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Begriffsklärungen

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Vorweg einige Klärungen zu zentralen Begriffen und Orientierungen, auf die wir uns wesentlich stützen und die den Hintergrund unserer Theorieperspektiven bilden – auch wo dies nicht explizit zum Gegenstand wird.

Wir nehmen eine Perspektive ein, die dem Begriff der Geschlechterverhältnisse folgt. Damit wollen wir hervorheben, dass die Geschlechterthematik in komplexen Relationalitäten zu sehen ist. Im Vordergrund stehen damit Selbst- und Beziehungsverhältnisse und die vielfältigen Bezüge der Kategorie »Geschlecht«, wie dies auch für die Geschlechtergeschichte, die aus der Frauengeschichte hervorgegangen ist, unterstrichen wurde (Opitz-Belakhal 2010: 11). Diese Relationalitäten schließen nicht nur Konstruktionen von Männlichkeiten (vgl. Forster 2020), sondern auch Artefakte und Aspekte des Materiellen ein sowie deren Verflechtung mit vielen Lebensbereichen, die zunehmend auch in feministische Ansätze aufgenommen werden. Die Frage nach den Geschlechterverhältnissen umfasst auch Perspektiven von »Geschlecht als Existenzweise«, wie sie etwa von Andrea Maihofer vorgeschlagen wurden (vgl. Maihofer 1995), sowie die Berücksichtigung gesellschaftlicher Macht- und Herrschaftsverhältnisse, insbesondere von »geschlechtlich markierten Herrschaftsverhältnissen« (Opitz-Belakhal 2010: 11). Dazu gehört wesentlich auch der Bereich der symbolischen Ordnung, der sich insbesondere um Symbolisierungen, Codierungen, Zuschreibungen und Wertungen sowie damit verbundene Prozesse der Ein- und Ausschließung dreht. Die Perspektive auf Geschlechterverhältnisse ist eng verbunden mit der Analyse von Geschlechterordnungen als zentralem Element gesellschaftlicher Ordnungen. Joan Scott hat schon vor Jahren explizit gemacht, dass Beziehungen zwischen den Geschlechtern ein wichtiger Aspekt der Organisation des Sozialen sind (Scott 1993: 17). Der Begriff der Geschlechterordnung akzentuiert, dass die Geschlechterverhältnisse starken Normierungen und Ordnungsvorstellungen unterliegen, die jedoch zugleich mit historischen Wandlungsprozessen verbunden sind und deshalb ständig neu hergestellt werden. Wir gehen grundsätzlich davon aus, dass es sich bei der Kategorie Geschlecht um eine machtvolle gesellschaftliche Ordnungsdimension und Platzanweiserin handelt, die mit Bourdieu als »strukturiert und zugleich selber strukturierend« zu betrachten ist (Rendtorff 2016: 9)

Darüber hinaus und zugleich steht die Kategorie Geschlecht immer in Beziehung zu anderen Differenzkategorien. Damit schließen wir grundsätzlich an die Perspektive der Intersektionalität an, die die Kreuzungen von verschiedenen Differenzaspekten fokussiert. Die Differenzen nach sozialer Lage, Bildungsstand und Herkunft spielten in beiden Frauenbewegungen eine Rolle, in der ersten nicht zuletzt als Konflikt zwischen sozial unterschiedlich gestellten Frauen im Zusammenhang mit der »Dienstbotenfrage« im Kaiserreich (vgl. Walser 1986). In der zweiten Frauenbewegung wurden die strukturellen Unterschiede zwischen Frauen gerade in den Frauenprojekten ebenso fruchtbar wie konflikthaft erlebbar, deren Grundlage die »Gemeinsamkeit der Frauen« war (vgl. Breitenbach 2018). Doch als Strukturkonzept kam der Begriff, der auf das Zusammenspiel von »Geschlecht« mit weiteren gesellschaftlichen Ungleichheitsdimensionen verweist, erst im Kontext des US-amerikanischen »Black Feminism« zu Beginn der 1980er Jahre in die Diskussion. 1981 hatte Angela Davis das Buch »Women, Class and Race« veröffentlicht (dt. 1982), nachdem 1977 ein Manifest des Schwarzen Feminismus, des »Combahee River Collective«, erschienen war. Seit den 1990 Jahren wurde die machtkritische Perspektive des Zusammenwirkens verschiedener Ungleichheitsdimensionen unter dem Begriff der Intersektionalität geführt, der auf die afrikanisch-amerikanische Juristin Kimberlé Crenshaw zurückgeht, die ihn 1989 geprägt hat. Die Diskussion um dieses Paradigma wurde seitdem transatlantisch und transnational geführt, wenn auch mit regional je unterschiedlichen Schwerpunkten, aber mit dem verbindenden Ansatz, das »Ineinandergreifen unterschiedlicher Kategorien in der Reproduktion gesellschaftlicher und globaler Ungleichheit« zu analysieren (Graneß/Kopf/Kraus 2019: 77). Cathy Davis hat dabei herausgearbeitet, dass in Europa diese Debatten stark akademisiert wurden (vgl. Davis 2008). Im Kontext der postkolonialen Theorie und des »Schwarzen Feminismus« haben insbesondere afrikanisch-amerikanische Theoretikerinnen dieses Analyseinstrument weiterentwickelt, um Unterdrückungsmechanismen und die »Mehrdimensionalität von Subjektpositionen, die sich im Widerstand dazu artikulieren«, zu begreifen (Graneß/Kopf/Kraus: 23, 77). Frauenbewegungen in Afrika, Asien und Lateinamerika diskutieren jedoch auch andere Begriffe, insbesondere bezüglich des Feminismus (ebd.: 75–121).

Für den transatlantischen Transfer afrikanisch-amerikanischer Zugänge emanzipatorischer Bewegungen spielten seit dem 19. Jahrhundert Pädagoginnen im Kontext von Schulgründungen, von Bildungspolitik und von universitären Studien eine bedeutsame Rolle (ebd.: 76f.; vgl. Gippert/Kleinau 2014). Auf diese Zusammenhänge hinzuweisen, ist uns wichtig, auch wenn wir unseren Fokus vor allem auf die Geschichte der deutschsprachigen Frauenbewegung legen und für die zweite Frauenbewegung insbesondere die Bundesrepublik in den Blick nehmen, denn als Theoriehintergrund gehen sie dennoch in unsere Beobachtungen ein.

Aber auch bevor das Zusammenspiel verschiedener Differenzlinien seit den 1990er Jahren unter dem Begriff der »Intersektionalität‹« systematischer diskutiert wurde, ist innerhalb der Frauenbewegungen und des Feminismus immer wieder nach dem Subjekt des Feminismus und danach gefragt worden, wer für welche Gruppe spricht (und sprechen darf), wer wessen Interessen vertritt (oder gegen wessen Interessen verstößt), wessen Positionen Gehör finden und wessen nicht – und warum. Für das bürgerliche Spektrum der ersten Frauenbewegung trifft dies insbesondere für die Erwartungen der jüdischen Mitstreiterinnen ( Kap. 6 und Kap. 10) sowie für die Positionen von Frauen unterbürgerlicher Schichten zu. In der zweiten Frauenbewegung bildeten sich zunehmend Gruppen eingewanderter Frauen (teilweise interkulturell, teilweise herkunftsspezifisch), von denen heute ebenfalls eine reichhaltige intersektionelle Forschung ausgeht (vgl. Diehm/Messerschmidt 2013; Kulaçatan/Behr 2020).

In die deutschsprachige Erziehungswissenschaft wurde die Perspektive der Intersektionalität Anfang der 2000er Jahre insbesondere von Lutz/Krüger-Potratz (2002) eingeführt. Zwischenzeitlich ist sie für die erziehungswissenschaftliche Diskussion um Geschlecht, Heterogenität und Diversität grundlegend (vgl. Walgenbach 2014) und methodologisch-methodisch insbesondere von den Soziologinnen Winker/Degele 2009 ausgearbeitet und reflektiert worden. Damit hat jenes vom »schwarzen Feminismus« (Graneß/Kopf/Kraus 2019: 23) hervorgebrachte Paradigma aus der politischen Sphäre der sozialen Bewegungen in einem über mehrere Jahrzehnte stattgefundenen Prozess der Auseinandersetzung und Diskussion Eingang in die Erziehungs- und Sozialwissenschaften gefunden. Es lässt sich allerdings beobachten, dass bei der Thematisierung der verschiedenen Ungleichheitsaspekte die Dimension Geschlecht deutlich in den Hintergrund geschoben wird, teilweise in Identitätsfacetten zerlegt und teilweise marginalisiert. Dahinter steht die Diskussion darüber, ob unter den zahlreich ausgemachten »Heterogenitätsdimensionen« der Kategorie Geschlecht überhaupt (noch) eine besondere Stellung zukomme (vgl. Knapp 2008) oder ob sie nicht mittlerweile längst »veraltet« oder »überholt« (Knapp 2012: 301) und nur noch eine fast nebensächliche Kategorie unter anderen sei.

Die Frage, ob der Feminismus die Geschlechterdifferenz akzentuieren solle, so etwa bei Luce Irigary (1987), oder aber Gleichheitsforderungen fokussieren, wird in der Theoriediskussion immer wieder gegeneinandergesetzt, wie auch die Rekonstruktion von Casale/Windheuser 2019 zeigt. Wir wollen diese Gegenüberstellung des Entweder-Oder jedoch nicht fortschreiben, denn die Opposition ist zum einen historisch nicht angemessen und zum anderen gab und gibt es immer wieder Versuche, das Verhältnis anders zu bestimmen, etwa über Gleichheit in der Differenz (vgl. Prengel 1990), durch Versuche der Balancierung beider Perspektiven (vgl. Maihofer 1995), durch eine Reflektion von Subjektkonstitutionen (vgl. Dingler 2019) oder durch eine Verflüssigung der Kategorie Geschlecht im »doing gender« und durch Ansätze, die das System der Zweigeschlechtlichkeit insgesamt in Frage stellen, wie in den Queer Studies ( Kap. 12). Gegen die Schablonen und festgefahrenen Mainstreamnarrationen wollen wir diese Aspekte vor allem mit dem Fokus auf Erziehung, Bildung, Sozialisation und Sorge diskutieren. Darüber hinaus ist auch zu fragen, ob die insbesondere in der französischen und italienischen Theoriebildung verwendeten Begriffe der »sexuellen Differenz« oder »differenzia sessuale« nicht noch andere Bedeutungshorizonte einschließen. Catrin Dingler hat in ihrer Auseinandersetzung mit dieser Theorietradition auf den »Schnitt« bezüglich des Subjektverständnisses hingewiesen (ebd.: 9ff.). Diese Debatten machen darüber hinaus deutlich, dass in einer reflektierten Perspektive »der« Feminismus aus vielen Feminismen besteht. Der Begriff »Feminismus« wurde im späten 19. Jahrhundert von französischen Frauenrechtlerinnen aufgebracht, er wird Hubertine Auclert zugeschrieben und bezeichnet Positionen, die sich für die Emanzipation, Frauenrechte und rechtliche Gleichstellung von Frauen stark machten. Er wurde in den 1890er Jahren auf verschiedenen internationalen Frauenkongressen diskutiert und teilweise synonym mit dem Begriff der Frauenbewegung verwendet.

»Im Deutschen aber haftet dem Begriff bis heute der Geruch besonderer Radikalität an. Tatsächlich wurde er an der Wende zum 20. Jahrhundert von den Akteurinnen kaum zur Selbstbezeichnung, dagegen abwertend und denunzierend von den Gegnern der Frauenemanzipation gebraucht und hat erst mit der Frauenbewegung der 1970er Eingang in unsere Alltagssprache gefunden« (Gerhard 2018: 8).

Die Geschichte des Feminismus ist also von seinen Anfängen an auch mit seiner Abwertung verbunden. Dabei ist die Geschichte des Antifeminismus historisch zudem immer wieder mit dem Antisemitismus verbunden. Karin Stögner etwa argumentiert, dass beides »in Form von Ideologemen, verfestigten Diskursformen, eingeschliffenen Stereotypen und tiefsitzenden Verhaltensmustern als verdinglichte soziale Tatbestände« auftreten und sich auf Natur und Ontologie berufen würde (2014: 15). Diese Konstellation erfährt auch aktuell Revitalisierungen und digitale Neukonfigurationen.

Bildung, Erziehung und Wissen der Frauenbewegungen

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