Читать книгу In der Waldklause - Märchen für kleine und große Kinder bis zu 80 Jahre und darüber - Augustin Wibbelt - Страница 6
Einladung
ОглавлениеIch bin es leid. Es wird immer wunderlicher in der Welt. Das ist ein Hasten und Rennen, ein Lärmen und Toben, dass einem alten Manne der Kopf schwindelig wird und die Ohren brummen. Ich gehe fort, ich ziehe in meine Waldklause. Habe mich lange genug geplagt und geplackt; jetzt will ich wenigstens einen ruhigen Lebensabend haben.
Der Schneider soll mir einen langen, braunen Rock machen, warm und wetterfest, wie es sich für einen Waldbruder gehört. Beim Schuster bestelle ich dicke Sandalen, die lange vorhalten; im Sommer kann ich auch barfuß gehen, wie die lieben Tierlein. Dann lasse ich mir, so schnell es geht, einen langen, langen Bart wachsen, der mir Hals und Brust warm hält. Nächstes Jahr reicht er mir schon bis an den ledernen Gürtel. Einen Rucksack habe ich schon und einen dicken Knotenstock auch. Ein paar Töpfe sind leicht beschafft, und was sonst noch nötig ist, findet sich mit der Zeit zusammen. Es steht fest, ich ziehe in meine Waldklause.
Wollt ihr wissen, wo sie liegt? Sie liegt hinter den sieben Bergen, über die Schneewittchen geklettert ist. Die sieben Zwerge sind meine Nachbarn und helfen mir mein Gärtchen zu bauen. Sie liegt mitten in dem Wald, in dem Hänsel und Gretel sich verirrt haben; aber die Knusperhexe ist, Gott sei Dank, tot. Sie ist in ihrem Backofen verbrannt, und der Wind hat die Asche verweht. Die Klause ist fest und stark gebaut, aus dicken Baumstämmen, und alle Ritzen sind mit Moos ausgestopft. Daneben fließt das klare Jungbrünnlein vom Felsen. Jedes Mal, wenn man daraus trinkt, wird man einen Tag jünger. Auch eine Laube ist da von Jelängerjelieber; sie blüht beinahe das ganze Jahr, und da sitze ich an heißen Sommertagen. Für den Winter liegt ein hoher Stapel Holz hinter der Klause, das heizt mir die Kälte weg. Es ist nicht gestohlen, der Förster Specht hat es mir geschenkt. Vorräte habe ich genug. Meister Hamster und Frau Eichhörnchen sind meine Lieferanten, und sie geben es billig. Musikanten habe ich einen ganzen Chor; sie spielen die allerneuesten Stücke umsonst, und wenn ich will, kann ich auch dazu tanzen. Aber das wäre eher etwas für euch, mir geht der Atem aus, wenn ich springe. Mir steht es besser an, aus meinem großen Buche zu beten. Dann läute ich vorher mit meinem Glöcklein, dass die Leute weit draußen auf dem Felde die Mütze abnehmen und sich von fern erbauen an dem frommen Waldbruder.
Und schön ist es hier, wunderbar schön! Ihr glaubt es gar nicht. Die alten Bäume haben Stämme wie Kirchsäulen, und ihre Wipfel wiegen sich im blauen Himmel und brausen wie eine mächtige Orgel. Die Sonnenstrahlen hüpfen durch die Zweige nieder bis zu den stillen Waldblumen und streicheln ihnen über das fromme Gesicht. Das Moos brennt wie grünes Feuer. Und es ist so still, dass man die Käferchen krabbeln hört im Laub. Wenn man ganz angestrengt lauscht, hört man die dicke Hummel husten. Sie ist gestern in den Bach gefallen und wäre ertrunken, wenn ich ihr nicht herausgeholfen hätte. Jetzt hat sie einen leichten Schnupfen. Sie will mir auch zum Danke ein Eichelnäpfchen voll Honig schenken. Ihr dürft einmal daran lecken, wenn ihr mich besucht. Zuweilen weht auch ein leises, tiefes Atmen herüber, dann geht der liebe Gott durch den Wald.
Ja, es ist wunderschön, aber etwas fehlt mir noch. Es ist zu einsam. Ich muss ein bisschen Leben um mich haben. Am liebsten habe ich Kinder. Lustige, kleine Trabanten, mit denen ich ein wenig plaudern kann. Wollt ihr mich nicht zuweilen auf ein Stündchen besuchen kommen in meiner Waldklause? Wenn ihr bange seid vor meinem langen Barte, dann schneide ich ihn wieder ab. Aber er tut euch nichts. Es ist kurzweilig hier, und ich weiß viele Geschichten, schöne Märchen, die man kaum glauben kann, und Gedichte, die sich ganz geschickt reimen, und Rätsel, die man aufknacken muss wie Nüsse, und lustige Spiele. Auch ein paar gute Lehren gebe ich euch dazu, aber nicht zu viel. Was meint ihr nun, wollt ihr zu dem alten Waldbruder kommen, dann und wann auf ein Stündchen?
Ihr denkt wohl, der Weg sei zu weit und schwer zu finden. Keine Sorge, die Sache ist ganz einfach. Ich habe mir ein Luftschiff gekauft, das soll euch abholen und zurückbringen – wuppdich, seid ihr hier, und wuppdich, seid ihr wieder zu Hause. Es ist ein feines Luftschiff, rosenrot angestrichen; darum habe ich es »Morgenrot« getauft. Herauspurzeln wird keins, denn die Bänke sind stark mit Pech bestrichen. Es ist aber Glückspech und lässt zur rechten Zeit los, macht euch keine Flecken. Frau Holle hat mir dies Pech geschenkt, das ist eine gute alte Tante von mir. Hunger braucht ihr bei mir nicht zu leiden. Ich habe mir ein Tischleindeckdich bestellt. Der Schreiner sagt, morgen wäre es fertig; es ist aber teuer gewesen.
Dass mir nur die Knaben keinen Unfug machen und mein Füchslein in den Schwanz kneifen oder gar meinem Häslein das Fell über die Ohren ziehen! Sonst kommt der Knüppel-aus-dem-Sack, der lauert immer hinter meiner Klausentür. Die Mädchen werden schon artig sein, dürfen aber nicht allzu viel plappern. Sonst wird meine Nachbarin, Frau Einsamkeit, verdrießlich. Singen und springen dürft ihr, so viel ihr wollt. Dabei werdet ihr gute Gesellschaft haben. Frau Nachtigall hat viele neue Lieder eingeübt und die Eichhörnchen allerlei Reigentänze. Sogar das Schnecklein hat verlauten lassen, es wolle mittanzen. Ich fürchte aber, dass es etwas langsam geht, denn es will sein Häuslein nicht zu Hause lassen.
Also, liebe Kinder, kommt zum Waldbruder!