Читать книгу Mein innerer Käfig - Azin Heidari Nejad - Страница 12

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Meine Tochter besucht den Klavierunterricht und ich habe in dieser Zeit eine Verabredung. In einem Café. Ich öffne die Tür. Alle Cafés haben eine gemütliche Ecke. Herrenlose Ecken. Ecken, die niemandem gehören, aber wenn du sie betrittst, scheinen sie auf dich zu warten.

Ich nehme eine Zeitung vom Tresen und setze mich an einen Tisch mit zwei Stühlen. Eine gelbe Blume in der Farbe der Stuhlkissen steht in einer kleinen Glasvase darauf. Die Tische und Stühle aus Holz sind alt. Die Stühle sind die gleichen, die unsere Großväter in ihren Räumen hatten, wir nannten sie polnische Stühle. In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg kamen polnische Flüchtlinge nach Iran. Vielleicht konnte einer von ihnen seinen Stuhl auf diese lange Reise mitnehmen, oder er baute einen solchen Stuhl in der Fremde als Erinnerung an die Heimat. Ich weiß es nicht.

Ich setze mich auf die Erinnerung.

Ich bestelle einen Jasmintee und blättere in der Zeitung. Der Autor eines Artikels über die Wahlergebnisse äußert sich besorgt über die Erfolge der Rechten. Von den Umfragen und Nachrichten wird mir übel. Nachrichten, die immer schlecht sind. Wenn es doch einen Tag im Kalender mit einer Feuerpause für Nachrichten gäbe. Einen Tag, an dem sich weder etwas ereignen noch eine Nachricht erzeugt oder verbreitet würde. Einen Tag, an dem weder jemand geboren noch sterben würde. Einen Tag ohne Nachrichten zum Entspannen für die Menschen auf der ganzen Welt.

Der Tee wird serviert. Der Jasminduft versetzt sogar die Sekunden in einen Rausch. Ich umfasse das Teeglas mit beiden Händen. Dann halte ich es wie gewöhnlich an meine Wangen. Die angenehme Wärme und der Duft des Tees strömen in meinen Körper. Man muss diesen Tee hier trinken. Was auch immer du zu Hause tust, nie wird dich der Duft des Jasmins so berauschen wie im Café.

Das Leben ist auf merkwürdige Weise kompliziert.

Das Leben ist auf merkwürdige Weise einfach.

Dieser Gegensatz bringt es mit sich, dass viele von uns mit dem Leben nicht zurechtkommen. Das Leben leichtnehmen zu können, muss ein Mensch im Blut haben. Es gibt keine Kurse, in die man gehen kann, um sich einige Stunden oder Semester hinzusetzen und dies zu lernen. Das Leben ist voller Erfahrungen, voller Prüfungen und Irrtümer. Aber die Erfahrungen des einen passen nicht immer zu den Bedürfnissen des anderen. Durchlittener Schmerz des einen verhindert nicht künftige Schmerzen eines anderen.

Das Leben ist kein Teebeutel, den man in ein Glas hängt, um dann der Anleitung folgen zu können: Gießen Sie kochendes Wasser darüber, lassen Sie ihn zehn Minuten ziehen und genießen Sie ihn dann.

Ich trinke Tee und schaue aus dem Fenster. Drei dicke, weiße Tauben suchen in aller Ruhe und Bedächtigkeit nach Brotkrumen unter einem Tisch vor dem Café, über dem als Schutz vor dem Regen ein Schirm aufgespannt ist. Ich versuche, mich in Picasso hineinzuversetzen und herauszufinden, was er in diesen Lebewesen gesehen hat. Ein weißer Vogel mit einem Olivenzweig im Schnabel, der sich emporschwingt, mit den Flügeln schlägt und die Friedensbotschaft denjenigen überbringt, die ihre Blicke in Erwartung dieses Boten zum Himmel gerichtet haben. Picassos Taube fliegt in meinen Gedanken, als auf einmal eine weitere dicke Taube von gar nicht so weit oben bei diesen dreien landet und sie vertreibt, um die Brotkrümel aufzupicken.

Ich mag Picassos Tauben nicht.

Ich bin in Gedanken, als sich drei Gesichter zwischen mich und die Tauben schieben. Meine Freundin beugt sich über den Tisch und fragt lächelnd: »Wo bist du denn?«

»Na hier.«

Sie lächelt und zwei hübsche Frauen, die an ihren Ohren hängen, lachen auch. Die Frauen streichen mit dem Hals über ihre Schultern und ihre dunkelblaue Seidenbluse. Sie setzt sich auf den zweiten Stuhl. Meine Freundin redet. Sie lacht. Ich lache. Sie lacht laut. Ich lache und verfolge mit starrem Blick ihre Worte. Obwohl sie sich bemüht, voller Begeisterung zu sprechen, sind ihre Worte kraftlos. Ich verfolge sie, sie wirken wie Arbeiter aus einem Straflager mit Ketten an den Füßen, sie bewegen sich hintereinander in einer Linie, nacheinander fliegen sie auf. Beim Sprechen bewegt sie ihren Kopf und die hängenden Frauen tanzen.

Im Radio wird ein Song gespielt, den ich noch nie gehört habe:

»Ich gehe nicht weg

Hab’ meine Frist verlängert

Neue Zeitreise

Offene Welt

Habe dich sicher

In meiner Seele

Ich trag’ dich bei mir

Bis der Vorhang fällt«2

2Herbert Grönemeyer: »Der Weg«.

Mein innerer Käfig

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