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Die Debatten um Mono- und Koedukation

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Die Konzepte für die Beschulung von Mädchen und Knaben waren niemals das Ergebnis pädagogischer Erwägungen, sondern immer Folge allgemein-gesellschaftlicher, politischer und staatlicher Entscheidungen und Konzepte, die von der Pädagogik oder durch deren Indienstnahme plausibilisiert wurden. Angesichts dessen, dass die Trennung der öffentlichen und der privaten Sphäre in der Bürgerlichen Gesellschaft fest etabliert war, und angesichts dessen, dass das preußisch-deutsche Schulwesen mit seiner »selbstbewussten und selbstherrlichen In-Einssetzung von Bildungsidee und Staatszweck« (Herrlitz/Hopf/Titze 1998: 35) in hohem Maße staatsfunktional organisiert war, schien es im 19. Jahrhundert nur logisch, die »höhere Bildung«, die überwiegend auf Tätigkeiten im Staatsdienst ausgerichtet war, dem Knaben-Schulwesen vorzubehalten, während höhere Töchterschulen für »nicht allgemein notwendig« befunden wurden (ebd.: 93). Auch dass Mädchen mit Blick auf ihre späteren Aufgaben anderes lernen müssten als Knaben, schien kaum diskussionswürdig – einzelne gebildete Frauen in Sonderrollen hatte es in den entsprechenden gesellschaftlichen Gruppen ja immer gegeben. Erst die Interventionen der Frauenbewegung mit ihren Forderungen nach Reform der Mädchenbildung und vor allem nach deren Eingliederung in das Berechtigungswesen, das auch den Mädchen den Weg zu Abitur und Studium öffnen sollte, ließen die Diskussion über gemeinsame oder getrennte Beschulung überhaupt nötig erscheinen.

Aber die bereits beschriebenen Differenzen in Bezug darauf, aus welchen Weiblichkeitsvorstellungen die Protagonistinnen ihre politischen Haltungen, Forderungen und Strategien entwickelten und mit welchen Begründungsfiguren sie diese zu plausibilisieren versuchten, führten auf allen Ebenen zu kontroversen Konstellationen. Wohl nahmen Lehrerinnen und Aktivistinnen zunehmend Einfluss – und ihre unterschiedlichen Positionen verbanden sich mit denen von anderen pädagogisch Aktiven. So finden sich unter den reformpädagogischen Modellen solche, die Koedukation befürworteten (wie die Odenwaldschule von Paul Geheeb), und solche, die strikt dagegen waren (oder zumindest ambivalent). Auch im »Bund Entschiedener Schulreformer« (gegründet 1919) gab es sowohl Positionen wie die von Anna Siemsen, die für zwar gleiche Lehrpläne, aber partiell getrennten Unterricht plädierte (Kleinau/Mayer 1996: 177) wie auch die der feministischen Sozialdemokratin Lydia Stöcker. Diese kritisierte die Konzentration der pädagogischen Diskussion auf weibliche und männliche Geschlechtscharaktere, verwarf aber auch die Anpassung der Mädchenbildung an die der Knaben (die sie bei Geheeb gegeben sah). Stattdessen votierte sie für eine »Parteilichkeit der Lehrerin für die Schülerinnen«, damit »in dem heranwachsenden Mädchen ein Gefühl von Stolz, von Selbstachtung, von eigener Würde erzeugt werde, das niemals zu hoch sein kann«. Denn der »Fluch« der alten Erziehung habe ja gerade darin bestanden, dass man »das Mädchen als Mensch duckte und immer wieder duckte«, bis sie selbst die Vorstellung von Minderwertigkeit verinnerlicht hatte« (zit. bei Hansen-Schaberg 2007: 207).

In seinem Buch »Geschlechtertrennung oder Geschlechtermischung« zieht Josef Schröteler (1933) eine Bilanz, wie »in manchen Kreisen, die die Frauenemanzipation grundsätzlich bejahen, über das Problem Mann und Frau gedacht wird«. Dabei zitiert er aus einer aktuellen Sammlung einschlägiger Texte einen »Brief eines Vaters«, der zu seiner Tochter spricht: »Von wem oder was habt Ihr Euch denn emanzipiert? Von uns? Aber Ihr habt doch gerade das Gegenteil getan. Ihr meßt Euch im günstigsten Fall mit männlichem Maß […] Und das nennst Du Emanzipation?« Die Frauen von heute, schreibt der zitierte Autor, »wollen wie Frauen sein und doch nicht die alten« (Schröteler 1933: 16). Schröteler selbst berichtet aber aus einer empirischen Studie, dass die intellektuell starken Mädchen unter den Abiturientinnen »›ausnahmslos aus solchen Familien stammten, in welchen die Frau eine dem Manne gleichberechtigte Stellung, z. B. als Mitinhaberin und Mitleiterin irgend eines Betriebes, innehatte.‹ Also eine von dem Milieu der Geschlechtsgenossinnen abweichende Umgebung, die auf die Variationsbreite entscheidend einwirkte« (ebd.: 125). Auch die sorgfältige Studie zu Koedukation von Kurt Wawrzyniak kommt zu dem Schluss, dass Leistungsunterschiede das Ergebnis einer jeweils bestimmten »kulturpädagogischen« Situation seien (Wawrzyniak 1959: 91) und weder auf Geschlechtsspezifika noch auf die Unterrichtsform zurückgeführt werden können. Alle diese Hinweise wurden später weitgehend ignoriert.

Tragisch für die zweite Frauenbewegung war die Tatsache, dass sie in der Bildungsreformzeit der 1960er Jahren noch nicht sehr präsent war – deshalb wiederholte sich, was schon in der ersten Runde passiert war: Die Mädchen wurden ohne weitere pädagogische Überlegungen in die höheren Knabenschulen eingegliedert – obgleich doch diese schon so oft kritisiert worden waren und sich nun eine gute Gelegenheit zur Revision ergeben hätte (allerdings hätte dies den Mädchen eine Art Definitions- oder Einspruchsmacht zugeschrieben, die möglicherweise gerade nicht gewollt war). So war es auch für die feministische Schulforschung der 1970er und 1980er Jahre nicht leicht, den ja offenbar für die Mädchen nachteiligen Einfluss zu lokalisieren: Lag das Problem für das geringere Selbstvertrauen der Mädchen, ihre domänenspezifisch schwächeren Leistungen und ihre Angst vor den naturwissenschaftlichen Fächern in spezifischen Strukturaspekten des Bildungssystems begründet? Oder in der Koedukation selbst? Intensive empirische Forschungen zur Koedukation setzen in den 1980er Jahren ein (vgl. Horstkemper 1987), aber der von Horstkemper herausgearbeitete Befund, dass Mädchen ihr schwächeres intellektuelles Selbstkonzept erst im Verlauf ihrer Schulerfahrungen entwickeln, lässt sich bis heute zeigen (z. B. Sprietsma 2011; Rendtorff 2016) – und das, obwohl viele Schulversuche mit partieller, jahrgangs- oder fächerweiser Aufteilung unternommen wurden, bis hin zu paralleler Monoedukation. Die Organisationsform des Unterrichts ist eben nur ein Kriterium unter anderen. Und die Schulforschung und die Praxis standen vor einer von Widersprüchen geprägten komplizierten Situation. Einerseits zeigte sich, dass Mädchen und Jungen, oft gegen die Überzeugung der beteiligten Lehrkräfte, zum Nachteil der Mädchen ungleich behandelt wurden, beispielsweise im Hinblick auf der Verteilung der Aufmerksamkeit. Andererseits wurde deutlich, dass sich der Unterricht stärker an den Interessen von Jungen orientierte und die Interessen von Mädchen vernachlässigte, dass also Ungleiche gleichbehandelt wurden. Schließlich wurde den Befürworterinnen monoedukuaktiven Unterrichts vorgeworfen, die Geschlechterdifferenzen, die doch in ihrem Einfluss unwichtiger werden sollten, zu betonen oder sogar zu dramatisieren (vgl. Breitenbach 2002). Viele der von der feministischen Schulforschung angestoßenen Veränderungsansätze konzentrierten sich auf sexistische Aspekte in Schulbüchern und Unterrichtsmaterialien und auf geschlechtstypische Er- und Entmutigungsroutinen. Um allerdings im Unterrichtsstil, in der Form der Ansprache von Mädchen und Jungen oder in der Gestaltung von Aufgaben kluge Veränderungen in Gang zu setzen, hätte es groß angelegter Fortbildungsbemühungen für die Lehrkräfte bedurft, zu denen letztlich das Schulsystem nicht bereit war.

Im Kern ging es auch in dieser historischen Phase, wie schon zuvor, um die Einschätzung der Bedeutsamkeit (vermeintlicher) Geschlechtscharaktere und deren mehr oder weniger polarisiert/binär gedachtes Verhältnis. Wenn es heute in pädagogischen Schriften gang und gäbe ist, zu fordern, der Unterricht müsse etwa in den Naturwissenschaften an den »Interessen der Mädchen« ansetzen oder im Schriftspracherwerb in der Grundschule die »Interessen von Jungen« stärker berücksichtigen, so zeigt das doch, dass die Debatte immer noch (oder wieder) um dieselbe Frage kreist. Entsprechend der jeweils zugrunde gelegten Weiblichkeitsvorstellungen, in Korrespondenz damit, welche Lebensentwürfe und Handlungsspielräume die jeweilige Gesellschaft für Mädchen und Frauen als »angemessen« ansieht, wurden also im Verlauf der Koedukationsdebatten entweder die Mädchen als schutzbedürftig dargestellt – zu schützen vor Überforderung oder vor schädlichen erotischen Einflüssen – oder sie galten als intellektuell zu schwach, um den Anforderungen höherer Bildung zu genügen (Klimek 2002: Kap. III; Rendtorff 2006). Am stärksten scheint jedoch immer das Argument der »Bestimmung« der Frau durchzuschlagen: dass die gesellschaftliche und sittliche Aufgabe der Frau in der Pflege des Hauswesens, oder moderner ausgedrückt: in Sorge und Verantwortung für andere besteht, und dass dieser Bestimmung alle anderen Überlegungen untergeordnet werden müssen.

Im Übrigen lässt sich die Frage, ob Mono- oder Koedukation die »bessere« Lösung wäre, bis heute nicht beantworten, obwohl das Thema vielfach untersucht wurde. Sowohl in Bezug auf Leistung und Notengebung als auch auf das subjektive Wohlbefinden oder geschlechtstypische Einstellungen sind die Ergebnisse widersprüchlich, wobei sich häufig dezente Hinweise darauf finden lassen, dass Jungen mehr von Koedukation profitieren als Mädchen und dass sich geschlechtstypische Interessen unter Koedukationsbedingungen verstärken – hier scheint sich der Verdacht der feministischen Schulforschung zu bestätigen. Allerdings sind solche Untersuchungen kompliziert, weil monoedukative Schulen eine spezifisch selektierte Elternschaft aufweisen und monoedukativ unterrichtete Klassen oder Fächer in der koedukativen Regelschule von vorneherein einen Sonderstatus bilden, der die Situation möglicherweise verzerrt. Deshalb sind selbst die vergleichsweise gut dokumentierten Studien zum monoedukativen Physikanfangsunterricht, die meistens einen kurzfristigen Vorteil der Mädchen ergeben, nur beschränkt aussagekräftig.

Dennoch lässt sich in Bezug auf Mädchenschulen zeigen, dass diese es Mädchen leichter machen, sich für Physik und teilweise auch für Mathematik zu interessieren und dass ihre Selbstwirksamkeitsüberzeugung hier höher ist als in koedukativen Schulen (vgl. Schurt/Waburg 2007). Auch wenn die Organisationsform nur einen Teil von Schulkultur ausmacht und obwohl Mädchenschulen aktuell unter einem gewissen Legitimationszwang stehen, können sie dennoch eine Ressource für Mädchen hinsichtlich Interessenentwicklung, Selbstwirksamkeit und Schulerfolg darstellen (vgl. Herwartz-Emden 2007; Herwartz-Emden/Schurt/Waburg 2010).

Die durchschnittlichen Leistungsunterschiede zwischen Mädchen und Jungen fallen weniger eindeutig aus als oftmals angenommen (vgl. Rendtorff 2016: Kap. 2.3). Zwar sind die Jungen in Physik und Informatik leistungsstärker und die Mädchen in den sprachlichen Fächern, aber der Abstand hat sich in den letzten Jahren deutlich verringert (vor allem in Mathematik). Es zeigt sich aber ein paradoxes Bild: Der Vorsprung der Mädchen in der Lesekompetenz scheint sich im frühen Erwachsenenalter sehr schnell zu verlieren (OECD 2015: 4), während sich ihr Rückstand in den naturwissenschaftlichen Fächern überproportional stark entwickelt. Obwohl sich die Leistungen von Mädchen und Jungen gerade in den unteren Klassenstufen nur noch wenig unterscheiden, steigert sich die Distanz der Mädchen gegenüber Technik und Naturwissenschaften bis zu den geschlechtstypischen Fächerwahlen in der Oberstufe und entsprechenden Studienfachwahlen. Zwar werden Leistungs- und Abiturfächer auch nach den vorangegangenen Noten gewählt, doch scheint dies den Effekt nicht zu erklären. Durchgängig zeigen sich dagegen das geringere Selbstvertrauen der Mädchen in ihre rationalitätsbezogenen Fähigkeiten (auch im deutlichen Widerspruch zu ihren Noten) und die Vorstellung geschlechtstypischer »Passung« als wichtigste Einflussfaktoren.

Dass sich die Diskussion um Ko- oder Monoedukation auf messbare Leistungsunterschiede konzentriert, ist deshalb eher neoliberalen Einflüssen im Bildungswesen zuzuschreiben als der Plausibilität des Faktors selbst. Bedauerlicherweise führt dies aber dazu, dass die Frage nach dem Einfluss des Bildungssystems auf das schwächere intellektuelle und rationalitätsbezogene Selbstbild von Mädchen nach wie vor nicht zufriedenstellend bearbeitet worden ist.

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