Читать книгу Mein innerer Käfig - Azin Heidari Nejad - Страница 15
ОглавлениеWenn Frauen heiraten, gehen manche schon am ersten Tag ganz still zugrunde. Viele von ihnen, die verliebt waren und ans Ziel ihrer Wünsche gelangten, halten sich für glücklich. Weil sie denken, sie seien immer noch verliebt. Weil sie denken, dass der Alltag Liebe bedeutet. Nach und nach setzt sich der Staub von Tagen und Nächten auf ihre Liebe. Ein Stück davon stellen sie jeden Tag einfach auf die Flamme ihres Gasherds, ein Stück von ihren Träumen braten sie jeden Tag mit Salz, Öl und guten Gewürzen an. Ein anderes Stück tragen sie zwei, drei Mal in der Woche zur Waschmaschine, geben ausreichend Waschmittel dazu, sodass es gewaschen wird und den Alltagsgeruch verliert. Ein anderer Teil kommt zu festgelegten Zeiten, wenn sie das Kind zur Schule bringen oder abholen müssen, unterwegs auf dem Asphalt unter die Räder eines Autos und wird zerquetscht. Die Reste werden auf den meist unvermeidlichen Partys am Wochenende von zu engen, peinigenden BHs erstickt.
Wenn sie Essen kochen, schmeckt es umso besser, je mehr Stücke ihrer Liebe, der verblichenen Überreste ihrer Liebe, darin schwimmen. Die Scherben ihrer Illusionen und Träume vergraben sie nachts in ihren Betten.
Die Frauen sterben jeden Tag tausend Tode und je nachdem, wie viele von ihren Träumen sie am Vortag erstickt haben, tragen sie am nächsten Morgen ihren Lippenstift kräftiger auf.
Wann immer ich eine Frau mit übermäßig geschminkten Lippen sehe, schaue ich ihr in die Augen. Blicke lügen nicht. Wenn man mich fragt, was die wunderbarste Schöpfung auf der Erde sei, antworte ich: die Augen.
Die Augen sind das direkte Fenster zum Menschen selbst, zum »Ich«, zu dem, was man als Seele des Menschen bezeichnet. Augen offenbaren Lügen. Augen verkünden Liebe. Augen geben dir hinter einem berauschten Lachen zu verstehen, dass all das Lachen Lug und Trug ist, das dieser vor Glück trunken aussehende Mensch über seinen Schmerz gießt.
Ehrliche Blicke, verliebte Blicke, Blicke eines Freundes. Wie sehr vermisse ich diese Blicke. Alles, was es hier gibt, sind höfliche Blicke, distanzierte Blicke.