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Wie alles begann

Es ist Montagmorgen, und ich betrete mit meinem beladenen Frühstücksteller die Außenterrasse des Hotelrestaurants. Ich möchte draußen sitzen, denn es sind bereits jetzt an die 30 Grad. Ein Platz im Schatten wäre schön, da die kubanische Sonne bereits am Morgen zu heiß für meine norddeutsche Haut ist und ich mir nicht gleich am ersten Tag einen Sonnenbrand holen möchte. Ich bin zwar schon länger auf Kuba, aber die ersten zwei Wochen habe ich eine Rundreise mit einer Gruppe gemacht. Wir sind durch den Regenwald gewandert, waren Fahrradfahren im Vinales Tal und saßen viel im Bus. Nun freue ich mich auf die Woche im All-Inclusive-Hotel, an der ich nichts weiter tun wollte, als im Meer zu baden, mich zu sonnen, Bücher zu lesen und das gute Essen zu genießen. Eine Frau aus meiner Reisegruppe winkt zu mir, die einen Platz in einer Ecke der mit Sonnenschirmen ausgestatteten Terrasse ergattert hat, und ich gehe zielstrebig auf sie zu. Dabei passiere ich einen Tisch, an dem zwei Männer sitzen, einer von ihnen blickt in meine Richtung. Er sieht gut aus, ist sportlich durchtrainiert und hat grüne Augen und eine interessante Ausstrahlung, die mich in den Bann zieht. Ich lächele ihn an und gehe weiter, ohne auch nur die geringste Ahnung zu haben, das dieser kurze Blickkontakt mein Leben verändern wird.

Noch am selben Nachmittag besuche ich einen Zumba-Kurs, der in dem Hotel angeboten wird. Die Trainerin heißt Julia und kommt aus Kanada. Sie erzählt mir, dass es eine Organisation gibt, die Zumba-Trainern die Möglichkeit anbietet, Kurse in ihren Ressorts zu geben und dafür zu einem günstigen Preis in dem Hotel Urlaub machen zu können. Ihr Lebensgefährte Stephen, der draußen gesessen und eine Zeitung gelesen hat kommt nach dem Kurs ebenfalls dazu, und wir unterhalten uns eine Weile, ohne dass ich eine Ahnung habe, wie diese Begegnung mit meiner morgigen im Zusammenhang steht.

Am Abend sitze ich in der Piano-Bar des Hotels, die ich bereits am Tag zuvor aufgesucht hatte und faszinierend finde. Die Gäste sitzen auf Barstühlen rund herum am Piano und können sich aus einer Mappe mit Liedtexten etwas aussuchen. Der Piano-Spieler stimmt das Lied an, und die Gäste singen mit. Ich bin total in meinem Element und genieße die gute-Laune-Stimmung, die hier herrscht, während ich versuche, den Song, so gut ich kann, mitzusingen. Plötzlich nehme ich eine Bewegung neben mir wahr und blicke von der Mappe mit den Liedtexten auf. Ein Mann mit sportlicher Erscheinung und grünen Augen setzt sich neben mich. Der Unbekannte vom Frühstück, denke ich, und freue mich, ihn wiederzusehen. Er berührt meinen Arm, und ich spüre die Gänsehaut auf meiner Haut. „Name?“, fragt er. „My name?“, frage ich zurück und sehe ihn erwartungsvoll an. „Do you know the name of the piano-player?“

„No“, antworte ich und versuche, mir meine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen.

Er nimmt die Mappe mit den Liedtexten, gibt sie dem Piano-Spieler und deutet auf die aufgeschlagene Seite. Kurze Zeit später erklingen die ersten Töne von „Piano man“, Billy Joel. Der Mann neben mir beginnt zu singen, und wirft hin und wieder verstohlene Blicke in meine Richtung. Wir wechseln ein paar Worte, wobei ich mich für mein zu dieser Zeit noch unterirdisches Englisch ein wenig schäme. Er heißt Daniel und erzählt mir, dass er aus dem Osten von Kanada kommt und zum ersten Mal seit langem Urlaub macht. Sein Blick wird ein wenig traurig, aber da wir uns kaum kennen, möchte nicht näher nachfragen, was der Grund dafür ist. Als er erfährt, dass ich aus Deutschland angereist bin, schaut er mich respektvoll an.

„Such a long flight“, meint er. „I would never fly so far away.“

Er steht auf und geht auf die Terrasse.

Raucher, denke ich und widme mich wieder der Musik. Da der Piano-Spieler Pause hat, wird ein Stück vom Band gespielt, und eine der Frauen, die hinter der Bar arbeiten, fängt an zu tanzen. Ohne lange nachzudenken, geselle ich mir zu ihr und lasse die Hüften schwingen, während ich gleichzeitig immer wieder zu der Terrassentür schiele, aber von Daniel ist nichts in Sicht. Da ich langsam müde werde und für den nächsten Tag einen Trip nach Havanna gebucht habe, verlasse ich die Bar und begebe mich auf mein Zimmer.

Einen Abend später treffe ich Daniel zusammen mit Julia und Stephen in der Hotellobby. Nun erfahre ich, dass Daniel der Bruder von Stephen ist, welcher ihn überredet hat, mit ihm und seiner Lebensgefährtin nach Kuba zu reisen. Wir setzen uns zusammen, bestellen etwas zu trinken, und ich unterhalte mich mit Julia angeregt über Zumba. Dabei kann ich es nicht lassen, hin und wieder zu Daniel zu schauen. Als die Kanadier mich fragen, aus welcher Region Deutschlands ich komme, erzähle ich ihnen stolz von meiner Heimatstadt Hamburg.

„The most beautiful city in Germany“, sage ich, und Daniel murmelt leise etwas vor sich hin und grinst mich an.

„What did you say?“ frage ich ihn, und er meint, das sei nicht so wichtig gewesen, aber ich lasse nicht locker.

„Everyone says that about his home town.“

„But I say the truth.“ Ich werfe ihm einen vielsagenden Blick aus zusammengekniffenen Augen zu.

Am nächsten Morgen, als ich mich nach dem Frühstück an den Strand begebe und mich suchend nach einer Liege umsehe, winkt Daniel mir zu.

„You should take off your sun glasses, so that I can see your beautiful eyes!“

Charming boy, denke ich, während ich auf ihn zugehe, vor seiner Liege stehen bleibe und seinen muskulösen Körper betrachte.

„Im looking for a sunbed“, sage ich, blicke mich erneut um und muss feststellen, dass bereits alles Sonnenliegen belegt sind.

Daniel erhebt sich und geht zu dem Vip-Bereich, in dem noch Liegen frei sind. Er schnappt sich eine und fragt mich, wo ich sie platziert haben möchte. Ich deute auf den vorderen Bereich direkt am Wasser. Nachdem er die Liege dort abgestellt hat, hält er die Hand auf.

„One Cuc“, sagt er und grinst mich an.

Ich schaufele ihm etwas Sand in seine Hand und grinse zurück.

Während ich mich auf der Liege in der Sonne aale, werfe ich hin und wieder einen Blick zu in seine Richtung und stelle fest, dass er dasselbe tut. Nach einer Weile nehme ich meinen Mut zusammen, stehe auf und frage ihn, ob er mit mir schwimmen gehen möchte. Er schlägt vor, gemeinsam zu schnorcheln. Es gibt am Hotelstrand kostenlos einen Schnorchelset, und ich willige ein, obwohl ich kein Fan von Unterwasseraktivitäten bin. Der Angestellt fragt nach unseren Schuhgrößen.

„41“, antworte ich wahrheitsgemäß und registriere, wie Daniel einen Blick auf meine Füße wirft und sich anschließend ein Grinsen über sein Gesicht ausbreitet.

„At least I can not fall down“, sage ich und stapfe in Richtung Meer.

Es stellt sich schnell heraus, dass ich in der Tat nichts fürs Schnorcheln geboren wurde. Ich kann mich nicht damit anfreunden, diese eng anliegende Maske auf meinem Gesicht zu haben und ziehe es vor, mit meinem Kopf über Wasser zu bleiben. Trotzdem genieße ich es, in Daniels Nähe zu sein und mich mit ihm zu unterhalten.

„No husband in Germany?“, fragt er mich, als wir aus dem Wasser in Richtung Strand gehen.

„No.“, antworte ich.

„German men must be stupid.“ Daniel sieht mich an. „Or blind.“

Ich spüre mein Herz schneller schlagen.

An meinem letzten Tag veranstaltet das Hotel einen kubanischen Nachmittag. Nachdem ich schwimmen war, geselle ich mich dazu und entdecke schon nach kurzer Zeit die drei Kanadier. Sie sitzen zusammen mit einem Paar aus England. Julia hat heute Geburtstag, so dass es einen Grund gibt, schon am Nachmittag einen Drink zu nehmen. Ich sitze neben Daniel, der ein Hawaii-Hemd trägt und fühle mich sehr wohl. Stephen macht ein Foto von uns, und ich strahle in die Kamera.

An meinem Abreisetag entdecke ich Daniel beim Frühstück und frage, ob ich mich zu ihm setzen darf. Da ich erst am Abend von einem Taxi, das mich zum Flughafen bringen soll, abgeholt werde, freue ich mich auf einen weiteren Tag am Strand mit Daniel, aber meine Erwartungen werden enttäuscht. Ich erfahre, dass er mit Stephen und Julia eine Tour nach Havanna gebucht hat, die den ganzen Tag dauern wird. Mein Herz wird bei dem Gedanken, Daniel nie wieder sehen, schwer.

„You are a wonderful woman“, sagt er, als er mich zum Abschied ganz fest umarmt.

Ich checke aus und verbringe meinen letzten Tag am kubanischen Strand, aber ich kann ihn irgendwie nicht genießen. Immer wieder schweifen meine Gedanken zu diesem charismatischen Kanadier, und ich spürte ein leichtes Kribbeln in der Magengegend. Nach meinem Strandtag dusche ich und warte in dem Empfangsbereich des Hotes auf mein Taxi, das mich zum Flughafen bringen soll und hoffe, dass Daniel mit seinem Bruder und seiner Schwägerin vor meiner Abholung auftauchen. In dem Moment, als ich schon alle Hoffnung aufgegeben habe, erscheinen sie in der Hotelhalle. Ich kann die Steine förmlich aufprallen hören, die mir vor Erleichterung vom Herzen fallen. Aber was nun? Soll ich ihn nach seiner Telefonnummer fragen? Daniel reicht mir ein Stück Papier, auf das ich ihm meine email-Adresse schreibe. Das Taxi kommt, und wir umarmen uns erneut. Als ich losfahre, winke ich den dreien zu und frage mich, ob ich ihn je wiedersehen würde.

Meine Sorgen sind unbegründet. Einen Tag nach meiner Ankunft bekomme ich die erste email: „Home safe“, Ziemlich kurz und distanziert, denke ich, aber ich schreibe zurück. So entwickelt sich ein regelmäßiger email-Verkehr, und wir lernen uns näher kennen. Dann kommt der Tag, an dem wir zum ersten Mal miteinander telefonieren. Es ist ein Dienstagabend, kurz vor meinem Jazztanz-Training. Es ist so schön, seine Stimme zu hören, und erneut verspüre ich ein Kribbeln in der Magengegend, während ich mir wünsche, das Telefonat würde nie enden. An diesem Abend komme ich zum ersten Mal zu spät zum Training, und es macht mir überhaupt nichts aus.

„Was ist Dir denn Schönes passiert?“, fragt eine meiner Tanzkolleginnen, als ich mich noch immer mit einem Lächeln im Gesicht in der Umkleidekabine umziehe.

„Ich hatte einen Anruf.“ Ich erzähle ihr von meiner Begegnung, und sie ist sofort Feuer und Flamme und will jedes Detail wissen.

Daniel und ich telefonieren nun fast jeden Tag, und es fühlt sich fast so an, als wären wir bereits ein Paar. Schon bald stelle ich allerdings fest, dass sich unsere Leben wie Tag und Nacht unterscheiden. Ich lebe in einer Eigentumswohnung in Hamburg, arbeite in meinem Hauptjob in einer Unfallversicherung, in meinem Zweitjob als Fitnesstrainerin in Sportvereinen, treffe mich mit Freunden, gehe in Restaurants und Bars, bin ständig unterwegs und komme oftmals nur zum schlafen nach Hause. Daniel hingegen lebt in einem Haus in Quispamsis, einem Vorort von Saint John in New Brunswick, verbringt die meiste Zeit dort allein mit seinem Hund und seinem Kater, arbeitet viel im Garten und geht nur ab und an mal mit seiner Tochter und dessen Lebensgefährten essen.

Es könnte schwierig mit uns werden, aber ich schiebe meine Bedenken beiseite, und nach einiger Zeit kann ich Daniel dazu überreden, mich in Hamburg zu besuchen. Der Kanadier, der Angst vor langen Flügen über Wasser hat, niemals auf anderen Kontinenten war und keine andere Sprache als englisch spricht, ist bereit, sich auf eine lange Reise nach Deutschland zu begeben. Nachdem wir uns über einen Zeitpunkt geeinigt haben, bucht er den Flug, und ich nehme mir eine Woche Urlaub, um diesen seit langem zum ersten Mal in Hamburg zu verbringen.

Zwischen Fernweh und Heimweh

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