Читать книгу ... kannst du mich verstehen? - Barbara Namor - Страница 8

Kapitel 6

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Um in Jasons Büro zu gelangen, mussten Tom und ich nur ein paar Blocks weitergehen. Das Schweigen hing zwischen uns wie eine dunkle Wolke – das fühlte sich verdächtig nach unserem ersten Streit an. Die Atmosphäre wurde nicht besser, als eine Gruppe junger Männer im Laufschritt an uns vorbeitrabte und ein anerkennender Pfiff hinter mir und meinem Sommerkleid her tönte. Toms Haltung versteifte sich noch um ein paar Grade. Ich beschloss, meine beiden Kleider künftig zunächst im Koffer zu lassen, um jeglichen Zündstoff zu vermeiden. Bis wir unser Ziel erreichten, schwiegen wir.


In Jasons Büro saßen neben Jason selbst Rob, Jeff, Joe, und Frank sowie zwei weitere Personen in lockerer Runde.

Vanessa und Charles, beide gehören zu der Ermittlergruppe, die den Fall in Rotterdam untersucht“, stellte Jason die Fremden vor. „Die haben natürlich eine Menge Fragen an dich.“

Frank blickte ein wenig verwundert zwischen Tom und mir hin und her, als Tom erstmals nicht gleich neben mir Platz nahm. Er sah zwar wirklich nicht so aus bei seiner Körpergröße und Muskelmasse, aber Frank entpuppte sich immer wieder als sehr sensibler Beobachter.

Na dann mal los!“, forderte ich etwas übertrieben munter auf.

Anschließend wurde ich über zwei Stunden lang ausgequetscht. Vanessa und Charles hatten einen ganzen Fragenkatalog vorbereitet, neue Fragen ergaben sich aus meinen Antworten. Am Ende stand fest, dass herzlich wenig aus den gesicherten Spuren und den drei Tätern herauszubekommen gewesen war. Und viel hatte ich bedauerlicherweise auch nicht beitragen können, um das Rätsel zu klären, wer meine Entführung in Auftrag gegeben hatte.

Fassen wir zusammen“, meinte Jason schließlich. „Der Chef der drei Entführer ist der einzige, der in Kontakt mit den Auftraggebern stand. An Bord des Schiffes, auf dem Saras Befreiung stattfand, fanden wir keine einzige Spur, die auf diese Hintermänner hinweist. Kein Schriftstück, keine Computerdatei, nicht einmal ein Handy, auf dem verwertbare Spuren zurückverfolgt werden konnten. Die beiden Mittäter wissen nicht, in wessen Auftrag sie der Dicke angeworben hat. Die arbeiteten lediglich als bezahlte Helfer. Und der Dicke hat, wie Sara beim Schallen feststellen konnte, einen fetten Lebertumor, eine Lebenserwartung von nur noch ein paar Wochen und bekommt von den Ärzten, die ihn behandeln, bereits hoch dosierte Schmerzmittel. Der wird seine letzten Tage wohl nur noch im Dämmerzustand erleben. Wir bekommen also keine Chance, ihn so in die Mangel zu nehmen, dass wir etwas Brauchbares erfahren. Und er hat, wenn ihn nicht doch noch das dringende Bedürfnis nach einer Generalbeichte überkommt, keinen Grund, uns zu erzählen, wer Sara kidnappen lassen wollte, weil er bald stirbt. Irgendein Deal mit uns ist also für ihn uninteressant.“ Jason klang alles andere als zufrieden.

Viel Kontakt hatten wir zwar nicht, aber einen Eindruck von der Persönlichkeit des Fettwanstes habe ich schon bekommen“, schaltete ich mich ein.

Vanessa sah mich neugierig an: „Wie das, wenn nicht viel Kontakt bestand?“

Frank gab an meiner Stelle die Antwort: „Sara hört mehr als andere sehen, schmecken, riechen und fühlen.“

Ich nickte nur und fuhr fort: „Der Kerl vertraute niemandem, nur sich selbst. Ich halte ihn für den Prototyp des Einzeltäters. Eine Art Beichte würde mich bei so einem Charakter sehr überraschen.“

Jason sah auf seine Uhr. „Der Vormittag ist um und wir konnten nicht wirklich weiterkommen. Leider ließ sich bisher nicht klären, warum bei Saras Überwachung nicht aufgefallen ist, dass ihr jemand außer unseren Teams folgte. Dabei wäre genau das das Ziel des Personenschutzes gewesen, den wir für sie aufgezogen haben, nämlich so ein Kidnapping zu verhindern. Sehr unbefriedigend! Da tröstet die Erkenntnis wenig, dass es schwierig ist, Einzeltäter auszubremsen und dass der Kopf des Entführertrios reichlich Erfahrungen darin besaß, sich zu verbergen, weil er jahrelang von Interpol gesucht wurde. Ich nehme jetzt noch Saras Aussage schriftlich auf, damit die Kerle in Europa strafrechtlich verfolgt werden können. Ihr anderen verschwindet erst einmal. Wir treffen uns heute Nachmittag um 14 Uhr wieder hier; dann machen wir weiter. Erneute Fehlersuche und wir schauen uns an, was bisher dabei herausgekommen ist, die Besatzung des Tankers in Rotterdam unter die Lupe zu nehmen.“


Glücklich sah keiner meiner Freunde aus, als das Büro sich leerte. Auch Tom verschwand wortlos und ließ mich damit spüren, dass er immer noch verstimmt war.

Merkwürdig, obwohl mein Schutzengelteam gerade schlechte Noten von seinem Chef erhalten hatte, vertraute ich den Leuten nicht weniger. „Was geschieht mit den Kidnappern, die in Rotterdam geschnappt wurden?“, erkundigte ich mich neugierig.

Wir versuchen, sie in Europa wegen der Sache vor Gericht zu bringen oder in die USA ausliefern zu lassen“, erklärte Jason. „Ganz einfach wird das allerdings wegen unserer verdeckten Operation in den Niederlanden nicht, aber darum sollen sich unsere Ermittler und Juristen kümmern; das ist Gott sei Dank nicht mein Job. Und den Kopf der Truppe werden wir sicher nicht in die Finger bekommen, der stirbt uns vorher einfach weg, wenn die Ärzte recht behalten.“


Wir sind die Guten, hatte Tom immer wieder betont, als wir uns kennenlernten. Zuerst hatte ich das nicht glauben können bei Leuten, die mich scheinbar einfach aus Interesse an meinen besonderen Fähigkeiten einsperrten. Aber nach und nach hatte ich begriffen, dass Tom nicht nur von dieser Ansicht überzeugt war. Es hatte seinerzeit gute Gründe gegeben, mich sozusagen von der Straße zu pflücken, um mich vor meinen anderen, unbekannten Verfolgern zu schützen vielleicht hatten die Hintermänner der Kidnapper von Rotterdam schon damals ihre Fühler nach mir ausgestreckt.

Jasons Erklärungen über das Vorgehen mit meinen Entführern bewies mir, dass er und seine Leute sich nicht bedenkenlos in einem rechtsfreien Raum zu bewegen schienen. Beruhigend.

Wie geht es dir? Du wirkst ein bisschen angespannt. Wie war deine Begegnung mit General Lester?“, wollte Jason wissen.

Ich lächelte in Gedanken an das Frühstück und erwiderte nur: „Nett.“ Jason musste nicht mehr wissen als Tom.

Jason bemühte sich um einen behutsamen Ton, als er erklärte: „Sara, dir ist klar, dass ein mächtig großes Problem an der Tatsache hängt, dass wir die Drahtzieher hinter der Geschichte in Rotterdam wohl kaum ausfindig machen können?“

Natürlich war mir das klar. „Diese Hintermänner werden wahrscheinlich wieder versuchen, mich zu schnappen, wenn niemand gegen sie vorgeht, oder?“ Obwohl hell und warm die Sonne schien, lief mir ein Schauer den Rücken hinunter. Die Tage auf dem Schiff und im Hafen von Rotterdam waren nicht angenehm gewesen. Und das alles fühlte sich noch sehr frisch in meinem Gedächtnis an. Nur vorüber. Nicht bewältigt. Die Erinnerung machte mir Angst.

Jason beobachtete mich genau, als er fortfuhr: „Ja. Die Wahrscheinlichkeit, dass einfach andere Leute auf dich angesetzt werden, ist ziemlich hoch.“

Und das bedeutet, dass ich jetzt für den Rest meines Lebens hier auf dem Stützpunkt festgehalten werde – zu meiner eigenen Sicherheit?“, fragte ich provokant.

Jason schüttelte den Kopf. „Ich hatte mir da einen anderen Weg überlegt. Ich denke, du solltest dich hier ausbilden lassen. Du solltest Widerstand leisten können, wenn wieder jemand hinter dir her ist. Du solltest eine Beschattung erkennen, wenn dir jemand folgt.“

So etwas hat Daniel schon angedeutet.“

Wer?“

General Lester.“

Jason seufzte und verdrehte die Augen. „Geht das schon wieder los! Du sitzt eine Zeit lang in seinem Büro und darfst danach den Boss von dem ganzen Laden hier beim Vornamen nennen? Also ich darf das nicht. Wie machst du das? Ich meine, wie schaffst du es, dass dir die Leute so schnell aus der Hand fressen? Mit Ur?“

Ich schüttelte den Kopf. Das fehlte noch, dass man mir hier unterstellte, mir Menschen mittels Ur gefügig zu machen! Ur war zwar mit im Spiel bei der Entwicklung der Dinge, aber nicht in dem Sinn, dass ich Einfluss auf Lesters Emotionen genommen hatte.

Ich versuchte, das Thema zu wechseln: „Was soll ich mir darunter vorstellen, mich hier ausbilden zu lassen? Willst du mich quasi durch die Hintertür dazu bekommen, dass ich für euch tätig werde? Drei Einsätze habe ich gesagt und dabei bleibt es!“

Jason lächelte beschwichtigend. „Nette Idee. Vielleicht läuft alles am Ende darauf hinaus. Aber ganz sicher ist es kein Fehler, wenn du unsere Methoden kennst, falls du für uns arbeitest, auch wenn es nur im Rahmen von drei Einsätzen sein wird. Ich könnte mir vorstellen, dass ausgerechnet die besonders wichtig sind. Ich hatte mir deine Ausbildung hier so vorgestellt, dass du zunächst einmal lernen solltest, für deine eigene Sicherheit zu sorgen. Wie sportlich bist du?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Nicht besonders. Sport hat mich nie sehr interessiert. Ich hatte meistens so viel Ärger mit meinen Klassenkameraden, weil ich ziemlich gut in der Schule war, da bin ich nie ernsthaft auf die Idee gekommen, ich sollte irgendetwas trainieren, um auch noch als Sportass dazustehen. Reiten kann ich wohl ganz gut, aber ich nehme an, daran hast du bei deiner Frage weniger gedacht, oder?“

Jason lachte. „Nein, reiten hatte ich wirklich nicht gemeint. Ich dachte mehr daran, dass wir dich erst einmal so fit machen, dass du weglaufen kannst, wenn es ernst wird. Das klingt zwar zunächst nicht besonders spektakulär, geradezu antiquiert, aber möglichst schnell aus eigener Kraft verschwinden zu können, ist eine Fähigkeit, die gern unterschätzt wird. Und du solltest lernen, dich zu wehren, wenn du mit dem Rücken zur Wand stehst, falls du zuvor nicht rechtzeitig oder schnell genug flüchten konntest.“

Das musste ich erst einmal sacken lassen. An solch eine Möglichkeit hatte ich noch nie gedacht. Aber was Jason sagte, klang einleuchtend. Das Gespräch mit den Ermittlern hatte ganz deutlich gemacht, wie unwahrscheinlich es war, den Kidnappern aus Rotterdam und vor allem deren Hintermännern auf die Spur zu kommen. Wenn ich in Zukunft nicht dauernd in Angst oder hier hinter dem Zaun leben wollte, sollte ich wirklich zusehen, dass ich selbst für meine Sicherheit sorgen konnte. Das würde ich lernen müssen. Und es war hier möglich. Bei absoluten Profis, die mir wahrscheinlich die bestmögliche Ausbildung verpassen würden. Aber so hatte ich mir meine Zukunft nach der Schule wirklich nicht vorgestellt. „Jason, eigentlich wollte ich mich nach dem Abitur an der Universität in Düsseldorf für Psychologie einschreiben. Was wird aus meinen eigenen Plänen für die Zukunft?“

Kein Problem. Die kannst du weiter verfolgen, Sara. Wir haben Ende Juni. Wann würde dein Semester beginnen?“

Mitte Oktober.“

Also stehen uns mehr als drei Monate zur Verfügung, um dich fit zu machen. Länger befinden sich unsere Rekruten auch nicht im Grundkurs. In der Zeit kannst du hier eine Menge lernen, auch wenn die Gesamtausbildung natürlich viel umfangreicher ist und länger dauert. Du fliegst zu Semesterbeginn heim, schreibst dich an der Uni ein und nimmst dein Studium wie geplant auf. Eine interessante Fächerwahl übrigens. Deinen Personenschutz würdest du als Studentin trotzdem behalten, es sei denn, es ereignet sich inzwischen etwas, was uns deine Sicherheitslage anders beurteilen lässt. Aber du könntest momentan davon ausgehen, dass wir die Basis in Düsseldorf aufrechterhalten, dass du dort einfach einziehen kannst und mit deinem Bodyguard eine Wohngemeinschaft bildest. Ungewöhnlich, aber möglich.“

Wird Tom mein Bodyguard sein?“, wollte ich sofort hoffnungsvoll wissen.

Aber Jason schüttelte bedauernd lächelnd den Kopf. „Nein. Da hast du dir den Falschen ausgesucht. Tom ist ein gesuchter Spezialist, einfach zu gut, zu hoch qualifiziert, als dass wir ihn lediglich mit der Aufgabe betrauen könnten, auf dich achtzugeben und deine Hand zu halten. Aber er arbeitet hauptsächlich im deutschsprachigen Raum, also wahrscheinlich oft nicht weit von dir entfernt, wenn er im Außendienst tätig ist. Besprich meinen Vorschlag mit ihm in Ruhe.“

Was ich dann spontan äußerte, wollte ich eigentlich eher für mich behalten. Es rutschte mir sozusagen heraus: „Ich fürchte, Tom ist gerade nicht gut auf mich zu sprechen.“

Jason zog spöttisch eine Augenbraue hoch. „Schon Streit?“, stichelte er. Als er aber sah, dass mir die Tränen in die Augen stiegen, verkniff er sich jeden weiteren Spott und meinte mitfühlend: „Ich weiß nicht, ob es Tom klar ist, dass er in beziehungsweise mit dir einen Tiger am Schwanz gepackt hat. Und ich weiß nicht, ob dir klar ist, dass du versuchst, in der Person von Tom einen Tiger zu reiten. Ich kann euch nur den Rat geben, den man eben Leuten gibt, die sich derart mit Tigern einlassen: Bloß nicht loslassen! Tom kenne ich seit Jahren, dich erst seit ganz kurzer Zeit, aber ich glaube sagen zu können, ihr habt es beide in euch und seid ziemlich ungewöhnliche Menschen. Wenn zwei solche Kaliber eine Beziehung eingehen, wird die bestimmt nicht ruhig vor sich hinplätschern. Die Randbedingungen sind nicht eben unkompliziert. Seht zu, dass ihr euch nicht verliert. Das seid ihr euch schuldig und mir auch, verdammt noch mal! Ich habe mich schließlich ziemlich weit aus dem Fenster gelehnt, damit ihr zusammen sein könnt.“

Dann wechselte Jason abrupt das Thema und wir beschäftigten uns mit meiner Aussage.


... kannst du mich verstehen?

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