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Anknüpfungspunkte der Frauenbewegungen
ОглавлениеDie bildungsbezogenen Ausgangssituationen waren für die beiden Frauenbewegungen also in einigen Hinsichten gleich – vor allem in ihrer bildungsoptimistischen Grundstimmung, die sie darauf vertrauen ließen, sich durch ein Mehr an Wissen, Bewusstsein und Reflexion die Welt erschließen zu können. Weil die »Aktivierung« von Frauen aber immer zugleich »die Relativierung der traditionellen Arbeitsteilung in der Ehe bedeutete«, hatten die Bildungsansinnen von Frauenbewegungen immer »eine kulturrevolutionäre Tendenz« und wurden »auch von politisch aktiven Männern fast immer als Provokation erlebt« (Prokop 1977: 36f.). Das ist ihre strukturelle Ähnlichkeit. Aber in anderen Hinsichten waren die Ausgangslagen höchst unterschiedlich, und so unterschieden sich auch die Antworten, Ziele und Strategien. Die Erste Frauenbewegung sah sich einer gemeinsamen Front von Widersachern gegenüber, die sich selbst gegen die elementarsten Ansätze ihrer Veränderungsbemühungen und ihrer Forderungen nach Beteiligung am Bildungswesen sperrte – sie mussten also allererst Akzeptanz und Anerkennung erringen, um überhaupt als gleichberechtigte Bürgerinnen und Mitglieder der Gesellschaft angesehen zu werden. Die zum bürgerlichen Flügel der Frauenbewegung gehörenden Gruppen konzentrierten sich folglich darauf, die Legitimität ihrer Forderungen zu begründen und deren gesellschaftliche Nützlichkeit herauszustellen. Deshalb zielten ihre Forderungen allererst auf eine Teilhabe am Bildungswesen – verbunden mit der optimistischen Vorstellung, dieses dann zugleich verändern zu können – und darauf, als gleichermaßen zu Bildung fähige und berechtigte gesellschaftliche Gruppe anerkannt zu werden. Es ist insofern logisch und plausibel, dass die allgemeinpolitische Einstellung der jeweiligen Frauen(gruppen) auch darüber entschied, wie radikal ihre Forderungen ausfielen und welchen Preis sie dafür zu zahlen bereit waren. Da letztlich alle berufsständischen Gruppen wie auch die pädagogischen Theoriediskurse genötigt waren, sich mit der durch das gewachsene Selbstbewusstsein der Frauen veränderten Lage auseinanderzusetzen und in Politik- und Theoriekonzepten darauf zu reagieren, traten die Differenzen deutlich hervor, und es zeigt sich, dass sowohl innerhalb wie außerhalb der Frauenbewegung die bildungsbezogenen Argumentationslinien der einzelnen Protagonist:innen teilweise weit auseinanderlagen.
Die immer auch professionspolitisch denkenden Frauen des Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenvereins ADLV nahmen mit ihren Forderungen nicht zuletzt Rücksicht auf die Tatsache, dass Frauen nicht an Knaben- und folglich auch nicht an koedukativen Schulen unterrichten durften (Kleinau/Mayer 1996, 1: 153), und konzentrierten sich auf Argumente, die mit Verweis auf die »weiblichen Besonderheiten« von Lehrerinnen und Schülerinnen die Einstellung weiblicher Lehrkräfte in Mädchenschulen insbesondere in den erziehenden und den »ethischen« Fächern plausibilisieren sollten: »Echte Frauen werden nur unter Frauenleitung erzogen, darum muss prinzipiell der Frau die erste Stelle in der Mädchenbildung eingeräumt werden«, schreibt die Vorsitzende des ADLV Helene Lange in der Begleitschrift zu einer Petition, der sogenannten »Gelben Broschüre« 1887, wobei allerdings da, wo es sich um »Verstandeskultur« handelt, »der Mann besser am Platz ist als die Frau« (Lange 1887/1981: 218f.). Aber andere Stimmen sahen im Mädchenschulwesen selbst einen Bestandteil der Benachteiligung des weiblichen Geschlechts und plädierten für dessen Abschaffung – das waren vor allem die sozialistischen Frauen(gruppen) und diejenigen, deren politisches Handeln auf völlige Gleichberechtigung und gleiches Wahlrecht zielte, wie etwa Hedwig Dohm, die zur Lösung der »Frage der Mädchenbildung« vorschlug: »Sie ist für mich wie das Ei des Kolumbus. Zwei Worte erledigen sie: Einheitsschule und Koedukation« (Dohm 1910/1981: 234). Auch der von Minna Cauer 1888 gegründete Verein Frauenwohl strebte die Einrichtung von Reformschulen an, in denen koedukativ unterrichtet werden sollte – eine Forderung, der sich wiederum der ADLV nicht anschließen mochte. Und je enger sich die einzelnen Frauen dem bürgerlichen Lager zurechneten oder den konservativen Parteien nahestanden, desto eher scheuten sie sich auch, sich den Auffassungen der sozialistischen und/oder der proletarischen Frauengruppen anzuschließen.
Es lässt sich also erkennen, dass das leitende Stichwort »Teilhabe« hier bereits differenziert werden muss – woran wollten die einzelnen Gruppen teilhaben? In einer reformistischen Perspektive einen Platz in der in Verbesserung begriffenen Gesellschaft finden? Oder in einer revolutionären Perspektive erst die Gesellschaft verändern und dann den eigenen Platz darin bestimmen?
Diese Widersprüche trugen letztlich wesentlich zur Spaltung der Ersten Frauenbewegung bei. Der bürgerliche Flügel konzentrierte sich darauf, den Platz für Frauen im Bildungswesen mit Rückgriff auf ihre »Besonderheiten« zu erreichen, während der sozialistische Flügel die Interessen der Frauen bald offensiv dem »Hauptwiderspruch« zwischen Lohnarbeit und Kapital unterordnete und die Emanzipationsforderungen der Frauenbewegung als Mittel zum Zweck ansah, damit die Frau »gleich ausgestattet an Waffen mit dem Proletarier in den Kampf ziehen kann« (Zetkin, zit. bei Gerhard 1996: 185).
Abgesehen von den internen Differenzen hatten die Forderungen aus der Frauenbewegung die Debatten und Aktivitäten reformpädagogisch orientierter Lehrer und Pädagogen um 1900 enorm angefeuert und die bildungspolitischen Verantwortlichen unter Druck gesetzt – und wie meistens in der deutschen Geschichte haben sich auch hier letztlich die Gemäßigten durchgesetzt: koedukative Beschulung wurde zwar ermöglicht, aber nicht als Regelform.
In den 1970er Jahren war dieser Aspekt nicht mehr zentral, weil die Bildungsreformzeit den Frauen schon die Türen ins Bildungswesen geöffnet hatte und Koedukation auch in Westdeutschland zur Regelform auch an höheren Schulen geworden war (was in der DDR schon von Beginn an der Fall war). In der Bundesrepublik hat sich die Koedukation in den 1970er Jahren flächendeckend und eher »nebenbei« durchgesetzt (Faulstich-Wieland 1996: 386). Was in den Fokus der Frauenbewegung rückte, waren aber nicht-institutionelle, durch den »heimlichen Lehrplan« der Geschlechterungleichheit verursachte Unterschiede und Begrenzungen – und diese erforderten nun andere politische Analysen, Argumente und Strategien. Unter Stichworten wie »Verführung zur Ohnmacht« oder »Die Schule macht die Mädchen dumm« wurde das diskutiert, was Zinnecker (1972: 192) ganz neutral die »Verinnerlichung der weiblichen Statusrolle« genannt hatte: Eine spezifische, kaum bemerkte Erziehung der Mädchen zu Anpassung(sbereitschaft) und der Jungen zu Dominanzdenken, die für beide schädlich sei, weil sie die Mädchen bei der Entwicklung eines guten Selbstwertgefühls behindere und die Jungen daran gewöhne, sich auf Kosten der Mädchen stark zu fühlen. Die Stimmung unter den frauenbewegten Gruppen war zunehmend selbstbewusst und von dem Impetus getragen, historisch und politisch im Recht zu sein.
Hier ging es also nicht mehr um Teilhabe, sondern darum, noch nicht durchschaute Zusammenhänge zu erschließen und dieses neue Wissen für eine Neu-Interpretation der gesellschaftlichen Verhältnisse und der eigenen Rolle darin zu nutzen. Nur auf dieser Basis konnten die entsprechenden politischen Strategien entwickelt werden. Allerdings gab es für die Frauen der 1970er Jahre keine ausgeprägte Tradition selbständigen Denkens und offener Lebensentwürfe, auf die sie hätten zurückgreifen können – weder im pädagogischen noch im gesellschaftlich-politischen Feld. Die Entschlossenheit, gemeinsam etwas Neues, noch nie Gedachtes zu entwickeln und mit dessen Hilfe die Gesellschaft umzustürzen, war das wirklich revolutionäre Potential der Zweiten Frauenbewegung, das im Verlauf weniger Jahre von vielen mit Bildung befassten Einrichtungen als pädagogisches Konzept aufgegriffen wurde.
In den ersten Jahren setzten die Frauen ausschließlich auf Selbstorganisation und Eigeninitiative, Selbsterfahrungs- und Diskussionsgruppen zu unterschiedlichen Themen gründeten sich meist über Aushänge in den Frauenzentren. Aber bald entstanden auf Initiative einzelner Frauen in vielen Volkshochschulen, Gewerkschaften und Kirchengemeinden Frauengruppen und Kurse, sowohl zu lebenspraktischen Themen wie auch grundsätzlicher angelegte Wissens- und Reflexionsangebote – wobei die Erfahrung, mit und unter Frauen gleichberechtigt über sachbezogene Themen diskutieren zu können, immer ein wesentliches politisches Ziel gegenseitiger Wertschätzung bildete. Getragen von der allgemeinen Euphorie gründeten sich dann in einem weiteren Schritt auch eigenständige selbstorganisierte Projekte mit festen Angeboten (z. B. das FFBIZ (Frauenforschungs-, Bildungs- und Informationszentrum), Berlin, die »Frauenwerkstatt Wiesbaden« oder die »Frankfurter Frauenschule« (Dokumentation, 1983: I)), meistens mit enthusiastischen hochfliegenden Plänen verbunden: Fast alle wollten neben dem Angebot von Kursen, Gesprächsgruppen und größeren Veranstaltungen mindestens auch ein Kulturprogramm initiieren, eine Bibliothek, ein Archiv, eine Werkstatt oder ein Café einrichten usw. – aber fast keines der Projekte bekam irgendwelche öffentlichen Gelder oder Zuschüsse. Die ehrenamtliche Arbeit lebte von der Energie des politischen Enthusiasmus und der beflügelnden Vorstellung, an etwas Neuem mitzuarbeiten: »In den Arbeitskreisen«, formuliert es ein Münchener Bildungsprojekt, »sollen Frauen, denen Feminismus etwas bedeutet, die Möglichkeit haben, auf noch unbekannten Gebieten mit noch unbekannten Vorgehensweisen zusammen weiterzuarbeiten, um ihre Ergebnisse langfristig wieder für die Erreichung feministischer Ziele direkt oder indirekt einzusetzen« (Dokumentation, Anhang, o. S.).
Als weniger spezifische Angebote wurden zudem in den 1970er und 1980er Jahren auch große überregionale Bildungsereignisse initiiert, wie die Sommeruniversitäten an der FU Berlin von 1976 bis 1983 (die eher auf ein studentisches Publikum zielte) oder diverse Frauenwochen (die die Frauen in der jeweiligen Region ansprechen sollten), die von tausenden Besucherinnen genutzt wurden. Der Ausschluss von Männern aus der ersten »Sommeruniversität für Frauen« im Jahre 1976 wurde mit der Einsicht begründet, dass die habitualisierten geschlechtstypischen Strukturen es nicht möglich erscheinen ließen, von Anfang an ein gleichberechtigtes Gesprächsverhalten herzustellen, dass die Frauen aber nicht ständig damit beschäftigt sein wollten, sich gegen männliches Dominanzverhalten zur Wehr zu setzen – das Motto war also »Nicht gegen Männer – aber für Frauen«. Dass es in einer dpa-Meldung daraufhin hieß, die Sommeruni finde »unter Ausschluss der Öffentlichkeit« statt, schien dann nur bezeichnend, denn damit, sagte die Rednerin der Eröffnungsrede, werde wieder einmal gezeigt, »dass ›öffentlich‹ nur sei, wo Männer sind« (Courage Nr. 1: 15; vgl. auch Courage, Null-Nr.: 13).
Alle diese bildungsbezogenen Arbeitsformen haben sehr zu einer gemeinsamen »Aufwertung« der Anwesenheit von Frauen, Frauenkörpern und Frauenstimmen, im öffentlichen Raum beigetragen, und vor allem unter den Beteiligten auch zu völlig neuen Formen von Respekt und Anerkennung, aber auch dem wachsenden Bewusstsein politischer Differenzen. Sie stärkten auch das Selbstbewusstsein der Frauen in ihren Forderungen nach Institutionalisierung von »Frauenforschung« (heute: Geschlechterforschung, mehr dazu Kap. 13) an den Universitäten. Frauenforschung zielte darauf, Frauen als Gegenstand der Wissenschaft sichtbarer zu machen und sie anders – insbesondere weniger stereotyp – zu thematisieren, sie als Subjekte im System Wissenschaft zu stärken und schließlich darauf, das System der Wissenschaft selbst grundlegend zu verändern. Während es der ersten Frauenbewegung wesentlich darum ging, Frauen den Zugang zum Studium und zur Promotion an den Universitäten zu ermöglichen, hat die zweite Frauenbewegung stark die Inhalte, das Wissen, das Wissenschaftsverständnis und die damit verbundenen Praktiken im Blick sowie die Repräsentation von Frauen als Dozierende an den Hochschulen.
1987 wurde nach langen Auseinandersetzungen der erste Lehrstuhl mit der Denomination »Frauenforschung« eingerichtet (an der Universität Frankfurt, besetzt mit Ute Gerhard), dem bald weitere folgten. Die informelle Frauengruppe »Arbeitskreis Wissenschaftlerinnen NRW« konnte Ende der 1980er Jahre das Land NRW dazu bewegen, eine ganze Reihe Professuren und wissenschaftliche Stellen für Frauenforschung zu finanzieren, die noch heute den Grundstein des »Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW« bilden. Und in den letzten Jahren haben die Aktivitäten sogar bis zur Gründung einer eigenen wissenschaftlichen Fachgesellschaft, der »FG Gender«, geführt.
Politische Differenzen ergaben sich in den 1980er Jahren sowohl in der Tradition der Ersten Frauenbewegung mit sozialistischen Gruppen, für die die Frauenfrage weiterhin einen Nebenwiderspruch zum Hauptwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit darstellte, vor allem aber anhand der Frage, ob sich die Frauen auf das »Eigene« konzentrieren und zurückziehen sollten oder ob der gemeinsame politische Kampf um die Veränderung der Gesellschaft das Hauptanliegen bilden sollte. Insofern taucht hier das Stichwort »Teilhabe« erneut unter anderem Vorzeichen wieder auf – denn ein Teil der Frauenbildungsprojekte und Frauen-Ferienhäuser wandte sich, von den anderen als »esoterisch« geschmäht, tendenziell von der Gesellschaft ab, um miteinander ein neues Verständnis von Weiblichkeit zu entwerfen.