Читать книгу Emilie Mayer - Barbara Beuys - Страница 13
ОглавлениеWieder zu Hause, nimmt die Beziehung zum Vater eine dramatische Wende. Die beiden Verlobten reichen Klage ein: die Zustimmung von Friedrich Wieck zur Heirat seiner Tochter mit Robert Schumann soll gerichtlich erzwungen werden. Je näher die Ehe rückt, desto zerrissener fühlt sich Clara Wieck – verglichen mit Robert Schumann – als Künstlerin, wie ihr Tagebuch im September offenbart. Sie ist »beunruhigt«, denn »sein Geist ist so groß«. Sie sieht es als ihre Aufgabe an, »soviel als möglich mit der Künstlerin die Hausfrau zu vereinen. Das ist eine schwere Aufgabe!«. Doch das Pariser Selbstbewusstsein dringt noch durch: »Meine Kunst lasse ich nicht liegen, ich müsste mir Vorwürfe machen.«
Zwei Monate später schaut sie total ernüchtert auf ihre Situation: »Ich glaubte einmal das Talent des Schaffens zu besitzen, doch von dieser Idee bin ich zurückgekommen, ein Frauenzimmer muss nicht komponieren wollen – es konnte es noch keine, sollte ich dazu bestimmt sein?« Der Vater habe sie zu einem Traum verleitet, von dem sie sich nun gelöst habe: »Möge Robert nur schaffen, das soll mich immer begleiten«.
Am 12. September 1840 wird geheiratet. Sehr bald erkennt Clara Schumann, geborene Wieck, sie muss einen weiteren Traum aufgeben: dass sein Komponistenalltag mit ihrem Bedürfnis nach Konzertreisen, für die sie täglich am Klavier üben muss, zusammengeht. Ihr Spielen stört den Ehemann beim Komponieren, und für Robert gibt es keinen Kompromiss. Clara Schumanns Tagebuch ist eindeutig: »Zum spielen komme ich jetzt gar nicht … werde noch ganz melancholisch … wenn ich nur nicht gar so sehr zurückkomme.« Sie hat Angst, durch die Heirat nicht nur als Komponistin, sondern auch als Pianistin am Ende zu sein. Im Jahr nach ihrer Heirat wird sie nicht auf Konzertreise gehen.
Während Clara Wieck in Leipzig zerrissen ist zwischen ihrer Liebe zu Robert Schumann und dem »Talent ihres Schaffens«, von dem sie im Grunde ihres Herzens überzeugt ist, wird für Fräulein Emilie Mayer das Thema »Heirat« im fernen Friedland mit jedem Jahr, das in den 1830ern verstrich, für sie und ihre familiäre Umgebung auf der Agenda gestanden haben. Auch zu diesem Punkt weiblicher Lebensplanung hat Ernst Brandes in seiner Schrift »Ueber die Weiber« festgelegt, was in bürgerlichen Kreisen Konsens war: »Der Mann kann zur Noth allein stehen. Das Weib aber muß eine Stütze haben. Diese erhält sie durch die Ehe.« Das war 1787, und diese Einstellung hatte 1832 nichts an Bedeutung verloren, wie die Schrift »Der Deutsche Horizont« belegt: »Für das weibliche Wesen ist die Ehe Hauptzweck ihres Lebens, darum hat das weibliche Wesen, bis sie zu ihr gelangt, überhaupt noch nicht gelebt.« Denn »Weibspersonen sind zur Fortpflanzung des menschlichen Geschlechts erschaffen«.
Emilie Mayer, 1812 geboren, wurde mit einer Erwartung konfrontiert, die mit einem gewaltigen gesellschaftlichen Druck verbunden war. »Heiraten« hieß die einzige standesgemäße Antwort auf den Sinn ihres Lebens, und so bald wie möglich. Jede Frau wusste, dass diese Entscheidung »lebenslänglich« bedeutete: als Ehefrau und Mutter ein angenehmes familiäres Heim zu schaffen, vielleicht mit ein bisschen Musik am Klavier im Hintergrund oder um vor Gästen zu glänzen und ansonsten in diese Familienbehausung eingeschlossen zu bleiben – »und drinnen waltet die züchtige Hausfrau«. Amalie Holst stellte auch in diesem Punkt eine Ausnahme dar, als sie 1802 in ihrer Schrift »Über die Bestimmung des Weibes zur Höhern Geistesbildung« Frauen, deren »Freiheitssinn zu mächtig« sei, den Rat gab, sie »sollen ehelos bleiben, sich nicht in die Sklaverei einer Ehe begeben!« Aber ganz allein stand sie mit dieser Meinung nicht.
Kein direktes Wort von Emilie Mayer ist zu diesem Thema überliefert. Doch ihre Taten sind mindestens so überzeugend wie Worte. Sie lassen darauf schließen, dass sie sich in den 1830er Jahren, als ihre Geschwister nach und nach das Elternhaus verließen, gründlich überlegt hat, wie ihr Lebensweg aussehen sollte.
Sie war achtundzwanzig Jahre alt und ledig, als im August 1840 in der Ratsapotheke der tödliche Schuss fiel und wenige Tage später ihr Vater begraben wurde. Alle, die bisher über Emilie Mayer geschrieben haben, sind sich einig, dass die nun verwaiste Tochter »vermutlich noch 1841« Friedland verlassen habe und nach Stettin zog. Keine Dokumente oder Überlieferungen nennen diesen Zeitpunkt und vor allem: ihre eigenen Worte sprechen dagegen. Persönliche Ereignisse, wie den Tod ihres Vaters oder Gefühle, erwähnt Emilie Mayer nicht, als sie in einem Brief an den Musikkritiker und Komponisten Wilhelm Tappert am 4. Juli 1870 ihren musikalischen Werdegang schildert. Die Fakten jedoch sind eindeutig: »Da Friedland nicht der Ort war, um in der Tonwissenschaft sich zu vollkommnen, ging ich nach Stettin und wurde Loewes Schülerin von 40 bis 47 mit bedeutenden Unterbrechungen.« Es gibt nur eine Deutung: Emilie Mayer ergriff im Herbst 1840 die Chance, einen Entschluss zu realisieren, den sie schon lange gefasst hatte: Komponistin zu werden und unverheiratet zu bleiben.
Es war ein glückliches Zusammentreffen: In Stettin, wo ihr ältester Bruder seit 1835 die Adler-Apotheke betrieb und sie familiären Anschluss fand, war Carl Loewe seit knapp zwei Jahrzehnten als Musikdirektor Mittelpunkt und kreativer Organisator des städtischen Musiklebens. Zugleich ging sein Ruf als Komponist, Organist und Sänger weit über die aufstrebende Handelsstadt an der Oder hinaus. Queen Victoria in England gehörte zu seiner Fangemeinde.
Das Vaterhaus in Friedland zu verlassen mit dem Vorsatz, bei diesem berühmten Mann Komposition zu studieren, war aufs Engste mit einer anderen Lebensentscheidung verknüpft: »Hatte sie doch der Kunst wegen der bindenden Ehefessel, jeder fesselvollen Familienverbindung entsagt.« So deutet Elisabeth Sangalli-Marr in ihrer »Biographischen Skizze« über Emilie Mayer in der Neuen Berliner Musikzeitung 1877 den Entschluss der Komponistin. Es ist der einzige Text, der zu Lebzeiten von Emilie Mayer neben interessanten Fakten auch hintergründige Türen zu ihrer Persönlichkeit öffnet.
Dass Carl Loewe dieser jungen Frau aus der Provinz die Gelegenheit gibt, ihm ihre musikalischen Kenntnisse vorzuführen, und sie dann als seine Schülerin aufnimmt, spricht für seine Menschenkenntnis. Elisabeth Sangalli-Marr überliefert seine »kolportierte Anmerkung« nach einem »strengen Examen« von Emilie Mayer: »Sie wissen eigentlich gar nichts, und wissen doch Alles; Ich werde der Gärtner sein, der ihr noch als Knospe in ihrer Brust ruhendes Talent zur schönsten Blume entfalten hilft.«