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Ausgangslage und Anliegen im 19. Jahrhundert

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Bereits bei den im Vormärz aktiven Frauen(gruppen) zeigte sich deutlich das Anliegen, Impulse für verbessertes Wissen und Bildung von Frauen zu setzen. Zwar überwogen hier die auf die Veränderung der gesamten Gesellschaft bezogenen revolutionären Töne und ging es etwa Louise Otto2 darum, die Teilnahme der Frauen am Staatsleben nicht nur als Recht, sondern als eine Pflicht zu sehen (Paletschek 1991: 51) – aber bereits hier wurde eine bessere Bildung als Grundlage für gesellschaftliche Teilhabe angesehen und gefordert. Die politisch aktiven »freisinnigen Frauenvereine« hatten aber explizit nicht eine Kopie männlicher Verhaltensweisen im Sinn, sie wollten auch nicht zu den »Emancipirten« gerechnet werden, die »das Weib zur Caricatur des Mannes herabwürdigten« (Frauen-Zeitung 1849), noch stellten sie die vorrangige Verantwortung der Frauen für die Familie in Frage – aber Bildung schien für Frauen aller Stände unabdingbar notwendig, als Basis für ein wachsendes politisches Selbstbewusstsein: »Jede für Alle, und daß wir vor Allem Derer zumeist uns annehmen, welche in Armuth, Elend und Unwissenheit vergessen und vernachlässigt schmachten« (ebd.).

Louise Otto-Peters war auch an den Gründungen des ersten Frauenbildungsvereins 1865 und wenig später des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins ADF maßgeblich beteiligt, dem organisatorischen Grundstein der ersten Frauenbewegung. In den Aktivitäten der Frauenbewegung wird in den nächsten Jahrzehnten das Ringen um eine verbesserte und institutionalisierte Mädchen- und Frauenbildung einen ganz zentralen Platz einnehmen und die akademische Pädagogik nachhaltig beeinflussen.

Umgekehrt war die elementarpädagogische Bewegung, die von Friedrich Fröbel angestoßen wurde, nicht vorrangig politisch motiviert, geriet aber im Zusammenhang mit den revolutionären Bewegungen von 1848 durchaus in einen politischen Kontext ( Kap. 4). Die Fröbelbewegung entstand im kirchenkritischen Umfeld der freireligiösen Bewegung (Allen 1996: 25) und stand ebenfalls in Zusammenhang mit Versuchen der Herausbildung einer nationalen Identität, die der Erziehung auch der jüngeren Kinder eine nationale Wichtigkeit beimaß. Zeittypisch ist hier die Mutterschaft nicht vorrangig biologisch konzipiert, sondern vor allem als ethisch und kulturell begründete Aufgabe der Frauen. In diesem Kontext entstand auch der Ausdruck »Geistige Mütterlichkeit« als Beschreibung der Befähigung von Frauen, einen professionellen gesellschaftlichen und politischen Beitrag zur Gesellschaft, ihrer Erneuerung und Verbesserung zu leisten.

Auch wenn der Elementarbereich nicht wie in England oder Frankreich zur »Elementarschule« ausgebaut wurde (Jacobi 2013: 261), nahmen doch die so angesprochenen Frauen das Angebot professionalisierter Ausbildung als »Kindergärtnerin« in großer Zahl mit Interesse an. Mit der Professionalisierung wiederum wuchs ihr Selbstbewusstsein, das ihnen in politischen Auseinandersetzungen dazu verhalf, ihre Herabsetzung als Frauen selbstbewusst zurückzuweisen (Allen 1996: 27). Wenngleich also hier ein pädagogisches Konzept einen Impuls gesetzt hat, ist es doch dem Einfluss der Frauenbewegung geschuldet, dass es in seiner gesamtgesellschaftlichen und gesellschaftspolitischen Dimension gesehen wurde. Hatte Fröbel den Müttern eine wesentliche kulturschöpfende Aufgabe zugeschrieben, so war es der Beitrag der selbstbewusst gewordenen Kindergärtnerinnen, aus dieser Aufgabe den Anspruch auf gesellschaftliche Anerkennung für sich als Frauen und für ihre Arbeit mit den kleinen Kindern zu entwickeln.

Im Falle der höheren Mädchenschulen ist das Verhältnis von Pädagogik, Gesellschaft und Frauenbewegung wiederum etwas anders gelagert, und es mischen sich die politischen und pädagogischen mit berufsständischen Interessenlagen. In den 1880er Jahren waren diverse regionale Lehrerinnen-Verbände entstanden, die sich 1890 im Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenverein ADLV zusammenschlossen und später auch Sektionen zu unterschiedlichen Schulformen bildeten. Durchaus auch mit Bezug auf den Topos »Geistige Mütterlichkeit« forderten die Lehrerinnen die Gründung von öffentlichen Einrichtungen zur wissenschaftlichen Ausbildung von Lehrerinnen sowie eine größere Beteiligung der Lehrerinnen am Unterricht in der Mittel- und Oberstufe der öffentlichen höheren Mädchenschulen, die im Geiste des Ideals nationaler Bildungsinteressen aufgewertet werden sollten. Diese Forderung brachte die männlichen und die weiblichen Professionsgruppen miteinander in Konkurrenz und Konflikt (die organisierten Mädchenschulpädagogen leisteten erbitterten Widerstand) und nötigte die Lehrerinnen mehr und mehr dazu, ihre Eignung zum Unterrichten aus ihrer Weiblichkeit abzuleiten: Die bessere Eignung von Frauen für den Lehrberuf an den höheren Mädchenschulen plausibilisieren sie mit einer Vorbildfunktion für die Schülerinnen und damit, dass sie sich als Frauen besser in diese hineinversetzen könnten. Besonders in den »ethischen Fächern« (Deutsch, Religion und Geschichte), den Fächern der »Erziehung«, habe die Lehrerin einen besseren Zugang zu den Schülerinnen als ein Lehrer – die Fächer Religion und Deutsch sollten vorrangig von Lehrerinnen unterrichtet werden (Lange, in Dauzenroth 1964: 33ff.).

Zwar war die Anstellung in höheren Mädchenschulen nicht gleichwertig zu der in den Knabenschulen angesehen, doch war sie für männliche Lehrer, die an den Knabengymnasien nicht untergekommen waren, eine wichtige alternative Berufsmöglichkeit. Weil andererseits die Lehrer eine bessere akademische Ausbildung hatten als die nur seminaristisch, also in einem Lehrerinnenseminar, ausgebildeten Lehrerinnen, hätte deren Anerkennung als gleichgestellte Lehrkräfte den Vorsprung der Lehrer negiert – aber umgekehrt hätte die Schlechterstellung der Lehrerinnen das gerade neu etablierte Berufsfeld für bürgerliche Frauen wieder gefährdet (Kraul 1991: 281). Beide Gruppen bemühten sich deshalb massiv darum, ihren Interessen mit Hilfe von Denkschriften und Petitionen Nachdruck zu verleihen, was politische Lösungen schwierig machte. Angesichts ihrer politischen Schwäche und Erfolglosigkeit wurden die Lehrerinnen deshalb selbständig praktisch-pädagogisch aktiv. Sie richteten 1889 eigene Realkurse (später sogar Gymnasialkurse) für Mädchen und Frauen ein und erzwangen letztlich Veränderungen auf beiden Ebenen: auf der politischen Ebene mit der Zulassung von Frauen zu Abitur und Studium sowie auf der pädagogischen Ebene mit der Anerkennung gleichwertiger Bildungsansinnen von Frauen – auch wenn deren konkrete Bildungswege noch für lange Zeit länger, umständlicher und immer weiter durch andere Formen von Exklusion aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit gekennzeichnet waren als die der Knaben und jungen Männer (Nieswandt 1996).

Die Zulassung zum Abitur wiederum zwang die Universitäten sukzessive, sich für Studentinnen zu öffnen, was anderswo schon länger gang und gäbe war – Deutschland bildete hier im europäischen Vergleich und dem zur USA (in Bezug auf das Medizinstudium sogar international; Brinkschulte 2005: 105) ein Schlusslicht. Dabei spielte es eine Rolle, dass in Deutschland der Zugang zu den Professionen über ein akademisches Studium geregelt war, während etwa in der Schweiz, die ihre Tore früh öffnete, ein akademisches Studium in der Regel nicht entscheidend für den Zutritt zu den Professionen war (vgl. Costas 1992). Damit wird deutlich, um welche Privilegien bei der Zulassung zu den Universitäten gekämpft wurde, ging es dabei doch stark um Zugang zu prestigeträchtigen und einflussreichen akademischen Berufen. In Frankreich erfolgte der Zugang zu den Eliteuniversitäten erst Mitte des 20. Jahrhunderts, und separierte Eliteeinrichtungen für Frauen wurden erst 1940 den männlichen gleichgestellt (ebd.: 125). Der Weg, eigene Hochschulen für Frauen zu gründen, wie er etwa auch in England erfolgte, wurde in Deutschland nicht beschritten. Helene Lange besuchte 1889 das Frauencollege in Cambridge, und vermutlich erschien ihr dieses Modell aufgrund der hohen Normierung des Bildungssystems im Deutschen Reich nicht übertragbar (Jacobi 2010: 105).

Insgesamt ist die Öffnung der Universitäten für Frauen durch viele Ungleichzeitigkeiten und Widersprüche gekennzeichnet, insbesondere auch im internationalen Vergleich. Dabei sind die unterschiedlichen Abschlüsse und ihre Bedeutung sowie die verschiedenen Qualifikationen im Universitätswesen, wie Promotionen und Habilitationen zu berücksichtigen. Eine bedeutsame Rolle spielten auch die Unterschiede in der Organisation der Universitäten, korrigiert werden müssen aber auch Vorstellungen von typischen Frauenfächern (vgl. Maurer 2010: 18), gehörten doch zu den Pionierinnen des Frauenstudiums sehr viele Naturwissenschaftlerinnen. Dies hatte um 1900 auch mit der Expansion der Naturwissenschaften und entsprechend geringeren Konkurrenzängsten zu tun, so dass den Frauen weniger Widerstände entgegengesetzt wurden. So war es beispielsweise an der Universität Heidelberg die naturwissenschaftliche Fakultät, die eine Vorreiterrolle für die Zulassung von Frauen übernahm. Sie setzte sich ab 1891 für die Zulassung von Gasthörerinnen und 1895 – gegen das Votum des Senats der Universität – für das Promotionsrecht für Frauen ein. Grundsätzlich fügten sich die Gremien der Universität nur widerwillig den politischen Erlassen der Badischen Landesregierung aus dem Jahre 1900, Frauen zum »Heiligtum der Universität« (Hedwig Dohm) zuzulassen (vgl. Baader 1995).

Zu den Gemeinsamkeiten der Auseinandersetzungen um das Frauenstudium im internationalen Vergleich gehören insbesondere zwei Aspekte. Übereinstimmend ist zum einen die enge Verbindung von Aktivistinnen, die für die Zulassung stritten, mit der Frauenbewegung (vgl. Maurer 2010: 20). Zum anderen wurden in allen Ländern bei der Diskussion um das Frauenstudium die Auswirkungen auf die männlichen Geschlechtsgenossen diskutiert (ebd.: 19). Dies macht deutlich, dass die Universitäten nicht nur Räume der Bildung und Wissenschaft, sondern auch der männlichen Sozialisation waren (ebd.: 10). So stellte etwa der Alkoholkonsum wie auch andere Rituale der männlichen Studentenverbindungen für die erste Generation von Studentinnen ein Thema dar. Diese trafen an der Universität entweder auf Galanterie und Kavaliershaltung seitens der männlichen Studenten (vgl. Baader 1992: 227) – oder auch auf ein feindseliges Klima: Nicht nur von Seiten der Lehrenden, denn auch die männlichen Kommilitonen würden den Studentinnen gerne »›unabsichtlich‹ aufs Kleid treten, ihnen beim Besetzen der Plätze Knüffe beibringen, ihnen Kleckse in die Hefte machen, sie an den Kleiderhaken und beim Aufsuchen der Sitze wegdrängen«, schreibt ein Anonymus 1911 in der Münsteraner Universitätszeitung (Brinkschulte 2005: 111).

Ein Thema der frühen Studentinnen war aber auch das Verhältnis zur älteren Generation der frauenbewegten Kämpferinnen für das Frauenstudium. So wollte beispielsweise der Verein »Frauenstudium-Frauenbildung«, der sich für die Zulassung von Frauen eingesetzt hatte und dem in Heidelberg unter anderen die Protagonistin der bürgerlichen Frauenbewegung Marianne Weber (1870–1954) angehörte, die erste Generation von Studentinnen zu ihrer Jugendgruppe machen. Diese aber rebellierte gegen die Generation ihrer kollektiven Mütter. »Wir waren jung und wollten unabhängig sein, wir wollten keine alten Tanten und wollten nicht gegängelt werden«, so die erste Medizinstudentin in Heidelberg, Rahel Straus (1880–1963) (Straus 1961: 94). Sie hatte am ersten Mädchengymnasium in Deutschland, das auf Betreiben des Vereins »Frauenstudium-Frauenbildung« 1893 in Karlsruhe gegründet wurde, 1899 Abitur gemacht und in der ersten Abiturrede einer Frau in Deutschland über die Bildungschancen von jungen Mädchen und das akademische Studium gesprochen. Um ihre Freiheit und Unabhängigkeit zu wahren, gründeten die ersten Studentinnen eine eigene Studentinnengruppe, die »Vereinigung studierender Frauen«, den Verein von Marianne Weber und anderen nannten sie spöttisch »Frauentugend-Frauenmilde« (vgl. Baader 1992: 221ff.).

Mit dem skizzierten Generationenkonflikt ist zugleich eine Konstellation angesprochen, die sowohl die alte als auch die neue Frauenbewegung immer wieder beschäftigte: die Jüngeren wollten mit den Älteren, die Rechte erkämpft hatten, nichts mehr zu tun haben, sie wollten unabhängig sein und den Älteren nichts verdanken, auch wenn sie sich unter Umständen selbst als Frauenrechtlerinnen verstanden, wie es bei Rahel Straus dezidiert der Fall war. Aber diese Konflikte weisen auch noch eine andere Dimension auf, die mit dem Verhältnis zwischen Kultur- und Naturwissenschaften zu tun haben. Denn der von Marianne Weber und anderen geführte Verein »Frauenstudium-Frauenbildung« hatte ein distanziertes Verhältnis zu den Naturwissenschaften. Marianne Weber entfaltete in ihrem Text »Die Beteiligung der Frau an der Wissenschaft« aus dem Jahre 1904 ganz in der Logik von der spezifischen »Kulturaufgabe der Frau«, dass die Frauen in den Kulturwissenschaften aufgrund ihrer »Gabe, sich in die Gefühlswelt anderer zu versetzen« und »einer spezifischen Stoffauswahl nach besonderen weiblichen ›Gesichtspunkten‹ der Wissenschaft weibliche Werte hinzuzufügen würden« (Weber 1919: 5). Diese Möglichkeit sah Weber in der Naturwissenschaft mit ihrer Orientierung an »Objektivität« nicht (ebd.). Sie wertete in ihren Überlegungen zur »Kulturbedeutung geistiger Frauenarbeit«, bei der es nicht um die »Förderung des objektiven Kosmos unseres Wissens« gehe (ebd.: 7), zum einen die Naturwissenschaft und zum anderen ökonomische Aspekte ab, denn sie zielte vorrangig auf die »geistige Emanzipation« (Weber 1948: 446). Naturwissenschaftlerinnen wie die erste habilitierte Frau an der Universität Heidelberg, Gerta von Ubisch, die die Gymnasialkurse von Helene Lange besucht hatte, kritisierten die stark idealistisch ausgerichtete Bildungsauffassung Langes und der bürgerlichen Frauenbewegung (vgl. Baader 1995: 450).

Der Glaube an die Kulturaufgabe der Frau und ihre besondere Zuständigkeit für den sozialen Sektor durchzog auch die Bildungsbemühungen der Frauenbewegung bei dem Ziel, für Berufstätigkeiten von bürgerlichen Mädchen und Frauen im Bereich der Fürsorge und des Sozialen auszubilden. »Aus diesem Grund«, so Alice Salomon, ab 1900 im Vorstand des BDF, »fordert die Frauenbewegung die Vertiefung der Mädchenbildung nicht nur, um den Frauen volle Entfaltungsfreiheit zu sichern, sondern auch um der Eigenart der Frauen Raum zur Anteilnahme am Kulturleben, am öffentlichen und sozialen Leben zu schaffen. So unterstützt sie ihre Forderung nach wissenschaftlicher Bildung durch den Glauben an die soziale Mission der Frau« (Salomon 1904). Bei der Eröffnung der von Salomon gegründeten Sozialen Frauenschule in Berlin im Jahre 1908 erklärte sie, dass es ihr um eine »moderne Bildung« gehe, die kein Luxuswissen darstelle, sondern die eine Grundlage für Beruf und Erwerbstätigkeit in der sozialen Arbeit bilde und die Frauen befähige, »zu handeln, etwas zu leisten« und »der Menschheit in irgendeiner Form – in der Familie oder im größeren Kreis – zu dienen« (Salomon 1908).

Zwar bezogen sich diese Bildungsaktivitäten der Frauenbewegung wesentlich auf Mädchen und Frauen des Bürgertums, doch wurde die Notwendigkeit von »Bildung zur Selbstbildung« auch von Aktivistinnen der Arbeiterinnenbewegung gesehen. Bildung sei ja nichts anderes als »Regsamkeit des Geistes, die uns befähigt, einen neuen Gedanken voll in uns aufzunehmen«, schrieb die sozialdemokratische Aktivistin Wally Zepler (1866–1940), und nur das »gebildete«, also: zu freier, von Sachkompetenz getragener Einschätzung und Entscheidung fähige Individuum sei dazu in der Lage, das Gegebene zu prüfen und zu hinterfragen – und erst damit verfügt es auch über die Voraussetzung, politisch-gesellschaftliche Entscheidungen zu treffen oder den Staat zu lenken. Damit begründete sie 1899 die Einrichtung von Arbeiterinnen-Bildungsvereinen: Den Mädchen und Frauen Bildung vorzuenthalten, begrenze ihre individuelle Entwicklung ebenso wie ihre Fähigkeit zu einer guten Erziehung – denn diese sei »eine Kunst, über die man auch etwas nachgedacht und von der man etwas gelernt haben muss« (Zepler 1899/1989: 284). Den Arbeiterinnen Bildung vorzuenthalten beschränke sie deshalb in doppelter Weise – als Frauen und als Angehörige des Proletariats – und schade damit auch der Gesellschaft insgesamt, zu deren Fortentwicklung diese Frauen nicht das ihrem Vermögen Entsprechende beitragen könnten. Stattdessen gelte es, den Hebel an dem anzusetzen, was »die Möglichkeit zur Verwirklichung in sich trägt« (Zepler 1916: 20). Da die »niedrige Entlohnung der Frauenarbeit« letztlich auf die geringere Bildung von Frauen zurückzuführen sei, votierte die sozialistische Frauenrechtlerin Lily Braun für die Einrichtung spezieller »Fortbildungsschulen« (Braun 1901/1981) und begründete damit nicht zuletzt das sozialistische genossenschaftliche Modell des »Einküchenhauses«3 – hier würden die Frauen Zeit gewinnen, um zu lesen, zu lernen und sich weiterzubilden.

Frauenbewegte Frauen haben also trotz der in jeder Hinsicht erschwerten Umstände in der Zeit um die Jahrhundertwende viele kluge, differenzierte, ja sogar kühne pädagogische Überlegungen veröffentlicht, in denen sie sich gegen die Geringschätzung des Weiblichen und der Frauen zur Wehr setzten – teilweise indem sie deren Benachteiligung aufdeckten, und teilweise indem sie den Spieß umdrehten: So schreibt Mathilde Vaerting4:

»Der Mann hat zu allen Zeiten die Verstellungskunst als eine weibliche Kunst bezeichnet. Weshalb ist er nie auf den Gedanken gekommen, dass auch in der Emotionalität des Weibes ein Teil Verstellungskunst enthalten sein könnte? Wahrscheinlich deshalb nicht, weil er die Emotionalität beim Weibe wünscht, nicht aber bei seinem eigenen Geschlecht, solange er die Vorherrschaft hat. Denn dieser Unterschied ist für die Herrschaft günstig: Wer sich gehen lässt, wer seinen Gefühlen stets Ausdruck verleiht, kann leichter beherrscht werden. […] In diesem Zusammenhang ist auch interessant, dass die Gewaltgefühle, obschon sie eine stärkere Emotionalität voraussetzen als weiche Gefühle, überhaupt nicht als Emotionalität gewertet werden.« (Vaerting 1923: 188)

Bildung, Erziehung und Wissen der Frauenbewegungen

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