Читать книгу ... kannst du mich verstehen? - Barbara Namor - Страница 12
Kapitel 10
ОглавлениеNachdem mir Jason geraten hatte, mich mit Tom zu besprechen, stand ich erst einmal vor dem Problem, dass ich zurück in Toms Appartement finden musste. Auf den Gängen zu General Lester und in Jasons Büro war ich begleitet worden und hatte nicht wirklich gut aufgepasst, welchen Weg ich nahm. Jetzt hätte ich mir lieber ein Stück von der Zunge abgebissen als Tom anzurufen und ihn zu bitten, mich abzuholen.
Zum Glück habe ich es mir zur Angewohnheit gemacht, mir Raumkoordinaten ziemlich genau zu merken, wenn ich in eine neue Umgebung komme; das funktioniert zuverlässig und unterbewusst ganz wunderbar – die Raumkoordinaten kannte ich jedenfalls auf die Winkelsekunde genau für das Gebäude, das ich suchte. Und deshalb marschierte ich los und folgte dabei meinem inneren Kompass. Die Gleichförmigkeit der Anlage lud nicht unbedingt zur Orientierung ein, aber nachdem ich einen kleinen Kreis gelaufen war, wusste ich, in welche Richtung ich abbiegen musste.
Allerdings hatte ich nicht damit gerechnet, dass ich beobachtet wurde. Aber: Junge Frauen im Sommerkleid, die auf einer Militärbasis kleine Kreise laufen, fallen nun einmal ganz furchtbar auf! Es dauerte keine zwei Minuten, da gesellten sich zwei junge Männer in Trainingsanzügen zu mir, die höflich fragten, ob sie vielleicht behilflich sein konnten. Und ihr "behilflich" bot in der Tiefe einen breiten Interpretationsspielraum. Offenbar waren sie entzückt, jemanden wie mich zu sehen.
Die beiden würde ich so einfach nicht loswerden, also verbrannte ich alle Brücken hinter mir und tat das, was meine Freundin Jule mir immer geraten hatte: Ich gab mich hilflos. Mit einem unschuldigen Augenaufschlag verkündete ich: „Ich suche ein bestimmtes Haus, aber auf dem Stützpunkt sehen alle Gebäude ziemlich gleich aus. Und ich habe nicht wirklich gut aufgepasst, wie ich hierhergekommen bin. Dort, wo ich jetzt hin möchte, wohnen in kleinen Appartements die Agenten, die in Europa arbeiten, Schwerpunkt Deutschland.“
So weit, so wahr. Die beiden beratschlagten kurz, wo das gesuchte Haus liegen könnte, und nahmen mich dann zwanglos in ihre Mitte. Die Richtung, die sie einschlugen, stimmte in etwa mit der überein, die mir mein innerer Kompass zuvor angezeigt hatte. Die beiden Mitglieder meiner Eskorte stellten sich artig als Greg und Norman vor.
„Sehr erfreut. Sara“, erwiderte ich.
„Was machst du auf dem Stützpunkt? Bist du die Tochter von einem unserer Vorgesetzten, der uns standrechtlich erschießen lässt, wenn er uns mit dir sieht?“, fragte Greg neugierig.
„Was ich hier mache? Schwer zu sagen“, erwiderte ich wahrheitsgemäß und sah belustigt, wie sich die beiden über meinen Kopf hinweg einen irritierten Blick zuwarfen. Ich musste aber auch wirklich einen merkwürdigen Eindruck hinterlassen – unpassend gekleidet, komische kleine Kreise laufend, ohne eine Vorstellung davon, was ich hier eigentlich tat.
Norman grinste, als er feststellte, es sei ja auch einmal wieder ziemlich heiß an diesem Mittag. Er hatte sich offenbar dafür entschieden, dass bei mir einfach eine Schraube locker war. Auch gut.
Greg dagegen plauderte unbefangen weiter. Der ließ sich nicht so leicht in die Flucht schlagen. Dafür befand er sich viel zu dringend auf der Jagd nach einer Frau, wie mir das Timbre seiner Stimme sagte.
Kaum kam das Haus in Sicht, das ich als das Gesuchte erkannte, schoss Tom wie ein Kettenhund aus der Tür. Ohne meine Begleiter eines Blickes zu würdigen, legte er los: „Sara, wo hast du gesteckt? Was wollte Jaso…“
Ich unterbrach ihn einfach. „Tom, darf ich vorstellen? Das sind Norman und Greg. Die waren so nett, mich herzubegleiten. Es ist ja nicht ganz einfach, sich hier bei all den gleichförmigen Häusern zurechtzufinden.“
Tom sah die beiden an, als handele es sich bei ihnen um Kakerlaken, und zwar besonders hässliche Vertreter ihrer Art. „Netter Versuch, Jungs. Macht euch vom Acker!“, zischte er dann mit der ganzen Herablassung dessen, der aufgrund seines Ranges in einer militärischen Einrichtung nicht einmal mehr dazu gezwungen ist, sich an eine bestimmte Kleiderordnung zu halten. „Wenn einer euch nicht braucht, um nach Hause zu finden, dann Sara. Die könnt ihr in Feuerland aussetzen und sie findet präzise heim! Zu mir.“
Mein Gott war das peinlich. Hoffentlich sah ich die beiden nie wieder! Ich flitzte einfach ins Haus, um die Szene zu beenden. Da hielt ich mich noch nicht einmal einen ganzen Tag auf diesem Stützpunkt auf und heulte schon wie ein Schlosshund!
„Sara, es tut mir wahnsinnig leid! Ich werde mich wirklich bemühen, dass so etwas nicht wieder vorkommt!“, beteuerte Tom mindestens zum zehnten Mal, nachdem ich endlich meine Tränen getrocknet hatte. „Es ist nur – ich kenne diese jungen Burschen, die bei uns in der Grundausbildung stecken. Schließlich war ich ja selbst einer von denen. Ist gar nicht so lange her. Die sind pures Testosteron. Die wollen nur das eine. Ich kann es nicht ertragen, so einen Kerl neben dir zu sehen. Der Größere von den beiden hat ja förmlich gesabbert, so hat er dich angestarrt. Bitte, sprich wieder mit mir …“
Eifersucht.
Ein Problem, ein Riesenproblem, ganz klar. Damit hatte ich noch nie zu tun und einfach versprach der Umgang damit in unserer Beziehung nicht zu werden. Und so sehr ich Tom liebte, auch nach diesem dummen Vorfall, ich wollte mich nicht total von ihm vereinnahmen lassen. Es fühlte sich für mich entwürdigend an, wie klein er mich machte, indem er auf meine Begleiter losging – gerade so, als könnte ich selbst diese harmlose Situation allein und ohne seinen männlichen Beistand nicht vernünftig meistern.
Als mein Atem wieder ruhiger ging, stellte ich so entschlossen wie möglich fest: „Tom, ich liebe dich, aber ich gehöre dir nicht. Und ich fälle meine eigenen Entscheidungen. Das heißt, ich bestimme, mit wem ich heimgehen möchte oder ob ich dir mitteile, was andere Leute mir im Vertrauen auf meine Diskretion mitteilen. Auch wenn du älter bist und sicher mehr Lebenserfahrung besitzt, lass mich meine eigenen Erfahrungen machen. Das bist du mir schuldig, wenn du etwas für mich empfindest.“
Es fühlte sich erstaunlich schwierig an, sich so bewusst gegen Tom zu stemmen und ihm Widerstand zu leisten. Schließlich liebte ich ihn und ich sehnte mich ganz furchtbar danach, dass wir uns versöhnten. Ich hatte zwar keine Ahnung, wie ich genau benennen oder definieren sollte, was diese Liebe eigentlich ausmachte – es war nur so, dass dieses starke Gefühl, dass in mir so sehr nach Tom verlangte, mich unwiderstehlich zu ihm zog. Und ich brauchte seinen Rat, gerade jetzt. Dringend. Es kostete mich viel Kraft, so zu rebellieren und meinen Standpunkt abzugrenzen, denn er wirkte furchtbar stark und bestimmend.
Wir standen in Toms Appartement, zwei Meter zwischen uns und wussten beide nicht, wie es weitergehen sollte. Alles in mir schrie danach, diesen dummen Streit zu beenden und den Himmel auf Erden wieder herzustellen, den wir gerade erst für ein paar Tage genossen hatten. Aber ich wusste nicht wie. Ich hatte keine Erfahrung mit Eifersucht, keine in Bezug auf Streit mit dem Partner, keine mit der Versöhnung danach. Ganz toll!
Da klingelte mein Handy.
Jason meldete sich und fragte, ob ich schon mit Tom gesprochen hätte. Er hätte soeben die perfekte Ausbilderin für mich gefunden und demnächst würde ein neuer Kurs für Rekruten anfangen, da schiene es ihm opportun, ich sollte so schnell wie möglich einsteigen, wenn ich mich für seinen Vorschlag entscheiden könnte.
„Ich habe mich aber noch nicht entschieden, Jason“, erwiderte ich und legte auf.
„Entschieden? Wofür?“, fragte Tom betont ruhig und sanft und interessiert und kam vorsichtig einen Schritt näher.
“Ob ich mich hier bei euch ausbilden lassen will, damit ich besser auf mich selber aufpassen kann. Das hat Jason mir nämlich vorgeschlagen“, erklärte ich.
„Möchtest du das denn?“ Toms Frage kam auf Samtpfötchen daher.
„Jason hat mir geraten, das mit dir zu besprechen.“
„Möchtest du das denn?“, erkundigte sich Tom womöglich noch sanfter.
„Ja, Tom. Das möchte ich mit dir besprechen. Es geht uns schließlich beide an, oder?“
Da kam Tom ganz nahe an mich heran, umarmte mich, hob mich hoch und flüsterte in mein Ohr: „Verzeih mir. Ich liebe dich so sehr, dass es mir fast wehtut. Und das ist ziemlich neu für mich. Ich muss damit umgehen lernen.“
„Ich muss auch damit umgehen lernen, Tom. Jason hat gesagt, du bist der Tiger, den ich versuche zu reiten. Und ich wäre der Tiger, den du am Schwanz gepackt hältst. Und wir sollten beide um Himmels willen nicht loslassen!“
Tom lachte leise, sein Gesicht in meinem Haar vergraben. „Was für ein hübscher Vergleich! Jason … Der hat dich also schon adoptiert. Hätte ich mir denken können. Bietet Ausbildung und allgemeine Lebenshilfe, je nach Bedarf. Das ist typisch für ihn. Wie ein Übervater schwebt der über seinen Leuten und achtet auf sie. Der wird wie ein Höllenhund hinter jedem her sein, der dir nicht guttut. Auch hinter mir. Wenn ich nicht wahnsinnig aufpasse, wird er mir furchtbar in den Arsch treten. Also erzähl ihm bitte, bitte nicht, wie idiotisch ich mich gerade aufgeführt habe, ja?“
Nachdem zwischen uns wieder buchstäblich Nähe hergestellt war, musste ich Tom einfach fragen, ob er mir ein paar meiner Erfahrungen dieses Morgens erklären konnte: „Tom, ich war nie in der Lage zu flirten. Als Teenager habe ich einfach bei Jungen nicht gepunktet. Die Kerle in meinem Umfeld haben sogar meistens einen weiten Bogen um mich geschlagen. Was ist jetzt so anders geworden, dass ich Eroberungen verzeichnen muss, wo ich gar keine machen wollte – bei diesen Rekruten, beim General, bei Jason. Ich höre, dass die mich alle auf eine verrückte Art anhimmeln. Warum? Ich tue doch gar nichts, um das herauszufordern, oder?“
Tom schob mich, ohne mich loszulassen, zu einem kleinen Spiegel an der Wand und forderte mich auf hineinzusehen.
„Da siehst du einen Teil der Antwort, Sara. Du bist einfach wunderschön. Da muss jeder Mann zweimal hinschauen. Mindestens. Der andere Teil der Antwort lautet – zwischen Männern und Jungen besteht ein himmelweiter Unterschied. Die Teenager konnten wahrscheinlich gar nichts mit deiner direkten Art ohne jeden Flirt anfangen, denn Teenager wollen verschleiern, was sie alles nicht sind oder können. Wer direkt auftritt und ehrlich, hält denen einen unangenehmen Spiegel vor Augen. Aber deine Unverblümtheit und Ehrlichkeit, dein Gebundensein an das, was wahr ist, all das wirkt ganz anders auf Männer. Es ist schwer zu beschreiben. Ich würde sagen, es ist irgendwie rührend, wenn du so offen bist – zumindest für mich. Du wirkst dabei so … verletzlich. Könnte sein, dass andere das ähnlich empfinden. Jason oder der Bursche von vorhin und wahrscheinlich sogar der General, die wollen dich wirklich beschützen. Dieses Bedürfnis, dich zu behüten, ist es wohl, was du in Männern auslöst. Das hat sich möglicherweise verändert im Vergleich zu deiner Teenagerzeit.“ Tom grinste schief und ein bisschen gequält: „Mein Pech. Ich werde damit leben müssen, dass du einfach auf Männer unheimlich attraktiv wirkst. Vielleicht ist das ja für dich von Vorteil und die Konkurrenz belebt wirklich das Geschäft.“