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Unzulässige Verbindungen

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Wenn dennoch das ständig-wilde Treiben der vergessenen Ränder, das in unseren Seelenräumen, Erinnerungen, Identitätsfragen und Weltbetrachtungen vielleicht spirituelle, politische, vielleicht ökologische Fragen aufwirbelt und in die gut desinfizierten Praxisräume eindringt, dann bleibt dem Professionellen nur die Empfehlung seiner Klienten in andere Welten. Die gibt es sowohl im klinischen, privat- oder alternativklinischen Bereich als auch im Feld des sogenannten freien Marktes. Allerdings ist auch hier große Vorsicht geboten. Nicht nur die juristische Sachlage, sondern auch die fachlich-kollegiale Grenz- und Tugendwacht sind einigermaßen scharf gestellt.

Auch hierzu fallen mir zwei kleine Geschichten ein. Die eine aus jüngerer, die andere aus fernerer Vergangenheit, und doch sind beide miteinander verwoben.

Die erste Begebenheit: Schon vor und besonders während des Corona-Lockdowns im Frühjahr 2020 waren Online-Kongresse vermehrt im Umlauf. Mehrere Institute und Berufsverbände haben zu der Zeit in gemeinsamer Orchestrierung einen Gratis-Online-Kongress, eine Sammlung von 34 Vorträgen namhafter Psychotherapeut:innen inklusive des Dalai Lama (zwar meines Wissens kein Psychotherapeut, aber weise auf alle Fälle), empfohlen. Ein offenes Angebot, ein historisches Zeitdokument, ein breites Stimmenspektrum von prägenden Frauen und Männern. Als kurz nach Ankündigung dieses Online-Services der Vorstand eines großen österreichischen Berufsverbandes – offenbar aufgrund empörter Stimmen von Mitgliedern – sich offiziell dafür entschuldigen musste, dass er nicht explizit darauf hingewiesen hatte, dass manche der dort vorkommenden Redner:innen dem aktuellen, anerkannten Rahmen nicht entsprächen, da wurde mir mulmig zumute.

Womit dürfen wir uns als Professionelle beschäftigen, ohne in Verruf zu geraten? Muss ein Vorstand eines Berufsverbandes dafür sorgen, dass seine Mitglieder keine falsche Kost zu sich nehmen? Muss das Geschichtsfeld gesäubert werden? Wenn ja, wovon, von wem, und wer kann darüber befinden? Was darf man denken oder erfahren, ohne ermahnt zu werden? Was darf gleichzeitig und nebeneinander sein? Und auch: Was darf-kann miteinander gedacht sein, was darfkann miteinander gesehen, in Bezug und in Dialog gebracht werden?

Besonders jene letzten Fragen ziehen sich wie ein roter Faden durch mein Leben. Sie haben mich in allerlei schöne, aber auch peinliche Situationen geführt und sind offenkundig auch die Leitfragen dieses Buches. Sie sind ergiebig und können in viele Kontexte hineingestellt werden. Besonders nützlich sind sie, wenn wir sie in Zwischenkontexte stellen oder – wozu sie eben neigen – durch sie Zwischenkontexte entstehen.

Das Denken in unzulässigen oder auch einfach nur ungewohnten oder vergessenen Zusammenhängen ist nicht risikolos, auch nicht moralisch erhaben, aber vielleicht dringend nötig, wenn es ums Lebendige geht. Trotz jahrelanger Selbsterfahrung und einigermaßen solider Selbstbildung weiß ich nicht, wieso mir dieses »Zusammensehen« von normalerweise getrennt betrachteten Sachverhalten immer wieder geschehen ist und anhaltend geschieht. Es muss sich um eine angeborene Anomalie handeln, der ich die Treue halte, auch wenn sie mir einige Zurecht- und Zurückweisungen eingebracht hat. Von einer dieser Zurechtweisungen will ich hier gerne als zweite Geschichte erzählen.

Vor ungefähr dreißig Jahren war ich als blutjunge, in Ausbildung befindliche Psychotherapie-Lernende durch eine Verkettung von Umständen Teilnehmerin eines Aufstellungsseminares unter der Leitung von Bert Hellinger17. Zu jener Zeit war diese Arbeit noch eher ein Geheimtipp, die Gruppen umfassten zwischen zwanzig und dreißig Menschen, gearbeitet wurde in einem Dachzimmer einer Pension irgendwo nördlich von Salzburg. Es war ungeheuer aufregend, inspirierend und irritierend zu erleben, in welcher süßlichen Strenge dieser damals schon ältere Herr den Menschen im Raum konzentrierte Aufmerksamkeit schenkte und welche Bilder und Geschichten sich daraus entspinnen konnten. Es war unglaublich beeindruckend und empörend zugleich, welche Atmosphären sich im Raum entwickelt haben: wo Tränen geflossen sind und wo sie verboten wurden. Wo Segen ausgesprochen und nahezu sichtbar wurde, und dann wieder süffisante Kälte jemanden gemeinsam mit seinen Anliegen in Ungnade fallen ließ. Als zuschauende, mitschauende Lernende blieb mir der Mund offen. Hier war ein Vater-Meister am Werk, der sich widerspruchsfreien Hoheitsraum schaffte und in ihm Verknüpfungen und Deutungen einführte, die wahrlich gewagt waren, oft aber scheinbar Sinn stifteten. Hier wurde jemandes Seitenblick zum absolut gewissen Hinweis auf ein verstorbenes Kind; eine Körperhaltung sprach unmissverständlich von unterbrochenen Beziehungslinien; ein Ton in der Stimme erzählte von einer gekränkten Tante, und manchmal musste jemand nur in gewisser Weise einatmen, um Bert Hellinger die Gewissheit zu geben, dass und was nicht in der Ordnung ist, die Ordnung schafft. Hier war eine priesterlich-geistig-primärtherapeutisch-tiefenpsychologisch-szenisch-körperlich-gestische-mystische Mischung am Werk, die sich die Freiheit nahm, Erfahrungen und Wahrnehmungen mit Konzepten und Hypothesen in neue und oft auch bewegende Zusammenhänge zu stellen. Verständlicherweise gebannt von diesem Geschehen, war ich in diesem Dachzimmer mit seinen kleinen Fenstern in all der Zeit doch auch verbunden mit dem Wetter draußen. Wechselhaft zogen Sonne, Regen, Wolken und Winde durchs Land und haben die Gruppe, die Aufstellungen, die Runden auf ihre Art und Weise beleuchtet oder beschattet. Nebst all den Gesten, Verbeugungen, Blicken und Sätzen war ich fasziniert vom Zuspiel der natürlichen Belichtung und sah phänomenologische Zusammenhänge. So hüllte die Sonne zwei Menschen für einen langen Moment in inniger Umarmung und zog sich zurück, als sie wieder auseinandergingen. So grollte ein Donner im Moment höchster Spannung, als der Verrat an einem Bruder im Raum stand. Es zog dicker Nebel auf, wenn von Geheimnissen die Rede war, die besser verdeckt bleiben sollten, und Blitze leiteten die Bewegungen ein, die in einer Familie Ausgleich bringen sollten. Mich interessierte, ob Bert Hellinger in seiner Begleitung solcherlei Phänomenen auch Beachtung schenkte. Ein immerhin gütiger, dennoch strenger und vor allem wissender Blick wurde mir daraufhin zuteil. »Nein, nein, junge Frau, solcherlei Verbindungen bilden unzulässige Zusammenhänge. Wenn einer so schaut, kann er schnell verrückt werden, das ist gefährlich«, erklärte er.18

Das klang einleuchtend. Wo kämen wir hin, wenn wir phänomenologische Zeichenräume nicht mehr nur auf menschliche Interaktionen beschränkt hielten? Also genauer, wo käme unsere Psychologie, unsere Psychotherapie da hin? Dass ein paar Landwirt:innen und Dachdecker:innen, Jäger:innen, Pilot:innen, Fischer:innen oder Schiliftbetreiber:innen hin und wieder ihre Nase raushalten oder eben ihre Maschinen befragen, die ihre Nase verlängern, weil sie trotz aller Moderne noch immer vom unmittelbaren irdischen Raum abhängig sind, das leuchtet ein. Hier wäre sogar fahrlässig, wenn sie es nicht täten!

Anders in den Feldern des »Geistes und der Psyche«. Hier scheint die Annahme des Vom-Raum-Gelöstseins Sicherheit zu garantieren. Die Idee des »reinen Denkens« ist seit längerem in stabiler Liaison mit der Idee des »objektiven Maßes«. Miteinander sind sie zu prägenden Einflussgrößen geworden sind. Das erscheint mir wiederum ziemlich gefährlich.

So oder so ist das Leben irgendwie gefährlich. Meine Mensch-Natur-Raum-verwebende Wahrnehmung hat sich jedenfalls nicht einschüchtern lassen. Dieser Gefahr von Verrück(t)ung bin ich fortwährend ausgesetzt und war und bin damit ja nicht alleine.

Natur-Dialoge

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