Читать книгу Alles Mythos! 20 populäre Irrtümer über Preußen - Astrid von Schlachta - Страница 8
Preußen ist deutschen Ursprungs
ОглавлениеDie Geschichte Brandenburg-Preußens hat ihren Ursprung in zwei Anfängen. Der eine liegt in der Mark Brandenburg, mit der die Hohenzollern 1417 belehnt wurden. Brandenburg an der Havel ist namensgebende Stadt. Sie war Herrschaftssitz der Fürsten der Heveller, eines westslawischen Stamms, der wie der zweite slawische Stamm in der späteren Mark Brandenburg, die Sprewanen, im 10. Jahrhundert christianisiert worden war. Der letzte slawische Fürst, Pribislaw oder Heinrich mit christlichem Namen, vermachte das Gebiet im frühen 12. Jahrhundert Markgraf Albrecht dem Bären, aus dem Geschlecht der Askanier. Nach einigen Kämpfen mit dem Sprewanenfürsten Jaxa von Köpenick begannen die Askanier, ihre Macht zu festigen und sich territorial auszudehnen.
Als die Hohenzollern 1417 die Herrschaft in der Mark Brandenburg übernahmen, begann die lange Geschichte dieses Geschlechts in Brandenburg. Die Hohenzollern hatten ihren Stammsitz auf der Zollernburg in der Nähe von Hechingen in Schwaben und waren seit dem späten 12. Jahrhundert Burggrafen in Nürnberg gewesen.4 1411 wurde Friedrich VI. von Hohenzollern vom deutschen König Sigismund von Luxemburg zum obersten Hauptmann und Verweser der Mark Brandenburg ernannt. 1415 übertrug der König den Hohenzollern dann offiziell die Markgrafschaft; die förmliche Belehnung fand 1417 statt. Mit ihr waren laut Goldener Bulle von 1356 auch die Kurwürde sowie das Amt des Erzkämmerers des Heiligen Römischen Reichs verbunden. Das Alte Reich hatte sieben Kurfürsten, die den König wählten – die Hohenzollern gehörten nun dazu. Die mittelalterliche Ostwanderung brachte neue Siedler in das weite Land, das die Kurfürsten stetig erweiterten und konsolidierten. Die brandenburgische Frühgeschichte ist also die Geschichte eines „ganz normalen“ Landesaufbaus, wie sie das Heilige Römische Reich Deutscher Nation mehrfach hervorgebracht hat.
Somit beginnt die preußische Geschichte als brandenburgische Geschichte. Auch nach ihrer Rangerhöhung zu Königen in Preußen im Jahr 1701 blieben die Hohenzollern Kurfürsten von Brandenburg, so dass es jedenfalls bis zum 18. Jahrhundert eine historiographische Engführung ist, von „preußischer“ Geschichte zu sprechen. „Preußen“ als Name für den Gesamtstaat setzte sich erst allmählich durch. Noch um 1800 sprach man eher von den „Preußischen Staaten“ oder den „Preußischen Landen“.
Der zweite Anfang liegt im Nordosten, in Regionen, die bis ins 19. Jahrhundert kulturell und ethnisch äußerst vielfältig blieben: Ost- und Westpreußen. Verschiedene Kulturen, Religionen und Sprachen prägten die Region: Deutsch, polnisch und litauisch, lutherisch, reformiert, katholisch, jüdisch und mennonitisch – Vieles hatte Platz und ethnische Konflikte waren nicht an der Tagesordnung. Besonders in den vergangenen Jahren hat die Forschung diesen völkerverbindenden und toleranten Charakter Ost- und Westpreußens wieder verstärkt in den Mittelpunkt gerückt.5
Ost- und Westpreußen hießen die Provinzen erst nach 1772, nachdem sich Österreich, Russland und Preußen polnische Gebiete aufgeteilt hatten und Friedrich II. die neuen Bezeichnungen per Kabinettsorder festgelegt hatte. Vorher war Ostpreußen das Herzogtum Preußen mit Königsberg und Westpreußen hieß „Königlich Preußen polnischen Anteils“. Östlich des Herzogtums Preußen schloss sich Preußisch-Litauen mit den Städten Tilsit und Memel an. Die Region, die im Mittelalter im Besitz des Deutschen Ordens gewesen war, gehörte in der Frühen Neuzeit nicht zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation – was ausschlaggebend dafür war, dass die Kurfürsten von Brandenburg hier 1701 zu Königen in Preußen wurden.
Vor Preußen waren im Nordosten die Prussen. Sie gehörten wie die Kuren, Letten und Litauer zu den baltischen Völkern, waren also ein indoeuropäischer Stamm. Ihr Siedlungsgebiet reichte vom östlichen Unterlauf der Weichsel bis zur Masurischen Seenplatte und der samländischen Halbinsel. Es teilte sich in unterschiedliche prussische Stammes- und Kulturlandschaften auf. Der Chronist des Deutschen Ordens, Peter von Dusberg, überlieferte im 14. Jahrhundert die Sage der zwölf Söhne Könige Widewuts, der von Gotland über das Frische Haff gekommen war. Der Sage nach besiedelten die zwölf Söhne Widewuts die zwölf prussischen Regionen Pomesanien, Warmien, Natangen, Samland, Kulmer Land, Löbau, Pogesanien, Nadrauen, Schalauen, Sudauen, Galinden und Barten.
Die prussische Sprache, die zur baltischen Sprachfamilie gehörte, wurde erst im 16. Jahrhundert schriftlich aufgezeichnet. Sie starb im 17. Jahrhundert aus, hat sich jedoch vor allem in Orts- und Flurnamen erhalten – so weisen etwa die Ortsnamen Berkiten und Berlauken, der Fluss Griselanos bei Osterode und Löbau sowie der See Malsicken bei Kunzkeim auf ihre prussischen Wurzeln hin. Einen Einblick in den Charakter und in den Klang des Prussischen geben frühneuzeitliche Texte, wie beispielsweise der von Pfarrer Abel Will aus Pobethen im Samland übersetzte Lutherische Katechismus aus der Mitte des 16. Jahrhunderts. Nach der Ausgabe von 1545 liest sich das Vaterunser folgendermaßen: „THawe nu∫on kas thu a∫∫e andangon./Swintints wir∫t twais emmens./Pergeis twais laeims/Twais quaits auda∫∫ei∫in na ∫emmey key audangon./Nu∫an deininan geittin dais numons ∫chindeinan./Bha atwerpeis noumans nu∫on au∫chautins/kay mas Ztwer-pimay nu∫on au∫chantnikamans./Bha ny wedais mans enperbandan. Sclait is rankeis mans a∫∫a wargan. Amen.“
Möchte man von der prussischen Geschichte nun zur Geschichte Brandenburg-Preußens kommen, so stellt der Deutsche Orden eine wichtige Brücke dar. Den Schlussstein setzt der letzte Hochmeister des Deutschen Ordens, Albrecht von Brandenburg-Ansbach, der sich der Reformation anschloss und 1525 die Dynastie Hohenzollern und das alte Ordensland Preußen zusammenführte. In diesem Jahr wurde Albrecht vom polnischen König mit dem Rest des Ordenslandes belehnt, wodurch die Gebiete unter die Herrschaft der fränkischen Linie der Hohenzollern kamen.
Der Deutsche Orden entstand während der Kreuzzüge, die das 1187 in muslimische Hände gefallene Jerusalem wieder unter christliche Herrschaft bringen sollten. Deutsche Kreuzfahrer gründeten 1189 in Akkon ein Spital und eine Hospitalgemeinschaft zur Pflege von Kranken, Pilgern und Gebrechlichen. Nach einem weiteren Kreuzzug unter Kaiser Heinrich VI. erhoben die in Akkon anwesenden deutschen Fürsten die Hospitalgemeinschaft 1198 zum Ritterorden, dem „Deutschen Orden“. Auch im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation fasste der Deutsche Orden allmählich Fuß und dehnte seinen Besitz immer mehr aus.
Seit dem 13. Jahrhundert geriet die Ostseeküste ins Visier der Deutschordensritter. Der polnische Piastenherzog Konrad von Masowien holte den Orden 1230 ins Land, um die heidnischen Prussen zu christianisieren. Von Anfang an war der Deutsche Orden bestrebt, das von ihm missionierte Gebiet auch zu besitzen, was er durch Verträge mit dem Herzog von Masowien und dem deutschen Kaiser absichern konnte. Der Orden begann die Landesherrschaft auf- und auszubauen; der jeweilige Hochmeister fungierte als Landesfürst. Wie wichtig dem Orden gerade der weltliche Machtaufbau war, zeigt unter anderem die Tatsache, dass die eigentliche Aufgabe des Ordens mit der Taufe des letzten noch heidnischen Fürsten in der Region, des litauischen Großfürsten Jagiełło, 1386 eigentlich beendet gewesen wäre. Doch der Orden machte weiter und betrieb vom Kulmerland aus die Konsolidierung seines Territoriums.6
Mit der Burg Balga im Frischen Haff erhielt der Orden 1239 einen Zugang zur Ostsee, und 1255 begann er mit dem Bau einer weiteren Burg an der Küste – nach König Ottokar II. von Böhmen benannt, entstand an der Pregelmündung „Königsberg“. Ottokar hatte den Deutschen Orden in einem Feldzug unterstützt, an dessen Ende die Eroberung des Samlandes stand. Thorn, das ebenso wie Kulm 1233 das Stadtrecht erhalten hatte, bildete die Ausgangsbasis, um immer mehr Gebiete nördlich der Weichsel zu erobern – 1308/09 folgten Danzig und Pommerellen, weitere Kriegszüge brachten Samland, Kurland und Teile Livlands. 1309 verlegte der Deutsche Orden seinen Herrschaftssitz von Venedig auf die Marienburg. Für das durch ihn kolonisierte Land verwendete der Deutschen Orden den Namen „Preußen“ – eine Bezeichnung, die im Laufe des 14. Jahrhunderts eigentlich von außen als Landesname zunächst auf die Deutschordensbürger, dann auf die übrige Bevölkerung und das Land übertragen wurde.7
Unter dem Hochmeister Winrich von Kniprode, der das Amt von 1351 bis 1382 innehatte, erlebte der Deutsche Orden den Höhepunkt seiner Macht. Winrich förderte gezielt die Besiedlung an der Weichsel und an der Grenze zu Litauen, und er band die Städte im Ordensland stärker an seine Herrschaft, indem er Eigenständigkeiten begrenzte. Er forcierte zudem Handel und Wirtschaft. So flossen dem Deutschen Orden beispielsweise aus dem Bernsteinmonopol bedeutende Einnahmen zu. Die Christianisierung der Prussen und Litauer trieb Winrich voran und lud Adelige aus ganz Europa ein, in „Preußenfahrten“ genannten Kreuzzügen gegen die heidnischen Völker zu Felde zu ziehen – eine Transformation der Kreuzzugsidee, die im Heiligen Land mit dem Verlust der Stadt Akkon 1291 ihr Ende gefunden hatte.
Im 15. Jahrhundert formierte sich dann jedoch eine immer stärkere Opposition gegen den Orden. Zunehmende Konflikte mit Polen sorgten für Auseinandersetzungen. Mit der Niederlage gegen ein polnisches Heer bei Tannenberg 1410 begann der Niedergang des Ordensstaates. Im 2. Thorner Frieden, der 1466 eine längere Auseinandersetzung zwischen dem Deutschen Orden und einem Bündnis preußischer Städte mit Polen-Litauen beendete, verlor der Orden Pommerellen, das Kulmer Land und das Ermland sowie Teile Pomesaniens mit der Marienburg und Elbing an die polnische Krone. Als „Königlich Preußen“ blieben die Gebiete bis 1772 unter polnischer Lehenshoheit und kamen erst mit der 1. Teilung Polens zu Preußen; das Ermland fiel gleichzeitig an Ostpreußen, so dass sich der gesamte Landweg zwischen Berlin und Königsberg in preußischer Hand befand.