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44. Vortrag

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Einleitung.

Vierundvierzigster Vortrag.

Von da an: „Als er vorüberging, sah er einen Menschen, der blind geboren war“, bis dahin: „Nun aber sagt ihr: Wir sehen, ― eure Sünde bleibt“. Joh. 9, 1―41.

1.

Von dem Menschen, den der Herr Jesus sehend machte, der blind geboren war, ist ein ausführliches Lesestück vorgelesen worden. Wollten wir dasselbe ganz abzuhandeln versuchen, gemäß seiner Bedeutung, so gut wir es vermögen, alles einzelne betrachtend, so würde der Tag nicht hinreichen. Darum bitte und ermahne ich eure Liebe, daß ihr für das, was schon klar ist, von uns keine Erläuterung fordert; denn es würde allzu lang sein, bei dem einzelnen zu verweilen. Kurz also lege ich das Geheimnis dieses sehend gewordenen Blinden dar. Das nämlich, was unser Herr Jesus Christus Staunenswertes und Wunderbares getan hat, sind Werke und Worte zugleich: Werke, weil es Taten sind, Worte, weil es Zeichen sind. Wenn wir also erwägen, was das Ereignis bedeutet, so ist dieser Blinde das Menschengeschlecht. Denn diese Blindheit trat im ersten Menschen durch die Sünde ein, von dem wir also nicht bloß den Tod, sondern auch die Sünde geerbt haben. Wenn nämlich Blindheit der Unglaube ist, und Erleuchtung der Glaube, welchen Gläubigen hat dann Christus bei seiner Ankunft gefunden? Sagt ja doch der Apostel, der im Volke der Propheten geboren war: „Auch wir waren einst von Natur Kinder des Zornes, wie auch die übrigen“1223. Wenn „Kinder des Zornes“, dann Kinder der Rache, Kinder der Strafe, Kinder der Hölle. Wie doch „von Natur“, als weil durch die Sünde des ersten Menschen die Sündhaftigkeit wie zur Natur geworden ist?1224 Wenn aber die Sündhaftigkeit wie zur Natur geworden ist, dann ist dem Geiste nach jeder Mensch blind geboren. Denn wenn er sieht, bedarf er keines Führers; wenn er aber einen Führer und Erleuchter nötig hat, nun dann ist er blind von Geburt.

2.

Es kam der Herr; was tat er? Ein großes Geheimnis legte er uns ans Herz. „Er spuckte auf die Erde“, machte mit seinem Speichel eine weiche Masse ― denn „das Wort ist Fleisch geworden“1225 ― und salbte die Augen des Blinden. Er war gesalbt und sah noch nicht. Er schickte ihn zum Teich, der Siloe genannt wird. Es lag aber dem Evangelisten daran, uns den Namen dieses Teiches bekannt zu geben, und er sagt darum: „was verdolmetscht heißt: der Gesandte“. Wer gesandt wurde, wißt ihr schon; denn wenn jener nicht gesandt worden wäre, so wäre keiner von uns von der Sünde befreit worden. Er wusch also die Augen in jenem Teiche, der verdolmetscht wird: „der Gesandte“, er wurde getauft in Christus. Wenn er ihn nun, da er ihn in sich selbst gewissermaßen taufte, damals erleuchtete, so hat er ihn, als er ihn salbte, vielleicht zum Katechumenus gemacht. Man kann zwar die Tiefe des so großen Geheimnisses noch auf manche andere Weise erklären und darlegen, doch dies möge eurer Liebe genügen; ihr habt ein großes Geheimnis vernommen. Frage einen Menschen: Bist du ein Christ?1226 Er antwortet dir: Nein, wenn er ein Heide oder Jude ist. Wenn er aber sagt: Ja, so fragst du ihn noch: Bist du ein Katechumenus oder ein Gläubiger? Wenn er aber antwortet: Ein Katechumenus, so ist er gesalbt, noch nicht gewaschen. Allein warum gesalbt? Frage und er antwortet; frage ihn, an wen er glaubt; gerade weil er Katechumenus ist, sagt er: an Christus. Siehe, ich rede jetzt zu Gläubigen und Katechumenen. Was habe ich vom Speichel und der weichen Masse gesagt? Daß das Wort Fleisch geworden ist. Das hören auch die Katechumenen, aber es genügt ihnen nicht für das, wozu sie gesalbt worden sind; sie mögen zur Taufe eilen, wenn sie das Licht suchen.

3.

Nun also wollen wir wegen einiger in diesem Lesestück enthaltenen Fragen die Worte des Herrn und des ganzen Lesestückes selbst mehr rasch durchgehen als abhandeln. „Beim Hinweggehen sah er einen blinden Menschen“, nicht einen irgendwie blinden, sondern „von Geburt“. „Und es fragten ihn seine Jünger: Rabbi“ ― ihr wißt, „Rabbi“ ist ein Lehrer. Sie nannten ihn Lehrer, weil sie zu lernen verlangten; sie legten nämlich dem Herrn als dem Lehrer eine Frage vor: „Wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, so daß er blind geboren wurde? Jesus antwortete: Weder dieser hat gesündigt noch seine Eltern“, so daß er blind geboren wurde. Was hat er da gesagt? Wenn kein Mensch ohne Sünde ist, waren dann etwa die Eltern dieses Blinden ohne Sünde? War etwa er selbst entweder ohne Erbsünde oder hatte er im Leben nichts hinzugefügt? Oder waren etwa, weil seine Augen geschlossen waren, die Begierden gar nicht wach? Wieviel Böses begehen die Blinden? Von welcher Art des Bösen enthält sich ein böses Herz, auch wenn die Augen geschlossen sind? Er konnte nicht sehen, aber er war imstande zu denken und vielleicht etwas zu begehren, was ein Blinder nicht vollbringen, was jedoch im Herzen gerichtet werden kann vom Herzenserforscher. Wenn also sowohl seine Eltern eine Sünde hatten, als auch er selbst eine Sünde hatte, warum sprach der Herr: „Weder dieser hat gesündigt, noch seine Eltern“ als eben wegen der Sache, worüber er gefragt wurde, „daß er blind geboren wurde“? Es hatten nämlich zwar seine Eltern eine Sünde, aber nicht wegen dieser Sünde geschah es, daß er blind geboren wurde. Wenn es nun nicht wegen der Sünde der Eltern geschah, daß er blind geboren wurde, warum ist er dann blind geboren worden? Höre, wie der Meister lehrt; er sucht einen Glaubenden, um ihm das Verständnis beizubringen. „Weder dieser hat gesündigt“, sagt er, „noch seine Eltern, sondern damit die Werke Gottes an ihm offenbar werden“.

4.

Was folgt dann weiter? „Ich muß die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat.“ Siehe, er ist der „Gesandte“, in welchem der Blinde sein Gesicht wusch. Und sehet, was er gesagt hat: „Ich muß die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist“. Erinnert euch, wie er alle Ehre dem gibt, von dem er ist, weil jener einen Sohn hat, der von ihm ist, er selbst aber keinen hat, von dem er ist. Aber warum, o Herr, hast Du gesagt: „Solange es Tag ist“? Höre den Grund. „Es kommt die Nacht, da niemand wirken kann.“ Auch Du nicht, o Herr? Wird jene Nacht soviel vermögen, daß auch Du in ihr nicht wirken kannst, dessen Werk die Nacht ist? Denn ich meine, Herr Jesu, ja ich meine nicht, sondern ich glaube und spreche es offen aus, daß Du dabei gewesen, als Gott sagte: „Es werde Licht, und es ward Licht“1227. Denn wenn er es durch das Wort gemacht hat, dann hat er es durch Dich gemacht, und darum heißt es: „Alles ist durch dasselbe gemacht worden, und ohne dasselbe ist nichts geworden“1228. „Gott schied zwischen Licht und Finsternis; das Licht nannte er Tag und die Finsternis nannte er Nacht“1229.

5.

Welches ist jene Nacht, bei deren Erscheinen niemand wird wirken können? Höre, was der Tag ist, und dann wirst du erkennen, was die Nacht ist. Er selbst soll es sagen: „Solange ich in dieser Welt bin, bin ich das Licht der Welt“. Siehe, er selbst ist der Tag. Es wasche der Blinde seine Augen am Tage1230, damit er den Tag sehe. „Solange ich in der Welt bin“, sagt er. „bin ich das Licht der Welt.“ Es wird also irgendwie eine Nacht eintreten, wenn Christus nicht mehr da ist; deshalb wird dann niemand wirken können. Wir müssen noch weiter forschen, meine Brüder; höret mich geduldig an, wenn ich forsche; ich forsche mit euch, mit euch werde ich die Antwort bei dem finden, den ich frage. Es steht fest, es ist ausdrücklich gesagt und bestimmt, als Tag habe der Herr an dieser Stelle sich selbst bezeichnet d. h. als Licht der Welt. „Solange ich in dieser Welt bin“, sagt er, „bin ich das Licht der Welt“. Also er selbst wirkt. Wie lange aber ist er in dieser Welt? War er etwa, Brüder, damals hier, und ist er jetzt nicht hier? Wenn wir das meinen, so ist also nach der Himmelfahrt des Herrn bereits jene furchtbare Nacht eingetreten, wo niemand wirken kann. Wenn nach der Himmelfahrt des Herrn jene Nacht gekommen ist, wie haben dann die Apostel so Großes gewirkt? War etwa diese Nacht, als der Heilige Geist kam und alle an einem Orte Anwesenden erfüllte und ihnen in den Sprachen aller Völker zu reden verlieh1231? War es etwa Nacht, als jener Lahme auf das Wort des Petrus hin gesund gemacht wurde, oder vielmehr auf das Wort des Herrn, der in Petrus wohnte1232? War es etwa Nacht, als beim Erscheinen der Jünger die Kranken mit ihren Betten hingelegt wurden, damit sie wenigstens vom Schatten der Vorübergehenden getroffen würden1233? Der Herr selbst aber hat, als er noch hier weilte, niemand durch seinen Schatten gesund gemacht, er hatte jedoch zu den Jüngern gesagt: „Ihr werdet Größeres tun als das“1234. Der Herr hatte zwar gesagt: „Ihr werdet Größeres tun als das“, allein Fleisch und Blut möge sich nicht erheben, es höre ihn, wie er sagt: „Ohne mich könnt ihr nichts tun“1235.

6.

Also wie? Was werden wir von dieser Nacht sagen? Wann wird die Zeit kommen, da niemand mehr wirken kann? Das wird die Nacht der Gottlosen sein, das wird die Nacht derjenigen sein, zu welchen am Ende gesagt wird: „Gehet hin in das ewige Feuer, das dem Teufel und seinen Engeln bereitet ist“1236. Aber es heißt doch „Nacht“, nicht Flamme, nicht Feuer. Höre, daß es auch eine Nacht ist. Von einem gewissen Knechte sagt er: „Bindet ihm Hände und Füße, und werfet ihn hinaus in die äußerste Finsternis“1237. Also soll der Mensch wirken, solange er lebt, damit er nicht von jener Nacht überrascht werde, wo niemand mehr wirken kann. Jetzt muß der Glaube durch die Liebe wirken, und wenn wir jetzt wirken, das* ist* der Tag,* das* ist Christus. Höre, was er verspricht, und halte ihn nicht für abwesend. Er hat gesagt: „Siehe, ich bin bei euch“. Wie lange? Ängstigen wir uns nicht, die wir noch leben; wenn es möglich wäre, würden wir mit diesem Worte auch die später lebenden Nachkommen vollständig beruhigen. „Siehe“, sagt er, „ich bin bei euch bis zum Ende der Welt“1238. Dieser Tag, der durch den Umlauf der Sonne bewirkt wird, hat wenige Stunden, jedoch der Tag der Gegenwart Christi erstreckt sich bis zum Ende der Welt. Nach der Auferstehung der Lebendigen und Toten aber, wenn er zu den auf der Rechten Stehenden sagen wird: „Kommet, ihr Gesegneten meines Vaters, besitzet das Reich“, zu den auf der Linken Stehenden aber: „Gehet hin in das ewige Feuer, das dem Teufel und seinen Engeln bereitet ist“1239, da wird die Nacht sein, wo niemand mehr wirken, sondern nur in Empfang nehmen kann, was er gewirkt hat. Es ist etwas anderes die Zeit der Wirksamkeit und etwas anderes die Zeit der Vergeltung; denn der Herr wird einem jeden vergelten nach seinen Werken1240. Solange du lebst, wirke, wenn du wirken willst; denn dann wird eine gewaltige Nacht kommen, welche die Gottlosen einhüllt. Indes auch jetzt wird jeder Ungläubige bei seinem Tode von jener Nacht aufgenommen; er hat dort keine Möglichkeit mehr, etwas zu wirken. In jener Nacht war der Reiche in Gluthitze und verlangte nach einem Tropfen Wassers von dem Finger des Armen; er litt Schmerzen, empfand Angst, machte ein Geständnis, und es wurde ihm keine Hilfe gebracht, er versuchte Gutes zu tun. Denn er sprach zu Abraham: „Vater Abraham, schicke den Lazarus zu meinen Brüdern, daß er ihnen sage, was hier vorgeht, damit nicht auch sie in diesen Ort der Qualen kommen“1241. O Unglücklicher! Als du noch am Leben warst, da war die Zeit zu wirken; jetzt bist du bereits in der Nacht, in der niemand mehr wirken kann.

7.

„Als er dies gesagt hatte, spuckte er auf die Erde und machte einen Teig aus dem Speichel und strich den Teig auf seine Augen und sagte zu ihm: Geh und wasche dich im Teiche Siloe (was verdolmetscht wird: der Gesandte). Er ging also hin und wusch sich und kam sehend zurück.“ Weil dies klar ist, wollen wir es übergehen.

8.

„Die Nachbarn nun und die ihn zuvor beim Betteln gesehen hatten, sagten: Ist dies nicht der, welcher saß und bettelte? Die einen sagten: Er ist es; andere: Keineswegs, sondern er ist ihm nur ähnlich.“ Die geöffneten Augen hatten sein Gesicht verändert. „Jener sagte: Ich bin es.“ Eine dankbare Stimme, damit sie nicht als undankbar verdammt würde. „Da sprachen sie zu ihm: Wie sind deine Augen geöffnet worden? Er antwortete: Jener Mensch, welcher Jesus heißt, machte einen Teig und bestrich meine Augen und sagte zu mir: Gehe zum Teiche Siloe und wasche dich. Und ich ging hin und wusch mich und sah.“ Siehe, er ist ein Verkünder der Gnade geworden; siehe, er bringt frohe Botschaft, er bekennt als ein Sehender. Jener Blinde legte ein Bekenntnis ab, und das Herz der Gottlosen wurde gebrochen1242, weil sie nicht im Herzen hatten, was jener bereits im Gesichte hatte. „Sie sagten zu ihm: Wo ist der, welcher dir die Augen geöffnet hat? Er sprach: Ich weiß es nicht.“ Bei diesen Worten ist sein Geist ähnlich einem erst Gesalbten1243, noch nicht einem Sehenden. Nehmen wir an, Brüder, er habe jene Salbung im Herzen gehabt. Er preist und weiß nicht, wen er preist.

9.

„Sie führten den, der blind gewesen war, zu den Pharisäern. Es war aber Sabbat, als Jesus den Teig machte und seine Augen öffnete. Abermals also fragten ihn die Pharisäer, wie er sehend geworden sei. Jener aber sagte zu ihnen: Er legte mir einen Teig auf die Augen, und ich wusch mich und sah. Da sagten einige aus den Pharisäern“ ― nicht alle, sondern einige, denn bereits waren einige gesalbt. Was also sagten die weder Sehenden noch Gesalbten? „Dieser Mensch ist nicht von Gott, weil er den Sabbat nicht hält.“ Richtiger gesagt, hielt gerade er den Sabbat, der da ohne Sünde war. Denn der geistige Sabbat ist dies: keine Sünde zu haben. Um es kurz zu sagen, Brüder, daran erinnert Gott, da er den Sabbat einschärft: „Ihr sollt kein knechtliches Werk tun“1244. Das sind die Worte des den Sabbat einschärfenden Gottes: „Ihr sollt kein knechtliches Werk tun“. Befraget nur die früheren Lesungen, was ein knechtliches Werk sei1245, und höret den Herrn: „Jeder, der Sünde tut, ist ein Knecht der Sünde“1246. Aber diese, die, wie ich gesagt, weder sahen noch gesalbt waren, beobachteten den Sabbat fleischlich, verletzten ihn aber geistig. „Die einen sagten: Wie kann ein sündhafter Mensch diese Zeichen tun?“ Siehe, sie sind gesalbt. „Und es war eine Spaltung unter ihnen.“ Jener Tag hatte Licht und Finsternis voneinander geschieden. „Sie sagten also abermals zu dem Blinden: Was sagst* du* von dem, der deine Augen geöffnet hat?“ Was hältst du von ihm? Was meinst du? Was urteilst du? Sie suchten danach, wie sie dem Menschen einen Strick drehen könnten, damit er aus der Synagoge ausgestoßen, aber von Christus gefunden würde. Allein jener blieb fest bei seiner Meinung. Er sprach nämlich: „Ein Prophet ist er“. Vorläufig war gesalbt im Herzen, bekennt er noch nicht den Sohn Gottes und spricht doch nicht die Unwahrheit. Denn der Herr selbst sagt von sich: „Ein Prophet ist nicht ohne Ehre, außer in seinem Vaterlande“1247.

10.

„Die Juden glaubten nun nicht von ihm, daß er blind gewesen und sehend geworden sei, bis sie die Eltern dessen riefen, der sehend geworden“, d. h. der blind gewesen und nunmehr sah. „Und sie fragten diese und sprachen: Ist dies euer Sohn, von dem ihr sagt, daß er blind geboren sei? Wie also sieht er jetzt? Seine Eltern antworteten ihnen und sagten: Wir wissen, daß dies unser Sohn ist, und daß er blind geboren ist; wie er aber jetzt sieht, wissen wir nicht, oder wer seine Augen geöffnet hat, wissen wir nicht. Und sie sagten: Fraget ihn selbst, er ist alt genug; er mag für sich selbst reden.“ Er ist zwar unser Sohn, aber mit Recht würde man uns zwingen für ein Kind zu reden, weil es selbst für sich nicht reden könnte; seit langem redet er, jetzt sieht er auch; als blind geboren kennen wir ihn; daß er redet, wissen wir schon lange; daß er sieht, sehen wir jetzt, fraget ihn selbst, damit ihr Belehrung empfanget; was macht ihr uns Schwierigkeiten? „Das sprachen seine Eltern, weil sie die Juden fürchteten. Denn bereits waren die Juden übereingekommen, daß einer, wenn er ihn als Christus bekennen würde, aus der Synagoge gestoßen werden sollte.“ Es war schon kein Übel mehr, aus der Synagoge gestoßen zu werden. Jene stießen ihn aus, aber Christus nahm ihn auf. „Darum sagten seine Eltern: Er ist alt genug, fraget ihn selbst.“

11.

„Sie riefen nun wieder den Menschen, der blind gewesen war, und sagten zu ihm: Gib Gott die Ehre.“ Was heißt das: „Gib Gott die Ehre“? Verleugne, was du empfangen hast. Das heißt aber fürwahr nicht Gott die Ehre geben, sondern vielmehr Gott lästern. „Gib“, sagen sie, „Gott die Ehre. Wir wissen, daß dieser Mensch ein Sünder ist. Da sprach jener: Ob er ein Sünder ist, weiß ich nicht; das eine weiß ich, daß ich, obwohl ich blind war, nunmehr sehe. Da sagten sie zu ihm: Was hat er dir getan? Wie hat er dir die Augen geöffnet?“ Und jener, der bereits unwillig zu werden anfing gegen die Härte der Juden und, aus einem Blinden sehend geworden, die Blinden nicht mehr ertragen konnte, „antwortete ihnen: Ich habe es euch schon gesagt, und ihr habt es gehört; warum wollt ihr es nochmals hören? Wollt etwa auch ihr seine Jünger werden?“ Was heißt das: „Wollt etwa auch ihr“, als: Ich bin es schon? „Wollt etwa auch ihr?“ Ich sehe bereits, aber ich bin nicht neidisch1248.

12.

„Da beschimpften sie ihn und sagten: Sei du sein Jünger!“ Eine solche Beschimpfung komme über uns und unsere Kinder! Eine Beschimpfung nämlich ist es, wenn du ihr Herz erforschest, nicht wenn du dich an die Worte hältst. „Wir aber sind des Moses Jünger; wir wissen, daß Gott zu Moses geredet hat, von diesem aber wissen wir nicht, woher er ist.“ O wenn ihr nur wüßtet, „daß Gott zu Moses geredet hat“, dann wüßtet ihr auch, daß Gott durch Moses verkündet wurde. Denn es ist euch bekannt, daß der Herr sagt: „Wenn ihr dem Moses glauben würdet, dann würdet ihr auch mir glauben; denn von mir hat er geschrieben“1249. So folget ihr also dem Knechte und kehret dem Herrn den Rücken? Aber ihr folget auch nicht dem Knechte; denn durch ihn würdet ihr zum Herrn geführt werden.

13.

„Jener Mensch antwortete und sagte zu ihnen: Das ist doch wunderbar, daß ihr nicht wisset, woher er ist, und er hat meine Augen geöffnet. Wir wissen aber, daß Gott die Sünder nicht hört, sondern wenn einer ein Verehrer Gottes ist und seinen Willen tut, diesen erhört er.“ Er redet noch als ein bloß Gesalbter1250, denn auch die Sünder erhört Gott. Denn wenn Gott die Sünder nicht erhören würde, so würde jener Zöllner umsonst, seine Augen zur Erde senkend und an seine Brust schlagend, sagen: „Herr, sei mir Sünder gnädig“1251. Auch dieses Bekenntnis verdiente die Rechtfertigung, wie jener Blinde das Sehendwerden. „Von Anfang ist es nicht erhört worden, daß einer die Augen eines Blindgeborenen geöffnet hat. Wenn dieser nicht von Gott wäre, so könnte er solches nicht tun.“ Ein freimütiges, standhaftes, wahres Wort! Denn was vom Herrn geschah, von wem sollte es geschehen als von Gott? Oder wann würde von den Jüngern solches vollbracht, wenn nicht der Herr in ihnen wohnte?

14.

„Sie antworteten und sagten zu ihm: Du bist ganz in Sünden geboren.“ „Ganz“ ― was heißt das? Mit geschlossenen Augen. Allein der die Augen erschloß, heilt auch das Ganze; der wird die Auferstehung zur Rechten geben, der im Gesichte das Sehen gegeben. „Du bist ganz in Sünden geboren und du lehrst uns? Und sie stießen ihn hinaus.“ Sie selbst haben ihn zum Lehrmeister gemacht; sie selbst haben ihn, um zu lernen, so oft gefragt, und in ihrer Undankbarkeit stießen sie den Lehrer hinaus.

15.

Allein, wie schon vorhin bemerkt, Brüder, jene stoßen aus, der Herr nimmt auf; denn um so mehr ist er ein Christ geworden, weil er ausgestoßen wurde. „Jesus hörte, daß sie ihn ausgestoßen hatten, und da er ihn traf, sagte er zu ihm: Glaubst du an den Sohn Gottes?“ Jetzt wäscht er ihm das Gesicht des Herzens. „Jener antwortete und sagte“ ― gleichsam wie ein vorerst bloß Gesalbter ―: „Wer ist es, Herr, daß ich an ihn glaube? Und Jesus sagte zu ihm: Du hast ihn gesehen, und der mit dir redet, der ist es.“ Gesandt wurde dieser, jener wusch sich sein Gesicht im Siloe, was verdolmetscht wird: der Gesandte. Endlich, nachdem bereits das Gesicht des Herzens gewaschen und das Gewissen gereinigt war, erkannte er ihn nicht mehr bloß als Menschensohn, an den er schon vorher geglaubt hatte, sondern auch als den Sohn Gottes, der Fleisch angenommen hatte, und „sprach: Ich glaube, Herr“. „Ich glaube“, ist zu wenig. Willst du sehen, an wen er glaubt? „Er fiel nieder und betete ihn an.“

16.

„Und Jesus sprach zu ihm“ ― jetzt ist jener Tag, der Licht und Finsternis scheidet ―: „Ich bin zum Gericht in diese Welt gekommen, damit, die nicht sehen, sehen, und die sehen, blind werden“. Was heißt das, o Herr? Eine schwierige Frage hast du den bereits Ermüdeten vorgelegt, aber richte unsere Kräfte auf, damit wir verstehen können, was Du gesagt hast. Du bist gekommen, damit „die nicht sehen, sehen“; richtig, denn Du bist das Licht; richtig, denn Du bist der Tag; richtig, denn Du befreist von der Finsternis: das versteht jede Seele, das sieht jeder ein. Was heißt aber das, was folgt: „und die sehen, blind werden“? Also weil Du gekommen bist, werden die blind, die sehen? Höre, was folgt, und vielleicht wirst du es erfassen.

17.

Bei diesen Worten nun entrüsteten sich „einige aus den Pharisäern und sagten zu ihm: Sind etwa auch wir blind?“ Höre nun, was sie entrüstete: „Damit, die sehen, blind werden“. „Jesus sprach zu ihnen: Wenn ihr blind wäret, hättet ihr keine Sünden“, obwohl die Blindheit selbst schon Sünde ist. „Wenn ihr blind wäret“, d. h. wenn ihr euch als blind erkennen, wenn ihr euch als blind bekennen und zum Arzte eilen würdet, „wenn“ ihr also so „blind wäret, hättet ihr keine Sünde“, weil ich gekommen bin, die Sünde hinwegzunehmen. „Nun aber sagt ihr: Wir sehen: eure Sünde bleibt.“ Warum? Weil ihr, sprechend: „Wir sehen“, den Arzt nicht suchet und so in eurer Blindheit verbleibet. So also ist zu verstehen, was wir vorher nicht verstanden hatten, wo er sagt: „Ich bin gekommen, damit, die nicht sehen, sehen“. Was heißt das: „Damit, die nicht sehen, sehen“? Damit die, welche bekennen, daß sie nicht sehen, und den Arzt suchen, sehen. „Und die sehen, blind werden.“ Was heißt das: „Damit, die sehen, blind werden“? Damit die, welche zu sehen meinen und den Arzt nicht suchen, in ihrer Blindheit verbleiben. Also diese Scheidung nannte er Gericht, da er sprach: „Ich bin zum Gerichte in diese Welt gekommen“, womit er die Sache derjenigen, die glauben und bekennen, von den Stolzen scheidet, die da meinen, daß sie sehen, und die darum um so mehr verblendet werden; gleich als ob der bekennende und den Arzt suchende Sünder zu ihm sprechen würde: „Richte mich, o Gott, und scheide meine Sache von dem unheiligen Volke“1252, derer nämlich, welche sagen: „Wir sehen“, und ihre Sünde bleibt. Nicht aber hat er jetzt schon jenes Gericht über die Welt verhängt, das er über die Lebendigen und Toten am Ende der Welt abhalten wird. Im Sinne dieses Gerichtes hatte er gesagt: „Ich richte niemand“1253, weil er zuerst kam, „nicht um die Welt zu richten, sondern damit die Welt durch ihn gerettet werde“1254.

Vorträge über das Johannes-Evangelium, Band 2

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