lediglich der Erfolg entscheidet. Bei einem Vermögen von einer Million aufwärts hört der Ruf auf, eine Rolle zu spielen. Nur Leuten in mittlerer Vermögenslage spürt man nach. Um Rothschilds Geschäfte kümmert sich niemand.“
Und als Jette ein ganz verdutztes Gesicht machte, lachte Emilie und klopfte ihr auf die Schultern:
„Du musst noch viel lernen, mein Aeffchen, ehe du auf die Gesellschaft losgelassen wirst. Aber nun weiter! Was ist Freitag, zeig’ mal!“ und sie beugte sich über das Blatt:
„Freitag abend ist Papa doch gern zu Hause,“ sagte Jette.
„Das muss doch mal ein Ende haben,“ erwiderte Emilie nervös, – „mit diesen Freitagabenden! – In Neutomischel – nu ja, da hab’ ich mir das gefallen lassen. Aber hier, in Berlin, macht man sich mit solchen Dingen lächerlich; schon vor den Leuten. Hier fällt Schabbis eben auf Sonntag. Und da er auf Sonntag fällt, können wir nicht Freitag anfangen, ihn zu feiern.“
„Ich habe mich die ganze Woche über immer auf den Freitagabend gefreut,“ sagte Jette.
„Ich werde für lohnendere Zerstreuungen sorgen, verlass’ dich drauf!“ erwiderte Emilie.
„Und Walter geht es genau so. Es ist doch kein Zufall, dass seine Briefe regelmässig am Sonnabendmorgen kommen. Solange er in München ist, hat er an jedem Freitagabend an uns geschrieben.“
„Mir wäre lieber, er suchte drüben in Kreise zu kommen, die ihm später einmal nützen können – statt die Gewohnheiten von früher beizubehalten, die ihm in seiner Karriere nur hinderlich sind.“
„Die Stimmung in seinen Briefen zeigt doch aber, wie sehr er daran hängt.“
„Leider!“ sagte Emilie; „wenn das nicht anders wird, dann muss er im nächsten Semester zurück.“
„Aber Mama!“ rief Jette, „wo er es drüben mit der Fakultät so gut getroffen hat.“
„I was!“ widersprach Emilie, „was heisst Fakultät! Darauf kommt es nicht an. Um Karriere zu machen, sind Verbindungen und Protektion wertvoller als wissenschaftliche Leistungen. Und die kann er hier leichter anknüpfen als in dem stupiden Biernest!“
„Na, Minister wird Walter ja nicht gleich werden wollen!“ sagte Jette.
„Warum nicht!“ erwiderte Emilie, „nichts ist unmöglich. Wenn es mir gelingt, unsere Vergangenheit auszulöschen, dann ist mir auch vor der Zukunft nicht bange.“
„Ist denn an unserer Vergangenheit etwas auszulöschen?“ fragte Jette.
„Wenn doch die anderen auch so schnell vergessen würden!“
„Was ist denn zu vergessen?“ fragte Jette ängstlich.
„Alles!“ rief Emilie. „Was war und was ist! Auch was morgen sein wird – das alles muss vergessen werden!“ Emilie erregte sich. „Dass wir je Lesser hiessen – meine Eltern gar Cohn – dass wir aus Neutomischel stammen, dass wir aus kleinen Verhältnissen kommen, einen Manufakturladen hatten, in dem ich, deine Mutter, mit diesen beiden Händen persönlich die Kunden bedient habe – ja!“ – schrie Emilie – „glaubst du denn, dass diese Schande von heut auf morgen auszulöschen geht!“
„Ich kann daran nichts Unanständiges finden!“ sagte Jette in aller Ruhe.
„Eine Schande ist es!“ erwiderte Emilie – „Und wenn wir von jetzt ab auch nur einen Abend in der Woche ausgehn, dann am Freitag.“
„Aber wohin?“ fragte Jette und beugte sich mit Emilie wieder über das Blatt.
„Das will ich dir sagen!“ rief Emilie triumphierend und unterstrich dreimal dick in der zehnten Beilage des Berliner Tageblatts:
Freitag, den 25. Januar, abends 8 Uhr, Königlicher Dom: Konzert der Königl. Hof- und Domkapelle, Sanctus und Benedictus. (Marcellus-Messe) – Leo: Psalm 50 (8stg) – Bach: 2 Motetten für 8stg – Verdi: Ave Maria.
Dann stand sie auf und stürzte, das Wochenprogramm in der Hand, die Treppen hinunter in die Parterreräume, in denen Leopold, ihr Gatte, seine Bureauräume hatte.