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40. Vortrag
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Vierzigster Vortrag.
Von da an: „Da sprach Jesus zu ihnen: Wenn ihr des Menschen Sohn werdet erhöht haben“, bis dahin: „Und ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen“. Joh. 8, 28―32.
1.
Über das heilige Evangelium nach Johannes, das ihr uns in Händen tragen sehet, hat eure Liebe schon vieles gehört, was wir mit Gottes Hilfe nach unserm Vermögen erörtert haben, indem wir euch darauf hinwiesen, daß vornehmlich dieses Evangelium von der Gottheit des Herrn, in der auch der eingeborene Sohn dem Vater gleich ist, zu reden sich vorgenommen habe und darum mit einem Adler verglichen worden sei, da, wie angenommen wird, kein Vogel höher fliegt. So vernehmet denn, was der Ordnung nach folgt, wie der Herr es zu behandeln verleiht, mit aller Aufmerksamkeit.
2.
Wir haben zu euch über die vorausgehende Lesung gesprochen, indem wir euch darlegten, wie es zu verstehen sei, daß der Vater wahrhaft, der Sohn die Wahrheit ist. Als aber der Herr Jesus gesagt hatte: „Der mich gesandt hat, ist wahrhaft“1120, verstanden die Juden nicht, daß er vom Vater zu ihnen redete. Und er sprach zu ihnen, was ihr soeben bei der Lesung gehört habt: „Wenn ihr des Menschen Sohn erhöht haben werdet, dann werdet ihr erkennen, daß ich es bin, und von mir selbst tue ich nichts, sondern wie mich der Vater gelehrt hat, dies rede ich“. Was heißt das? Denn nichts anderes scheint er gesagt zu haben, als daß sie nach seinem Leiden erkennen würden, wer er sei. Ohne Zweifel also sah er darunter einige, die er kannte, die er selbst mit seinen übrigen Heiligen vor Grundlegung der Welt im Vorherwissen auserwählt hatte, zum voraus als solche, die nach seinem Leiden glauben würden. Das sind jene, welche wir beständig anempfehlen und eindringlich zur Nachahmung vorstellen. Denn als nach dem Leiden, der Auferstehung und Auffahrt des Herrn der Heilige Geist von oben gesandt worden war und im Namen dessen Wunder geschahen, den die verfolgungssüchtigen Juden als einen Toten verachtet hatten, wurden sie zerknirscht im Herzen, und die ihn wutschnaubend getötet hatten, änderten ihren Sinn und wurden gläubig, und das Blut, das sie in ihrer Wut vergossen, tranken sie nun gläubig ― jene dreitausend und jene fünftausend Juden1121. Diese sah er damals, als er sagte: „Wenn ihr des Menschen Sohn erhöht haben werdet, dann werdet ihr erkennen, daß ich es bin“. Als wollte er sagen: Ich verschiebe eure Erkenntnis, um mein Leiden zu vollenden; in der euch bestimmten Reihenfolge werdet ihr erkennen, wer ich bin. Nicht als ob alle von denen, die es hörten, dann erst gläubig werden sollten, d. h. nach dem Leiden des Herrn; denn bald darauf heißt es: „Als er das sprach, glaubten viele an ihn“, und doch war der Sohn des Menschen noch nicht erhöht. Er meint nämlich die Erhöhung des Leidens, nicht der Verherrlichung; des Kreuzes, nicht des Himmels, da er auch dort erhöht wurde, als er am Kreuze hing. Aber diese Erhöhung war eine Erniedrigung. Denn damals „ist er gehorsam geworden bis zum Tode des Kreuzes“1122. Dies mußte erfüllt werden durch die Hände derer, die nachmals gläubig werden sollten. Zu diesen sagt er: „Wenn ihr des Menschen Sohn werdet erhöht haben, dann werdet ihr erkennen, daß ich es bin“. Warum das, als damit niemand, welches Vergehen auch immer er auf dem Gewissen haben mag, verzweifle, wenn er sieht, daß denen der Mord vergeben wird, die Christus getötet hatten?
3.
Indem also der Herr diese in jener Schar erkannte, sprach er: „Wenn ihr des Menschen Sohn werdet erhöht haben, dann werdet ihr erkennen, daß ich es bin“. Ihr wißt schon, was das heißt: „Ich bin“, und es ist nicht fort und fort zu wiederholen, damit nicht eine so bedeutende Sache Überdruß erzeuge. Erinnert euch an das Wort: „Ich bin, der ich bin“, und: „Der da ist, hat mich gesandt“1123, und ihr werdet fassen, was es heißt: „Dann werdet ihr erkennen, daß ich es bin“; aber auch der Vater* ist, wie auch der Heilige Geist ist. Dieses Sein kommt der ganzen Trinität zu. Aber weil der Herr als Sohn sprach, deshalb hat er, damit nicht etwa bei den Worten: „Dann werdet ihr erkennen, daß ich es bin“, der nicht zu leidende, sondern zu meidende Irrtum der Sabellianer sich einschleiche, d. h. der Patripassianer, derjenigen nämlich, welche behaupteten: derselbe ist der Vater, derselbe ist der Sohn, es sind zwei Namen, aber nur eine* Sache ―, zur Verhütung also dieses Irrtums hat der Herr nach den Worten: „Dann werdet ihr erkennen, daß ich es bin“, damit er nicht für den Vater gehalten würde, sofort beigefügt: „Und von mir selbst tue ich nichts, sondern wie mich der Vater gelehrt hat, das rede ich“. Schon fing der Sabellianer an sich zu freuen, da er einen Beweis seines Irrtums entdeckt hatte, aber alsbald nachdem er sich gleichsam im Dunkeln erhoben hatte, wurde er durch das Licht des nachfolgenden Satzes beschämt. Man hätte meinen können, er sei der Vater, weil er sagte: „Ich bin“; höre, daß er der Sohn ist: „Und von mir selbst tue ich nichts“. Was heißt: „Von mir selbst* tue* ich nichts“? Von mir selbst* bin* ich nicht. Der Sohn ist nämlich vom Vater Gott, der Vater aber ist nicht vom Sohne Gott; der Sohn ist Gott von Gott, der Vater aber ist Gott, jedoch nicht von Gott; der Sohn ist Licht vom Lichte, der Vater aber ist Licht, jedoch nicht vom Lichte; der Sohn* ist, aber es ist einer, von dem er ist, der Vater dagegen ist*, aber es ist keiner, von dem er ist.
4.
Wenn er nun beifügte: „Wie mich der Vater gelehrt hat, dies rede ich“, so beschleiche keinen von euch, meine Brüder, ein fleischlicher Gedanke. Es kann ja die menschliche Schwäche nichts denken, als was sie zu tun oder zu hören gewohnt ist. Stellet euch also nicht gleichsam zwei Menschen vor Augen, den einen als Vater, den andern als Sohn, und den Vater als zum Sohne redend, wie du es machst, wenn du einige Worte an deinen Sohn richtest, indem du ihn ermahnst und belehrst, wie er reden soll, damit er, was er von dir gehört hat, dem Gedächtnis einpräge, und dann, wenn er es dem Gedächtnis eingeprägt hat, auch mit der Zunge hervorbringe, in Laute kleide und fremden Ohren mitteile, was er in die seinigen aufgenommen hat. Fasset die Sache nicht so auf, damit ihr nicht in euren Herzen Götzenbilder errichtet. An eine menschliche Form, an Umrisse menschlicher Glieder, an die Gestalt des menschlichen Fleisches, an diese sichtbaren Sinne, an Stellungen und Bewegungen des Leibes, an einen Dienst der Zunge und artikulierte Laute dürft ihr bei jener Trinität nicht denken, außer was die Knechtsgestalt betrifft, welche der eingeborene Sohn Gottes angenommen hat, da er Fleisch geworden ist, um unter uns zu wohnen1124. Da verbiete ich dir nicht, o menschliche Schwäche, an das zu denken, was du kennst, ja ich halte dich sogar dazu an. Wenn der Glaube in dir wahr ist, dann denke dir Christus so, aber aus der Jungfrau Maria denke ihn dir so, nicht aus Gott dem Vater. Er war ein Kind, wuchs wie ein Mensch, wandelte wie ein Mensch, dürstete und hungerte wie ein Mensch, schlief wie ein Mensch, litt endlich wie ein Mensch, wurde ans Kreuz gehängt, getötet und begraben wie ein Mensch; er stand in derselben Gestalt wieder auf, fuhr in derselben Gestalt vor den Augen der Jünger zum Himmel empor und wird in derselben Gestalt zum Gerichte erscheinen. Denn die Stimme der Engel läßt sich im Evangelium so vernehmen: „So wird er kommen, wie ihr ihn habt zum Himmel emporfahren sehen“1125. Denkst du also an die Knechtsgestalt in Christus, so denke an ein menschliches Bild, wenn der Glaube in dir ist; denkst du aber an den Ausspruch: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort“1126, dann hinweg aus deinem Herzen alle menschliche Gestalt, hinweg aus deinen Gedanken alles, was eine körperliche Schranke hat, was von einem örtlichen Raume umschlossen wird oder in was immer für eine Masse sich ausdehnt; ein solches Gebilde bleibe deinem Herzen ferne. Denke dir, wenn du kannst, die Schönheit der Weisheit, stelle dir die Schönheit der Gerechtigkeit vor. Ist es eine Gestalt? Ist es eine Figur? Ist es eine Farbe? Nichts von diesem, und doch* ist* sie; denn wenn sie nicht wäre, würde sie nicht geliebt noch als geliebt und gelobt im Herzen und in den Sitten festgehalten werden. Nun aber werden die Menschen weise; wie würden sie es werden, wenn die Weisheit nicht wäre? Ferner aber, o Mensch, wenn du* deine* Weisheit nicht mit den Augen des Fleisches sehen kannst noch in solcher Vorstellung denken, wie man körperliche Dinge sich vorstellt, wie darfst du es wagen, in die Weisheit* Gottes* die Gestalt eines menschlichen Körpers einzuführen?
5.
Was sagen wir also, Brüder? Wie hat der Vater zum Sohne geredet, weil der Sohn sagt: „Wie der Vater mich gelehrt hat, dies rede ich“? Als der Vater den Sohn lehrte, hat er da Worte gebraucht, wie du, wenn du deinen Sohn lehrst, Worte gebrauchst? Wie gebraucht er Worte gegenüber dem Worte? Wie viele Worte sollten an das einzige Wort ergehen? Hatte denn das Wort des Vaters Ohren für den Mund des Vaters? Das sind fleischliche Vorstellungen; hinweg damit aus euren Herzen. Das nämlich sage ich; siehe, wenn ihr verstanden habt, was ich gesagt habe, so habe ich sicherlich geredet, meine Worte erschallten und trafen durch ihren Schall die Ohren und führten durch euer Gehörorgan den Sinn derselben zum Geiste, wenn ihr es verstanden habt. Nehmet an, es habe ein Mensch, der lateinisch kann, zugehört, doch eben nur zugehört, das Gesagte aber nicht verstanden. Was nun den aus meinem Munde ausgegangenen Schall betrifft, so hat ihn der, welcher es nicht verstand, ebenso vernommen wie ihr; er hat denselben Schall gehört, dieselben Silben haben seine Ohren getroffen, aber in seinem Geiste haben sie nichts hervorgebracht. Warum? Weil er es nicht verstanden hat. Ihr aber, wenn ihr es verstanden habt, wodurch habt ihr es verstanden? Der Schall, der von mir ausging, traf euer Ohr; habe ich etwa auch im Geiste ein Licht angezündet? Ohne Zweifel, wenn das wahr ist, was ich gesagt habe, und ihr diese Wahrheit nicht bloß gehört, sondern auch verstanden habt; zwei Dinge sind dort geschehen, unterscheidet sie, das Hören und das Verständnis. Das Hören ist durch mich bewirkt worden, durch wen das Verständnis? Ich habe zum Ohr gesprochen, daß ihr höret; wer hat zu eurem Herzen gesprochen, daß ihr es verstehet? Ohne Zweifel hat jemand auch zu eurem Geiste etwas gesprochen, damit nicht bloß jenes Wortgeräusch euer Ohr treffe, sondern auch in euren Geist etwas von der Wahrheit gelange; es hat einer auch zu eurem Geiste gesprochen, aber ihr seht ihn nicht; wenn ihr es verstanden habt, Brüder, so ist auch zu eurem Geiste etwas gesprochen worden. Eine Gabe Gottes ist das Verständnis. Wer hat dies in eurem Geiste gesprochen, wenn ihr es verstanden habt? Der, zu welchen der Psalmist sagt: „Gib mir Verständnis, damit ich deine Gebote lerne“1127. Z. B. der Bischof hat gesprochen. Was hat er gesprochen? sagt einer. Du teilst ihm mit, was er gesprochen hat, und fügst bei: Er hat wahr geredet. Dann sagt der andere, der es nicht verstanden hat: Was hat er gesagt, oder was ist das, was du lobst? Beide haben mich gehört, zu beiden habe ich gesprochen, aber zu einem von ihnen hat Gott gesprochen1128. Wenn man Kleines mit Großem vergleichen darf ― denn was sind wir im Vergleich zu ihm? ―, aber es wirkt Gott auf unkörperliche und geistige Weise in uns ein gewisses Etwas, was weder ein Schall ist, der das Ohr trifft, noch eine Farbe, die mit den Augen unterschieden wird, noch ein Geruch, der mit der Nase verspürt wird, noch ein Geschmack, der mit dem Gaumen geprüft wird, noch etwas Hartes und Weiches, was durch Berühren gefühlt wird; dennoch ist es etwas, was man leicht empfinden, aber nicht erklären kann. Wenn nun Gott, wie ich zu sagen angefangen habe, in unserm Geiste ohne Schall redet, wie spricht er zu seinem Sohne? So also, Brüder, so denket euch die Sache, wofern ihr könnt ― wenn man, wie gesagt, Kleines mit Großem einigermaßen vergleichen darf ―, so denket euch die Sache: unkörperlich hat Gott zum Sohne gesprochen, weil der Vater den Sohn unkörperlich gezeugt hat. Und er hat ihn nicht so gelehrt, als hätte er einen Ungelehrten erzeugt, sondern ihn lehren heißt soviel als einen Wissenden erzeugen; und so heißt: „Der Vater hat mich gelehrt“ dasselbe wie: als einen Wissenden hat er mich erzeugt. Denn wenn, was wenige verstehen, die Natur der Wahrheit einfach ist, so ist für den Sohn das* Sein* dasselbe, was das* Wissen* ist.Von dem also hat er das Wissen, von dem er das Sein hat, nicht so, als ob er von ihm zuerst wäre und nachher von ihm das Wissen empfinge, sondern wie er jenem durch die Erzeugung das Sein gab, so hat er ihm durch die Erzeugung das Wissen gegeben, weil für die einfache Natur der Wahrheit, wie gesagt, Sein und Wissen nicht etwas Verschiedenes, sondern dasselbe ist.
6.
Dies sprach er also zu den Juden und fügte bei: „Und der mich gesandt hat, ist mit mir“. Das hatte er auch schon vorher gesagt, aber er erwähnt die Sache wegen ihrer Wichtigkeit wiederholt: „Er hat mich gesandt“ und „er ist mit mir“. Wenn er also mit Dir ist, o Herr, dann ist nicht einer vom andern gesandt worden, sondern ihr seid beide gekommen. Und doch, obwohl beide beieinander sind, ist einer gesandt worden, der andere hat gesandt, weil die Sendung die Menschwerdung ist und die Menschwerdung nur dem Sohne eignet, nicht auch dem Vater. Demnach hat der Vater den Sohn gesandt, aber vom Sohne sich nicht entfernt. Denn nicht war der Vater dort, wohin er den Sohn sandte, nicht gegenwärtig. Denn wo ist der nicht, der alles gemacht hat? Wo ist der nicht, der gesagt hat: „Himmel und Erde erfülle ich“1129? Aber vielleicht ist der Vater überall, und der Sohn nicht überall? Höre den Evangelisten: „Er war in dieser Welt, und die Welt ist durch ihn gemacht worden“1130. Also, sagt er, „der mich gesandt hat“, durch dessen sozusagen väterliche Urheberschaft ich Fleisch angenommen habe, „ist mit mir, er hat mich nicht verlassen“. Warum hat er mich nicht verlassen? „Er hat mich nicht allein gelassen“, sagt er, „weil ich allezeit tue, was ihm wohlgefällt“. Darin besteht die Gleichheit: „immer“, nicht von einem Anfang an und so weiter, sondern ohne Anfang, ohne Ende. Denn die Zeugung Gottes hat keinen zeitlichen Anfang, weil durch den Gezeugten die Zeiten gemacht worden sind.
7.
„Als er dies redete, glaubten viele an ihn“. O daß doch auch, wenn ich rede, viele, die anders dachten, zur Erkenntnis kommen und an ihn glauben möchten. Denn einige in dieser Versammlung sind vielleicht Arianer. Ich wage nicht anzunehmen, es seien auch Sabellianer da, welche den Vater für den nämlichen halten wie den Sohn; diese Häresie ist ja doch schon zu alt und nach und nach verschwunden. Die der Arianer aber scheint noch einigermaßen sich zu regen wie ein verwesender Leichnam oder wenigstens wie ein in den letzten Zügen liegender Mensch. Es müssen auch die übrigen davon befreit werden, wie schon viele davon befreit worden sind. Zwar in dieser Stadt waren keine Arianer, aber nachdem doch viele Fremde hierher gekommen sind, kamen auch von ihnen einige. Siehe, da der Herr dies redete, glaubten viele Juden an ihn; siehe, möchten doch auch, wenn ich rede, die Arianer glauben, nicht an mich, sondern mit mir.
8.
„Da sprach der Herr zu den Juden, die an ihn geglaubt hatten: Wenn ihr in meinem Worte bleibet.“ Darum „ihr bleibet“, weil ihr eingeweiht seid und darin zu sein angefangen habt. „Wenn ihr bleibet“, nämlich in dem Glauben, der in euch als Gläubigen seinen Anfang genommen hat, wohin werdet ihr gelangen? Siehe, was für ein Anfang und wohin er führt. Du hast das Fundament geliebt, betrachte den Gipfel und von dieser Niedrigkeit aus suche eine andere Höhe. Der Glaube nämlich ist nicht ohne Niedrigkeit; die Erkenntnis, Unsterblichkeit und Ewigkeit kennt keine Niedrigkeit, sondern Hoheit, Erhebung, keinen Niedergang, ewige Dauer, keine Einnahme durch einen Feind, keine Furcht vor Schwächung. Groß ist, was vom Glauben anfängt, aber es wird nicht geschätzt. Das Fundament pflegt auch bei einem Gebäude von Unerfahrenen gering geachtet zu werden. Man macht eine große Grube, man legt Steine hier und dort ordnungslos hinein; da zeigt sich keine Glätte, keine Schönheit, wie sich auch in der Wurzel des Baumes keine Schönheit zeigt; dennoch hat sich alles, was dich am Baume ergötzt, aus der Wurzel erhoben. Aber du siehst die Wurzel und hast daran kein Ergötzen, du siehst den Baum und bist erstaunt. Du Tor, worüber du erstaunt bist, das hat sich von dem erhoben, woran du kein Ergötzen hast. Als etwas gar Kleines erscheint der Glaube der Gläubigen; du hast keine Wage, um es zu wägen. Höre also, wohin er gelangt, und siehe, wie groß er ist, wie auch der Herr an einer andern Stelle sagt: „Wenn ihr einen Glauben habt wie ein Senfkörnlein“1131. Was ist unscheinlicher, was schärfer, was kleiner, was brennender? Also auch „ihr“, sagt er, „wenn ihr in meinem Worte bleibet“, woran ihr geglaubt, wohin werdet ihr gelangen? „Ihr werdet in Wahrheit meine Jünger sein.“ Und was nützt es uns? „Und ihr werdet die Wahrheit erkennen.“
9.
Was verspricht er den Gläubigen, Brüder? „Und ihr werdet die Wahrheit erkennen.“ Wie nun? Hatten sie dieselbe nicht erkannt, als der Herr redete? Wenn sie dieselbe nicht erkannt hatten, wie glaubten sie dann? Nicht weil sie erkannten, glaubten sie, sondern um zu erkennen, glaubten sie. Denn wir glauben, um zu erkennen, wir erkennen nicht, um zu glauben. Denn was wir dereinst erkennen sollen, hat weder ein Auge gesehen, noch ein Ohr gehört, noch ist es in eines Menschen Herz gekommen1132. Denn was ist der Glaube anders als ein Fürwahrhalten dessen, was man nicht sieht1133? Glaube also ist: fürwahrhalten, was man nicht sieht; Wahrheit ist: sehen, was man geglaubt hat, wie er selbst irgendwo sagt. Darum wandelte der Herr zuerst, um den Glauben zu erwecken, auf Erden. Er war Mensch, war niedrig geworden; er wurde von allen gesehen, aber nicht von allen erkannt; er wurde von vielen verworfen, von der Menge getötet, von wenigen bemitleidet, aber dennoch auch von denjenigen, welche ihn bemitleideten, noch nicht als das, was er war, anerkannt. Dies alles ist gleichsam ein Anfang der Umrisse des Glaubens und des zukünftigen Baues. Und im Hinblick darauf sagt der Herr selbst an einer Stelle: „Wer mich liebt, hält meine Gebote, und wer mich liebt, wird von meinem Vater geliebt werden, und ich werde ihn lieben und mich ihm zeigen“1134. Die ihn hörten, sahen ihn natürlich auch schon; dennoch verhieß er ihnen, wenn sie ihn liebten, seinen Anblick. So auch hier: „Ihr werdet die Wahrheit erkennen“. Wie nun? Ist, was du gesagt hast, nicht Wahrheit? Es ist Wahrheit, aber sie wird noch geglaubt, noch nicht geschaut. Wenn man in dem bleibt, was man glaubt, kommt man zu dem, was man sehen soll. Darum sagt der hl. Evangelist Johannes selbst in seinem Briefe: „Geliebteste, wir sind Kinder Gottes, aber es ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden“. Wir sind schon etwas und werden etwas sein. Was werden wir noch mehr sein als das, was wir bereits sind? Höre: „Noch ist es nicht offenbar geworden, was wir sein werden; wir wissen, daß, wenn es offenbar sein wird, wir ihm ähnlich sein werden“. Warum? „Weil wir ihn sehen werden, wie er ist“1135. Eine große Verheißung, aber sie ist der Lohn des Glaubens. Du verlangst den Lohn, das Werk gehe vorher. Wenn du glaubst, begehre den Lohn des Glaubens; wenn du aber nicht glaubst, mit welcher Stirne verlangst du den Lohn des Glaubens? Also „wenn ihr in meinem Worte bleibet, werdet ihr wahrhaft meine Jünger sein“, um die Wahrheit selbst zu betrachten, wie sie ist, nicht durch klingende Worte, sondern durch das erstrahlende Licht, wenn er uns sättigen wird, wie es im Psalme heißt: „Gezeichnet ist über uns das Licht Deines Angesichtes, o Herr“1136. Wir sind ein Gepräge Gottes, als Münze sind wir vom Schatze abgeirrt. Durch den Umlauf wurde abgerieben, was uns aufgeprägt war; es kam der, der uns umbilden sollte, weil er selbst uns gebildet hatte; auch er sucht seine Münze, wie der Kaiser die seinige; darum sagt er: „Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“1137: dem Kaiser die Münzen, Gott euch selber. Dann also wird die Wahrheit in uns ausgeprägt werden.
10.
Was soll ich zu eurer Liebe sagen? O wenn das Herz nur einigermaßen nach jener unaussprechlichen Herrlichkeit sich sehnen würde! O wenn wir doch unsere Pilgerschaft mit Seufzen empfinden und die Welt nicht lieben und bei dem, der uns berufen hat, stets in frommer Gesinnung anklopfen würden! Die Sehnsucht ist der Busen des Herzens; wir werden darin umsomehr aufnehmen, je mehr wir die Sehnsucht nach unsern Kräften ausdehnen. Dies sucht an uns zu erreichen die göttliche Schrift, dies die Versammlung des Volkes, dies die Feier der Geheimnisse, dies die heilige Taufe, dies der Lobgesang Gottes, dies auch unsere Rede, daß diese Sehnsucht nicht bloß gesät wird und sproßt, sondern auch bis zu dem Grade an Umfang zunimmt, daß sie imstande sei, in sich zu fassen, was kein Auge gesehen, kein Ohr gehört und in keines Menschen Herz gekommen ist. Aber liebet mit mir! Der liebt das Geld nicht so sehr, der Gott liebt. Auch ich habe der Schwäche nachgegeben, ich habe nicht gewagt zu sagen: Der liebt das Geld gar nicht, sondern: Der liebt das Geld nicht so sehr, als ob man das Geld lieben dürfte, aber nicht so sehr. O daß wir Gott geziemend lieben möchten, dann werden wir das Geld durchaus nicht lieben. Das Geld wird dir dann ein Hilfsmittel in der Pilgerschaft sein, nicht ein Reizmittel der Begierlichkeit; du magst es benützen zum Lebensunterhalt, aber nicht anwenden zur Befriedigung der Genußsucht. Liebe Gott, wenn er etwas an dir getan hat, was du hörst und lobst. Gebrauche die Welt, laß dich aber von der Welt nicht gefangen nehmen. Da wo du eingetreten bist, machst du nur eine Reise, du bist gekommen, um wieder Abschied zu nehmen, nicht um dazubleiben; eine Reise machst du, eine Herberge ist dieses Leben. Bediene dich des Geldes, wie ein Reisender in der Herberge des Tisches, des Bechers, des Kruges, des Bettes sich bedient, nämlich als ein solcher, der dies wieder verläßt, nicht dort bleibt. Wenn ihr von solcher Gesinnung seid ― erhebet das Herz, die ihr könnet, und höret mich ―, wenn ihr von solcher Gesinnung seid, so werdet ihr zu seinen Verheißungen kommen. Denn es ist nicht viel für euch, da groß die Hand dessen ist, der euch berufen hat. Er hat euch berufen, er möge angerufen werden; laßt uns zu ihm sagen: Du hast uns berufen, wir rufen Dich an; siehe, wir hörten Deine Berufung, höre unsere Anrufung; führe uns dorthin, wohin Du uns zu führen verheißen hast; vollende, was Du angefangen hast; verlaß Deine Gaben nicht, verlaß Deinen Acker nicht, möchten Deine Sprößlinge in die Scheune eintreten. Zahlreich sind die Versuchungen in der Welt, aber größer ist derjenige, der die Welt gemacht hat. Zahlreich sind die Versuchungen, aber keiner ist verlassen, der auf denjenigen seine Hoffnung setzt, in dem keine Ohnmacht ist.
11.
Darum habe ich euch diese Mahnungen gegeben, Brüder, weil die Freiheit, von der unser Herr Jesus Christus spricht, nicht dieser Zeit angehört. Sehet, was er beigefügt hat: „Ihr werdet wahrhaft meine Jünger sein und die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch befreien“. Was heißt das: „Sie wird euch befreien“? Sie wird euch frei machen. Schließlich meinten die fleischlichen und nach dem Fleische urteilenden Juden, nicht jene, welche geglaubt hatten, sondern jene, die ungläubig blieben in jener Menge, es sei ihnen Unrecht widerfahren, weil er zu ihnen sagte: „Die Wahrheit wird euch befreien“. Sie fanden es empörend, daß sie als Knechte bezeichnet wurden. Und wahrlich, sie waren Knechte. Und er erklärte ihnen, worin die Knechtschaft bestehe und worin die zukünftige Freiheit bestehe, die er ihnen verheißt. Allein es würde zu weit führen, von dieser Freiheit und jener Knechtschaft heute noch zu reden.