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PRUDE

Als meine Freunde und Kollegen mich fragten, was ich in Kanada machen möchte und ob ich denn schon eine Arbeit gefunden hätte, habe ich nur mit den Schultern gezuckt, denn ich hatte tatsächlich keinen Plan. Eines aber wusste ich ganz genau: Ich wollte die Zeit in Kanada nutzen, um mein Englisch aufzubessern. Es ist zwar seit meiner Beziehung zu Daniel schon deutlich besser geworden, aber es ist noch Luft nach oben. Außerdem gibt mir das die Möglichkeit, neue Menschen kennen zu lernen, was mir ebenfalls sehr wichtig ist. Schon in der ersten Woche erkundigen wir uns, wo man in Saint John Englischkurse für Newcomer anbietet. Nach einer Empfehlung gehen wir zu einer Organisation mit dem Namen PRUDE Inc (Pride Race Unity Dignity Education). Als ich an der Rezeption nach Englischkursen frage, verschwindet die Mitarbeiterin in die hinteren Räumlichkeiten und kommt mit einer Frau zurück, die ich auf etwas älter als mich selbst einschätze. Es ist die Lehrerin der Englischklasse. Sie heißt Nancy, und ich kann jederzeit mit dem Unterricht, der jeden Vormittag von 10.30 bis 12.00 Uhr stattfindet, beginnen. Auf meine Frage, wie viel es kostet, erfahre ich, dass die Teilnahme kostenlos ist. Ich bin angenehm überrascht. Nicht einmal ein Buch benötige ich, erklärt mir Nancy. Es würden Zettel verteilt, mit denen wir arbeiten würden. Gleich am nächsten Tag fange ich an, und der Unterricht gefällt mir sehr gut. Es sind Teilnehmer aus den verschiedensten Ländern und mit unterschiedlichem Englisch-Level dabei. Nancy ist sehr nett und spricht langsam und verständlich. Wir lernen viel Grammatik, was ich gut gebrauchen kann, aber auch andere wichtige Dinge wie „phrasal verbs“ oder die richtige Aussprache.

Am nächsten Tag haben wir eine andere Lehrerin. Sie heißt Gloria und geht mit uns in ein kleines Café , wo wir Tee trinken und „english conversation“ betreiben. Auch dies genieße ich sehr, denn ich erfahre viel von den anderen Newcomern.

Es wird bei PRUDE nicht nur Englisch unterrichtet, sondern auch Kurse, die die Newcomer dabei unterstützen, in Kanada Fuß zu fassen. An einem Nachmittag in der Woche gibt es ein „Employment Workshop“, einen Kurs über die Arbeitswelt in Kanada. Das derzeitige Thema ist das Schreiben eines „Resumees“. Dies ist eine Art Lebenslauf, aber es ist deutlich anders als in Deutschland. Es sollte nicht länger als zwei Seiten sein und nur die letzten 10 Jahre an Arbeitserfahrungen beinhalten. Persönliche Daten wie Alter, Familienstand, noch nicht einmal die Adresse sollen erwähnt und schon gar kein Foto beigefügt werden. Niemand soll aufgrund seines Geschlechts, Alters oder Aussehens benachteiligt oder bevorzugt werden. Als ich erwähne, dass es in Deutschland schwierig ist, ab einem gewissen Alter überhaupt noch einen Job zu bekommen, meint Nancy, dass es in Kanada nicht so sei und sich viele Firmen gerade ältere Arbeitnehmer wünschten, da diese verantwortungsvoller wären und mehr Erfahrung hätten. Das beruhigt mich sehr. Ich finde auch die kanadische Version des Lebenslaufs viel sinnvoller. Wen interessiert es schon, was ich einmal vor zwanzig Jahren gemacht habe?

In einem von Nancys workshops über die Arbeitswelt in Kanada sprechen wir über Jobinterviews. Diese scheinen insgesamt etwas formloser als in Deutschland abzulaufen, wobei es natürlich auch in Kanada auf die Art des Unternehmens ankommt. Zum Einstieg wird man meistens aufgefordert, etwas über sich selbst zu erzählen. Damit ist keinesfalls das langweilige Zitieren von Lebensläufen, sondern vielmehr die Beschreibung der eigenen Persönlichkeit gemeint. Das klingt für mich weitaus entspannter als die Bewerbungsgespräche, die ich bisher in Deutschland erlebt habe. Auch macht es Sinn, denn schließlich wollen beide Seiten herausfinden, ob man zueinander passt. Wozu soll man da noch einmal den Lebenslauf herunter leiern, der den Menschen, die darüber entscheiden, ob man den Job bekommt oder nicht, doch ohnehin schon hinreichend bekannt ist. Laut Nancys Aussage suchen die Kanadier ihren Job auch nicht danach aus, wie gut er bezahlt ist, ober er sicher ist oder ein gutes Ansehen hat. Sie würden niemals lange eine Tätigkeit ausüben, die sie langweilt. Einen solchen Job würden sie kündigen und sich etwas anderes suchen. Überhaupt würden sie öfter mal den Job wechseln und nicht 30 oder 40 Jahre in ein und derselben Firma sitzen. Das scheint eine ganz andere Mentalität als in Deutschland zu sein, und ich finde es sehr vielversprechend.

Zwischen Fernweh und Heimweh

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