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Kulturelle Situationen

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Uns leitet hier also die Idee des wechselseitigen Miteinander alles Lebendigen, und uns interessieren Wahrnehmungsweisen und Erfahrungen, die dieser Reziprozität nahekommen. Das, was wir denken, tun, fühlen und erleben, ist niemals eine Einbahnstraße. Dieses Ich, mit dem wir uns in der Welt bewegen, ist kein abgeschlossenes Gehäuse, das mithilfe einer beleuchteten Linse von innen nach außen blickt und mit mehr oder weniger Geschick Eindrücke selektiv nach innen nimmt. Ein kleines bisschen mag das zutreffen, aber eben nur ein ganz kleines. Denn während wir mehr oder weniger bewusst das, was uns begegnet, in uns zu verstauen oder einzubauen versuchen, tun andere dasselbe und bringen allenfalls Teile von uns bei sich unter! Und, was die Komplexität noch um ein Vielfaches erhöht: Weil wir ja nur einen Bruchteil der eigentlichen Fülle unserer Sammlung wahrnehmen und verwalten können, sind wir mit einer von unsichtbaren Händen vollzogenen fortwährenden Umschichtung beschäftigt bzw. mit deren Folgen!

Erschwerend kommt ein mitunter latentes Misstrauen gegenüber allem Unbekannten hinzu. Wären wir vertrauensvoll ausgerichtet, so könnten wir davon ausgehen, dass jene unsichtbaren »Hände« im Sinne eines intuitiven Gesamtwissens19 wirken.

Dann könnten wir es uns in uns selbst bequem machen und unseren Impulsen folgen, darauf vertrauend, dass das Unbewusste wohlmeinend mitarbeitet und sich die Dinge fügen. So viel Gelassenheit ist leider für wenige Menschen möglich. Das Maß an getakteter Lebensführung zwingt viele, sich selbst zu optimieren. Glücklich sind darunter diejenigen, die sich dabei in einer soliden, geräumigen und selbstgestalteten Schachtel wähnen, die je nach Bedarf auf verschiedenen Messegeländen zur Ausstellung gebracht werden kann. Schließlich ist und bleibt der Mensch ein soziales Wesen! Weniger glücklich jene, die als Kurator:innen ihrer selbst20 nicht so erfolgreich sind und deren Selbstempfinden immer begrenzter wird. Hier ist eine Tendenz wahrnehmbar, die das Lebensgefühl des Einzelnen, aber auch das von Gemeinschaften isolationistisch verengt. Es herrscht tiefe Verunsicherung rund um Zugehörigkeit und Zugehörigkeitsrechte. Sei es im persönlichen biografischen Erleben, in familiären und sozialen Verbänden oder in nationalen Verfassungen und internationalen Abkommen – überall ist diese Verunsicherung anzutreffen:

Bin ich, sind wir zugehörig? Darf ich, dürfen wir hier sein? Darf ich, dürfen wir mitsprechen? Bin ich, sind wir eine Belastung? Habe ich, haben wir ein Recht auf Teilhabe? Solche Fragen stellen sich ganz normale Kinder, Mütter, Väter in ganz normalen Familien, auch hier in Mitteleuropa. Solche Fragen stellen sich in vielen Ländern der Erde viele Töchter, nur weil sie Töchter und keine Söhne sind.

Solche Fragen stellen sich in Mitteleuropa rumänische Pflegerinnen, portugiesische Strassenarbeiter oder brasilianische Sexarbeiter:innen – um hier ein paar klischeehafte und doch ziemlich reale Lebenslagen anzusprechen. Solche Fragen stellen sich arbeitslos gewordene oder frühpensionierte Facharbeiter, deren Fach es nicht mehr gibt. Diese Fragen stellen sich all diese und noch viele mehr in noch prekäreren Situationen.

Grundgefühle der Isolation und Ohnmacht, seien sie situativ berechtigt oder nicht, bei gleichzeitigem Anspruch auf autonome Selbstbestimmung, sei sie situativ möglich oder nicht, sind schwierig zu verwalten.

Das kann sich in vielen Diagnosebildern und Symptomen ausdrücken: Rückzug und Depression, Wahn und Zwang, Angst und Panik. Die Idee und das Erleben von Isolation ist ein zentraler Verstärker all dieser Dynamiken. Es ist ein schlimmes Nervengift, das das Zusammenleben mit uns selbst, mit anderen Menschen und der Welt verzerrt oder gar zerstört.21

Hat nicht jede soziale Heilkunst zu ihrer Zeit und unter ihren prägenden Annahmen anti-isolationistische Zugänge entwickelt?

Haben indigene Weltenempfindungen nicht Sprache und Methoden entwickelt, um ihre Verbindung zur Ahnenwelt und zu Naturräumen, Kräften, Geistern oder Gött:innen zu halten? Wurde nicht mit dem Erscheinen eines Gottes, der die Geschicke lenkt, die Verbindung mit dieser großen Kraft zur Orientierung des Heils? Ging es rechte Zeit später nicht um die Verbindung zur Vernunft und um Anschluss an Messgeräte, die Ordnung in die Dinge bringen sollten?

Haben nicht alle Strömungen nach der Erfindung von Psychologie und Psychotherapie verschiedene Wege beschritten, relevante Bereiche aus ihrer Singularität zu befreien und in einem sinnvollen Zusammenspiel zu sehen? Zum Beispiel die Bewegungen zwischen dem Bewussten und dem Unbewussten. Oder den Gefühlen und dem Denken oder zwischen Körper und Bewusstsein, zwischen willkürlichen und unwillkürlichen Lebenserfahrungen. Andere arbeiten an der Verbindung des Ichs mit transpersonalen Kräften, wieder andere bemühen sich um die Verständigung zwischen verschiedenen Ich-Anteilen oder zwischen abgekapselten, selbstständig gewordenen Erinnerungen, ja überhaupt zwischen verschiedenen Selbst-Erzählungen oder Zuschreibungen und natürlich auch zwischen Mitgliedern einer Familie, ja sogar zwischen Verstorbenen und Lebenden.

Man könnte sagen, jede Schule ist in gewisser Weise Spezialistin in der Auflösung von als hinderlich betrachteten Isolationen und fördert die Verbindung von relevant gewordenen Unterscheidungen. Wie auch immer das geschieht, die Erweiterung von Potenziallandschaften durch gezielte Grenzöffnungen ist immer mit im Spiel und erzählt immer auch von der jeweiligen Kultur und den Prämissen der Zeit.

Der sympoietische Ansatz ist so gesehen spezialisiert auf die Anzettelung der Wiederverbindung von menschlichem Bewusstsein und Handlungsvermögen mit der irdischen Welt, dem Raum, den Natur-Kultur-Welten sowie den atmosphärischen Zwischenräumen, die zwischen all dem liegen.

Auch er ist aus der Stunde des kulturellen Moments geboren und geht Hand in Hand mit dem, was heute vielen nötig erscheint.

Natur-Dialoge

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