Читать книгу Vorträge über das Johannes-Evangelium, Band 2 - Augustinus von Hippo - Страница 13
47. Vortrag
ОглавлениеEinleitung.
Siebenundvierzigster Vortrag.
Von da an, wo es heißt: „Ich bin der gute Hirt und kenne meine Schafe“ usw., bis dahin: „Kann etwa der Teufel die Augen der Blinden öffnen?“ Joh. 10, 14―21.
1.
Ihr, die ihr das Wort unseres Gottes nicht bloß gern, sondern auch aufmerksam hört, erinnert euch ohne Zweifel unseres Versprechens. Dasselbe evangelische Lesestück ist ja auch heute verlesen worden, welches am letztvergangenen Sonntag zur Verlesung kam, und zwar deshalb, weil wir wegen längeren Verweilens bei schwierigen Stellen nicht alles besprechen konnten, was wir eurer Gemütsstimmung schuldeten. Darum werden wir das, was schon gesagt und behandelt worden ist, heute nicht mehr untersuchen, damit wir nicht durch Wiederholung des nämlichen zu dem zu kommen, was noch nicht gesagt wurde, verhindert werden. Ihr wißt bereits im Namen des Herrn, wer der gute Hirt ist, und wie die guten Hirten seine Glieder sind, und daß deshalb nur* ein* Hirt ist; ihr wißt, wer der Mietling ist, den man ertragen muß; wer der Wolf, wer die Diebe und Räuber, die man meiden muß; wer die Schafe sind, welches die Türe ist, durch die wohl die Schafe wie der Hirte eingehen; wer unter dem Türhüter zu verstehen ist; ihr wißt auch, daß jeder, der nicht durch die Türe eingeht, ein Dieb und Räuber ist und nur kommt, um zu stehlen, zu töten und zu verderben. Das alles ist schon gesagt und hinreichend, wie ich glaube, behandelt worden. Heute sollen wir mit Hilfe des Herrn (weil Jesus Christus, unser Heiland, selbst sich als Hirt und Türe bezeichnet und gesagt hat, daß der gute Hirt durch die Türe eingeht) darlegen, wie er durch sich selbst eingeht. Denn wenn keiner ein guter Hirt ist, außer wer durch die Türe eingeht, und er selbst vor allem der gute Hirt und die Türe ist, so kann ich das nicht anders verstehen, als daß er durch sich selbst zu den Schafen eingeht und ihnen zuruft, damit sie ihm folgen und ein- und ausgehend Weide finden d. i. das ewige Leben.
2.
Ohne Zögern sage ich es also. Indem ich zu euch einzugehen suche d. h. zu euren Herzen, predige ich Christus; wenn ich etwas anderes predige, werde ich von einer andern Seite einzusteigen versuchen. Christus ist also für mich die Türe zu euch; durch Christus gehe ich ein, nicht in eure Wohnungen, sondern in eure Herzen. Durch Christus gehe ich ein, Christus habt ihr gern in mir gehört. Warum habt ihr Christus gern in mir gehört? Weil ihr Schafe Christi seid, weil ihr durch das Blut Christi erkauft seid. Ihr erkennet euren Lösepreis, der nicht von mir gegeben, sondern nur durch mich gepredigt wird. Der nämlich hat euch erkauft, der sein kostbares Blut vergoß; kostbar ist sein Blut, ohne Sünde. Er hat jedoch auch das Blut der Seinigen kostbar gemacht, für die er den Preis seines Blutes gab; denn würde er das Blut der Seinigen nicht kostbar machen, so würde es nicht heißen: „Kostbar in den Augen des Herrn ist der Tod seiner Heiligen“1308. Wenn er daher sagt: „Ein guter Hirt gibt sein Leben für seine Schafe“, so hat er dies nicht allein getan, und doch, wenn jene, die es taten, seine Glieder sind, so hat auch dies nur er getan. Denn er konnte es ohne sie tun; wie konnten sie es tun ohne ihn, da er selbst sagte: „Ohne mich könnt ihr nichts tun“?1309 Daraus aber zeigen wir, daß auch andere dies getan, weil gerade der Apostel Johannes, der das von euch vernommene Evangelium verkündete, in seinem Briefe sagte: „Wie Christus sein Leben für uns hingegeben hat, so müssen auch wir das Leben für die Brüder dahingeben“1310. Wir „müssen“, sagt er; der hat uns die Pflicht auferlegt, der sie zuerst erfüllte. Darum heißt es irgendwo: „Wenn du zum Mahle sitzest am Tische eines Mächtigen, so gib sorgfältig acht, was dir vorgesetzt wird, und lege deine Hand an, wissend, daß du solches vorbereiten mußt“1311. Welches der Tisch des Mächtigen ist, wißt ihr; daselbst ist der Leib und das Blut Christi; wer zu diesem Tische geht, bereite solches vor. Und was heißt: er bereite solches vor? „Wie er selbst für uns sein Leben dahingegeben hat, so müssen auch wir“ [zur Erbauung des Volkes und zur Verteidigung des Glaubens]1312 „das Leben für die Brüder dahingeben.“ Daher sprach er zu Petrus, den er zu einem guten Hirten machen wollte, nicht in Petrus selbst, sondern in seinem Leibe: „Petrus, liebst du mich? Weide meine Schafe“. Dies sagte er einmal, zweimal, dreimal, bis derselbe traurig wurde. Und nachdem der Herr so oft gefragt hatte, als er zu fragen für notwendig erachtete, damit* der* dreimal ein Bekenntnis ablegen sollte, der ihn dreimal verleugnete, und ihm dann zum dritten Mal seine Schafe zu weiden aufgetragen hatte, sprach er zu ihm: „Als du jung warest, gürtetest du dich und gingst, wohin du wolltest; wenn du aber alt geworden bist, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und dich dorthin führen, wohin du nicht willst“. Und der Evangelist erklärte, was der Herr damit meinte: „Dies aber“, sagt er, „sprach er, um anzudeuten, durch welche Todesart er Gott verherrlichen werde“1313. Dies also ist der Sinn des Wortes: „Weide meine Schafe“, daß du dein Leben gibst für meine Schafe.
3.
Was er sodann sagt: „Wie mich der Vater erkennt, und ich den Vater erkenne“, wer weiß das nicht? Er nämlich erkennt den Vater durch sich, wir durch ihn. Daß er ihn durch sich erkennt, wissen wir; daß auch wir durch ihn, auch das wissen wir, weil wir auch dies durch ihn wissen. Denn er hat gesagt: „Gott hat niemand gesehen als der eingeborene Sohn, der im Schoße des Vaters ist; der hat ihn verkündigt“1314. Also auch wir durch ihn, denen er ihn verkündigt hat. Desgleichen sagt er anderswo: „Niemand kennt den Sohn außer der Vater, und niemand kennt den Vater außer der Sohn, und wem es der Sohn offenbaren will“1315. Wie also er durch sich den Vater kennt, wir aber durch ihn den Vater kennen, so geht er in den Schafstall durch sich selbst ein, und wir durch ihn. Wir haben gesagt, daß wir durch Christus eine Türe zu euch haben; warum? Weil wir Christus predigen. Wir predigen Christus, und darum treten wir durch die Türe ein. Christus aber predigt Christus, weil er sich selbst predigt, und darum geht der Hirt durch sich selbst ein. Wenn das Licht anderes zeigt, was man im Lichte sieht, bedarf es dann etwa eines anderen, damit es gesehen werden kann? Das Licht zeigt also sowohl anderes wie sich selbst. Alles, was wir erkennen, erkennen wir durch den Verstand, und den Verstand selbst, wodurch erkennen wir ihn als eben durch den Verstand? Siehst du etwa ebenso mit dem fleischlichen Auge sowohl anderes als es selbst? Denn obwohl die Menschen mit ihren Augen sehen, so sehen sie doch nicht ihre eigenen Augen. Das fleischliche Auge sieht anderes, sich selbst sieht es nicht; der Verstand aber erkennt sowohl anderes wie sich selbst. Wie der Verstand sich selbst sieht, so predigt auch Christus sich selbst. Wenn er sich predigt und dadurch, daß er predigt, zu dir eingeht, so geht er durch sich zu dir ein. Auch zum Vater ist er die Türe, weil es keinen anderen Weg gibt, durch den man zum Vater kommt, als ihn selbst. Denn „ein Gott ist und* ein* Mittler zwischen Gott und den Menschen, der Mensch Christus Jesus“1316. Durch das Wort wird vieles gesagt; gerade das, was ich gesagt habe, habe ich ja durch das Wort gesagt. Wenn ich auch das „Wort“ selbst aussprechen möchte, wodurch soll ich es aussprechen als eben durch das Wort? Und somit wird durch das Wort sowohl anderes gesagt, was nicht das ist, was das Wort ist, als auch kann das Wort selbst nicht ausgesprochen werden als wieder durch das Wort. Mit Hilfe des Herrn hat es uns nicht an Beispielen gefehlt. Behaltet also, wie der Herr Jesus Christus sowohl Türe wie Hirt ist: Türe dadurch, daß er sich auftut, Hirte dadurch, daß er durch sich eintritt. Und zwar, Brüder, daß er Hirt ist, das gab er auch seinen Gliedern; denn auch Petrus ist ein Hirt, auch Paulus ist ein Hirt, auch die übrigen Apostel sind Hirten, auch die guten Bischöfe sind Hirten. Türe aber nennt sich keiner von uns; dies hat er sich selbst als eigen vorbehalten, daß die Schafe nur durch ihn eingehen. Um es kurz zu sagen, Paulus erfüllte das Amt eines guten Hirten, da er Christus predigte, weil er durch die Türe einging. Allein als die zuchtlosen Schafe anfingen, Spaltungen hervorzurufen und andere Türen sich zu setzen, nicht um durch sie einzutreten zur Vereinigung, sondern um abzuirren zur Zerstreuung, indem die einen sagten: „Ich bin des Paulus“, andere: „Ich des Kephas“, andere: „Ich des Apollo“, andere: „Ich Christi“, da erschrak er vor denen, welche sagten: „Ich bin des Paulus“, und den Schafen gleichsam zurufend: Ihr Unglückseligen, wohin geht ihr? sprach er: Ich bin nicht die Türe: „Ist etwa Paulus für euch gekreuzigt worden? Oder seid ihr im Namen des Paulus getauft worden?“1317. Die aber sagten: „Ich bin Christi“, haben die Türe gefunden.
4.
Von dem* einen* Schafstall aber und dem* einen* Hirten habt ihr zwar schon wiederholt gehört; denn gar sehr haben wir den* einen* Schafstall betont, indem wir die Einheit predigten, damit alle Schafe durch Christus eingehen sollten und keines dem Donatus folgen möchte. Jedoch warum der Herr das eigentlich gesagt hat, ist hinlänglich klar. Denn er redete zu den Juden, gesandt aber war er gerade zu den Juden, nicht wegen einiger, die in teuflischem Hasse widerstrebten und in der Finsternis verharrten, sondern wegen einiger in diesem Volke, die er seine Schafe nennt, von denen er sagt: „Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt“1318. Er kannte sie auch in der Schar der Wütenden und sah sie vorher im Frieden der Glaubenden. Was heißt also: „Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt“, als daß er seine körperliche Gegenwart nur dem Volke Israel zeigte? Zu den Heiden ging er nicht selbst, sondern sandte Boten, zum Volke Israel aber sandte er nicht bloß Boten, sondern kam auch selbst, damit diejenigen, die ihn verachteten, ein um so strengeres Gericht sich zuzögen, da ihnen ja auch seine persönliche Gegenwart zuteil wurde. Der Herr war selbst dort, wählte sich dort eine Mutter; dort wollte er empfangen, dort geboren werden, dort sein Blut vergießen; dort sind seine Fußtapfen1319, jetzt werden sie verehrt an der Stelle, wo er zuletzt gestanden ist, von wo er zum Himmel aufstieg; zu den Heiden aber sandte er Boten.
5.
Aber vielleicht meint einer, weil Jesus nicht selbst zu uns kam, sondern zu uns Boten sandte, so hätten wir nicht seine Stimme, sondern die Stimme seiner Boten gehört. Das sei ferne; weg mit diesem Gedanken aus euren Herzen; auch in denen, welche er sandte, war er selbst. Höre Paulus, den er sandte; zu den Heiden nämlich sandte er vornehmlich den Apostel Paulus, und eben dieser Paulus, schreckend nicht mit sich, sondern mit jenem, sagt: „Wollt ihr den Erweis haben von dem, der in mir spricht, Christus?“1320. Höret auch den Herrn selbst. „Ich habe noch andere Schafe“, d. h. unter den Heiden, „die nicht aus diesem Schafstalle sind“, d. h. aus dem Volke Israel, „auch diese muß ich herbeiführen“. Also auch durch die Seinigen führt sie nicht ein anderer herbei. Höre weiter: „Sie werden meine Stimme hören“. Siehe, auch durch die Seinigen redet er selbst, und durch seine Boten wird seine Stimme gehört. „Damit* ein* Schafstall und* ein* Hirt sei.“ Für diese zwei Herden ist er wie für zwei Wände der Eckstein geworden1321. Also ist er sowohl Türe wie Eckstein; alles im bildlichen, nichts davon im eigentlichen Sinne.
6.
Ich habe ja schon gesagt und nachdrücklich hervorgehoben ― die es fassen, sind verständig, vielmehr, die verständig sind, fassen es1322, und die noch nicht das nötige Verständnis besitzen, mögen im Glauben festhalten, was sie noch nicht verstehen können ―, bildlich ist Christus vieles, was er im eigentlichen Sinne nicht ist. Bildlich ist Christus auch Fels, ist Christus auch Türe, ist Christus auch Eckstein, ist Christus auch Hirt, ist Christus auch Lamm, ist Christus auch Löwe. Wie vieles im bildlichen Sinne, und auch noch manches andere, was aufzuzählen zu lang wäre. Wenn du aber die eigentliche Bedeutung der Dinge in Betracht ziehst, die du zu sehen gewohnt bist, so ist er weder ein Fels, weil er nicht hart und empfindungslos ist, noch eine Türe, weil ihn nicht der Zimmermann gemacht hat, noch ein Eckstein, weil er nicht vom Baumeister hergestellt ist, noch ein Hirt, weil er kein Hüter der vierfüßigen Schafe ist, noch ein Löwe, weil er kein wildes Tier ist, noch ein Lamm, weil er kein Kleinvieh ist. Alles dies also im bildlichen Sinne. Was demnach im eigentlichen Sinne? „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort“. Was gilt hinsichtlich des Menschen, der erschien? „Und das Wort ist Fleisch geworden“1323.
7.
Höre auch das übrige. „Deshalb liebt mich der Vater“, sagt er, „weil ich mein Leben hingebe, um es wieder zu nehmen.“ Was sagt er? „Deshalb liebt mich der Vater“, weil ich sterbe, um aufzuerstehen1324. Es heißt mit großem Nachdruck:* „Ich“*. „Weil ich“, sagt er, „mein Leben hingebe, ich gebe hin“. Was heißt: „Ich gebe hin“? Ich gebe es hin; nicht sollen sich die Juden rühmen; sie konnten wüten, aber die Macht konnten sie nicht haben; sie mögen wüten, so viel sie können; wenn ich meine Seele nicht hingeben will, was werden sie mit ihrer Wut erreichen? Durch eine einzige Antwort sind sie niedergestreckt worden, als zu ihnen gesagt wurde: „Wen suchet ihr?“ Sie sagten: „Jesus“; und er sprach: „Ich bin es; da wichen sie zurück und fielen nieder“1325. Die da niederfielen auf ein Wort des in den Tod gehenden Christus, was werden sie tun unter dem Eindruck der Stimme des kommenden Richters? „Ich, ich“, sage ich, „gebe mein Leben hin, um es wieder zu nehmen.“ Nicht rühmen sollen sich die Juden, als hätten sie ihn überwältigt; er selbst hat sein Leben hingegeben. „Ich bin entschlafen“, sagt er. Ihr kennt den Psalm: „Ich bin entschlafen und in Schlummer gesunken, und bin aufgestanden, weil der Herr mich aufnimmt“1326. Was heißt: „Ich bin entschlafen“? Weil ich wollte, bin ich entschlafen. Was heißt: „Ich bin entschlafen“? Ich bin gestorben. Ist der nicht entschlafen, der, da er wollte, vom Grabe wie vom Bette sich erhob? Aber er liebt es, dem Vater die Ehre zu geben, um uns anzuleiten, daß wir dem Schöpfer die Ehre geben. Denn was den beigefügten Satz betrifft: „Ich bin aufgestanden, weil der Herr mich aufnimmt“, glaubt ihr etwa, hier habe ihm gleichsam die Kraft gemangelt, so daß er zwar durch seine Macht sterben, durch seine Macht aber nicht auferstehen konnte? So nämlich scheinen die Worte zu lauten, wenn man sie nicht genauer versteht. „Ich bin entschlafen“, d. h. weil ich wollte, bin ich entschlafen. „Und ich bin aufgestanden.“ Warum? „Weil der Herr mich aufnimmt.“ Wie denn, wärest Du nicht imstande, aus eigener Kraft aufzuerstehen? Wenn Du nicht imstande wärest, würdest Du nicht sagen: „Ich habe die Macht, mein Leben hinzugeben, und habe die Macht, es wieder zu nehmen“. Höre an einer andern Stelle im Evangelium, daß nicht bloß der Vater den Sohn auferweckte, sondern auch der Sohn sich selbst. „Löset“, sagt er, „diesen Tempel, und in drei Tagen werde ich ihn wieder auferwecken.“ Und der Evangelist bemerkt: „Dies aber sagte er von dem Tempel seines Leibes“. Das nämlich wurde wieder auferweckt, was starb. Denn das Wort ist nicht gestorben, jene Seele ist nicht gestorben. Wenn nicht einmal die deinige stirbt, sollte dann die des Herrn sterben?
8.
Woher weiß ich, sagst du, ob etwa die meinige nicht stirbt? Töte nur du selbst sie nicht, und dann stirbt sie nicht. Wie, sagst du, kann ich meine Seele töten? Um von andern Sünden zunächst zu schweigen: „Der Mund, der lügt, tötet die Seele“1327. Wie, sagst du, bin ich sicher, daß sie nicht stirbt? Höre den Herrn selbst, der dem Knechte die Versicherung gibt: „Fürchtet nicht diejenigen, welche den Leib töten und danach nichts weiter tun können“. Doch was sagt er ganz deutlich? „Fürchtet denjenigen, der die Gewalt hat, den Leib und die Seele in der Hölle zu töten“1328. Siehe, daß sie stirbt, siehe, daß sie nicht stirbt. Was ist für sie das Sterben? Was ist für dein Fleisch das Sterben? Das Sterben ist für dein Fleisch der Verlust des Lebens. Für deine Seele ist das Sterben soviel wie der Verlust ihres Lebens. Das Leben deines Fleisches ist deine Seele; das Leben deiner Seele ist dein Gott. Wie das Fleisch stirbt durch den Verlust der Seele, welche sein Leben ist, so stirbt die Seele durch den Verlust Gottes, welcher ihr Leben ist. Gewiß also ist die Seele unsterblich. Ja wirklich sie ist unsterblich, weil sie auch gestorben lebt. Denn was der Apostel von der genußsüchtigen Witwe sagt, kann auch von der Seele, wenn sie ihren Gott verloren hat, gesagt werden: „Sie ist lebendig tot“1329.
9.
Wie also gibt der Herr seine Seele hin? Brüder, untersuchen wir das etwas genauer. Es beengt uns nicht die Stunde, wie es am Sonntag der Fall zu sein pflegt, wir haben Zeit; davon sollen diejenigen Gewinn haben, welche zum Worte Gottes auch am heutigen Tage zusammenkommen. „Ich gebe“, sagt er, „meine Seele hin.“ Wer gibt hin? Was gibt er hin? Was ist Christus? Wort und Mensch. Und nicht so Mensch, als wäre er bloß Fleisch, sondern weil der Mensch aus Fleisch und Seele besteht, der ganze Mensch aber in Christus ist ― denn er würde nicht den geringeren Teil angenommen und den besseren Teil ausgeschlossen haben; der bessere Teil beim Menschen ist nämlich die Seele, nicht der Leib ―, weil also der ganze Mensch in Christus ist, was ist Christus? Wort, sage ich, und Mensch. Was ist Wort und Mensch? Wort, Seele und Leib. Haltet dies fest; denn es hat auch hinsichtlich dieses Lehrpunktes an Häretikern nicht gefehlt; sie wurden zwar schon längst von der katholischen Wahrheit abgestoßen, aber dennoch als Diebe und Räuber, die nicht durch die Türe eingehen, lassen sie nicht ab, dem Schafstall nachzustellen. Apollinaristen hießen die Häretiker, welche zu lehren wagten, Christus sei nur Wort und Fleisch, eine menschliche Seele aber, behaupten sie, habe er nicht angenommen. Einige freilich auch von ihnen konnten das Vorhandensein einer Seele nicht leugnen. Betrachtet den Widersinn und die unerträgliche Torheit. Eine unvernünftige Seele soll er nach ihrer Meinung gehabt haben, die vernünftige Seele bestritten sie; sie gaben ihm die Seele eines Tieres und nahmen ihm die des Menschen. Aber sie raubten Christus die Vernunft, indem sie selbst unvernünftig handelten. Das sei ferne von uns, die wir im katholischen Glauben ernährt und gegründet sind. Bei dieser Gelegenheit also möchte ich eine Mahnung an eure Liebe richten, wie wir euch auch in den vorhergehenden Lesungen hinreichend belehrt haben gegen die Sabellianer und Arianer: gegen die Sabellianer, welche sagen: Derselbe ist der Vater, welcher der Sohn ist; gegen die Arianer, welche sagen: Etwas anderes ist der Vater, etwas anderes ist der Sohn; als ob nicht der Vater und der Sohn von derselben Substanz wären. Wir haben euch auch, wie ihr euch erinnert und erinnern müßt, gegen die häretischen Photinianer belehrt, welche Christus für einen bloßen Menschen ohne Gott, gegen die Manichäer, welche ihn bloß für Gott ohne Menschen erklärt haben. So möchten wir euch nun betreffs der Seele auch gegen die Apollinaristen belehren, welche behaupten, unser Herr Jesus Christus habe keine menschliche Seele, d. i. keine vernünftige Seele, keine erkennende Seele gehabt, keine Seele, sage ich, durch die wir uns vom Tiere unterscheiden, weil wir Menschen sind.
10.
Wie also hat hier der Herr gesagt: „Ich habe die Macht, meine Seele hinzugeben“? Wer gibt die Seele hin und nimmt sie wieder? Gibt Christus, sofern er das Wort ist, die Seele hin und nimmt sie wieder? Oder gibt, sofern er eine menschliche Seele ist, diese sich hin und nimmt sich wieder? Oder gibt, sofern er Fleisch ist, das Fleisch die Seele hin und nimmt sie wieder? Drei Möglichkeiten habe ich vorgelegt, nehmen wir alle durch und wählen wir das, was der Richtschnur der Wahrheit entspricht. Denn wenn wir sagen, daß das Wort Gottes seine Seele hingegeben und sie wiedergenommen hat, so ist zu befürchten, es möchte sich der unpassende Gedanke einschleichen und uns erwidert werden: Also ist einmal jene Seele vom Worte getrennt worden, und es ist einmal jenes Wort, seitdem es die menschliche Seele annahm, ohne Seele gewesen. Ich sehe nämlich wohl ein, daß das Wort einmal ohne eine menschliche Seele war, aber damals, da im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Denn seitdem das Wort Fleisch geworden ist, um unter uns zu wohnen1330, und vom Worte der Mensch angenommen wurde d. i. der ganze Mensch, Seele und Leib, was hat da das Leiden, was hat der Tod getan, als daß er den Leib von der Seele trennte? Die Seele aber hat er vom Worte nicht getrennt. Wenn nämlich der Herr gestorben ist oder vielmehr weil der Herr gestorben ist ― er starb ja für uns am Kreuze ―, so hauchte ohne Zweifel sein Fleisch die Seele aus; auf kurze Zeit verließ die Seele das Fleisch, das aber mit der Rückkehr der Seele wieder auferstehen sollte. Daß aber die Seele vom Worte sich getrennt habe, sage ich nicht. Zu der Seele des Schächers sprach er: „Heute noch wirst du bei mir im Paradiese sein“1331. Die gläubige Seele des Schächers verließ er nicht, und die seinige sollte er verlassen haben? Das sei ferne! Aber freilich die Seele des ersteren behütete er als Herr, die seinige jedoch besaß er auf unzertrennliche Weise. Wenn wir aber sagen, daß die Seele selbst sich hingegeben und wieder genommen hat, so ist das ein ganz widersinniger Gedanke; denn sie, die vom Worte nicht getrennt worden war, konnte sich nicht von sich selbst trennen.
11.
Wir wollen also sagen, was wahr ist und zugleich leicht verständlich ist. Denke dir einen beliebigen Menschen, der nicht aus Wort, Seele und Fleisch, sondern aus Seele und Fleisch besteht. Von einem solchen Menschen wollen wir fragen, wie er seine Seele hingebe. Oder gibt vielleicht kein Mensch seine Seele hin? Du kannst mir entgegnen: Kein Mensch hat die Macht, seine Seele hinzugeben und sie wieder zu nehmen. Allein wenn der Mensch seine Seele nicht hingeben könnte, so würde der Apostel Johannes nicht sagen: „Wie Christus für uns seine Seele hingegeben hat, so müssen auch wir die Seele für die Brüder hingeben“1332. Also ist es auch uns erlaubt ― wenn anders auch wir von seiner Kraft erfüllt werden, weil wir ohne ihn nichts tun können ―, für die Brüder unsere Seelen hinzugeben. Wo irgendein heiliger Märtyrer für die Brüder seine Seele hingab, wer gab hin und was gab er hin? Wenn wir dies einsehen, dann werden wir auch begreifen, wie Christus sagen konnte: „Ich habe die Macht, meine Seele hinzugeben“. O Mensch, bist du bereit, für Christus zu sterben? Ich bin bereit, sagt er. Ich will es mit andern Worten ausdrücken. Bist du bereit, für Christus deine Seele hinzugeben? Auch auf diese Worte antwortet er mir so: Ich bin bereit, wie er mir geantwortet hatte, als ich sagte: Bist du bereit zu sterben? Dies also heißt seine Seele hingeben, was sterben heißt. Aber für wen? Alle Menschen geben nämlich, wenn sie sterben, die Seele hin, aber nicht alle geben sie für Christus hin. Und niemand hat die Macht zu nehmen, was er hingegeben hat. Christus aber hat sie für uns hingegeben, und er hat sie, da er wollte, hingegeben und, da er wollte, wieder genommen. Also die Seele hingeben heißt sterben. So sagte auch der Apostel Petrus zum Herrn: „Ich will meine Seele für Dich hingeben“1333, d. h. ich will für Dich sterben. Dem Fleische schreibe das zu; das Fleisch gibt seine Seele hin und das Fleisch nimmt sie wieder; jedoch tut dies das Fleisch nicht durch eigene Macht, sondern durch die Macht des Bewohners der Seele; das Fleisch also gibt seine Seele hin, indem es den Geist aushaucht. Betrachte den Herrn selbst am Kreuze. „Mich dürstet“, sprach er. Die Anwesenden tauchten einen Schwamm in Essig, banden ihn an ein Rohr und brachten ihn an seinen Mund, und als er davon genommen hatte, sprach er: „Es ist vollbracht“. Was heißt: „Es ist vollbracht“? Es ist alles erfüllt, was nach den Prophezeiungen vor meinem Tode geschehen sollte. Und da er die Macht hatte, zu der von ihm gewollten Zeit seine Seele hinzugeben, was bemerkt nach jenen Worten des Herrn: „Es ist vollbracht“, der Evangelist? „Und mit geneigtem Haupte gab er den Geist auf“1334. Das heißt die Seele hingeben. Jetzt gebe eure Liebe acht. „Mit geneigtem Haupte gab er den Geist auf.“ Wer gab auf? Was gab er auf? Den Geist gab er auf, das Fleisch gab ihn auf. Was heißt: das Fleisch gab ihn auf? Das Fleisch entließ ihn, das Fleisch hauchte ihn aus. Darum heißt ja aushauchen (exspirare) soviel als vom Geiste sich trennen (extra spiritum fieri). Wie in der Verbannung sein (exsulare) soviel ist, als außerhalb des heimatlichen Bodens sein (extra solum fieri), und austreten (exorbitare) soviel, als aus dem Geleise kommen (extra orbitam fieri), so ist aushauchen soviel, als vom Geiste sich trennen, und der Geist ist die Seele. Wenn also die Seele vom Fleische sich entfernt und das Fleisch ohne die Seele bleibt, dann sagt man vom Menschen, daß er die Seele hingibt. Wann hat Christus die Seele hingegeben? Als das Wort wollte. Denn die Oberherrschaft hatte das Wort; in ihm war die Macht zu bestimmen, wann das Fleisch die Seele hingeben und wann es dieselbe wieder nehmen sollte.
12.
Wenn also das Fleisch die Seele hingab, wie hat Christus die Seele hingegeben? Ist denn Christus nicht Fleisch? Ja gewiß, Fleisch ist Christus und Seele ist Christus und Wort ist Christus, und doch sind diese drei nicht drei Christus, sondern* ein* Christus. Befrage den Menschen und von dir selbst erhebe dich zu dem, was über dir ist, wenn auch noch nicht, um es zu verstehen, so doch wenigstens um es zu glauben. Denn wie Seele und Leib* ein* Mensch ist, so ist Wort und Mensch* ein* Christus. Sehet zu, was ich gesagt habe, und versteht es! Seele und Leib sind zwei Dinge, aber* ein* Mensch, Wort und Mensch sind zwei Dinge, aber* ein* Christus. Also um den Menschen frage. Wo ist jetzt der Apostel Paulus? Wenn einer antwortet: In der Ruhe bei Christus, so sagt er die Wahrheit. Desgleichen wenn einer antwortet: Zu Rom im Grabe, so sagt auch er die Wahrheit. Die eine Antwort gibt er mir betreffs der Seele, die andere betreffs des Fleisches. Und doch meinen wir deshalb nicht zwei Apostel Paulus, wovon der eine in Christus ruht, der andere im Grabe liegt, obwohl wir vom Apostel Paulus sagen, er lebe in Christus, und von demselben Apostel Paulus auch wieder sagen, er liege tot im Grabe1335. Es stirbt jemand; wir sagen: Ein guter Mensch, ein gläubiger Mensch, er ist im Frieden bei Christus, und gleich darauf: Wir wollen zu seinem Leichenbegängnis gehen und ihn begraben. Du willst den begraben, von dem du gesagt hattest, er sei bereits im Frieden bei Gott, da ja etwas anderes die Seele ist, welche unsterblich fortlebt, etwas anderes der Leib, der verweslich daliegt. Allein seitdem die Verbindung von Fleisch und Seele den Namen Mensch bekam, behielt nun jedes von beiden auch einzeln und abgesondert den Namen Mensch.
13.
Niemand werde also unruhig, wenn er hört, der Herr habe gesagt: „Ich gebe meine Seele hin und nehme sie wieder“. Das Fleisch1336 gibt sie hin, aber in der Kraft des Wortes; das Fleisch nimmt sie wieder, aber in der Kraft des Wortes. Christus der Herr selbst heißt auch das bloße Fleisch. Wie, sagt einer, beweisest du das? Ich wage zu sagen, auch das bloße Fleisch Christi heißt Christus. Wir glauben gewiß nicht bloß an Gott den Vater, sondern auch an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn. Eben habe ich das Ganze genannt: An Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn. An das Ganze denke dabei: an das Wort, die Seele und das Fleisch. Aber gewiß bekennst du auch das, was derselbe Glaube enthält, daß du nämlich glaubst an Christus, der gekreuzigt und begraben wurde. Also auch von dem Begrabenen leugnest du nicht, daß er Christus ist, und doch ist bloß das Fleisch begraben worden. Denn wenn dort auch die Seele war, dann war er nicht tot; wenn es aber ein wahrer Tod war, damit seine Auferstehung eine wahre sei, dann war er ohne die Seele im Grabe, und doch ist* Christus* begraben worden. Also war das Fleisch auch ohne die Seele Christus, da ja nur das Fleisch begraben wurde. Das magst du auch aus den Worten des Apostels ersehen: „Seid gesinnt“, sagt er, „wie Jesus Christus, der, da er in der Gestalt Gottes war, es für keinen Raub hielt, Gott gleich zu sein“. Wer außer Christus Jesus, sofern er das Wort ist, ist Gott bei Gott? Siehe jedoch, was folgt: „Aber er erniedrigte sich selbst, indem er Knechtsgestalt annahm; er wurde den Menschen ähnlich und in seinem Äußern wie ein Mensch erfunden“. Und von wem gilt dies als eben von demselben Christus Jesus? Aber hier ist alles beieinander: das Wort in der Gestalt Gottes, welche die Knechtsgestalt annahm, ferner Seele und Fleisch in der Knechtsgestalt, welche von der Gestalt Gottes angenommen wurde. „Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode“1337. Nun ist aber im Tode bloß das Fleisch von den Juden getötet worden. Denn wenn er zu den Jüngern sagte: „Fürchtet nicht diejenigen, welche den Leib töten, die Seele aber nicht töten können“1338, konnten sie etwa bei ihm mehr als den Leib töten? Und doch ist, indem das Fleisch getötet wurde, Christus getötet worden. So hat, als das Fleisch die Seele hingab, Christus die Seele hingegeben, und als das Fleisch, um auferstehen zu können, die Seele wieder annahm, Christus die Seele angenommen. Jedoch ist dies nicht durch die Kraft des Fleisches geschehene, sondern durch die Kraft dessen, der Seele und Leib, in welchem dies sich erfüllen sollte, angenommen hat.
14.
„Diesen Auftrag“, sagt er, „habe ich vom Vater empfangen.“ Das Wort hat nicht durch ein Wort den Auftrag empfangen, sondern in dem eingeborenen Worte des Vaters ist jeder Auftrag. Wenn es aber heißt, der Sohn empfange vom Vater, was er wesenhaft hat, gleichwie es heißt: „Wie der Vater das Leben in sich selbst hat, so hat er auch dem Sohne gegeben, das Leben in sich selbst zu haben“1339, obwohl der Sohn selbst das Leben ist, so wird hiemit nicht die Macht vermindert, sondern seine Zeugung dargetan. Denn der Vater hat nicht gleichsam einem Sohne, der unvollkommen geboren ist, etwas hinzugegeben, sondern demjenigen, den er als vollkommen zeugte, alles durch die Zeugung gegeben. So hat er ihm, den er nicht als ungleich zeugte, sein gleiches Wesen gegeben. Aber bei dieser Rede des Herrn „entstand“, weil das Licht in der Finsternis leuchtete und die Finsternis es nicht erfaßte1340, „wiederum ein Streit unter den Juden wegen dieser Reden. Es sagten aber viele von ihnen: Er hat einen Teufel und ist von Sinnen; warum hört ihr ihn?“ Das war schon die dichteste Finsternis! „Andere sagten: Das sind nicht die Worte eines Besessenen; kann etwa der Teufel die Augen der Blinden öffnen?“ Die Augen dieser begannen bereits sich zu öffnen.