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Neuntes kapitel
ОглавлениеWie Lessers dazu kommen, sich in den Dienst der Wohltätigkeit zu stellen
Als die Hotelglocke zwei Stunden später zum Diner läutete, wusste es Emilie zu richten, dass sie mit ihrem Manne als letzte den Sallamanjeh – wie sie den Essaal nannte – betrat. Und obgleich der nächste Weg zu ihrem Tische durch die Mitte führte, wählte sie doch den schmalen Seitengang, um an Beers vorüber zu müssen, zu denen sie auffällig, dass alle ringsherum es sahen, hinübergrüsste.
Und als sich Beers gegen Schluss der Tafel erhoben, schoss sie, ohne das Obst abzuwarten, das sie lieber als alles andere ass, so blitzartig in die Höhe, dass sie noch in der Ausgangstür mit ihnen zusammenstiess. Leopold folgte mit vollem Munde und schluckte gerade den letzten Happen ungekaut herunter, als Emilie ihm mit grosser Geste Beers vorstellte.
Nach wenigen Sekunden sassen sie im Vestibül um einen runden Tisch herum und sagten sich, was sich so Menschen, die nichts von einander wissen, beim ersten Zusammensein mit vollem Magen zu sagen haben. – Nichts natürlich. Aber eben, um das zu verdecken, reden sie unaufhörlich. Es war daher eine Erlösung für alle, als der junge Baron von Prittwitz an den Tisch herantrat und Beers begrüsste.
Wie peinlich, dass er uns in der Gesellschaft findet! – dachten Beers, die ihn erst gestern bei einer Motorfahrt kennen gelernt hatten.
Beer, der nur mit einer kurzen Begrüssung rechnete, vermied zunächst, Baron Prittwitz vorzustellen. Alle fühlten das. Emilien zitterten vor Erregung die Beine; Leopold zog ostentativ sein Zigarrenetui hervor und entnahm ihm eine Havanna.
Aber der Baron hatte kaum zwei Worte mit Beers gewechselt, als er sich mit einer vollendeten Wendung auf dem linken Absatz zu Emilie wandte und mit einer kurzen Verbeugung „Prittwitz“ sagte.
Emilie, der in nervöser Erwartung dieses Augenblickes Sekunden zu Minuten wurden, schnellte mit dem Oberkörper so weit nach vorn, dass ihr Gesicht beinahe auf die Tischplatte stiess.
„Meine Frau!“ erwiderte Leopold sehr ungeschickt; sprang auf, verbeugte sich und sagte:
„Mein Name ist Leopold Lesser aus Berlin.“
„Sehr angenehm!“ erwiderte Prittwitz und drückte ihm die Hand.
Und zum Ueberflusse erhob sich nun auch Beer und wiederholte – was seine Frau sehr taktvoll fand – die Vorstellung.
„Herr Baron von Prittwitz,“ sagte er laut und unterstrich es mit einer Handbewegung, die seine Frau durch ein Nicken des Kopfes begleitete. Dann sagte er leise: „Herr und Frau Lesser –“ und sass auch schon wieder, kaum, dass er es ausgesprochen hatte.
„Sie gestatten, dass ich mich zu Ihnen setze?“ fragte Baron Prittwitz, und setzte sich zwischen Beer und Lesser; ihm gegenüber die beiden Damen, die zunächst unruhig hin und herrückten, sehr gegen ihren Willen mit den Füssen aneinander stiessen und nicht recht wussten, wo sie hinsehen und ihre Arme lassen sollten.
„Wir werden also,“ begann Prittwitz, „nach dem Konzert ein grosses Fest in den Anlagen veranstalten, mit Tanzplatz, Sektpavillon, Schiess- und Würfelbuden. Ich hoffe“ – wandte er sich an Frau Beer und Emilie, – „die Damen schliessen sich uns an.“
„Mit Vergnügen!“ gaben sie zur Antwort; machten dabei aber so erstaunte Gesichter, dass er hinzufügte:
„Es handelt sich um das Wohltätigkeitsfest – Sie wissen ja ...“
„Ah so!“ sagte Frau Beer, während die schlauere Emilie, obschon sie durchaus nicht wusste, wovon er sprach, „natürlich!“ sagte.
Wir können mit Sicherheit auf eine grosse Beteiligung rechnen. Ich habe eben die Liste eingesehen – allein die Gäste unseres Hotels haben über zweitausend Frank gezeichnet – manche, wie ein Grossindustrieller vom Rhein, allein 100 Franks.“
Leopold traf ein wütender Blick Emiliens. Hätten sie die zweihundert Frank gezeichnet! Wie ständen sie jetzt da! Solche Chance kehrte nie wieder.
„Ich habe die Liste auch meiner Tante, der Prinzessin Luise von Schönborn, vorgelegt.“
„Nein!“ schrie jetzt Emilie – sie schrie immer, wenn sie erregt war.
Alles sah auf.
Sie hielt sich die Hand vors Gesicht und sank zusammen.
„Es geht vorüber,“ sagte Leopold und hielt ihr ein Fläschchen, das Frau Beer aus ihrer goldenen Tasche nahm und ihm über den Tisch reichte, unter die Nase. Oder er tat doch so; denn als er sich besorgt zu ihr herabbeugte, hielt sie den Atem an und flüsterte wütend:
„Schlemiehl, du!“
„Also wie gesagt“ – fuhr Baron Prittwitz, nachdem sich Emilie wieder aufgerichtet hatte, fort – „meine Tante, die Prinzessin Schönborn, ist bereit, das Protektorat über das Fest zu übernehmen; vorausgesetzt, dass es mir gelingt, eine genügende Zahl würdiger Komiteedamen zusammenzubringen.“
„Das müsste doch leicht sein,“ meinte Emilie.
„Ich habe bisher meine Kusine, die junge Komtesse Rödern, die Gräfin Larisch und die Baronin Holzing für den guten Zweck gewonnen. Die Damen wohnen sämtlich im Palace. Sie sind, wie auch meine Tante, die Prinzessin, äusserst exklusiv. Ich kann ihnen daher nicht die erste beste Partnerin zur Seite stellen.“
„Wem sagen Sie das?“ erwiderte Leopold.
„Ich dachte daher,“ fuhr Prittwitz fort – „ob vielleicht Sie, meine Damen, Lust hätten, mit der Komtesse Rödern, der Baronin Holzing und der Gräfin Larisch zusammen den Sektpavillon und die Schiess- und Würfelbude zu übernehmen.“
Pause.
Emilie, der alles, was sie in dieser halben Stunde erlebte, wie ein Wunder aus Tausendundeiner Nacht erschien, spielte ihre Rolle wie eine schlechte Debutantin.
„Das ist doch nicht Ihr Ernst?“ fragte sie nach einer Weile und bebte am ganzen Körper.
„Mir wird es ein Vergnügen und eine Ehre sein!“ suchte Frau Beer, die auf der gesellschaftlichen Stufenleiter schon ein paar Sprossen höher geklettert war, die Situation zu retten, und rückte merklich von Emilie ab.
„Mir auch!“ flüsterte Emilie, die in ihrer Erregung gar nicht merkte, wie schlecht sie abschnitt.
„Darf ich das als abgemacht ansehen?“ fragte Prittwitz.
„Gewiss! gewiss!“ versicherte Emilie leidenschaftlich und Frau Kommerzienrat Beer sagte:
„Für meine Person ja!“
„Ich sehe es immer gern, wenn meine Frau sich in den Dienst der Wohltätigkeit stellt,“ sagte Beer.
Und Leopold meinte:
„Warum nich? Das kann ja ganz vergnügt werden.“
„Das wird es bestimmt!“ versicherte Prittwitz. „Ich halte die Zusammensetzung des Komitees für äusserst glücklich. Drei Damen aus dem hohen Adel und zwei aus den Haute Finance.“
Emilie fühlte jetzt allen Ernstes einen leichten Schwindel, und Leopold verbarg seine ungepflegten Hände unter dem Tisch.
Beer beugte sich zu Leopold und flüsterte ihm etwas zu.
„Selbstredend!“ erwiderte Leopold; „Sie werden ja beobachtet haben, dass wir alle Abend ...“
„Was is?“ fragte Emilie laut; aber Beer und Leopold winkten ab.
Beer rief den Kellner und bestellte eine Flasche White Star.
„Zwei!“ verbesserte Leopold.
„Wann wird das Komitee zusammentreten?“ fragte Frau Beer.
„Ich hoffe, es wird sich Ihrer Bequemlichkeit wegen alles durch meine Vermittelung erledigen lassen,“ erwiderte Prittwitz.
„Mir machen die paar Schritt zum Palace nichts aus,“ erwiderte Frau Beer.
„Und ich würde, um die Bekanntschaft einer Prinzessin zu machen, auch den weitesten Weg nicht scheuen,“ sagte Emilie. „Man weiss ja so nicht, was man hier mit all seiner freien Zeit anfangen soll.“
„Ich dachte, dass eine der Damen“ – und er wandte sich an Emilie – „vielleicht die Anschaffungen für die Würfelbude, die andere“ – und er wandte sich an Frau Kommerzienrat Beer – „die Anschaffungen für den Sektpavillon übernimmt oder umgekehrt. Das Komitee würde Ihnen in der Auswahl natürlich die weitgehendste Freiheit lassen.“
„Und die Gräfin Larisch und die Baronin Holzing?“ – fragte Beer – „wie betätigen die ihren Wohltätigkeitsdrang?“
„Sie wissen, Herr Kommerzienrat, wie unpraktisch man in unseren Kreisen in solchen Dingen ist. Darum bin ich ja gerade für engeren Zusammenschluss des Adels mit der Haute Finance. Eins könnte vom andern lernen. Und ich denke bestimmt, dass durch dies Wohltätigkeitsfest der erste Schritt dazu getan wird. Dass man später dann die langen Abende abwechselnd hier und im Palace zusammen verbringt!“
‚Das wäre himmlisch!“ schrie Emilie; und Leopold rief:
„Eine grossartige Erfindung, diese Wohltätigkeitsfeste!“
„Man sieht, Sie haben ein gutes Herz!“ spottete Beer.
„Mein Gott, man tut eben, was man kann. Schliesslich ist man doch an dem Unglück nicht schuld.“
„Aber entsetzlich bleibt es darum doch!“ konstatierte Prittwitz.
„Was denn für ein Unglück?“ fragte Emilie.
„Na, Sie wissen doch,“ sagte Beer.
„Ich habe keine Ahnung!“ erwiderte Emilie.
„Na diese Brandgeschichte.“
Da machte Emilie ein ganz verzweifeltes Gesicht und sagte: „Das ist ja furchtbar! Eine Brandgeschichte?“
„Das Herz steht einem still!“ sagte Beer und rauchte sich eine neue Havanna an.
An der Unglücksstätte, eine Meile taleinwärts, erzitterte die Erde unter dem Angstgeschrei der Kinder und Weiber; und das Wimmern der Verwundeten drang dumpf wie das Stöhnen des Nebelhorns durch die Nacht.
Um diese Zeit öffnete die junge Komtesse Roedern ihren Koffer und holte eine Kassette hervor, in der sie ihre Ersparnisse aufbewahrte. Sie entnahm ihr ein paar Hände voll Nickel, tat sie in einen kleinen Beutel, nahm Hut und Mantel und einen dicken Plaid, und verliess eilig, ohne dass es jemand sah, das Hotel. Sie musste lange suchen, ehe sie einen Kutscher fand, der sie für viel Geld bis zur Unglücksstätte führte. Vorher kaufte sie Kleidungsstücke, Wäsche, Decken und Esswaren, so viel der Wagen fasste. Gegen Mitternacht erst kam sie an; und bis es Morgen wurde, hatte sie vielen Obdachlosen über die erste Verzweiflung hinweggeholfen.