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Drittes kapitel
ОглавлениеDie grosse Chance
„Grossvater kommt!“ stürzte Jette ins Wohnzimmer, in dem Leopold und Emilie beim Nachmittagskaffee sassen.
„Was für’n Grossvater?“ fragten beide.
„Unser! – unser – unser!“ rief Jette – und war auch schon wieder draussen, riss die Korridortür auf und lief dem alten Manne entgegen.
Leopold und Emilie sahen sich an.
Gleich darauf hörte man eine laute Männerstimme; – ganz deutlich, da Jette in ihrer Erregung sämtliche Türen offen gelassen hatte.
„Wahrhaftig!“ sagte Leopold, „er ist’s!“
„Sehr unnötig!“ erwiderte Emilie verstimmt.
„Immerhin ...,“ meinte Leopold.
„Was heisst das?“ fragte sie.
„Nun, immerhin ist es dein Vater.“
„Wenn schon! – aber willst du mir vielleicht sagen, was ich hier mit ihm anfangen soll?“
„Das möchte ich auch wissen!“ erwiderte Leopold. „Wenn du wenigstens den Jacoby nicht fortgeschickt hättest.“
„Ich habe fortgeschickt?“ fragte Leopold erstaunt.
„Etwa nich?“ erwiderte Emilie. „Sonst wäre er doch da! – Wenn du nur immer auf mich hören wolltest!“
Und als Leopold sie ganz erstaunt ansah, sagte sie:
„Ich erinnere mich genau, dass ich dir geraten habe, ihn zu halten, wenn du ’n brauchst.“
„Meinetwegen,“ lenkte Leopold ein, „es ist ja nun auch gleich, wer ihn fortgeschickt hat.“
Leopold sah zur Tür; draussen hörte man deutlich eine Männerstimme.
„Wenn er sich wenigstens angemeldet hätte!“ sagte Emilie. „Ich habe jedenfalls keine Zeit, mit ihm herumzulaufen.“
„Ich glaube“ – sagte Leopold und machte eine Bewegung, als wenn er aufstehen wollte – „wir müssen ....“
„Ja!“ erwiderte Emilie und erhob sich. „Was er nur will?“
Auch Leopold stand jetzt auf.
„Ich kann mir schon denken!“ sagte er.
In diesem Augenblick trat Cohn ins Zimmer.
„Da seid ihr ja, Kinder,“ begrüsste er sie; gab Emilien einen Kuss auf die Stirn und drückte Leopold die Hand.
„Nun, euch braucht man nicht zu fragen, wie’s euch geht!“ sagte er ... „Ihr seht ja glänzend aus.“
„Es ist der reine Zufall, dass du uns antriffst,“ sagte Emilie.
„Sooo? – Wolltet ihr fort?“ fragte Cohn. „Ich will euch nicht stören. Was ich habe, is in ’ner halben Stunde erledigt. ’S Geschäft geht vor.“
„Wir wollten mit einer befreundeten Kommerzienratsfamilie auf acht Tage ins Riesengebirge!“ protzte Emilie.
„Gott behüte!“ rief Cohn, „bei die Kälte.“
Emilie lachte verächtlich.
„Im August kann man nicht Ski laufen.“
„Was ist das?“ – fragte Cohn, „wozu tut man das?“
„Zum Vergnügen!“ erwiderte Emilie, „und um schlank zu bleiben.“
„Recht habt ihr,“ sagte Cohn. „Wenn ihr’s euch leisten könnt. – Nehmt ihr’n Jacoby natürlich mit?“
„Wen?“ fragte Emilie.
Cohn sah sie gross an, dann lachte er und sagte:
„Kennt ihr’n Jacoby nich?“
„Ach so – ja – Leopolds früheren Buchhalter.“
„Früheren? – was heisst das?“ fragte er ganz bestürzt.
Leopold hat ihn entlassen.
„Entlassen? – den Jacoby?“
„Seine Leistungen genügten ihm nicht mehr.“
„Ja, was, was fängt der Mensch nun an?“ – Cohn war ganz ausser sich.
„Unsre Sorge!“ sagte Emilie.
„Ihr habt’n doch mit euch nach Berlin genommen – von selbst wäre er nie von Hause fortgegangen.“
„Er ist ’n ausgewachsener Mensch, der wissen muss, was er tut – und sich nicht mitnehmen lässt,“ erwiderte Leopold.
„Oder sollten wir ihn etwa lebenslänglich durchfüttern?“
Cohn machte ein sehr verdriessliches Gesicht.
„Wie lange ist er fort von euch?“ fragte er.
„Seit ein paar Tagen,“ erwiderte Leopold.
„Wenn er nichts anderes findet – und er wird nichts finden, davon bin ich überzeugt, – dann werde ich ihn wieder zu mir nehmen.“
„Hast du denn Verwendung für ihn?“ fragte Leopold.
Cohn dachte nach.
„Nein,“ sagte er. „Verwendung habe ich nicht; im Gegenteil, ich muss mit jedem Groschen rechnen; – aber, was hilft’s, man kann ihn doch nicht hungern lassen, wo er fünfzehn Jahre lang bei einem war, – man kann überhaupt keinen Menschen hungern lassen!“ fügte er hinzu.
„Das sind rückständige Ansichten, Papa!“ sagte Emilie.
„Jedenfalls denkt hier kein Mensch so!“ stimmte Leopold bei.
„Ich leb’ ja nicht hier!“ erwiderte Cohn, – „möcht’ hier auch nicht leben, wenn so was möglich is.“ Dann wandte er sich an Emilie. „Und nun lass mich mal auf eine halbe Stunde mit deinem Mann allein. Ich habe was Geschäftliches mit ihm zu bereden.“
„Was Unangenehmes natürlich“, sagte Emilie.
„Wieso?“ – fragte Cohn; „im Gegenteil! Was äusserst Angenehmes; vorausgesetzt, dass es sich machen lässt! Aber es wird sich schon machen lassen!“
Emilie stand auf.
„Wie lange bleibst du?“ fragte sie ihren Vater.
„Bis zum Abend.“
„Willst du denn nicht wenigstens bei uns übernachten?“ fragte Leopold.
„Danke schön, mein Junge! Aber du weisst, ich muss morgen früh um acht Uhr wieder hinterm Ladentisch stehen.“
„Es is auch besser, Papa hat seine Ordnung“, sagte Emilie und ging hinaus.
„Ich seh dich noch, bevor ich gehe“, rief ihr Cohn nach, dann zog er einen Stoss Papiere aus der Tasche, legte sie vor sich auf den Tisch und begann.
„Mir geht’s schlecht, mein Junge. Ich weiss nich, ob ich die Firma werde halten können, – denk’ dir, hundertzwanzig Jahre sind’s im August, dass mein seliger Urgrossvater sie gegründet hat.“
„Ein richtiger Segen hing nie daran“, erwiderte Leopold.
„Was heisst das?“ widersprach Cohn. „Hat das Geschäft uns nicht alle immer redlich ernährt? Haben wir je fremde Hilfe gebraucht?“
„Ihr habt eben alle keine Ansprüche ans Leben gestellt.“
„Was heisst Ansprüche ans Leben?“ fragte Cohn. „Kann man grössere Ansprüche stellen, als heiter und gesund sein? Nu? – In ganz Neutomischel konntst du rumgehen, hundert Jahre lang, von ein Haus ins andere –. De hättest keine Familie gefunden, die zufriedener war. Aber was nutzt das heut?“
„Ich mein’ auch, fürs Gewesene gibt der Jud’ nichts!“
„Oh!“ widersprach Cohn lebhaft – „sag das nich! das wär’ schlimm, wenn ich darauf sollt verzichten – davon leb’ ich – von meine Erinnerungen.“
„Ich fürchte, du wirst davon nicht satt werden, Papa?“
„Es gibt noch was anderes, Leopold, was man braucht zum Leben als ’n vollen Magen: das Herz. Was hat man von all die Herrlichkeiten, wenn se nur aussen bleiben und man se nich da innen fühlt.“
Leopold dauerte das alles viel zu lange.
„Und was soll nun werden, Papa?“ fragte er.
„Ich will dich nich lange damit aufhalten, dass ich dir erzähle, wodurch die Schwierigkeiten entstanden sind. Du weisst es ja auch, ich will dir daraus keinen Vorwurf machen – Gott behüte! Dass die Bestände, die du bei deinem Austritt mit hundertfünfunddreissigtausend Mark angegeben hast – und du wirst ja wohl deine Gründe dafür gehabt haben – nicht mehr als sechzigtausend Mark wert waren – nu, und auch die reinzubringen is mir bis heut nicht gelungen.“
„Du hattest seinerzeit dieselbe Möglichkeit, nachzuprüfen wie ich.“
„Hab’ ich!“ erwiderte Cohn.
„Was!“ fragte Leopold ganz erstaunt – „Du hast ... du wusstest also – und hast trotzdem meine Abrechnung gebilligt?“
„Was wär’ geworden?“ erwiderte Cohn. „Sollt’ ich dem Manne meines einzigen Kindes sagen, dass er mich – nu zum mindesten übervorteilt hat? S’ hätt mich mit meinem Kinde auseinandergebracht. Das war’s! Darum hab’ ich geschwiegen! Und dann: ich hoffte immer – du bist ein tüchtiger Geschäftsmann, wenn auch anders – leider! – als dein Vater und Grossvater – Gott hab’ se selig – es waren – aber ich hab’ immer gedacht, wenn du erst festen Fuss hier hast, denn wirst de eines Tages zu mir kommen – du verstehst – und das alles ausgleichen.“
„Und da ich nich zu dir gekommen bin, so kommst du heute zu mir! – Hm! ich verstehe! Um mir die Pistole auf die Brust zu setzen: entweder ich zahl’ dir die Differenz oder ...“
„Gott behüte!“ rief Cohn. „Was sind das für furchtbare Gedanken.“
Leopold atmete auf.
„Sondern?“ fragte er.
„Ich hab’ mer gedacht, de wirst genug mit dir selbst zu tun haben.“
„Allerdings!“ bestätigte Leopold. – „Das hab’ ich.“
„Nu eben, es is doch keine Kleinigkeit, in ’ner fremden Stadt festen Fuss zu fassen – wenngleich du ja – das soll nicht etwa ’n Vorwurf sein! ich bin immer für freie Konkurrenz eingetreten – den besten Teil meiner Kunden mitgenommen hat – aber lassen wir das!“
„Ich mein’ auch!“ erwiderte Leopold – „das bringt uns nur aneinander.“
„Eben! Darum hab’ ich mich auch nich an dich gewandt, als ich für die Dreimonatsakzepte am ersten April keine Deckung hatte.“
„An wen denn?“ fragte Leopold erstaunt.
„Ich bin zum Stadtrat Marcuse gegangen – de kanst dir denken, mit was für Gefühlen! – Dreimal hab’ ich den Klingelzug von seiner Haustür in der Hand gehabt und wieder losgelassen und bin umgekehrt – aber schliesslich, was half’s? – nu, er hat mich – für den Augenblick wenigstens – vor dem Schlimmsten bewahrt.“
„Nu also!“
„Und mehr als das! Er hat sich von mir genau erzählen lassen ...“
„Natürlich“, unterbrach ihn Leopold erregt – „hast du mir an allem die Schuld gegeben – obgleich du weisst, dass Stadtrat Marcuse gerade in Berlin grosse Beziehungen hat und mir, wenn er will, überall Knüppel zwischen die Beine werfen kann.“
„Geschämt hätt’ ich mich, von dir zu erzählen“, erwiderte Cohn. „Ein guter Jude hungert lieber als dass er’s eigene Nest beschmutzt. – Na, kurz und gut, er hat mir ’n Geschäft an die Hand gegeben, durch das ich – und der Marcuse schwätzt nicht – Millionen verdienen kann.“
Leopold, der bisher in seiner Korrespondenz geblättert hatte, schob alles beiseite und richtete sich auf.
„Sieh mal an!“ sagte er interessiert – „und warum macht er es nicht, wenn’s so glänzend is?“
„Marcuse ist neunundsiebzig – is Junggeselle – hat sein gutes Auskommen – wozu soll er sich den Kopf verdrehen? – nu, ich versteh’ das und wär’ nich anders, wenn ich nich müsste.“
„Und das Geschäft?“ fragte Leopold.
„Deshalb eben bin ich gekommen – also hör’ zu: Du kennst die Gelände unten an der Döberitzer Heerstrasse ...“
„Wo jetzt die grossen Kasernen und Uebungsplätze hinkommen sollen?“
„Richtig! Denk’ dir, Marcuse hat auf einen Teil der Gelände eine Option gegen Zahlung von zweimalhunderttausend Mark.“
„Nicht möglich!“ rief Leopold. „Das ist ja ein Millionenobjekt!“
„Gewiss is es das!“ erwiderte Cohn. „Na und ich kann dir auch verraten, dass der Fiskus den Ankauf der Gelände zu einem exorbitant hohen Preise bereits beschlossen hat. – N’ Köppchen der Marcuse! Alles weiss er, überall is er dabei!“
„Und was hast du davon? Hat er dir etwa versprochen, dass er dich als Erben einsetzt?“ fragte Leopold.
„Er hat mir die Option an der Hand gelassen!“
„Was? is er verrückt?“
„Die zweimalhunderttausend Mark müssen aber spätestens bis zum ersten April, das heisst in knapp drei Monaten, bezahlt werden. Sonst verfällt die Option und, de kannst dir denken, der Vorbesitzer verwertet das Gelände selbständig.“
„Vater!“ rief Leopold und sprang auf – „das is ja ein Glücksfall sondergleichen, zu dem man dir gratulieren kann.“
„Wo hab’ ich schon bis zum ersten April die zweimalhunderttausend Mark her?“ sagte Cohn.
Leopold lief im Zimmer umher und überlegte.
„Zweihunderttausend Mark!“ brabbelte er vor sich hin – „das is freilich kein Pappenstiel.“
„Wem sagst du das?“ erwiderte Cohn.
„Hast du Unterlagen? – Sicherheiten?“
Cohn kramte in seinen Taschen und zog einen ganzen Stoss von Papieren hervor, die er Leopold reichte.
„Ich dachte“, sagte Cohn – „natürlich zuerst an dich, dass du mir vielleicht – auf irgendeine Art – die Summe verschaffst. Denn am Ende kommt es ja eines Tages doch euch zugute – und dann: es kann euch ja auch nicht gleich sein – menschlich wie geschäftlich – wenn ich auf meine alten Tage noch in Konkurs gehe.“
„Das würde natürlich auch auf mein Geschäft zurückwirken“, erwiderte Leopold.
„Das hättest du nur früher bedenken sollen“, sagte Cohn. „Aber, gottlob, es is ja noch immer Zeit.“
Leopold hatte sich inzwischen in die Schriftstücke, die ihm sein Schwiegervater gegeben hatte, vertieft.
„Ein aufgelegtes Geschäft!“ sagte er.
„Weiss Gott, das is es!“ bestätigte Cohn – „und du meinst: du kannst?“
„Ich muss!“ erwiderte Leopold.
Cohn stand auf und klopfte ihm auf die Schulter.
„Du bist doch ’n guter Kerl!“ sagte er – „und ersparst deinem alten Schwiegervater die Schande! – Ich würd’s auch nich überleben.“
Noch einmal überlegte Leopold.
„Hast du schon sonst mit jemandem über das Geschäft gesprochen?“ fragte er.
„Aber nein! ich bin doch kein Kind!“
„Wills du mir die Unterlagen hier lassen und mir versprechen, nichts, aber auch wirklich nichts, in dieser Sache ohne mich zu unternehmen?“
„Wenn du mir sagst, dass es dir möglich is ...“
„Hier, mein Wort darauf, dass du das Geld rechtzeitig hast“ – er hielt seinem Schwiegervater die Hand hin.
„Damit machst du alles wieder gut, mein Junge“, sagte Cohn gerührt und schlug ein. „In solchen Stunden spürt man doch, dass man zusammengehört.“