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Elftes kapitel
ОглавлениеWie Emilie Lesser bei ihrem gesellschaftlichen Debut abschneidet
Die Prinzessin von Schönborn sass im Salon ihres Appartements im Palace Hôtel und unterhielt sich mit ihrer jungen Nichte, der Komtesse Dorothy von Roedern.
„Es ist ja gewiss das Recht eines jeden, sich das Wohltun so amüsant wie irgend möglich zu gestalten“, drang die Komtesse immer lebhafter in die Prinzessin – „aber in diesem Falle, wenn du es doch glaubtest, Tante, kommt es zu spät.“
Du hast recht!“ stimmte die Prinzessin bei – „dies Fest ist Humbug!“
„Glaube mir Tante! wer, wie ich in dieser Nacht, das Elend mit eigenen Augen gesehen hat und dann, statt sich die Kleider vom Körper zu reissen und die frierenden Kinder hineinzuwikkeln, noch Lust verspürt, das Elend mit Musik und Sekt zu bekämpfen, muss ein Vieh sein!“
„Geliebtes Kind!“ beruhigte sie die Prinzessin und nahm ihre Hand. „Du bist ja ganz ausser dir!“
„Herr Baron von Prittwitz;“ meldete der Diener.
Die Prinzessin nickte.
Prittwitz trat in den Salon, beugte sich zu seiner Tante, küsste ihr die Hand und begrüsste dann die Komtesse.
„Ist es erlaubt, liebe Tante?“ fragte er und wies auf die Tür – „die Mitglieder des Komitees wünschen durchaus dir vorgestellt zu werden.“
„Wenn es sein muss!“ sagte die Prinzessin.
Er gab dem Diener einen Wink und die Gräfin Larisch, die Baronesse Holzing, die Ehepaare Beer und Lesser traten in den Salon.
Die beiden Aristokratinnen – dem Vormittage angemessen – in Tailor-Made Kleidern, Frau Kommerzienrat Beer in hoher Besuchstoilette – Emilie dekolletiert.
Emilie war kreidebleich vor Erregung und hielt sich krampfhaft hinter der Gräfin Larisch, der sie jede Bewegung abguckte und nachmachte. Sie war auf mehr Zeremonie gestimmt und wurde enttäuscht. Schon der Vorantritt der Diener, den sie aus Hofberichten kannte, fehlte. Und als jetzt die Prinzessin der Gräfin die Hand reichte und Emilie zitternd den grossen Augenblick erwartete, in dem die Gräfin in die Knie sinken und ihr die Hand – an dem sie übrigens nur einen wertvollen Ring entdeckte – küssen würde, da erlebte sie ihre erste grosse Enttäuschung!
Nichts von alledem geschah! Wie zwei ganz gewöhnliche Sterbliche gaben sie sich die Hände, fragten sich nach ihrem Befinden und wechselten ein paar nichtssagende Worte.
Was sollte nun werden? – Sie warf einen heimlichen Blick zu Leopold, der im Smoking und weisser Weste ein paar Schritte seitwärts stand. Leopold erriet sofort ihre Gedanken. Er zog die Schultern in die Höhe und schüttelte den Kopf. Aber als er Emilien hilflos und verzweifelt sah, tat sie ihm leid, und anstatt abzuwinken, nickte er ihr ermunternd zu.
Emilie atmete auf – trat vor und holte zu dem grossen Hofknix aus ...
... schon berührte ihr linkes Knie die Erde, da verlor sie das Gleichgewicht – das rechte Bein glitt aus – und sie kippte in ihrer ganzen Schwere zur Seite.
Nur die Prinzessin und Leopold blieben ernst.
„Ein faux pas!“ flüsterte die Komtesse ihrer Tante zu.
Man half ihr auf und führte sie zum nächsten Sessel.
„Ich hoffe, Sie haben sich nicht weh getan,“ sagte die Prinzessin. „Dies Parkett ist so glatt, dass man dauernd in Angst schwebt, auszugleiten.“
Emilie brachte kein Wort heraus.
„Es ist ihr erster Versuch,“ erläuterte Leopold.
Das verstand niemand.
Die Prinzessin beugte leicht den Kopf und stellte ihre Nichte, die Komtesse Roedern vor. – Dann nahm man Platz. Emilie sass schon. – Beers rückten ostentativ von Lessers ab und möglichst dicht an die Prinzessin heran.
Emilie hatte ihren Unfall überstanden.
„Meine Nichte und ich waren schon mitten bei der Arbeit,“ sagte die Prinzessin.
„Das ist ja ausgezeichnet!“ erwiderte Prittwitz. „Wir haben gestern bis in die Nacht hinein gesessen und das Programm entworfen.“
„Köstlich! ganz köstlich wird es werden!“ bestätigte Emilie.
Die Prinzessin und die Komtesse sahen sich an.
„Meine Nichte war, während Sie dies „köstliche“ Programm entwarfen, an der Unglücksstätte!“ sagte die Prinzessin. „Es soll schrecklich sein!“
„Wie? ... Sie waren ...“ – wandte sich Frau Kommerzienrat Beer ganz entsetzt zur Komtesse Roedern – „des Nachts ... ja, mit wem denn?“
„Mit einem Fuhrwerk!“ erwiderte sie.
„Wie unpassend für ein junges Mädchen!“ flüsterte Emilie.
Leopold nickte.
„Man soll sich keine Vorstellung von dem Elend machen können, das da unten herrscht,“ sagte die Prinzessin. „Hunderte von Obdachlosen, die nichts als ihr nacktes Leben gerettet haben. Verzweifelte Frauen, Kinder, die vor Kälte und Hunger schreien – und dazwischen das Feuer, das bis zum frühen Morgen wütete.“
„Ein grandioses Schauspiel muss das sein!“ sagte Leopold.
„Fahren wir alle heute nacht hinüber!“ schlug die Komtesse vor.
„Heute wird es nicht mehr lohnend sein!“ meinte Emilie.
„Warum nicht?“ erwiderte die Komtesse – „wenn Sie Glück haben und der Wind sich dreht – die Asche glimmt noch überall – geht es heute nacht an irgendeiner Stelle nochmal los.“
Baron Prittwitz sekundierte.
„Nun, wir haben die Nacht auch nicht nutzlos verbracht,“ sagte er. „Bis heute vormittag um elf haben sich bereits hundert Teilnehmer für das Fest gemeldet.“
„Sieh mal an!“ sagte die Komtesse.
„Das ist lediglich das Verdienst Eurer Durchlaucht!“ erklärte Frau Kommerzienrat Beer und wandte sich zur Prinzessin.
„Meins?“ fragte die erstaunt.
„Gewiss! denn nur dadurch, das Eure Durchlaucht die grosse Güte hatten, an die Spitze des Komitees zu treten, haben sich alle, die eine solche Ehre zu schätzen wissen, zur Teilnahme bereit gefunden.“
Wird meine Emilie ’ne Wut haben, dass sie das nicht gesagt hat, dachte Leopold und wagte nicht, zu ihr aufzusehen. Aber Emilie suchte noch einen Trumpf darauf zu setzen:
„Eine solche Ehre weiss wohl jeder, der etwas auf sich hält, zu schätzen,“ sagte sie.
„Ich meine,“ erwiderte die Prinzessin, „dass jeder Mensch mit Herz den Wunsch haben muss, zu helfen, und das nicht von meiner Teilnahme abhängig machen darf.“
„Eure Prinzessin sind zu bescheiden,“ sagte Leopold.
„Hoheit!“ flüsterte ihm Emilie zu.
„Eure Hoheit!“ verbesserte Leopold.
Jetzt lächelte auch die Prinzessin. Und Beer wies auf die Lessers und sagte zu seiner Frau:
„Se sind unmöglich!“
„Sie blamieren uns mit!“ erwiderte die.
„Wenn Sie jetzt das Programm verlesen wollten,“ bat die Prinzessin.
„Zunächst abends 8 Uhr das Konzert,“ begann die Gräfin Larisch. „Wir bringen mit Rücksicht auf den verwöhnten Geschmack des Publikums einen modernen Operetten-Abend in Vorschlag.“
„Was verstehen Sie darunter?“ fragte die Prinzessin.
„Ein Programm,“ erwiderte die Gräfin, „das sich lediglich aus Schlagern der neuesten Operetten zusammensetzt.“
„Das ist im Hinblick auf den Zweck der Veranstaltung jedenfalls sehr sinnig,“ sagte die Komtesse.
„Ich möchte doch zu erwägen geben,“ stimmte die Prinzessin bei – „ob es in diesem Falle nicht vielleicht schicklicher wäre, das Programm etwas ernster zu gestalten.“
„Vielleicht was Chopinsches,“ sagte die Baronin schüchtern; „das ist ja wohl traurig!“ – und da niemand darauf einging, wurde sie ganz verlegen und sagte: „oder Mozart.“
„Ich bitt Sie,“ widersprach Emilie – und Leopold, der ihre Ahnungslosigkeit kannte, erschrak – „diese veraltete Musik! Es kann sich natürlich nur um Lehar oder Richard Strauss handeln.“
Leopold war stolz auf seine Frau.
„Wollen wir nicht erst bis zu Ende lesen,“ bat die Prinzessin und wandte sich an die Gräfin. „Meine Nichte, die Komtesse Roedern, hat Ihnen nämlich im Einverständnis mit mir einen Vorschlag zu unterbreiten, durch den sich eventuell das ganze Programm erübrigt.“
Beers und Lessers waren entsetzt. Aber es blieb ihnen keine Zeit, diesem Entsetzen Luft zu machen; denn die Gräfin verkündete bereits mit lauter Stimme:
„Punkt zwei des Programms: nach dem Konzert findet am Kai ein Sommernachtsfest statt.“
„Oh!“ sagte die Prinzessin.
„... mit Tanzboden, Schiess- und Würfelbuden, Sektpavillon, Gondelfahrten, Feuerwerk und bengalischer Beleuchtung.“ Und erläuternd fügte sie hinzu: „ausser den Kapellen des Palace und Nationalhotels wird auch die Zigeunerkapelle des Schweizerhofes konzertieren.“
„Und wovon wird das alles bezahlt?“ fragte die Prinzessin.
„Der grösste Teil der Unkosten ist bereits gedeckt,“ sagte Beer. „Es stehen schon heute den viertausend Franks Unkosten etwa zweitausendachthundert Einnahmen gegenüber.“
„Und das Defizit?“ fragte die Prinzessin.
Eine Pause entstand.
Emilie warf ihrem Manne einen Blick zu – ganz unauffällig – aber er verstand. Mit einem mächtigen Ruck schoss er in die Höhe, trat einen Schritt vor und erklärte breit:
„Wegen dem lumpigen Defizit brauchen sich Eure Prinzessin keine Kopfschmerzen zu machen; den zahle ich.“
„Schön!“ erwiderte die. „Aber gestatten Sie eine zweite Frage, die vielleicht auch nicht ganz aus der Welt liegt: was geschieht für die Verunglückten und ihre Familien?“
Diesmal war die Verlegenheit grösser – die Pause länger.
Nach einer ganzen Weile sagte Frau Kommerzienrat Beer:
„Eure Durchlaucht haben recht. Das haben wir übersehen; für die bleibt unter diesen Umständen freilich nichts.“
„Das ist wenig!“ sagte die Prinzessin.
„Ich habe mich um das Arrangement nicht bekümmert!“ entschuldigte sich die Gräfin Larisch – „da die Damen“ – und sie wies nicht übermässig respektvoll auf Frau Beer und Emilie – „bereits verfügt hatten.“
Und da die Baronin Holzing auch das Bedürfnis fühlte, etwas zu sagen, so erklärte sie:
„Baron Prittwitz hat uns ausdrücklich erklärt, es genüge, wenn wir unsere Namen hergäben, weil sonst die Damen“ – und auch sie wies nicht übermässig respektvoll auf Frau Beer und Emilie – „zu nichts zu haben wären.“
Leopold stand noch, so stark hatte die Abgabe seiner Erklärung auf ihn gewirkt. Abermals traf ihn jetzt ein Blick seiner Frau. Die Regie im Hause Lesser war mustergültig.
„Ich zahle noch dreitausend Mark drauf!“ sagte er.
Emilie sah alle der Reihe nach an und mass mit dem Gefühl des Siegers stolz den Eindruck, den dieses neue Opfer ihres Mannes machte.
Aber satt eines Dankes oder einer Anerkennung sagte die Prinzessin:
„Mir scheint doch, dass man mit diesem lauten Feste wenig oder nichts für die Linderung der Not erreicht.“
„Man tut eben, was man kann,“ sagte Beer und dachte dabei an die Kosten für das Inventar der Würfelbude, durch die sich seine Frau den Verkehr mit der Gräfin Larisch zu erkaufen hoffte.
„Mir scheint es überhaupt zweifelhaft,“ sagte die junge Komtesse, „ob es geschmackvoll ist, einem Unglück wie diesem mit einem Feste zu begegnen.“
„Man soll die Feste feiern, wie sie fallen,“ erwiderte Leopold.
„Ja, Geschäfte sind erfahrungsgemäss mit Wohltätigkeitsveranstaltungen nicht zu machen!“ erklärte Beer. „Man muss mehr als froh sein, wenn man die Kosten deckt.“
„Wenn man denn durchaus einen Ueberschuss erzielen will,“ sagte Frau Beer, „so muss man eben Streichungen vornehmen“ – sie suchte auf dem Programm – „hier zum Beispiel, das Feuerwerk, für das dreihundert Franks festgesetzt sind, könnte fortfallen.“
„Ich bitte Sie!“ widersprach Emilie, von der dieser Gedanke stammte. „Das ganze Ufer des Sees wird wie ein Flammenmeer strahlen! Es wird ein feenhafter Anblick sein!“
„Auch der Gedanke ist sehr sinnig!“ sagte die Komtesse und wandte sich zu ihrer Tante – „denke dir, ein Feuerwerk zum Besten der Abgebrannten!“
„Das wird man doch nicht etwa bis zur Unglücksstätte sehen können?“ fragte die Prinzessin.
„Aber selbstverständlich!“ erwiderte Emilie; „von jeder Stelle des Sees aus wird es zu sehen sein.“
„Dann bin ich beruhigt,“ spottete die Komtesse.
„Wie kann man nur!“ rief die Prinzessin und sah Emilie ganz entsetzt an.
„Ja, wenn Sie auf die Stimmung der Verunglückten Rücksicht nehmen wollen,“ sagte Emilie verärgert, „dann müssen wir das Fest in die Kirche verlegen.“
„Bravo!“ sagte die Prinzessin, „das scheint mir ein Vermittlungsvorschlag.“
„Dann aber,“ fuhr Emilie, die in Zorn geriet, fort, „übernehmen Sie gefälligst die Arrangements, Fräulein Komtesse!“
„Ich bedaure unendlich,“ erwiderte die, „aber ich muss ablehnen. Von Gesängen und Gebeten werden die hungrigen Kinder nicht satt und die eingestürzten Häuser nicht aufgerichtet.“
„Aber!“ rief Frau Kommerzienrat Beer empört und sah ganz entsetzt die Prinzessin an.
„Gut, dass Emilie das nicht gesagt hat,“ dachte Leopold.
Die Prinzessin lächelte und wandte sich an Emilie.
„Vielleicht, dass Sie mit Frau Kommerzienrat Beer ein Programm für die kirchliche Feier entwerfen.“
„Mit Vergnügen,“ drängte sich Frau Beer vor. „Ich bin entgegen dem Fräulein Komtesse ganz der Ansicht Eurer Durchlaucht, dass hier nur der Zuspruch der christlichen Kirche helfen kann. Ich werde mich noch heute mit dem Geistlichen des Orts in Verbindung setzen.“
Wie gut, dass man getauft ist! dachte Beer – zum ersten Male in seinem Leben.
Aber Emilie zitterten die Knie; die Augen der Prinzessin waren fest auf sie gerichtet.
„Eure Hoheit verzeihen –“, stiess sie ängstlich hervor ... „aber mein Wort darauf – ich habe es meinem Mann so oft gesagt – jedesmal kam irgendein wichtiges Geschäft dazwischen – es ist nichts weiter als Nachlässigkeit, dass wir noch nicht getauft sind.“
Leopold stimmte zu.
„Was sagst du dazu?“ wandte sich die Komtesse an ihre Tante.
Die Prinzessin ertrug diese Menschen nicht länger um sich.
„Meine Damen und Herren!“ begann sie, – und was sie sagte, klang bestimmt – „ich habe den Vorsitz im Komitee nicht übernommen, um Ihnen und den andern Fremden hier Gelegenheit zu schaffen, sich zu amüsieren! Für solche Zwekke wenden Sie sich gefälligst an den Kurdirektor oder sonst wen. Dies Fest findet nicht statt! Wenigstens nicht unter dem Missbrauch meines Namens, den ich dazu nicht hergebe! Es bleibt Ihnen natürlich unbenommen, ohne mich zu machen, was ihnen gut und schicklich scheint. Ich würde kein Wort weiter verlieren, wenn meine Nichte mir nicht das Elend der Unglücklichen mit so viel Wärme geschildert hätte, dass ich es für eine menschliche Pflicht hielt, zur Linderung dieser Not zu tun, was irgend in meiner Kraft steht. Und wenn das, was ich beinahe fürchte, nicht anders als mit Spekulation auf die Eitelkeit möglich ist – gut, so will ich auch das Opfer bringen. Ich habe also für morgen früh einen Extrazug bestellt, der Platz für dreihundert Personen bietet. Ich werde bitten, mich auf meinem Ausflug an die Unglücksstätte zu begleiten und gleich mir, Lebensmittel und Kleidung für die Unglücklichen in möglichst reichem Masse mitzunehmen. Für das Billett sind fünfzig Mark zu entrichten. Das Geld wird dazu verwandt werden, um an Ort und Stelle die höchste Not zu lindern. Gegen abend werden wir dann gemeinsam wieder nach hier zurückkehren; und ich werde nach dem Diner alle Teilnehmer zu einem gemütlichen Abendschoppen als meine Gäste bei mir sehen. Das erscheint mir wirksamer als Brillantfeuerwerk und Operettenschlager.“
Mit etwas saurer Miene stimmten Beers und Lessers bei. Die Gräfin Larisch und die Baronin Holzing fanden diese Massenexkursion etwas plebejisch und kostspielig. Aber auch sie widersprachen nicht.
Die Prinzessin reichte jedem die Hand. Nur die Komtesse Roedern, die mit ihr reiste, blieb bei ihr.
Im Vestibül nahmen alle korrekt und förmlich voneinander Abschied. Leopold und Emilie stiegen schweigend die Treppe hinunter – schweigend bogen sie in die enge Strasse, die zu ihrem Hotel führte. Auch als sie auf ihrem Zimmer waren, standen sie geraume Zeit einander gegenüber, sahen sich an, nickten mit den Köpfen und sagten gar nichts.
Zuviel Eindrücke hatten sie empfangen, keiner wusste, wo er beginnen sollte.
Leopold dachte gerade an die hundert Flaschen Champagner, die nun – statt in den Sektpavillon – in seinen Keller kamen! Leopold freute sich.
Emilie wusste nicht, ob sie jauchzen oder schluchzen sollte. War es ein Erfolg gewesen oder eine Niederlage? – Was hatte sich in dieser halben Stunde nicht alles begeben! – Gewiss! sie hatte schwache Momente gehabt. Aber daneben waren auch Augenblicke gewesen, in denen sie gut abgeschnitten hatte. Sie dachte an Lehar und Strauss! Und sie fühlte: noch ein paar Male und sie bewegte sich auch in diesen Kreisen so sicher und natürlich wie die andern. –
Da öffnete sich die Tür!
Jette stürzte ins Zimmer; hinterher die Zofe.
„Da bin ich!“ rief sie und setzte mit einem energischen Ruck die Handtasche auf den Boden. „Na, wie seh’ ich aus? sieht man mir an, dass ich die ganze Nacht gereist bin?“
„Kind!“ sagte Emilie und war mit ihren Gedanken noch immer ganz wo anders.
Jette sah sich um.
„Was ist das für ’ne Prinzessin, die mich kennen lernen will? Aus Haiti oder Honolulu?“
„Kind!“ wiederholte Emilie vorwurfsvoll.
„Du wirst sie morgen früh kennen lernen,“ sagte Leopold und erzählte ihr von dem Unglücksfalle und der gemeinsamen Fahrt am nächsten Morgen.
„Das ist ja totschick!“ rief Jette spöttisch. „Das übernehmen wir nach Berlin! nicht wahr, Mama?“
„Das ist noch gar kein schlechter Gedanke,“ erwiderte Emilie.
„Wie sollte deine Tochter auch schlechte Gedanken haben! Denke nur, Ausflüge zu wohltätigen Zwecken! in Extrazügen! mit allen Schikanen! Ich finde das himmlisch!“
„Aufsehen würde das schon machen!“ meinte Leopold.
„Na ob!“ erwiderte Jette, „das wird die grösste gesellschaftliche Attraktion des nächsten Winters! Das werden euch alle nachmachen.“
„Aber wir werden die ersten sein!“ sagte Emilie strahlend.
Leopold schüttelte den Kopf.
„Bei unserm Pech passiert den ganzen Winter über kein Unglück.“