Читать книгу Mein innerer Käfig - Azin Heidari Nejad - Страница 17
ОглавлениеMeine Freundin redet immer noch. Sie schickt sich an, die Stadt für immer zu verlassen. Aus einer orangefarbenen Tüte holt sie eine blaue Schachtel.
Ich sehe mir die Schuhe an, die sie für die Reise gekauft hat. In zwei Tagen wird sie schon unterwegs sein. Sie nimmt einen Schuh, zieht ihn an und streckt ihr Bein neben dem Tisch aus. Ein Paar Schuhe mit roten Sohlen und einer schwarzen Schleife. Sie sind schön.
Sie hat sich für die Reise neue Schuhe gekauft, ich habe meine Schuhe für einen Neuanfang ausgezogen.
Es ist schwer, über einen Boden zu gehen, der dir nicht gehört, in dem du nicht verwurzelt bist, mit dem du keine Erinnerungen verknüpfst. Das Gehen auf unbekanntem Boden ist schwer, das Hinfallen auf unbekanntem Boden ist furchtbar.
Es ist schön, über fremden Boden zu gehen. Vor deinen Füßen breitet sich ein Weg für eine Entdeckung aus. Das Wetter, die Menschen, die Bäume, die Straßen – alles ist neu, wie ein ungelesenes Buch.
Ich wurde von vertrautem Boden weggeschleudert, mitten an einen Ort mit verschiedensten Wegen und der Verlockung, Neues zu entdecken. In mir war die Lust am Lesen, die Lust am Verstehen der Sprache eines Landes, von dem ich keine Vorstellungen hatte. Vielleicht war es eine Wiedergeburt.
Ich musste nur loslaufen und mir alles erobern: Straßen, Menschen, Berge, Täler, Wälder und die Zeit. Ich musste mit nackten Füßen über Steine, Erde, Lehm und Holzspäne gehen. Ich musste Schuhe und Strümpfe ausziehen und in Kauf nehmen, dass mich Splitter verletzen und meine Füße Schwielen und Blasen bekommen. Dies war der Preis, den der neue Weg und die neue Welt von mir forderten, um mich aufzunehmen und Erinnerungen für meine Zukunft zu erzeugen.
Leben bedeutet Erinnerung, ein Weg, der sich an dich erinnert.
Jetzt haben die Ziegel des fremden Landes meinen Geruch aufgesogen, ich fühle mich in den Fugen seiner Mauern heimisch. Ich vermag nicht zu sagen, ob mein Ich noch als Ganzes existiert. Jedes einzelne Stückchen von mir habe ich in einer Ecke dieses Landes eingepflanzt. Auf den Wegen, die ich gegangen bin, an den Flüssen, in den Städten, den Wäldern, den Cafés, überall habe ich einen Teil von mir vergraben. So viel, dass ich manchmal das Gefühl habe, von mir ist nichts mehr geblieben.
Leben heißt vergessen. Das heißt, du zwingst dich selbst zu der Annahme, dass deine Geschichte genau hier beginnt. Genau an dem Punkt, an dem du stehst.