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45. Vortrag

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Einleitung.

Fünfundvierzigster Vortrag.

Von da an: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, wer nicht durch die Türe in den Schafstall eingeht, sondern anderswo hineinsteigt, der ist ein Dieb und ein Räuber“, bis dahin: „Ich bin gekommen, daß sie das Leben haben und es im Überflusse haben“. Joh. 10, 1―10.

1.

Der sehend gewordene Blindgeborene hat den Ausgangspunkt der Rede des Herrn an die Juden gebildet. Von dem Zusammenhang dieses Lesestückes mit dem heutigen mußte eure Liebe Kenntnis haben und daran erinnert werden. Als nämlich der Herr gesagt hatte: „Ich bin zum Gerichte in diese Welt gekommen, damit, die nicht sehen, sehen, und die sehen, blind werden“, was wir anläßlich der letzten Lesung nach Vermögen erklärten, sagten einige aus den Pharisäern: „Sind etwa auch wir blind?“ Er antworte ihnen: „Wenn ihr blind wäret, würdet ihr keine Sünde haben; nun aber sagt ihr: Wir sehen; eure Sünde bleibt“1255. Diesen Worten fügte er das bei, was wir bei der heutigen Lesung vernommen haben.

2.

„Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, wer nicht durch die Türe in den Schafstall eingeht, sondern anderswoher hineinsteigt, der ist ein Dieb und Räuber.“ Sie sagten nämlich, daß sie nicht blind seien; sehen aber könnten sie dann, wenn sie Schafe Christi wären. Woher nahmen sie für sich das Licht, die gegen den Tag wüteten? Wegen ihrer eitlen, stolzen und unheilbaren Anmaßung also reihte der Herr dieses an, wodurch er uns, wenn wir es verstehen, auf heilsame Weise eine Mahnung gegeben hat. Es gibt ja viele, die im Sinne einer gewissen Führung des gegenwärtigen Lebens gute Menschen, gute Männer, gute Frauen, unsträflich genannt werden und das, was im Gesetze vorgeschrieben ist, so gut wie beobachten: sie erweisen ihren Eltern Ehre, lassen sich keinen Ehebruch zu Schulden kommen, begehen keinen Totschlag, stehlen nicht, geben kein falsches Zeugnis gegen jemand und erfüllen die übrigen Vorschriften des Gesetzes in ihrer Weise, aber sie sind keine Christen und brüsten sich gemeiniglich wie jene: „Sind etwa auch wir blind?“ Weil sie aber dies alles, was sie tun, ohne zu wissen, auf welches Ziel sie es beziehen sollen, vergebens tun, so hat der Herr in der heutigen Lesung von seiner Herde und von der Türe, durch die man in den Schafstall eingeht, ein Gleichnis vorgelegt. Mögen also die Heiden immerhin sagen: Wir leben gut. Wenn sie nicht durch die Türe eingehen, was nützt ihnen das, dessen sie sich rühmen? Denn dazu soll einem ein gutes Leben nützen, daß ihm das ewige Leben gegeben wird; denn wenn nicht das ewige Leben verliehen wird, was nützt dem ein gutes Leben? Kann man ja nicht einmal von einem guten Leben bei denjenigen reden, die das Ziel eines guten Lebens entweder aus Blindheit nicht kennen oder aus Dünkel verachten. Es gibt aber für niemand eine wahre und sichere Hoffnung auf das ewige Leben, wenn er nicht das Leben, welches Christus ist, erkennt und durch die Türe in den Schafstall eingeht.

3.

Es suchen nun gewöhnlich solche Menschen auch andere zu bereden, daß sie gut leben und keine Christen sein sollen. Sie wollen von einer anderen Seite einsteigen, rauben und töten, nicht wie der Hirt bewahren und retten. Es gab also gewisse Philosophen, die über die Tugenden und Laster sorgfältige Untersuchungen in großer Fülle anstellten, einteilten, definierten, die scharfsinnigsten Schlüsse zogen, Bücher schrieben, ihre Weisheit mit rauschenden Backen anpriesen, die auch den Menschen zu sagen sich erkühnten: Folget uns nach, haltet euch zu unserer Schule, wenn ihr gut leben wollt. Aber sie waren nicht durch die Türe eingegangen; sie wollten verderben, schlachten und töten.

4.

Was soll ich von diesen sagen? Siehe, selbst die Pharisäer lasen und sprachen bei dem Gelesenen von Christus, hofften auf den kommenden Christus und erkannten den Erschienenen nicht; sie rühmten sich ebenfalls als Sehende d. h. als Weise und verleugneten Christus und gingen nicht durch die Türe ein. Also würden auch sie, wenn sie vielleicht einige verführen würden, dieselben verführen, um sie zu schlachten und zu töten, nicht um sie zu befreien. Auch diese wollen wir außer Spiel lassen; sehen wir jene an, die sich sogar des Namens Christi rühmen, ob sie etwa durch die Türe eintreten.

5.

Unzählige nämlich gibt es, welche sich als Sehende nicht bloß rühmen, sondern auch als von Christus Erleuchtete angesehen sein wollen; sie sind aber Häretiker. Sind vielleicht sie durch die Türe eingetreten? Durchaus nicht. Sabellius sagt: Der der Sohn ist, der nämliche ist der Vater; allein wenn er der Sohn ist, dann ist er nicht der Vater. Der geht nicht durch die Türe ein, welcher den Sohn für den Vater hält. Arius sagt: Etwas anderes ist der Vater, etwas anderes der Sohn. Richtig würde er sich ausdrücken, wenn er sagte: ein anderer, nicht : etwas anderes. Denn wenn er sagt: etwas anderes, so widerspricht er dem, von welchem er hört: „Ich und der Vater sind eins“1256. Auch er also geht nicht durch die Türe ein; denn er verkündet Christus so, wie er sich ihn vorstellt, nicht wie die Wahrheit ihn lehrt. Den Namen hast du, die Sache hast du nicht. Christus ist der Name für eine Sache; halte die Sache selbst fest, wenn du willst, daß der Name dir nütze. Ein anderer von irgendwoher, wie Photinus, sagt: Christus ist ein Mensch, er ist nicht Gott. Auch er geht nicht durch die Türe ein, weil Christus sowohl Mensch wie Gott ist. Doch wozu ist es nötig, viele solcher Beispiele anzuführen und viele Verkehrtheiten von Häresien aufzuzählen? Dies haltet fest: Der Schafstall Christi ist die katholische Kirche. Wer immer in den Schafstall eintreten will, der gehe durch die Türe ein, der verkündige den wahren Christus. Nicht bloß den wahren Christus verkündige er, sondern die Ehre Christi suche er, nicht die seinige; denn viele haben, indem sie ihre Ehre suchten, die Schafe Christi mehr zerstreut als gesammelt. Niedrig ist nämlich die Türe, Christus der Herr; wer durch diese Türe eintritt,der muß sich erniedrigen, um mit unverletztem Kopfe eintreten zu können. Wer sich aber nicht erniedrigt, erhebt sich; er will über die Mauer einsteigen; wer aber über die Mauer einsteigt, erhebt sich, um zu fallen.

6.

Dunkel jedoch spricht noch der Herr Jesus, er wird noch nicht verstanden; er nennt die Türe, er nennt den Schafstall, er nennt die Schafe; er hebt das alles hervor, aber er erklärt es noch nicht. Lesen wir also weiter, denn gleich wird er zu jenen Worten kommen, in welchen er uns etwas von dem Gesagten zu erklären sich würdigte, und aus dessen Erklärung wird er uns vielleicht auch das zu verstehen geben, was er nicht erklärt hat. Er labt nämlich durch das Klare und hält uns in Spannung durch das Dunkle. „Wer nicht durch die Türe in den Schafstall eintritt, sondern anderswoher einsteigt.“ Wehe dem Bedauernswerten, denn er wird zu Fall kommen! Er sei also niedrig, er trete durch die Türe ein; er gehe ebenen Fußes, und er wird nicht anstoßen. „Jener“, sagt er, „ist ein Dieb und Räuber.“ Für* seine* Schafe möchte er die fremden erklären, und zwar deshalb für die seinigen d. h. durch Diebstahl entwendeten, um sie zu töten, nicht um sie zu retten. Er ist also ein Dieb, weil er fremdes Eigentum für das seinige erklärt; ein Räuber, weil er auch das Gestohlene tötet. „Wer aber durch die Türe eintritt, ist der Hirt der Schafe; diesem öffnet der Türhüter.“ Wegen dieses Türhüters wollen wir dann eine Untersuchung anstellen, wenn wir vom Herrn selbst hören werden, was die Türe sei, und wer der Hirt. „Und die Schafe hören seine Stimme, und die eigenen Schafe nennt er mit Namen.“ Denn er hat ihre Namen geschrieben im Buche des Lebens. „Die eigenen Schafe nennt er mit Namen.“ Darum sagt der Apostel: „Der Herr kennt die Seinigen“1257. „Und er führt sie heraus. Und wenn er die eigenen Schafe herausgelassen hat, geht er vor ihnen her; und die Schafe folgen ihm, weil sie seine Stimme kennen. Einem Fremden aber folgen sie nicht, sondern fliehen vor ihm, denn sie kennen nicht die Stimme des Fremden.“ Dunkel ist dies, voll von Fragen, voll von Geheimnissen. Folgen wir also dem Lehrer und hören wir ihn, wie er von dieser Dunkelheit etwas erschließt und durch das, was er erschließt, uns vielleicht eintreten läßt.

7.

„Dieses Gleichnis sprach Jesus zu ihnen; sie aber erkannten nicht, was er ihnen damit sagte.“ Vielleicht erkennen es auch wir nicht. Was für ein Unterschied ist also zwischen jenen und uns, bevor auch wir diese Worte verstehen? Daß* wir* klopfen, damit uns aufgetan werde,* jene* aber durch Verleugnung Christi nicht eintreten wollten, um gerettet zu werden, sondern draußen bleiben, um verloren zu gehen. Daß also* wir* das ehrerbietig hören, daß wir es, bevor wir es verstehen, als wahr und göttlich glauben, dadurch unterscheiden wir uns von ihnen in hohem Grade. Denn wenn zwei die Worte des Evangeliums hören, ein Gottloser und ein Frommer, und die Worte sind so beschaffen1258, daß sie dieselben vielleicht beide nicht verstehen, so sagt der eine: Er hat nichts gesagt, der andere sagt: Er hat wahr gesprochen, und es ist gut, was er gesagt hat, aber wir verstehen es nicht. Der eine klopft bereits, weil er glaubt, und er ist wert, daß ihm aufgetan werde, wenn er zu klopfen fortfährt, der andere aber muß noch hören: „Wenn ihr nicht glaubt, werdet ihr nicht erkennen“1259. Warum hebe ich das hervor? Weil keiner, auch wenn ich diese dunklen Worte nach bestem Können erkläre, an sich zu verzweifeln braucht, weil sie so tiefsinnig sind oder ich sie nicht verstehe oder das Verstandene nicht darzulegen imstande bin oder einer von so langsamer Fassungskraft ist, daß er auch dem Erklärer nicht folgen kann; er verharre im Glauben, wandle auf dem Wege, er höre den Apostel, der da sagt: „Und wenn ihr etwas anders auffaßt, so wird euch Gott auch dieses offenbaren; jedoch, wohin wir gelangt sind, darin lasset uns wandeln“1260.

8.

Fangen wir also an, den zu hören, der es auslegt, nachdem wir den gehört haben, der es vorlegte. „Jesus sprach wiederum zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ich bin die Türe der Schafe.“ Siehe, eben die Türe, die er unter Verschluß gehalten hatte, hat er geöffnet. Er selbst ist die Türe. Wir haben es erkannt, lasset uns eintreten oder freuen wir uns, daß wir eingetreten sind. „Alle, so viele ihrer kamen, sind Diebe und Räuber.“ Was heißt das, o Herr: „Alle, so viele ihrer kamen?“ Denn wie? Bist Du nicht gekommen? Doch verstehe: „Alle, so viele ihrer kamen“, habe ich gesagt, nämlich außer mir. Erwägen wir also! Vor seiner Ankunft kamen die Propheten; waren sie etwa Diebe und Räuber? Das sei ferne! Sie kamen nicht außer ihm, weil sie mit ihm kamen. Da er kommen wollte, schickte er Herolde voraus, aber die Herzen derer, welche er schickte, hatte er in Besitz. Wollt ihr wissen, daß sie mit ihm kamen, der da immer ist? Das Fleisch nämlich nahm er in der Zeit an. Was heißt also „immer“? „Im Anfang war das Wort“1261. Mit ihm also kamen, die mit dem Worte Gottes kommen. „Ich bin“, sagt er, „der Weg, die Wahrheit und das Leben“1262. Wenn* er* die Wahrheit ist, dann kamen mit ihm diejenigen, welche wahrhaftig waren. Welche immer also außer ihm kamen, kamen als „Diebe und Räuber“, d. h. zum Stehlen und Töten.

9.

„Aber die Schafe hörten nicht auf sie.“ Das ist eine größere Frage: „Die Schafe hörten nicht auf sie“. Vor der Ankunft unseres Herrn Jesu Christi, in welcher er niedrig im Fleische kam, gingen Gerechte vorher, indem sie so an ihn als den Kommenden glaubten, wie wir an ihn als den Erschienenen glauben. Die Zeiten haben sich geändert, nicht der Glaube. Denn auch die Worte selbst ändern sich je nach der Zeit, indem sie verschieden abgewandelt werden; einen andern Klang hat: er wird kommen; einen andern Klang hat: er ist gekommen; der Klang ist ein anderer: er wird kommen und er ist gekommen; der nämliche Glaube jedoch verbindet beide, sowohl jene, welche glaubten, daß er kommen wird, wie jene, welche glauben, daß er gekommen ist. Wir sehen, daß sie zu verschiedenen Zeiten, aber beide durch die eine Türe des Glaubens, d. i. durch Christus, eingetreten sind.* Wir* glauben, der Herr Jesus Christus, geboren aus der Jungfrau, sei im Fleische gekommen, habe gelitten, sei auferstanden, in den Himmel aufgefahren; dies alles ist, wie ihr ja die Worte in der vergangenen Zeit hört, gemäß unserm Glauben bereits erfüllt. In der Gemeinschaft desselben Glaubens sind mit uns auch jene Väter, welche glaubten, er werde aus der Jungfrau geboren werden, leiden, auferstehen, in den Himmel auffahren; auf sie nämlich weist der Apostel hin, wo er sagt: „Da wir aber denselben Geist des Glaubens haben, wie geschrieben steht: „Ich glaubte, darum redete ich“, glauben auch wir, darum reden wir auch“1263. Der Prophet sagte: „Ich glaubte, darum redete ich“1264; der Apostel sagt: „Auch wir glauben, darum reden wir auch“. Damit du aber wissest, daß es* ein* Glaube sei, höre ihn, wenn er sagt: „Da wir denselben Geist des Glaubens haben, glauben auch wir“. So an einer andern Stelle: „Denn ich will nicht, daß euch unbekannt sei, wie unsere Väter alle unter der Wolke waren, und alle durch das Meer gingen, und alle auf Moses getauft wurden in der Wolke und im Meere, und alle dieselbe geistige Speise aßen, und alle denselben geistigen Trank tranken“1265. Das Rote Meer bedeutet die Taufe; Moses, der Führer durch das Rote Meer, bedeutet Christus; das hindurchgehende Volk bedeutet die Gläubigen; der Tod der Ägypter bedeutet die Tilgung der Sünden. In verschiedenen Zeichen derselbe Glaube: so in verschiedenen Zeichen, wie in verschiedenen Worten, weil die Worte den Klang ändern nach den Zeiten und die Worte sicherlich nichts anderes sind als Zeichen. Denn dadurch, daß sie bezeichnen, sind sie Worte; nimm dem Worte die Bezeichnung, und es ist ein leeres Geräusch. Alles also ist bezeichnet worden. Glaubten nun die nicht dasselbe, durch welche diese Zeichen gegeben wurden, durch welche dasselbe, was wir glauben, in der Prophetie vorausverkündet wurde? Gewiß. sie glaubten; doch jene, es werde geschehen, wir aber, daß es geschehen sei. Darum sagt er auch so: „Sie tranken denselben geistigen Trank“. Denselben geistigen, nicht denselben körperlichen Trank. Denn was tranken jene? „Sie tranken nämlich aus dem geistigen Felsen, der ihnen folgte, der Fels aber war Christus“1266. Sehet also, wie der Glaube blieb, die Zeichen sich änderten. Dort war Christus der Fels, für uns ist Christus das, was auf den Altar gelegt wird. Und jene tranken als ein großes Geheimnis desselben Christus das aus dem Felsen fließende Wasser; was wir trinken, wissen die Gläubigen1267. Wenn du auf die sichtbare Gestalt schaust, ist es etwas anderes, wenn auf den geistigen Sinn, tranken sie denselben geistigen Trank. Alle also, welche zu jener Zeit glaubten, sei es dem Abraham oder dem Isaak oder dem Jakob oder dem Moses oder andern Patriarchen und andern Propheten, die Christus vorherverkündeten, waren Schafe und hörten Christus; nicht eine fremde Stimme, sondern die seine hörten sie. Der Richter war im Herold gewesen. Denn wenn auch der Richter durch den Herold redet, so trägt der Schreiber nicht ein: Der Herold sprach, sondern: Der Richter sprach. Andere also sind es, auf welche die Schafe nicht hörten, in welchen nicht die Stimme Christi war, die Irrlehrer, falsche Lehrer, törichte Schwätzer, Lügenschmiede, Verführer von Unglücklichen.

10.

Was soll es also heißen, wenn ich gesagt habe: Dies ist eine größere Frage? Was ist hierin Dunkles und zum Verstehen Schwieriges? Höret, ich bitte. Siehe, der Herr Jesus Christus selbst kam, er predigte; gewiß war dies weit mehr die Stimme des Hirten, die dem Munde des Hirten selbst entquoll.Wenn nämlich schon in den Propheten die Stimme des Hirten war, um wieviel mehr brachte die Zunge des Hirten selbst die Stimme des Hirten zum Ausdruck! Nicht alle hörten sie. Aber was meinen wir? Die sie hörten, waren das Schafe? Siehe, Judas hörte sie, und er war ein Wolf; er folgte nach, aber in das Schaffell gehüllt stellte er dem Hirten nach. Einige jedoch von denen, welche Christus kreuzigten, hörten die Stimme des Hirten nicht, und waren Schafe. Diese nämlich sah er in der Menge, da er sprach: „Wenn ihr den Menschensohn erhöht haben werdet, dann werdet ihr erkennen, daß ich es bin“1268. Wie ist doch diese Frage zu lösen? Es hören solche die Stimme, die keine Schafe sind, und Schafe hören sie nicht. Es folgen der Stimme des Hirten manche Wölfe, und einige Schafe widersprechen ihr; schließlich töten Schafe den Hirten. Die Frage findet ihre Lösung; es antwortet nämlich einer und sagt: Aber da sie nicht hörten, waren sie noch nicht Schafe, damals waren sie Wölfe; die Stimme, die sie gehört, hat sie umgewandelt und aus Wölfen Schafe gemacht. Da sie also Schafe wurden, hörten sie und fanden den Hirten und folgten dem Hirten. Sie hofften auf die Verheißungen des Hirten, weil sie seine Gebote beobachteten.

11.

Diese Frage ist nun immerhin gelöst, und vielleicht genügt einem die Lösung. Mich aber beunruhigt noch etwas, und was mich beunruhigt, teile ich euch mit, damit ich, indem ich gewissermaßen mit euch suche, durch göttliche Erleuchtung mit euch zu finden gewürdigt werde. Was mich also beunruhigt, vernehmet. Bei dem Propheten Ezechiel tadelt der Herr die Hirten und sagt unter anderm von den Schafen: „Das irrende Schaf habt ihr nicht zurückgerufen“1269. Sowohl „irrend“ sagt er, wie „Schaf“ nennt er es. Wenn es ein Schaf war, da es irrte, wessen Stimme hörte es, daß es irrte? Denn ohne Zweifel würde es nicht irren, wenn es die Stimme des Hirten hörte; aber deshalb irrte es, weil es die Stimme eines Fremden hörte; es hörte die Stimme eines Diebes und Räubers. Gewiß die Stimme der Mörder hören die Schafe nicht: „die gekommen sind“, sagt er, und wir denken hinzu: außer mir, d. h. „die gekommen sind“ außer mir, „sind Diebe und Räuber, und die Schafe hörten diese nicht“. Herr, wenn die Schafe auf sie nicht hörten, wie irrten die Schafe? Wenn die Schafe nur Dich hören, Du aber die Wahrheit bist, so irrt sicherlich nicht, wer immer die Wahrheit hört. Jene aber irren und werden Schafe genannt. Denn wenn sie im Irrtum nicht Schafe genannt würden, so würde es bei Ezechiel nicht heißen: „Das irrende Schaf habt ihr nicht zurückgerufen“. Wie irrt es und ist doch ein Schaf? Hat es die Stimme eines Fremden gehört? Gewiß „die Schafe hörten diese nicht“. Sodann, jetzt werden viele in den Schafstall Christi gesammelt und aus Häretikern werden Katholiken; den Dieben werden sie entrissen, den Hirten zurückgegeben: und bisweilen murren sie, werden unwillig gegen den, der sie zurückruft, und erkennen den nicht, der sie erwürgt; jedoch auch wenn sie mit Widerstreben gekommen sind, diejenigen, die Schafe sind, erkennen die Stimme des Hirten und freuen sich, daß sie gekommen sind, und schämen sich, daß sie geirrt haben. Während sie aber in jenem Irrtum, als wäre es die Wahrheit, sich rühmten und gewiß die Stimme des Hirten nicht hörten und darum einem Fremden folgten, waren sie da Schafe oder nicht? Wenn sie Schafe waren, wie hören dann die Schafe die Fremden nicht? Wenn sie keine Schafe waren, warum werden jene getadelt, zu welchen gesagt wird: „Das irrende Schaf habt ihr nicht zurückgerufen“? Sogar auch bei den bereits katholisch gewordenen Christen, Gläubigen von guter Hoffnung, finden sich bisweilen schlimme Dinge; sie werden zum Irrtum verführt und nach dem Irrtum zurückgeführt; da sie zum Irrtum verführt und nochmals getauft wurden oder nach dem Anschluß an die Herde des Herrn wiederum in den alten Irrtum zurückfielen, waren sie da Schafe oder nicht? Gewiß waren sie Katholiken. Wenn Katholiken, waren sie Gläubige, waren sie Schafe. Wenn sie Schafe waren, wie konnten sie die Stimme eines Fremden hören, da doch der Herr sagt: „Die Schafe haben sie nicht gehört“?

12.

Ihr habt, Brüder, die große Schwierigkeit der Frage vernommen. Ich sage also: „Der Herr kennt die Seinen“1270. Er kennt die Vorhergewußten, er kennt die Vorherbestimmten; von ihm heißt es ja: „Die er aber vorherwußte, die hat er auch vorherbestimmt, gleichförmig zu werden dem Bilde seines Sohnes, damit er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. Die er aber vorherbestimmt, die hat er auch berufen, und die er berufen, die hat er auch gerechtfertigt, die er aber gerechtfertigt, die hat er auch verherrlicht. Wenn Gott für uns, wer ist wider uns?“ Nimm dazu: „Der seines eigenen Sohnes nicht schonte, sondern ihn für uns alle dahingab, wie sollte er nicht auch mit ihm uns alles geschenkt haben?“ Aber welche sind mit „uns“ gemeint? Die Vorhergewußten, die Vorherbestimmten, die Gerechtfertigten, die Verherrlichten, von welchen es weiter heißt: „Wer wird Klage erheben gegen die Auserwählten Gottes?“1271. Also „der Herr kennt die Seinen“; dies sind die Schafe. Bisweilen kennen sie sich selbst nicht, aber der Hirt kennt sie, gemäß jener Vorherbestimmung, gemäß jenem Vorherwissen Gottes, gemäß der Erwählung der Schafe vor Grundlegung der Welt; denn auch dies sagt der Apostel: „Wie er uns erwählt hat in ihm vor Grundlegung der Welt“1272. Gemäß jenem Vorherwissen und jener Vorherbestimmung Gottes also ― wie viele Schafe sind draußen, wie viele Wölfe drinnen, und wie viele Schafe sind drinnen und wie viele Wölfe draußen! Was soll es heißen, wenn ich gesagt habe: Wie viele Schafe sind draußen? Wie viele führen jetzt ein ausschweifendes Leben, die einst keusch sein werden; wie viele lästern Christus, die einst an Christus glauben werden; wie viele betrinken sich, die einst nüchtern sein werden; wie viele stehlen jetzt fremdes Eigentum, die einst das ihrige verschenken werden! Jedoch jetzt hören sie eine fremde Stimme, sie folgen Fremden. Desgleichen loben drinnen, die einst lästern werden; sind keusch, die einst unkeusch sein werden; sind nüchtern, die sich später dem Weingenuß ergeben werden; stehen, die einst fallen werden! Das sind keine Schafe. (Von den Vorherbestimmten nämlich reden wir; von jenen reden wir, welche der Herr kennt, die ihm angehören.) Und doch hören diese, solange sie an der Wahrheit festhalten, die Stimme Christi. Siehe, diese hören, jene hören nicht, und doch sind, gemäß der Vorherbestimmung, diese keine Schafe, jene aber Schafe.

13.

Noch bleibt eine Frage, von der ich glaube, daß sie sich vorläufig jetzt so lösen läßt. Es gibt eine Stimme, es gibt, sag’ ich, eine Stimme des Hirten, in welcher die Schafe die Fremden nicht hören, in welcher jene, die keine Schafe sind, Christus nicht hören. Welches ist diese Stimme? „Wer ausharrt bis ans Ende, der wird selig werden“1273. Diese Stimme läßt der Eigene nicht unbeachtet, hört nicht der Fremde; denn auch jener predigt ihm das, daß er bei ihm ausharre bis zum Ende, aber weil er bei ihm nicht ausharrt bis zum Ende, hört er diese Stimme nicht. Er kam zu Christus, hörte verschiedene Worte, diese und jene Worte, lauter wahre, lauter verständige Worte, und unter all diesen Worten ist auch jene Stimme: „Wer ausharrt bis zum Ende, der wird selig werden“. Wer diese hört, ist ein Schaf. Allein es hört sie irgendeiner und blieb unverständig und kalt, er hörte eine fremde Stimme. Wenn er vorherbestimmt ist, irrte er nur eine Zeitlang, er ging nicht auf ewig verloren; er kehrt zurück, um zu hören, was er unbeachtet ließ, um zu tun, was er gehört hat. Denn wenn er zu denjenigen gehört, welche vorherbestimmt sind, so wußte Gott sowohl seinen Irrtum wie seine künftige Bekehrung vorher; wenn er abgeirrt ist, kehrt er zurück, um jene Stimme des Hirten zu hören und dem zu folgen, der da sagt: „Wer ausharrt bis zum Ende, der wird selig werden“. Eine gute Stimme, Brüder, eine wahre, eine Hirtenstimme, das ist die Stimme des Heiles in den Zelten der Gerechten1274. Denn leicht ist es, Christus zu hören, leicht ist es, das Evangelium zu loben, leicht, dem Prediger Beifall zu spenden; ausharren bis ans Ende, das ist Sache der Schafe, welche die Stimme des Hirten hören. Es kommt eine Versuchung, halte aus bis zum Ende [denn die Versuchung hält nicht aus bis zum Ende]1275. Bis zu welchem Ende sollst du ausharren? Bis du den Weg vollendest. Solange du nämlich Christus nicht hörst, ist dein Gegner auf diesem Wege, d. h. in diesem sterblichen Leben. Aber was sagt er? „Vergleich dich mit deinem Gegner bald, da du mit ihm noch auf dem Wege bist“1276. Du hast gehört, geglaubt, dich verglichen. Wenn du widerstrebtest, vergleiche dich. Wenn dir Gelegenheit gegeben wurde, dich zu vergleichen, so streite nicht länger. Denn du weißt nicht, wann der Weg zu Ende geht, aber er weiß es. Wenn du ein Schaf bist und ausharrst bis zum Ende, wirst du selig werden; und darum lassen die Seinigen diese Stimme nicht unbeachtet, die Fremden hören sie nicht. ― Wie ich konnte, wie er es gab, habe ich euch diese schwierige Frage erklärt oder doch mit euch besprochen. Wenn es einige weniger verstanden haben, so bleibe die ehrfürchtige Gesinnung, und die Wahrheit wird sich enthüllen; die es aber verstanden haben, mögen sich nicht erheben als die Schnelleren über die Langsameren, damit sie nicht durch Überhebung vom Wege abkommen und so die Langsameren leichter zum Ziele gelangen. Alle aber führe der hinaus, zu dem wir sagen: „Geleite mich, o Herr, auf Deinem Wege, und ich werde in Deiner Wahrheit handeln“1277.

14.

Durch das also, was der Herr ausgelegt hat ― er ist ja die Türe ―, lasset uns eingehen zu dem, was er vorgelegt, aber nicht ausgelegt hat. Wenigstens wer der Hirte ist, hat er zwar nicht in dem Lesestück, das heute verlesen wurde, gesagt, aber er sagt es ganz deutlich im folgenden: „Ich bin der gute Hirt“. Und auch wenn er es nicht sagen würde, wen anders als ihn müßten wir verstehen in den Worten: „Wer durch die Türe eintritt, ist der Hirt der Schafe. Diesem öffnet der Türhüter, und die Schafe hören seine Stimme, und die eigenen Schafe ruft er mit Namen und führt sie heraus. Und wenn er die eigenen Schafe herausgelassen hat, geht er vor ihnen her; und die Schafe folgen ihm nach, weil sie seine Stimme kennen“. Wer sonst ruft die eigenen Schafe mit Namen und führt sie von hier zum ewigen Leben, als der, welcher die Namen der Vorherbestimmten kennt? Darum sagt er zu seinen Jüngern: „Freuet euch, weil eure Namen geschrieben sind im Himmel“1278; deshalb nämlich ruft er sie mit Namen. Und wer sonst läßt sie heraus, als der, welcher ihre Sünden erläßt, damit sie, befreit von harten Banden, ihm nachfolgen können? Und wer ging ihnen dorthin voraus, wohin sie ihm nachfolgen sollen, als der, welcher, auferstanden von den Toten, nicht mehr stirbt und über den der Tod weiter keine Gewalt mehr hat1279, und welcher, da er hier sichtbar im Fleische weilte, sprach: „Vater, ich will, daß auch die, die Du mir gegeben hast, mit mir seien, wo ich bin“1280. Darum sagt er: „Ich bin die Türe; wer durch mich eingeht, wird selig werden, und er wird eingehen und ausgehen, und wird Weide finden“. Damit zeigt er ganz deutlich, daß nicht bloß der Hirt, sondern auch die Schafe durch die Türe eingehen.

15.

Aber was heißt das: „Er wird eingehen und ausgehen und Weide finden“? Eingehen nämlich in die Kirche durch Christus, die Türe, ist sehr gut, aber herausgehen aus der Kirche, wie derselbe Johannes, der Evangelist, in seinem Briefe sagt: „Sie sind von uns ausgegangen, aber sie waren nicht aus uns“1281, ist gewiß nicht gut. Ein solcher Ausgang also könnte vom guten Hirten nicht gelobt werden, daß er sagte: „Er wird eingehen und ausgehen und Weide finden“. Es gibt demnach nicht bloß einen guten Eingang, sondern auch einen guten Ausgang durch die gute Türe, welche Christus ist. Aber welcher ist dieser lobenswerte und selige Ausgang? Ich könnte zwar sagen, wir gehen ein, wenn wir innerlich etwas denken, gehen aber aus, wenn wir äußerlich etwas vollbringen, und weil, wie der Apostel sagt, durch den Glauben Christus in unseren Herzen wohnt1282, so heiße durch Christus eingehen soviel als gemäß dem Glauben denken, durch Christus ausgehen aber gemäß dem Glauben auch draußen d. h. vor den Menschen wirken. Weshalb es im Psalme heißt: „Der Mensch geht aus an sein Werk“1283, und der Herr selbst sagt: „Es sollen eure guten Werke leuchten vor den Menschen“1284. Allein mehr sagt mir zu, was die Wahrheit selbst als der gute Hirt und darum als der gute Lehrer uns gewissermaßen nahelegte, wie wir seine Worte verstehen sollen: „Er wird eingehen und ausgehen und wird Weide finden“, da er im folgenden hinzufügte: „Der Dieb kommt nur, um zu stehlen und zu schlachten und zu verderben; ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Überfluß haben“. Er scheint mir nämlich gesagt zu haben, daß sie das Leben haben sollen, indem sie eingehen, und es in Überfluß haben, indem sie ausgehen. Es kann aber niemand durch die Türe d. i. durch Christus ausgehen zum ewigen Leben, das in der Anschauung sein wird, wenn er nicht durch dieselbe Türe d. i. durch denselben Christus in seine Kirche, welche sein Schafstall ist, zum zeitlichen Leben eingegangen ist, welches im Glauben ist. Daher sagt er: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben“, d. i. den Glauben, welcher durch die Liebe wirkt1285, durch welchen Glauben sie in den Schafstall eingehen, um zu leben, weil der Gerechte aus dem Glauben lebt1286, „und es in Überfluß haben“ diejenigen, welche durch Ausharren bis ans Ende durch jene Türe d. i. durch den Glauben an Christus ausgehen, weil sie als wahre Gläubige sterben und im Überflusse das Leben haben werden, indem sie dorthin kommen, wohin jener Hirt vorausging, wo sie fortan nie mehr sterben sollen. Obwohl es also auch hier in diesem Schafstall nicht an Weide gebricht, weil wir in Bezug auf beides das Wort verstehen können: „Und er wird Weide finden“, d. h. in Bezug auf den Eingang und den Ausgang, so werden sie doch dort die wahre Weide finden, wo diejenigen gesättigt werden sollen, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit1287, eine Weide, wie sie der fand, zu dem gesagt wurde: „Heute noch wirst du bei mir im Paradiese sein“1288. Wie er aber selbst die Türe, er selbst auch der Hirt sei, so daß er dahin zu verstehen ist, er gehe gewissermaßen durch sich selbst ein und aus, und wer der Türhüter sei, das heute zu erörtern wäre zu lang und ist durch genauere Darlegung mit seiner Hilfe darzulegen.

Vorträge über das Johannes-Evangelium, Band 2

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