Читать книгу Alles Mythos! 20 populäre Irrtümer über Preußen - Astrid von Schlachta - Страница 13
Preußens Politik war expansiv und rücksichtslos
ОглавлениеBrandenburg-Preußen war lange ein „unfertiges“ Land, stets wachsend, sich konsolidierend und neue Provinzen integrierend. Erst im 18. Jahrhundert konnten die einzelnen Regionen verbunden werden. Aber gab es dafür einen Generalplan, ein „grand dessin“, das zielgerichtet umgesetzt wurde? Oder oblag es jedem einzelnen Herrscher, das Territorium einheitlicher zu gestalten, die Grenzen zu arrondieren?
Der 1729 verstorbene Jurist und Königlich Preußische Geheimrat Nicolaus Hieronymus Gundling schrieb in seinem Werk Einleitung zur wahren Staatsklugheit, das Haus Brandenburg habe „sich trefflich in die Höhe geschwungen, und ist groß geworden, nicht sowohl durch Macht, als vielmehr durch Bündnisse“. Dies war seine Sicht des frühen 18. Jahrhunderts, als Friedrich Wilhelm I. Preußen führte. Der äußerst preußenfeindlich eingestellte Historiker Onno Klopp beurteilte das weitere Schicksal Preußens 1860 ganz anders: „Krieg um jeden Preis“ habe Friedrich II. geführt und mit seiner „Eroberungsgier“ die deutsche Nation zerstört.26 Einschätzungen, die zeigen, wie unterschiedlich Brandenburg-Preußens Politik in der Frühen Neuzeit beurteilt wurde. Nicht selten ist es gerade der Fokus auf die Zeit Friedrichs II., der Urteile über Preußen bestimmt.
Verglichen mit anderen Ländern, etwa Österreich, den Niederlanden oder Frankreich, begann Preußens Aufstieg sehr spät. Doch war Preußens Erweiterung ansonsten nicht völlig „normal“, wenn es in der Geschichte überhaupt Normalfälle gibt. Normal war auf jeden Fall, dass sich Brandenburg-Preußen, wie andere Territorien auch, nach 1648 auf die eigene Hausmacht konzentrierte, Gebiete dazugewann und diese in den Gesamtstaat einbaute; die Staatsräson wurde handlungsleitend. Der Westfälische Frieden hatte die Territorialfürsten gestärkt, sie durften nun auch untereinander und mit auswärtigen Mächten Bündnisse schließen.
Auch für die habsburgischen Kaiser stand nach 1648 ihre eigene österreichische Hausmacht im Mittelpunkt. Dies brachte ihnen den Vorwurf ein, sie vernachlässigten das Reich und konzentrierten sich nur auf ihre Gebiete. Die Episode um die Herrschaft in Lothringen zeigt die Bruchlinien, die durch das Reich gingen. Im Frieden von Wien, der 1738 den Krieg zwischen Österreich und Frankreich um die polnische Erbfolge beendete, verzichtete der Schwiegersohn Kaiser Karls VI., Franz Stephan, zugunsten kaiserlicher Interessen auf seine Heimat Lothringen. Er erhielt dafür die Toskana, die somit in österreichischen Besitz kam und Österreich im 19. Jahrhundert in die Staatseinigung Italiens hineinzog. Frankreich, dem Lothringen 1738 zugesprochen wurde, konnte mit dem Land seinen Kandidaten für die polnische Thronfolge, Stanislaus Leszczynski, entschädigen. Denn dieser war im Kampf um die polnische Krone unterlegen; sie wurde 1738 August III. von Sachsen zugesprochen. Die territorialen Verschiebungen sorgten aufseiten vieler Reichsfürsten für Unzufriedenheit, denn man warf Karl VI. vor, mit dem Frieden lediglich eigene Interessen verfolgt und Lothringen, das ein wichtiger Stützpunkt des Reichs gegen Frankreich war, für das Reich aufgegeben zu haben – zumal Forderungen der Reichsstände in den Friedensverhandlungen kaum Beachtung gefunden hatten.
Die Episode zeigt: Machtstreben gehörte zur Politik, die Interessen waren vielfältig gelagert und letztendlich war sich auch in der Frühen Neuzeit jeder Fürst selbst der nächste, stets darauf aus, sein Gebiet zu vergrößern, wenn sich die Möglichkeit bot. Besonders notwendig war dies, wenn es galt, Land zu arrondieren oder eine unverbundene Streulage, wie im Fall Preußens, zu beseitigen. Verwaltung und Herrschaft, Wirtschaft und Handelsverkehr wurden eben erschwert, wenn Korridore fremder Territorien ein Land durchbrachen.