Читать книгу Im düstern Wald werden unsre Leiber hängen - Ava Farmehri - Страница 10

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Yeki bud, yeki nabud,

gheir az choda, hietsch-kas nabud.

Mit diesem unlogischen Satz begann meine Mutter jeden Abend ihre Gutenachtgeschichte, und trotz seiner Unlogik war er melodiös genug, um mich in eine Nacht süßer Träume und endloser Grübeleien zu entlassen. Rechts und links von meiner Wirbelsäule begann es zu jucken, und wenn die Geschichte zu Ende ging, waren mir Flügel gewachsen, die mich aus den Trümmern der Realität in einen Himmel der Ideen hoben. Meine Mutter, deren Gesicht im Schein der Nachttischlampe orange leuchtete, sagte immer: »Du brauchst keine Flügel, um zu fliegen, du brauchst nur deine Phantasie. Du brauchst nur ein liebendes Herz.« Ich starrte hingerissen auf ihre ovalen Nasenlöcher und die stecknadelköpfigen schwarzen Haare an ihrem Kinn, die ich manchmal mit der Pinzette entfernen durfte, und wartete, dass sie die Tür zu meinem Käfig aufschloss und mich freiließ: ihre liebeskranke Nachtigall.

Träume kosten nichts, und niemand konnte mir meine Träume nehmen. Während der acht Jahre eines Kriegs, der zu beiden Seiten einer heimtückischen Grenze Kinder zu Waisen machte, Frauen zu Witwen, dunkelhäutige Väter zu Beinamputierten und Brüder zu kopflosen Leichen, wagte ich mich erst im Schutz der Finsternis, wenn der Rest der Welt schlief und das Böse ruhte, aus meinem enger werdenden Käfig und flog zum Mond. Nur in seinem Licht fühlte ich mich geborgen, nur in seinem Licht konnte ich schlafen.

Meine Mutter hatte Englisch studiert und beabsichtigte, Lehrerin zu werden. Sie hatte die Sprache an der Universität gelernt und sie in Gesprächen mit einer amerikanischen Familie, die vor der Revolution drei Straßen von unserem Haus entfernt wohnte, geübt. Unsere amerikanischen Nachbarn kehrten lange vor dem Sturz des Schahs in ihr fernes, lautes Land zurück, wo sie Rasen mähten und den Gartenzaun strichen. Meine Mutter schwärmte heimlich für ihren Lehrer (der Apfel fällt nicht weit vom Stamm), einen gewissen Mr Carl, der meinem Vater zufolge CIA-Agent war. Während der Revolution, als die Religionspolizei Wohnungen durchsuchte und alles beschlagnahmte, was in ihren Augen gegen die guten Sitten verstieß (Kartenspiele, Alkohol und sämtliche Fotos kopftuchloser Frauen), vergruben meine Eltern Bücher, Zeitschriften und alle unislamischen Fotos von sich selbst im Garten. Auf diese Weise ging man bei uns mit der Vergangenheit um. Man begrub sie, um sie zu bewahren.

Als meine Mutter ungeplant schwanger wurde und ihr Studium abbrechen musste, gab es nur noch eine Möglichkeit, ihren Traum vom Unterrichten zu verwirklichen: Ich wurde ihre Schülerin, ihre einzige Schülerin. Zwar lernte ich schnell Englisch, aber manche Wörter konnte ich erst Jahre später richtig aussprechen. Lange klang »Hawaii« wie »Havaii«, »waitress« wie »vaitress« und »knife« peinlicherweise wie »kneif«.

Im düstern Wald werden unsre Leiber hängen

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