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41. Vortrag

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Einleitung.

Einundvierzigster Vortrag.

Abermals über die Stelle: „Es sprach aber Jesus zu denjenigen, welche geglaubt hatten“, bis dahin: „Wenn euch also der Sohn befreien wird, werdet ihr wahrhaft frei sein.“ Joh. 8, 31―36.

1.

Was aus der vorhergehenden Lesung noch folgt und aus dem heiligen Evangelium uns heute vorgelesen wurde, habe ich letzthin zu besprechen verschoben, weil ich schon vieles gesagt hatte, und von der Freiheit, zu der uns die Gnade des Erlösers ruft, nicht oberflächlich und leichthin gesprochen werden durfte; deshalb habe ich mir vorgenommen, mit Gottes Hilfe heute davon zu euch zu reden. Die nämlich, zu welchen der Herr Jesus Christus sprach, waren Juden, zwar zum großen Teile Feinde, aber zum Teil auch Freunde, sei es daß sie es schon geworden oder noch werden sollten; denn, wie schon gesagt, er sah dort einige, welche nach seinem Leiden gläubig werden sollten. Bei ihrem Anblick hatte er gesagt: „Wenn ihr des Menschen Sohn werdet erhöht haben, dann werdet ihr erkennen, daß ich es bin“1138. Es waren darunter auch solche, welche bei dieser Rede des Herrn sofort glaubten; zu diesen sagte er, was wir heute vernommen haben: „Es sprach also Jesus zu den Juden, die an ihn geglaubt hatten: Wenn ihr in meinem Worte bleibet, werdet ihr wahrhaft meine Jünger sein“. Indem ihr bleibet, werdet ihr es sein; weil ihr nämlich jetzt Glaubende seid, werdet ihr durch euer Bleiben Sehende sein. Darum folgt: „Und ihr werdet die Wahrheit erkennen“. Die Wahrheit ist unveränderlich. Die Wahrheit ist ein Brot, sie erquickt die Geister und geht nicht aus1139; sie verändert den, der davon ißt, wird aber selbst nicht in den Essenden verwandelt.* Das* ist die Wahrheit: Das Wort Gottes, Gott bei Gott, der eingeborene Sohn. Diese Wahrheit ist unsertwegen mit dem Fleische umkleidet worden, damit sie aus Maria der Jungfrau geboren und die Weissagung erfüllt würde: „Die Wahrheit ist der Erde entsproßt“1140. Diese Wahrheit nun war, da sie zu den Juden redete, im Fleische verborgen; sie war aber verborgen, nicht um geleugnet, sondern um hinausgeschoben zu werden; hinausgeschoben aber sollte sie werden, um im Fleische zu leiden; im Fleische aber sollte sie leiden, damit das Fleisch der Sünde erlöst würde. Sichtbar also dastehend nach der Schwachheit des Fleisches und unsichtbar nach der Majestät der Gottheit, sprach unser Herr Jesus Christus zu denjenigen, welche ihm bei jenen Worten geglaubt hatten: „Wenn ihr in meinem Worte bleibet, werdet ihr wahrhaft meine Jünger sein“. Denn „wer ausharret bis zum Ende, der wird selig werden“1141. „Und ihr werdet die Wahrheit erkennen“, welche euch jetzt verborgen ist und die zu euch redet. „Und die Wahrheit wird euch befreien.“ Dieses Wort nahm der Herr von der Freiheit her, „er wird euch befreien“. Denn „er befreit“ heißt eigentlich nichts anderes als „er macht frei“. Wie „er beseligt“ nichts anderes heißt als „er macht selig“; wie „er heilt“ nichts anderes heißt als „er macht heil“; „er bereichert“ nichts anderes heißt als „er macht reich“, so heißt „er befreit“ nichts anderes als „er macht frei“. Dies ist im griechischen Zeitwort1142 deutlicher. Denn im lateinischen Sprachgebrauch sagen wir häufig von einem Menschen, er werde befreit nicht mit Bezug auf die Freiheit, sondern nur mit Bezug auf die Gesundheit, z. B. wenn es von jemand heißt, er werde von einer Krankheit befreit; das ist die gewöhnliche, aber nicht die eigentliche Redeweise. Der Herr aber hat dieses Wort bei dem Ausspruche: „Und die Wahrheit wird euch befreien“, so genommen, daß im Griechischen niemand zweifelt, er habe von der Freiheit gesprochen.

2.

Schließlich verstanden es ja auch die Juden so „und antworteten ihm“, nicht jene, welche geglaubt hatten, sondern jene, welche in der Menge noch nicht gläubig waren, sie „antworteten ihm: Wir sind Abrahams Samen und sind nie jemandes Knechte gewesen; wie sagst Du: Ihr werdet frei sein?“ Der Herr hatte aber nicht gesagt: „Ihr werdet frei sein“, sondern „die Wahrheit wird euch befreien“. Unter diesem Worte jedoch verstanden jene, weil, wie gesagt, im Griechischen der Sinn klar ist, nur die Freiheit, und rühmten sich, daß sie Abrahams Samen seien, und sagten: „Wir sind Abrahams Same und sind nie jemandes Knechte gewesen; warum sagst Du: Ihr werdet frei sein?“ O aufgeblasenes Fell! Das ist nicht Größe, sondern Hochmut. Und wie habt ihr damit selbst nach der Freiheit dieser Zeit die Wahrheit geredet: „Wir sind nie jemandes Knechte gewesen“? Ist Joseph nicht verkauft worden1143? Sind die heiligen Propheten nicht in die Gefangenschaft geführt worden1144? Sodann, ist dies nicht gerade jenes Volk, das in Ägypten Ziegelsteine machte und den harten Königen nicht einmal in Gold und Silber, sondern im Lehme Knechtsdienste tat1145? Wenn ihr nie jemand als Knechte gedient habt, o ihr Undankbaren, wie kommt es dann, daß euch Gott beständig vorhält, er habe euch aus dem Hause der Knechtschaft befreit1146? Oder haben vielleicht eure Väter als Knechte gedient, während ihr, die ihr redet, in niemandes Dienst gestanden seid? Wie also habt ihr schon längst den Römern Tribut bezahlt und darum auch der Wahrheit selbst einen Strick gleichsam zum Einfangen hingeworfen durch die Frage: „Ist es erlaubt, dem Kaiser Tribut zu geben“? um, wenn er sagen würde: Es ist erlaubt, ihn zu fassen, als stehe er der Freiheit des Samens Abrahams feindlich gegenüber; wenn er aber sagen würde: Es ist nicht erlaubt, ihn bei den Königen der Erde anzuschwärzen, weil er den Königen den Tribut zu geben verbiete. Mit Recht seid ihr durch Vorzeigung der Münze widerlegt und auf eure verfängliche Frage selbst die Antwort zu geben gezwungen worden. Denn es ist euch gesagt worden: „Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“, da ihr selbst geantwortet hattet, daß die Münze das Bild des Kaisers trage1147. Denn wie der Kaiser auf der Münze sein Bild, so sucht Gott am Menschen das seinige. Das also antwortete er den Juden. Ich entrüste mich, Brüder, über den eitlen Hochmut der Menschen, die sogar hinsichtlich dieser fleischlich verstandenen Freiheit logen, indem sie sagten: „Wir sind nie jemandes Knechte gewesen“.

3.

Was aber der Herr geantwortet hat, das wollen wir vor allem andern mit Aufmerksamkeit hören, damit nicht auch wir selbst als Knechte erfunden werden. „Der Herr antwortete ihnen“ nämlich: „Amen, Amen, ich sage euch: Jeder, der Sünde tut, ist ein Knecht der Sünde“. Er ist ein Knecht, wenn nur wenigstens Knecht eines Menschen, nicht der Sünde! Wer erzittert nicht bei diesen Worten? Möge der Herr unser Gott uns verleihen, d. h. mir und euch, daß ich zutreffend von der Erstrebung dieser Freiheit und der Vermeidung dieser Knechtschaft rede. „Amen, Amen, ich sage euch“, sagt die Wahrheit, und was für ein Spruch des Herrn unseres Gottes ist dies: „Amen, Amen, ich sage euch“? Er betont gar sehr, was er so verkündet; es ist gewissermaßen, wenn man so sagen darf, ein Schwur von ihm: „Amen, Amen, ich sage euch“. „Amen“ heißt nämlich in der Übersetzung: „Wahrlich“, und doch hat man es nicht übersetzt, obwohl man hätte sagen können: Wahrlich, ich sage euch. Weder der griechische Übersetzer wagte dies zu tun noch auch der lateinische; denn dieses Wort „Amen“ ist weder griechisch noch lateinisch, sondern hebräisch. So blieb es stehen, es wurde nicht übersetzt, damit es durch den Schleier des Geheimnisses um so ehrwürdiger wäre, nicht damit es unverstanden bliebe, sondern damit es nicht durch die Enthüllung an Wert verlöre. Und nicht einmal bloß, sondern zweimal ist es vom Herrn ausgesprochen worden: „Amen, Amen, ich sage euch“. Schon aus dieser Verdoppelung erkennet die Bedeutung.

4.

Was ist also betont worden? „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch“, sagt die Wahrheit, die sicherlich, auch wenn sie nicht sagen würde: „Wahrlich, ich sage euch“, durchaus nicht lügen könnte. Dennoch betont sie es, schärft sie es ein; sie weckt die Schlafenden gewissermaßen auf, macht sie gespannt, sie will nicht verschmäht werden. Mit welchen Worten tut sie das? „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Jeder, der Sünde tut, ist ein Knecht der Sünde.“ O bedauernswerte Knechtschaft! Häufig bieten sich Leute, wenn sie schlimme Herrn haben, um Geld an, sie gehen nicht darauf aus, überhaupt keinen Herrn zu haben, sondern ihn wenigstens zu wechseln. Was will der Knecht der Sünde tun? Wen will er angehen? Bei wem will er eine Bitte einlegen? Bei wem will er sich zum Kaufe anbieten? Ferner, der Knecht eines Menschen kommt bisweilen, der harten Befehle seines Herrn müde, durch die Flucht zur Ruhe; wohin soll der Knecht der Sünde fliehen? Er schleppt sich mit sich selbst, wohin er auch flieht. Das böse Gewissen kann nicht vor sich selbst fliehen, es ist kein Ort, wohin es gehen soll, es folgt sich oder vielmehr es wird seiner nicht los; denn die Sünde, die der Mensch tut, ist im Innern. Er hat z. B. eine Sünde getan, um eine körperliche Lust zu haben; die Lust vergeht, die Sünde bleibt; es verging, was Lust brachte, es blieb, was sticht. Schlimme Knechtschaft! Bisweilen fliehen die Leute zur Kirche, und häufig werden sie uns lästig als solche, die keine Zucht haben, indem sie, die da von der Sünde nicht frei sein wollen, von einem Herrn frei sein wollen. Bisweilen fliehen aber auch solche, die unter einem unerlaubten und drückenden Joche seufzen, zur Kirche, weil sie als Freigeborene zur Knechtschaft angehalten werden, und es wird der Bischof um Intervention angegangen; wenn er dann keine Mühe aufwendet, damit der freie Stand nicht unterdrückt werde, gilt er als herzlos. Fliehen wir alle zu Christus, rufen wir gegen die Sünde Gott um Hilfe an, bieten wir uns zum Kaufe an, damit wir durch sein Blut erlöst werden. Es sagt ja der Herr: „Umsonst seid ihr verkauft worden, und ohne Silber werdet ihr losgelöst werden“1148. Ohne Lösepreis, aber ohne den eurigen, weil durch den meinigen. Dies sagt der Herr; er hat ja den Lösepreis gegeben, nicht Silber, sondern sein Blut. Denn wir waren ebensosehr Knechte wie zahlungsunfähig.

5.

Von dieser Knechtschaft befreit also nur der Herr; der sie nicht hatte, befreit davon; kam er ja allein in diesem Fleische ohne Sünde. Denn die Kleinen, die ihr auf den Händen der Mütter tragen seht, können noch nicht gehen und sind doch schon gefesselt; sie haben sich nämlich von Adam her das zugezogen, was von Christus gelöst werden muß. Auch auf sie bezieht sich, wenn sie getauft werden, jene Gnade, welche der Herr verheißt, weil von der Sünde nur der befreien kann, der ohne Sünde kam und zum Opfer für die Sünde wurde. Ihr habt ja gehört, da der Apostel gelesen wurde: „Wir sind“, sagt er, „Gesandte für Christus, indem gleichsam Gott durch uns ermahnt; wir beschwören an Christi Statt1149, d. h. als ob euch Christus beschwören würde. Zu welchem Zwecke? „Versöhnet euch mit Gott.“ Wenn der Apostel ermahnt und beschwört, daß wir uns mit Gott versöhnen, dann waren wir Feinde. Zu Feinden aber hat uns nicht die Natur gemacht, sondern die Sünde. Wodurch wir seine Feinde geworden sind, dadurch sind wir auch Knechte der Sünde geworden. Gott hat keine Freien zu Feinden; sie müssen Knechte sein, und Knechte werden sie bleiben, wenn sie nicht von dem befreit werden, dessen Feinde sie durch Sündigen sein wollten. „Wir beschwören“ also, sagt er, „an Christi Statt, versöhnet euch mit Gott.“ Wie aber sollen wir versöhnt werden, wenn das trennende Hindernis zwischen uns und ihm nicht beseitigt wird? Er sagt ja durch den Propheten: „Er hat das Ohr nicht beschwert, daß es nicht höre, sondern eure Sünden trennen zwischen euch und Gott“1150. Wir werden also nicht versöhnt außer durch Entfernung dessen, was in der Mitte liegt, und durch Setzung dessen, was in die Mitte gehört. Denn es gibt ein trennendes Hindernis dazwischen, aber dagegen gibt es auch einen versöhnenden Mittler; das trennende Hindernis dazwischen ist die Sünde, der versöhnende Mittler ist der Herr Jesus Christus: „Denn* ein* Gott ist, und* ein* Mittler zwischen Gott und den Menschen, der Mensch Christus Jesus“1151. Damit also die trennende Scheidewand d. i. die Sünde entfernt werde, kam jener Mittler und es wurde zum Opfer der Priester selbst. Und weil er zum Opfer geworden ist für die Sünde, indem er sich selbst zum Brandopfer darbrachte am Kreuze seines Leidens, fährt der Apostel weiter und sagt nach den Worten: „Wir beschwören an Christi Statt, versöhnet euch mit Gott“, als würden wir fragen: Wie werden wir mit Gott versöhnt werden können? „Ihn“, sagt er, d. i. Christus selbst, „der die Sünde nicht kannte, hat er für uns zur Sünde gemacht, damit wir seien Gerechtigkeit Gottes in ihm“1152. „Ihn“ selbst, sagt er, Christus den Gott, „der die Sünde nicht kannte.“ Er kam nämlich im Fleische d. h. in der Ähnlichkeit des Fleisches der Sünde1153, jedoch nicht im Fleische der Sünde ― er war ohne irgendeine Sünde ―, und darum wurde er ein wahres Opfer für die Sünde, weil er selbst keine Sünde hatte.

6.

Aber vielleicht habe ich nur nach meiner Auffassung gesagt, „Sünde“ bedeute das Opfer für die Sünde. Die es gelesen haben, sollen es anerkennen; die es nicht gelesen haben sollen nicht träge sein; sie sollen, sage ich, nicht träge sein zum Lesen, damit die wahrhaft seien zum Richten. Als nämlich Gott Vorschriften gab betreffs der Darbringung von Sündopfern, in welchen übrigens keine Versöhnung der Sünden war, sondern nur ein Schatten des Zukünftigen, da nennt das Gesetz selbst eben diese Opfer, eben diese Darbringungen, eben diese Schlachtopfer, eben diese Tiere, welche zur Schlachtung für die Sünden herangebracht wurden, in deren Blute jenes Blut vorhergebildet wurde ― Sünden, und zwar so sehr, daß an einigen Stellen so geschrieben steht: es sollen die Priester, wenn sie opfern, ihre Hände auf den Kopf der Sünde legen d. h. auf den Kopf des Opfertieres, das für die Sünde geschlachtet wird. Eine solche „Sünde“ also, d. h. ein Opfer für die Sünde, wurde unser Herr Jesus Christus, „der die Sünde nicht kannte“.

7.

Mit Recht befreit von dieser Knechtschaft der Sünde jener, der in den Psalmen sagt: „Ich bin geworden wie ein Mensch ohne Hilfe, unter den Toten ein Freier“1154. Denn frei ist allein der, welcher keine Sünde hat. Sagt er ja im Evangelium: „Siehe, es kommt der Fürst dieser Welt“, womit er den Teufel meint, der in den Juden, seinen Verfolgern, kommen sollte; „siehe“, sagt er, „er kommt und wird an mir nichts finden“1155. Nicht wie er an denen, die er tötete trotz ihrer Gerechtigkeit, irgendwelche Sünde fand ― an mir wird er nichts finden. Und als würde man zu ihm sagen: Wenn er nichts an Dir finden wird, warum wird er Dich töten? fügte er hinzu und sprach: „Aber damit alle wissen, daß ich den Willen meines Vaters tue, so stehet auf und lasset uns von hinnen gehen“. Nicht, sagt er, unterziehe ich mich dem Tode um* meiner* Sünde willen, sondern indem ich sterbe, vollbringe ich den Willen meines Vaters; ich* tue* dabei mehr, als ich* leide*; denn wenn ich nicht wollte, würde ich auch nicht leiden. An einer andern Stelle sagt er: „Ich habe Macht, mein Leben hinzugeben, und ich habe Macht, es wieder zu nehmen“1156.

8.

Da also jeder, der Sünde tut, ein Knecht der Sünde ist, so vernehmet, welche Hoffnung, die Freiheit zu erlangen, uns bleibt. „Der Knecht aber“, sagt er, „bleibt nicht auf ewig im Hause“. Das Haus ist die Kirche, der Knecht ist der Sünder. Es treten viele Sünder in die Kirche ein. Er sagte also nicht: „Der Knecht ist nicht im Hause, sondern: „er bleibt nicht auf ewig im Hause“. Wenn also kein Knecht darin sein wird, wer wird dann darin sein? Denn „wenn der gerechte König auf dem Throne sitzt“, wie die Schrift sagt, „wer wird sich rühmen, ein reines Herz zu haben, oder wer wird sich rühmen, frei zu sein von der Sünde?“1157. Sehr erschreckt hat er uns, o meine Brüder, durch das Wort: „Der Knecht bleibt nicht auf ewig im Hause“. Er fügt aber hinzu und sagt: „Der Sohn aber bleibt auf ewig“. Also wird Christus allein in seinem Hause sein? Wird kein Volk mit ihm verbunden sein? Für wen wird er Haupt sein, wenn kein Leib sein wird? Oder ist vielleicht Christus dies alles miteinander, nämlich Haupt und Leib? Denn nicht ohne Grund hat er einerseits geschreckt, anderseits Hoffnung erweckt: er hat geschreckt, damit wir die Sünde nicht liebten; er hat Hoffnung erweckt, damit wir wegen der Lösung von der Sünde nicht zweifelten. „Jeder“, sagt er, „der Sünde tut, ist ein Knecht der Sünde. Der Knecht aber bleibt nicht auf ewig im Hause.“ Welche Hoffnung haben wir also, die wir nicht ohne Sünde sind? Höre deine Hoffnung: „Der Sohn bleibt auf ewig. Wenn euch also der Sohn befreit, dann werdet ihr wahrhaft frei sein“. Dies ist unsere Hoffnung, Brüder, daß wir von dem Freien befreit werden, und daß er uns, indem er uns befreit, zu Knechten macht; denn wir waren Knechte der Begierlichkeit, befreit werden wir Knechte der Liebe. Dies sagt auch der Apostel: „Ihr aber, Brüder, seid zur Freiheit berufen worden; nur machet nicht die Freiheit zum Anlaß für das Fleisch, sondern dienet einander in Liebe“1158. Es sage also der Christ nicht: Ich bin frei, ich bin zur Freiheit berufen; ich war ein Knecht, aber ich bin losgekauft und eben durch den Loskauf frei geworden, mag ich tun, was ich will; niemand soll meinem Willen entgegentreten, wenn ich frei bin. Aber wenn du durch diesen Willen eine Sünde tust, bist du ein Knecht der Sünde. Mißbrauche also die Freiheit nicht, daß du freiwillig sündigest, sondern gebrauche sie so, daß du nicht sündigest. Denn dein Wille wird frei sein, wenn er fromm ist. Du wirst frei sein, wenn du ein Knecht bist ― frei von der Sünde, ein Knecht der Gerechtigkeit, wie der Apostel sagt: „Als ihr Knechte der Sünde waret, waret ihr frei von der Gerechtigkeit; jetzt aber, da ihr frei seid von der Sünde, Knechte aber Gottes geworden, habt ihr als eure Frucht die Heiligung, als das Ende aber das ewige Leben“1159. Danach laßt uns trachten, danach streben.

9.

Der erste Grad der Freiheit besteht darin, von Verbrechen frei zu sein1160. Gebt acht, meine Brüder, gebt acht, ob ich euch nicht etwa zum Bewußtsein bringen kann, wie diese Freiheit jetzt beschaffen ist und wie sie in der Zukunft beschaffen sein wird. Du magst einen auch in hohem Grade Gerechten in diesem Leben prüfen, er ist, wenn er auch den Namen eines Gerechten verdient, dennoch nicht ohne alle Sünde. Höre den heiligen Johannes selbst, von dem auch dieses Evangelium stammt, wie er in seinem Briefe sich ausdrückt: „Wenn wir sagen“, schreibt er, „daß wir keine Sünde haben, so täuschen wir uns selbst, und Wahrheit ist nicht in uns“1161. Dies könnte allein der „Freie unter den Toten“ (siehe oben Nr. 7) sagen, von ihm allein konnte man es sagen, der die Sünde nicht kannte; nur von ihm konnte man es sagen; denn er hat alles in ähnlicher Weise erfahren wie wir, die Sünde ausgenommen1162. Er allein konnte sagen: „Siehe, er wird kommen der Fürst dieser Welt, und er wird an mir nichts finden“. Wen immer du auch prüfen magst, sei er auch gerecht, er ist nicht durchaus ohne Sünde; auch nicht einer wie Job, dem der Herr ein solches Zeugnis gab, daß der Teufel ihm neidig wurde und ihn zu versuchen verlangte, ihn versuchend aber überwunden wurde, damit jener bewährt würde1163. Bewährt aber wurde er; nicht deshalb weil er als ein der Krönung Würdiger Gott unbekannt gewesen wäre, sondern damit er den Menschen als ein nachahmungswürdiges Beispiel bekannt würde. Und was sagt Job selbst? „Wer ist denn rein? Nicht einmal das Kind, dessen Leben erst einen Tag währt auf Erden“1164. Aber sicher viele sind gerecht genannt worden ohne Tadel, was dahin zu verstehen ist: ohne Verbrechen; denn kein gerechter Tadel hat in menschlichen Dingen betreffs solcher statt, die kein Verbrechen auf sich haben.* Ein Verbrechen* (crimen)* aber ist eine schwere Sünde* (peccatum grave),* die mit vollem Rechte Anklage und Verdammung verdient*. Gott verdammt also nicht einige Sünden, während er andere rechtfertigt und lobt; er lobt keine Sünde, haßt vielmehr alle. Wie der Arzt das Übelbefinden des Kranken haßt und durch seine Tätigkeit darauf ausgeht, die Krankheit zu vertreiben, dem Kranken Erleichterung zu verschaffen, so wirkt Gott durch seine Gnade in uns darauf hin, die Sünde zu beseitigen, den Menschen zu befreien. Aber wann wird sie beseitigt, wirst du sagen? Wenn sie vermindert wird, warum wird sie nicht beseitigt? Vermindert aber wird im Leben der Voranschreitenden das, was beseitigt wird im Leben der Vollkommenen.

10.

Der erste Grad der Freiheit also besteht darin, von Verbrechen frei sein. Darum hat auch der Apostel Paulus, als er die zu Priestern oder Diakonen zu Weihenden oder wer immer zur kirchlichen Vorstandschaft bestellt werden sollte, auswählte, nicht gesagt: Wenn jemand ohne Sünde ist; denn würde er so sagen, dann würde jeder Mensch beanstandet, keiner geweiht werden, sondern er hat gesagt: „Wenn jemand ohne Verbrechen ist“1165, wie Mord, Ehebruch, irgendeine (bliqua) Unreinigkeit der Hurerei, Diebstahl, Betrug, Sakrilegium und anderes derart. Wenn der Mensch anfängt, davon frei zu sein (es soll aber jeder Christ davon frei sein), dann fängt er an, das Haupt zur Freiheit zu erheben, aber dies ist bloß die beginnende, nicht die vollendete Freiheit. Warum ist es, sagt einer, nicht die vollendete Freiheit? Weil „ich ein anderes Gesetz in meinen Gliedern sehe, das dem Gesetze meines Geistes widerstreitet; denn nicht, was ich will“, sagt er, „tue ich, sondern was ich hasse, das tue ich“1166. „Das Fleisch“, sagt er, „gelüstet wider den Geist, und der Geist wider das Fleisch, daß ihr nicht das tut, was ihr wollt“1167. Zum Teil Freiheit, zum Teil Knechtschaft; noch keine ganze, keine reine, keine vollständige Freiheit, weil noch nicht die Ewigkeit. Denn zum Teil liegt auf uns Schwachheit, zum Teil haben wir die Freiheit erlangt. Was immer von uns gesündigt worden ist, ist ehedem getilgt worden in der Taufe. Ist etwa, weil alle Ungerechtigkeit getilgt wurde, keine Schwachheit zurückgeblieben? Wenn keine zurückgeblieben wäre, würden wir hier ohne Sünde leben. Wer aber möchte sich unterstehen, dies zu sagen, außer ein Hochmütiger, außer wer der Barmherzigkeit des Erlösers unwürdig ist, außer wer sich selbst betrügen will und in dem keine Wahrheit ist? Also deshalb weil eine gewisse Schwäche zurückgeblieben ist, wage ich zu sagen: Soweit wir Gott dienen, sind wir frei, soweit wir dem Gesetze der Sünde dienen, sind wir noch Knechte. Darum sagt der Apostel, was wir zu sagen angefangen hatten: „Ich habe Freude am Gesetze Gottes dem inneren Menschen nach“1168. Siehe, inwiefern wir frei sind, inwiefern wir Freude haben am Gesetze Gottes; die Freiheit bringt nämlich Freude. Denn solange du aus Furcht tust, was gerecht ist, erfreut dich Gott nicht1169. Solange du es noch als Knecht tust, freut es dich nicht; es möge dich freuen, und du bist frei. Fürchte nicht die Strafe, sondern liebe die Gerechtigkeit. Kannst du die Gerechtigkeit noch nicht lieben? Fürchte wenigstens die Strafe, damit du zur Liebe der Gerechtigkeit gelangest.

11.

Also schon fühlte sich jener dem höheren Teile nach frei, weshalb er sagte: „Ich habe Freude am Gesetze Gottes dem inneren Menschen nach“. Es freut mich das Gesetz, es freut mich, was das Gesetz befiehlt, es freut mich die Gerechtigkeit selbst. „Ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern“ ― das ist die zurückgebliebene Schwachheit ―, „welches dem Gesetze meines Geistes widerstreitet und mich gefangen hält unter dem Gesetze der Sünde, das in meinen Gliedern ist.“ Nach dieser Seite hin fühlt er die Gefangenschaft, wo die Gerechtigkeit nicht erfüllt ist; denn wo er am Gesetze Gottes Freude hat, ist er nicht gefangen, sondern ein Freund des Gesetzes, und darum frei, weil ein Freund. Was bleibt nun noch übrig? Was anders, als daß wir auf jenen hinblicken, der gesagt hat: „Wenn euch der Sohn befreit, dann werdet ihr wahrhaft frei sein“? Demgemäß hat auch der, der da redete, zu ihm hingeblickt: „Ich unglückseliger Mensch, wer wird mich befreien“, sagt er, „von dem Leibe dieses Todes? Die Gnade Gottes durch Jesus Christus unsern Herrn“. Also „wenn euch der Sohn befreit, dann werdet ihr wahrhaft frei sein“. Zuletzt schloß er so: „Also ich derselbe diene im Geiste dem Gesetze Gottes, dem Fleische nach aber dem Gesetze der Sünde“1170. „Ich derselbe“, sagt er; denn wir sind nicht zwei einander Entgegengesetzte, die einen verschiedenen Ursprung haben, sondern „ich derselbe diene im Geiste dem Gesetze Gottes, dem Fleische nach aber dem Gesetze der Sünde“, solange die Schwachheit gegen das Heil ankämpft.

12.

Aber wenn du dem Fleische nach dem Gesetze der Sünde dienst, dann tue, was derselbe Apostel sagt: „Nicht also* herrsche* die Sünde in eurem sterblichen Leibe, daß ihr seinen Begierden gehorchet, und bietet nicht eure Glieder zu Werkzeugen der Ungerechtigkeit für die Sünde dar“1171. Er sagt nicht: die Sünde* sei* nicht, sondern: „sie* herrsche* nicht“. Solange die Sünde in deinen Gliedern sein muß, soll ihr wenigstens die Herrschaft genommen werden; es soll nicht geschehen, was sie befiehlt. Es erhebe sich der Zorn? Leihe dem Zorne nicht die Zunge zum Schmähen; gib dem Zorne nicht die Hand oder den Fuß zum Schlagen. Es würde sich jener unvernünftige Zorn nicht erheben, wenn nicht die Sünde in den Gliedern wäre; aber nimm ihm die Herrschaft, er soll keine Waffen haben, gegen dich zu kämpfen; er wird lernen, sich auch nicht zu erheben, wenn er keine Waffen mehr findet. „Bietet eure Glieder nicht als Werkzeuge der Ungerechtigkeit für die Sünde dar“, sonst werdet ihr ganz gefangen sein und nicht sagen können: „Dem Geiste nach diene ich dem Gesetze Gottes“. Denn wenn der Geist die Waffen hält, bewegen sich die Glieder nicht zum Dienste der rasenden Sünde. Es besetze die Burg der innere Befehlshaber, weil er unter einem höheren Befehlshaber, der ihn unterstützt, Hilfe leistet; er zügle den Zorn, halte die Begierlichkeit in Schranken. Es ist etwas darin, was gezügelt, es ist etwas darin, was in Schranken gehalten, es ist etwas darin, was niedergehalten werden muß. Was aber wollte jener Gerechte, der im Geiste dem Gesetze Gottes diente, als daß gar nichts da wäre, was der Zügelung bedürfte? Und das muß jeder versuchen, der nach Vollkommenheit strebt, daß eben diese Begierlichkeit, welcher die Glieder nicht zum Gehorsam dargeboten werden, täglich in dem Voranschreitenden sich mindere. „Das Wollen“, sagt er, „liegt mir nahe, das Vollenden des Guten aber nicht“1172. Hat er etwa gesagt: Das Gute zu* tun* liegt mir nicht nahe? Wenn er das gesagt hätte, dann bliebe keine Hoffnung übrig. Er sagt nicht: Das Gute zu tun, liegt mir nicht nahe, sondern er sagt: „Das* Vollenden* liegt mir nicht nahe“. Denn was ist die Vollendung des Guten als die Vernichtung und das Ende des Bösen? Was ist aber die Vernichtung des Bösen, als was das Gesetz sagt: „Du sollst nicht begehren“1173? Gar nicht „begehren“ ist die Vollendung des Guten, weil es die Vernichtung des Bösen ist. Dies sagte er: „Das Vollenden des Guten liegt mir nicht nahe“, weil er nicht bewirken konnte, daß ihn nicht gelüstete; er bewirkte nur, daß er das Gelüsten zügelte, um dem Gelüsten nicht zuzustimmen und dem Gelüsten die Glieder nicht zum Dienste anzubieten. „Das Vollenden des Guten“ also, sagt er, „liegt mir nicht nahe“; ich kann nicht erfüllen, was gesagt ist: „Du sollst nicht begehren“. Was ist also notwendig? Daß du erfüllest „Du sollst deinen Begierden nicht nachgehen“1174. Das tue inzwischen, solange unerlaubte Begierden in deinem Fleische sind. „Du sollst deinen Begierden nicht nachgehen.“ Bleibe im Dienste Gottes, in der Freiheit Christi; diene im Geiste dem Gesetze deines Gottes. Überlaß dich nicht deinen Begierden. Wenn du ihnen folgst, vermehrst du ihre Kräfte; wenn du ihre Kräfte vermehrst, wie kannst du siegen, da du gegen dich die Feinde mit deinen eigenen Kräften nährst?

13.

Die volle und vollkommene Freiheit also in dem Herrn Jesu, der gesagt hat: „Wenn euch der Sohn befreit, dann werdet ihr wahrhaft frei sein“, wann wird diese volle und vollkommene Freiheit eintreten? Wenn keine Feindschaft mehr sein wird, wenn „der letzte Feind, der Tod, vernichtet sein wird“. „Es muß nämlich dieses Verwesliche die Unverweslichkeit anziehen, und dieses Sterbliche die Unsterblichkeit anziehen; wenn aber dieses Sterbliche die Unsterblichkeit angezogen haben wird, dann wird erfüllt werden das Wort, das geschrieben steht: Verschlungen ist der Tod im Siege. Wo ist, o Tod, dein Streit“1175? Was heißt das: „Wo ist, o Tod, dein Streit?“ „Das Fleisch“ gelüstete „gegen den Geist, und der Geist gegen das Fleisch“, aber als das Fleisch der Sünde sich mächtig zeigte. „Wo ist, o Tod, dein Streit?“ Bald werden wir leben, bald werden wir nicht mehr sterben, und zwar in dem, der für uns gestorben und auferstanden ist, „damit, die leben“, sagt er, „nicht mehr sich leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferstanden ist“1176. Laßt uns zum Arzte des Verwundeten flehen, lassen wir uns zur Herberge tragen, damit wir geheilt werden. Er ist es ja, der Gesundheit verheißt, der sich des halbtoten von den Räubern am Wege Zurückgelassenen mitleidig angenommen; er goß Öl und Wein ein, sorgte sich um die Wunden, hob ihn auf das Lasttier, brachte ihn in die Herberge und empfahl ihn dem Wirte. Welchem Wirte? Vielleicht jenem, der gesagt hat: „Wir sind Gesandte an Christi Statt“1177. Er gab auch zwei Geldstücke, welche zur Herstellung des Verwundeten verwendet werden sollten1178; vielleicht sind das die zwei Gebote, an denen das ganze Gesetz hängt und die Propheten1179. Also, Brüder, auch die Kirche in dieser Zeit, in der der Verwundete geheilt wird, ist eine Herberge für den Wanderer, aber für die Kirche selbst ist droben die Erbschaft des Besitzers.

Vorträge über das Johannes-Evangelium, Band 2

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