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IRRTUM 5:

Das Geschäft mit dem „Gold der Ostsee“ und mit „schwarzen Menschen“

Preußens Küste war zunächst die Ostseeküste. Doch obwohl diese 170 km lang war, gab es nur wenige Zugänge zum Meer, die sich für die Schifffahrt eigneten. Die Küste war in weiten Teilen zu steil. Lediglich das Frische Haff und die Kurische Nehrung waren flach genug für den Zugang zum Wasser. Bis ins späte Mittelalter gab es zudem noch einen Zugang über das Mündungsgebiet von Weichsel und Nogat, der zum Drauensee und zur späteren Stadt Elbing führte; dieser verschlickte und versandete dann jedoch.

Das Meer war wichtig für Militär und Handel, stellte jedoch gerade an der Ostseeküste auch einen wichtigen Rohstoff zur Verfügung, der seit der Antike bekannt und legendär war – den Bernstein. Schon für die Zeit um 2000 v. Chr. ist das Sammeln von Bernstein überliefert; um 1500 v. Chr. wurde mit Bernstein intensiv gehandelt. Der griechische Historiker Herodot berichtete über den Norden Europas, dass von dort der Bernstein komme, und auch der römische Chronist Tacitus erwähnt das fossile Harz in seiner Schrift Germania, einem der ersten etwas ausführlicheren Berichte über das nördliche Europa. Später verbreitete sich die Meinung, ganz Preußen sei von Bernsteinadern durchzogen, aus denen das „preußische Gold“ in die Ostsee fließe.

Der Handel mit Bernstein von der Ostsee lief über die Bernsteinstraße, die von Königsberg und der Weichselmündung Richtung Süden, an der Donau entlang bis in den Mittelmeerraum, nach Aquileia, beziehungsweise ans Schwarze Meer führte. Der meiste Bernstein ging jedoch nach Lübeck und Brügge, wo er vor allem zu religiösen Artefakten wie Rosenkränzen verarbeitet wurde. Im Mittelalter hielt der Deutsche Orden das Monopol auf Besitz, Verarbeitung und Ausfuhr von Bernstein. In Danzig hatten sich viele Bernsteinwerkstätten angesiedelt. Bis zum 18. Jahrhundert waren Kunstwerke aus Bernstein Bestandteil vieler Kunstsammlungen an europäischen Höfen – das Bernsteinzimmer, das Friedrich Wilhelm I. dem russischen Zaren Peter dem Großen schenkte, war ebenfalls in Danzig entstanden. Doch Bernstein diente nicht nur als Schmuck, sondern einige Adelige, wie Louise Charlotte von Schleswig-Holstein-Sonderburg, die Frau des königlichen Statthalters in Königsberg, übten selbst das Hobby des Bernsteindrechseln aus. Louise Charlotte erhielt seit 1715 auf königlichen Befehl jährlich zwei Tonnen Bernstein, um ihrem Hobby frönen zu können. Nicht immer erfolgreich, denn 1724 beklagte sie sich, der in diesem Jahr gelieferte Bernstein sei leider so klein und schlecht, dass er für die Bernsteindrechselei nicht tauge.33

Wichtige Handelsstädte an der Ostsee waren Elbing, eine Gründung von Lübecker Händlern, sowie Danzig und Königsberg. Wie erwähnt verlor Elbing Anfang des 14. Jahrhunderts seinen direkten Zugang zur Ostsee und damit seine Vormachtstellung. Danzig dagegen expandierte nun als Umschlagplatz und kontrollierte einen großen Teil des Handels, der vom preußisch-polnischen Hinterland über die Ostsee verschifft wurde. Die wesentlichen Ausfuhrgüter waren Getreide, Holz, Teer und Flachs. Wein und Salz waren Produkte, die über Danzig eingeführt wurden. Über Elbing dagegen lief der Handel mit England und Schottland, seit die Stadt 1579 der englischen Eastland Company die Niederlassung erlaubt hatte.

Doch so rege Handel und Schifffahrt in den preußischen Städten und Häfen betrieben wurden, für den Welthandel erwies sich die Ostsee als nicht so günstig. Der Zugang zur Nordsee und zum Atlantik war nur über den Öresund, das heißt über dänisches Gebiet, möglich – ein Zugang, der nicht der preußischen Kontrolle unterlag und aufgrund der Zollzahlungen, des Öresundzolls, teuer war. Zudem waren die Ostseehäfen stets der Gefahr ausgesetzt, in militärische Auseinandersetzungen hineingezogen zu werden. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts besetzte Schweden für einige Jahre Elbing, Memel und Pillau; auch der Hafen Kolberg in Hinterpommern wurde erst 1633 von den Schweden geräumt.

Der Zugang über die Flüsse war ein weiteres Problem, das nicht leicht zu lösen war. So versandete die Odermündung sehr häufig. Nach 1648 erhielt Brandenburg-Preußen nach dem Gewinn von Magdeburg zwar über die Elbe eine Verbindung zur Nordsee, doch blieb mit der Durchfahrt bei Hamburg immer ein Nadelöhr bestehen, das Brandenburg in Abhängigkeiten brachte und vor hohe Zollforderungen stellte. Dass die Übernahme Ostfrieslands 1744 vor diesem Hintergrund ein Gewinn für Brandenburg-Preußen war, ist leicht nachvollziehbar.

Über Nord- und Ostsee hinaus lockten die überseeischen Gebiete. Die Niederlande und England hatten vorgemacht, wie man mit Besitz außerhalb Europas und entsprechenden Handelsverbindungen reichen Gewinn erzielen konnte. Die Staaten schlossen mit lokalen Herrschern Pacht- und Handelsverträge und beauftragten dann eine Handelskompanie mit dem Überseehandel; die Gesellschaften hielten die Monopole und erwirtschafteten manchmal Dividenden von 100 Prozent. Die Kompanien waren frühe Aktiengesellschaften; Investoren und Kaufleute erwarben Anteile, die vor allem an der Amsterdamer Börse gehandelt wurden. Nach der Rückkehr der Schiffe erhielten die Anteilseigner ihre Dividende. Die erste Börse gab es in Berlin übrigens 1685, in Königsberg bereits seit 1613. Nachdem die Berliner Kaufleute zunächst im Haus des Amtes Mühlenhof auf dem Mühlendamm zusammengekommen waren, stellte ihnen Friedrich Wilhelm I. 1738 das ehemalige Gartenhaus im Lustgarten zur Verfügung. Neben Waren und Wechseln wurden dort unter anderem Aktien der Emder Heringsfischereigesellschaft und der Preußischen Seehandlung gehandelt.

Somit machte sich Brandenburg-Preußen im 17. Jahrhundert also auch auf ins koloniale Abenteuer in Übersee. Zunächst richtete man seine Blicke nach Indonesien, der wichtigsten Kolonie der Niederländer, die im Europa des 17. Jahrhunderts die bedeutendste Kolonialmacht waren. 1647 gab es erste Pläne, eine Brandenburgisch-Ostindische Gesellschaft zu gründen, die an die Erfolge der britischen East India Company und vor allem an das Vorbild der holländischen Verenigde Oost Indische Compagnie anknüpfen sollte. Doch scheiterten all diese Versuche an fehlenden Geldern oder Konflikten mit dem Personal.

Zum Katalysator für das koloniale Engagement Brandenburgs wurde der holländische Kaufmann und Reeder Benjamin Raule, der seine zehn Schiffe 1675 aus wirtschaftlicher Not heraus unter brandenburgische Flagge stellte. Das Engagement begann mit einem für die Frühe Neuzeit typischen Kaperkrieg, in dem Raule, durch Kaperbriefe Friedrich Wilhelms legitimiert, in wenigen Wochen zahlreiche schwedische Schiffe aufbrachte. Dem internationalen Seerecht zufolge durften souveräne Territorien in der Frühen Neuzeit Kaperbriefe ausstellen, die erlaubten, Schiffe anderer Territorien zu kapern. Als Raule daraufhin in Holland als Seeräuber verfolgt wurde, floh er und übersiedelte von Vlissingen nach Berlin, wo er in den folgenden Jahren die brandenburgische Flotte aufbaute. Die bekannteste Episode der frühen brandenburgischen Marinegeschichte ist die Kaperung des spanischen Schiffes „Carolus Secundus“, das nach Pillau bei Königsberg gebracht wurde. Dort fuhr die „Carolus Secundus“ in den folgenden Jahren als Flaggschiff der brandenburgischen Marine unter dem Namen „Markgraf von Brandenburg“. Die Flagge der neuen Marine zeigte einen roten Adler auf weißem Tuch, der den Kurhut trug und Zepter und Schwert hielt.

1680 startete dann eine Mission von zwei brandenburgischen Schiffen nach Westafrika, um zu prüfen, ob man dort Befestigungsanlagen aufbauen könnte. Das heutige Ghana sowie die heute zu Mauretanien gehörende Insel Arguin erwiesen sich als günstig, um Handelsstützpunkte aufzubauen. Die Goldküste Ghanas bot genügend Potential für Sklaven- und Goldhandel und ein Handels- und Freundschaftsvertrag mit dem Stamm der Ahanta war schnell geschlossen. Die Handels- und Kolonialaktivitäten wurden in der „Brandenburgisch-Afrikanischen Companie“ (BAC) gebündelt, die ihren Sitz ab 1683 in Emden hatte. Ein Vertrag mit Emden sicherte den Stützpunkt und war gleichzeitig eine gute Vorbereitung, um 1744, als die ostfriesischen Regenten ausstarben, einen Fuß in Ostfriesland zu haben. Das von Friedrich Wilhelm erlassene Privileg legte den Handel auf Pfeffer, Elfenbein, Gold und Sklaven fest.

Somit war Brandenburg also am Sklavenhandel beteiligt; über die BAC dürften etwa 10.000 bis 30.000 Sklaven gehandelt worden sein. Die Schiffe brachten die Sklaven von Afrika in die Karibik, wo ein Teil der Antillen-Insel St. Thomas, den Friedrich Wilhelm 1685 vom dänischen König gepachtet hatte, als Stützpunkt diente. Auf dem Rückweg führten die Schiffe unter anderem Zucker, Baumwolle, Kakao und Sirup nach Europa. Aus dem Senegal wiederum, wo Brandenburg einen Handelsplatz auf der ebenfalls 1685 erworbenen Insel Arguin einrichtete, führte man Gummiarabikum ein, das in der Textilfärberei eingesetzt, aber auch zum Anmachen von Malerfarben verwendet wurde.34

Das koloniale Engagement Brandenburg-Preußens diente dem Handel mit Rohstoffen und mit Sklaven. Es führte jedoch auch zum stetigen Aufbau einer eigenen Flotte. Fuhr man bis 1684 nur mit gemieteten Schiffen, so kaufte Friedrich Wilhelm 1684 Schiffe von Benjamin Raule, was als Geburtsstunde der brandenburgisch-preußischen Marine gilt. In den 1680er-Jahren besaß Brandenburg ungefähr 30 Kriegs- und bewaffnete Handelsschiffe. Nach Verlustgeschäften und einigen personellen Querelen verkaufte Friedrich Wilhelm I. die BAC 1717 an die Niederländische Westindien-Kompanie (WIC). Die Ruine des Fort Groß Friedrichsburg an der Küste Ghanas gehört heute zum Weltkulturerbe der UNESCO.

Die Kontakte nach Afrika und Übersee befriedigten nicht nur den Bedarf nach exotischen Gütern, sondern sie bedienten auch eine „Mode“ der Frühen Neuzeit, nämlich jene, einen eigenen „Mohren“ im Haus zu haben.35 Afrikaner dienten am Hof als Kammer- oder Hofmohren, sie versahen Dienste in adeligen Familien und sie gehörten zur Militärmusik. Der Afrikaner Friedrich Wilhelm war 1699 beispielsweise als Kammermohr am Berliner Hof tätig. Und unter Friedrich Wilhelm I. spielten Afrikaner in der Militärmusik. Die Mohrenstraße in Berlin zeugt heute noch von den dort wohnenden „Mohren“, die im Regiment Gens d’armes Trompete spielten.

Einige „Mohren“ übten auch freie Berufe aus. So betrieb der Afrikaner Olivier aus Holland Anfang der 1720er ein Kaffeehaus am Berliner Lustgarten und der Leibmohr der Kurfürstin Dorothea, Friedrich de Coussy, verdiente sich nach einer dreijährigen Ausbildung, die der Hof finanzierte, sein Geld als Maler. Gerne kaufte man „Mohrenkinder“, die dann getauft wurden, christliche Namen erhielten und christlich erzogen wurden. In den Diensten der Adeligen gehörten die Afrikaner zum Gesinde und hatten auch diesen Status. Wenn sie heirateten und Kinder bekamen, übernahmen die Adeligen häufig die Patenschaft für die Kinder.

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