Читать книгу Natur-Dialoge - Astrid Habiba Kreszmeier - Страница 32
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ОглавлениеGenau genommen gehören all diese Gedanken ja schon zum älteren Eisen. Sie werden seit einigen Jahrzehnten aus verschiedenen Strömungen der Ökologie-Bewegung thematisiert und fanden auch ihren Widerhall im psychologischen Feld.
Zwar war ich bereits in den 1990er-Jahren mit Menschen mit sozial-pädagogischen oder therapeutischen Zielsetzungen auf Meeren, in Wäldern, an Flüssen und Bergen unterwegs, dennoch sollte ich die Stimmen und Bücher der Ökopsychologie oder auch der Tiefenökologie erst vor Kurzem auf interessante Weise entdecken. Es war eine kleine Internetrecherche zu den Stichworten »Natur« und »Systemische Therapie«, die mich direkt zu einem Beitrag von Eva Madelung führte. Ich staunte nicht schlecht, jene bemerkenswerte ältere Kollegin, deren Vorträge und Arbeitsweisen ich auch aus dem Aufstellungskontext kannte und schätzte, in einem Beitrag von 1996 (!) über Systemisches Denken und Ökopsychologie zu finden.23 Sie leitet den Beitrag über ein Gedicht ein. Es heißt Bäume:
bäume
die winden sich
überregnet von unsichtbar
verpechte poren
verstopfte haut
frühzeitiges blattgelb
oder nadelrot
käferkahl
büschelweis dürr
flechtenerstickt
bäume
die biegen sich
splittern
in einem sturm
der wütet
von uns her
(EVA MADELUNG)
Der wütet von uns her … und sie erzählt von persönlicher Betroffenheit über die Veränderung in einem Stück Wald, dem sie nahe wohnt. Von dort aus macht sie eine kleine Reise durch die Psychotherapie-Geschichte, unterscheidet zwischen individuell-biografischen Sichtweisen analytischer und humanistischer Schulen und den systemisch-ökologischen Sichten. Sie zitiert Bateson und Systemische Kurztherapien bis hin zur System-Aufstellung und schließt diesen Abschnitt mit:
»Systemische Methoden sind nicht nur therapeutisch wirksam. Sie vermitteln darüber hinaus einen Erfahrungshintergrund, der in die Praxis des Alltags hineinwirkt. Allerdings bleibt auch in ihnen die oben angesprochene Wechselwirkung mit der außermenschlichen Natur weitgehend unbeachtet.«
Dann wendet sie sich dem Konzept der Ökopsychologie und dem gleichnamigen Buch (Roszak 1994) von Theodore Roszak zu. Sie thematisiert dessen Idee eines ökologischen Unbewussten und der ökologischen Interdependenz, die es in diesem Ansatz heilvoll zu reaktivieren gilt, und weist abschließend auf Workshops zu Systemischem Denken und Naturerfahrung hin. All das vor einem Vierteljahrhundert in Bayern! Und ich wusste nichts davon, schade! Immerhin habe ich den Beitrag im langlebigen Archiv des Internets gefunden und damit auch eine Brücke zur Ökopsychologie.
Während in englischen und selbst in spanischen und portugiesischen Sprachräumen Eco-Psychology durchaus zu einer Marke wurde und von dort auch bis zum heutigen Tag wertvolle Öko-Inspirationen zu uns fließen, konnte sich der Begriff im deutschsprachigen Umfeld kaum etablieren. Eher bekannt ist hier Tiefenökologie (deep ecology), die sich als spirituelle Öko-Philosophie allerdings auch nicht nur einen guten Namen gemacht hat. Mittlerweile habe ich mich mit dem ökopsychologischen Ansatz etwas genauer befasst. Auch wenn er im Grundgedanken der erweiterten Schau auf Menschen und Welt unseren sympoietischen Zugängen ähnlich ist, so sind die Atmosphäre, der Blick, die Erklärungen, die Richtungen und die Methoden doch gänzlich verschieden.
Roszaks Perspektiven stützen sich auf tiefenpsychologische Überzeugungen, wollen das Ich, das im Zentrum und einem kranken Planeten gegenübersteht, über die Erweckung des universell in allen angelegten »ökologischen Unbewussten« zu dessen Heilung befähigen. Sie sind von einem erlösenden Gottesbild oder zumindest von spirituellen Erlösungskonzepten getragen. Die Schuld und die Verschuldung (hier nun an der Umwelt) sind wesentliche Triebkräfte des Zugangs. Das sind bis zum heutigen Tag Grundthemen bei vielen Menschen, die sich für Umweltfragen einsetzen. In dieser Frage unterscheidet sich der ökopsychologische Zugang maßgeblich von dem Ansatz, den ich hier zu beschreiben suche. Schuld und Erlösungsbilder gehören nicht zu unseren Grundannahmen, wir orientieren uns eher an Versöhnung und dem Versuch, bessere (Beziehungs)Verhältnisse zu schaffen.
Doch es gibt auch gemeinsame Denkrichtungen, so zum Beispiel die Wertschätzung für Jäger-und-Sammler- sowie frühagrarische Kulturen, die explizite Kritik an patriarchalen Herrschaftsstrukturen und die Anerkennung von ökofeministischen Stimmen. All das spielt unserem Ansatz zu, auch wenn Roszaks Sprache, das ist wohl auch der Zeit und seinen Denkschulen geschuldet, oft selbst in einen der inhaltlichen Absicht widersprechenden imperial-paternalen Duktus verfällt. (Vor dem ist ja wohl niemand ganz gefeit, auch ich nicht.)
So bin ich Theodore Roszak für sein Werk und Engagement für das, was man Gegenkultur nannte, dankbar. Ebenso all jenen, die bis heute in diesem Bereich für Bildung und Gesundheit aktiv sind und Zugänge zu einer lebendigen Erde ins Zentrum ihres Wirkens stellen.24
Wenige Jahre nach dem Erscheinen von The Voice of the Earth, wie Roszaks Werk im Originaltitel heißt, brachte David Abram, ein damals junger Anthropologe und Philosoph, ein Buch auf den Markt, das die Ökologie-Bewegungen um eine Schlüsselerkenntnis und eine Reflexionstiefe erweitern sollte. Er verband in seinem The Spell of the Sensuous die Reziprozität im menschlichen Wahrnehmungsgeschehen mit der mehr-als-menschlichen Welt, der Landschaft. Seine Gedankenreise beginnt bei persönlichen außergewöhnlichen Geschichten, die ihm während seiner Asienzeit als Taschentrickkünstler geschahen, anschließend nimmt er uns mit auf einen philosophischen Parcours, der den Unterschied zwischen oral-indigenem Weltenempfinden und schriftkulturell geprägtem Denken deutlich machen will. Darin bringt er uns die Phänomenologie Husserls und vor allem auch Merleau-Pontys Entdeckung der Wechselseitigkeit alles Sinnlichen nahe. Schließlich führt er durch die Prozesse der Entortung, die unsere Sprache besonders mit der Verschriftlichung erfahren hat, und letztlich zurück in den Raum von Erinnerung und Poesie, der wieder anschließt an indigenes Weltenempfinden.
Erst 2012, 14 Jahre nach dem ersten Erscheinen, wurde Abrams Buch unter dem Titel Im Bann der sinnlichen Natur ins Deutsche übersetzt und gehört bis heute zur wesentlichen Inspiration für viele Menschen, die unter dem Geist der Wechselseitigkeit in und mit der Natur arbeiten oder das Feld der Öko-Philosophie bestellen. Abram hat eine Sprachtüre zur reziproken Begegnung von Mensch und Naturraum aufgetan, die uns auch hier noch mancherorts begleiten wird.