Читать книгу Das Geschenk der Psychothriller-Parodie - Bastian Litsek - Страница 13
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Merlan war froh, dem Nuss-Nugat-Monster entkommen zu sein. Und der mysteriösen Frau in bunter Kleidung. Er könnte sich vielleicht viel Kummer ersparen, wenn er fragte, wo er war, warum er war und wer noch da war. So wie es ihm in der Sesamstraße beigebracht worden war, doch er traute sich nicht. Irgendwann wäre Tabea es sicher leid geworden, dass er ständig Fragen stellte. Was wiederum seine Chance mindern würde, bei der Entscheidung des Abendessens mitzuwirken. Ganz zu schweigen vom Einfluss auf die statistische Wahrscheinlichkeit des Beischlafs.
Er stieg draußen vor der Praxis auf einen E-Roller und klemmte sein Handy in die dafür vorgesehene Halterung. Die Dinger waren in Berlin noch recht neu, jedoch weitläufig verstreut. Für einen Euro konnte man den Roller freischalten und durch die Gegend poltern. Auffindbar waren die Dinger per GPS durch die entsprechende App. Der Besitz eines Fahrrads war praktisch überflüssig geworden. Und man tat dabei noch etwas für die Umwelt, solang der Strom weiterhin aus der Steckdose kam, im Vergleich zu den bösen Autoabgasen, denn die kamen bekanntlich aus dem Auspuff.
Er polterte die Urbanstraße hinunter, bog in die Grafenstraße ab, fuhr die Diffenbacherstraße entlang und wieder zurück die Schönleinstraße hinunter, vorbei an Bakes Bikes, der dabei war, pleite zu gehen, weil alle Berliner nur noch E-Roller fuhren.1
Merlan fiel ein blauer Skoda Fabia Kombi auf, der vehement versuchte, zu ihm aufzuschließen. Er ließ sich nichtbeirren. Er und der Fahrer des Wagens hatten wohl nur zufällig denselben Weg. Man durfte nicht so kleinlich sein und davon ausgehen, die ganze Welt würde sich um einen herum ausrichten.
Das Smartphone in seiner Halterung klingelte. Es zeigte ein Bild von Merlans Vater und dessen Namen „Jogurt – Dein Vater“. Die Benennung seiner Kontakte war besonders wichtig. Auch verfügte sein Smartphone über keine Displaysperre, da er sich sonst selbst aussperren würde. Sein Gedächtnis war wie ein Feind im eigenen Körper, der gegen ihn arbeitete.
Er wischte auf dem Display dreimal umeinander, aber der Anruf wurde nicht angenommen. Erst als er „Verdammtes Scheißteil“ rief und sich den guten alten Hörer zurück wünschte, hörte er plötzlich die Stimme seines Vaters und stellte sie auf Lautsprecher.
„Guten Abend Papa“
„Wie ist es in der Therapie gelaufen?“, fiel der gleich mit der Tür ins Haus.
Therapie, schallte es durch Merlans Hirn. Das war das. Er war gerade mit Tabea in der Beziehungstherapie gewesen. Momente wie diesen hatte er andauernd.
„Tja, sagen wir mal so, wenn das alte Sofa bei dir noch nicht völlig durchgelegen ist, könnte ich es demnächst brauchen.“
Merlan hörte, wie sein Vater sich mit der Hand gegen die Stirn schlug. „Du hast es vermasselt!“
„Ach, wollen wir mal nicht so tun, als ob das von Anfang an die absolute Bilderbuch-Beziehung gewesen wäre. Wir haben uns bei einem Raubüberfall kennengelernt!“
„Du hast doch nicht etwa schon wieder so getan, als wenn das Nuss-Nugat-Monster dich verfolgt oder?“
Stille.
„Verdammt, Junge“, sagte sein Vater und furzte lautstark.
„Papa!“, mahnte Merlan.
„Komm du in mein Alter. Aber keine Sorge, ich filtere alles durch eine frische Unterhose. Hast du Tabea wenigstens dein Geheimnis verraten?“
Merlan verstummte erneut.
„Du hast es inzwischen vergessen oder?“
Merlan bog abrupt nach links ab, nur um zu testen, ob der blaue Fabia ihm noch immer folgte. Mit quietschenden Reifen preschte das Auto hinter ihm um die Ecke. Irgendetwas stimmte hier nicht.
„Immerhin habe ich Tabea nie angelogen, so wie du mit Mama.“
„Ach Junge, Oana und ich, wir haben uns verstanden. Frauen sind wie Fahrradschlösser. Man muss sie knacken, verstehst du?“
Er lachte über seinen eigenen Witz.
„Wow Papa, der war fast so mies wie die Witze im Originalbuch.“
„Ich gebe mir Mühe. Deine Mutter hat Howard Carpendale geliebt. Ich konnte den vor Schmalz triefenden Sängerknaben nie leiden, aber schön, ich war jung und spitz. Wer hätte gedacht, dass ich über die Jahre mehr als dreißig seiner Konzerte mit ansehen muss? Aber das hatte auch seine Vorteile, jedes Mal nach dem Konzert haben wir so richtig schön …“
„… die Jacken ausgezogen?“, fragte Merlan.
„Nein Junge, gevögelt. Den Aal erstickt. Den Knutsch- und Knettag vollzogen. Schlafzimmergolf gespielt. Wenn andere Ti amo gehört haben, dachten sie ach wie schön, ich dachte nur daran, dass, wenn alles vorbei war, ich friedlich einen wegpimmeln durfte.“
„Pfui.“
„Selber. Was glaubst du denn, wenn der ‚Hello Again‘ nie geschrieben hätte2, wärst du irgendwo in einer Socke verendet.
„Na Mahlzeit.“
„Hast du eine Ahnung. Deine Mutter, Gott hab sie selig, mag seit einer Weile nicht mehr bei uns sein, aber jedes Mal wenn ich irgendwo ‚Lisa ist da‘ oder ‚Deine Spuren im Sand‘ höre, macht mein kleiner Mann Klimmzüge und bereitet sich auf die Schlacht vor.“
Merlan versuchte, das Thema zu wechseln. „Wie läufts denn bei dir im Beruf?“
„Gut. Die Mädels haben ihren Spaß und arbeiten fleißig von zu Hause aus. Es ist das perfekte Unternehmen. Keine Mietkosten, keine Verwaltung. Ich verbringe lediglich Zeit damit, neue Damen zu finden und sie ihn die Geheimnisse der Webcamnutzung einzuführen.“
„Lässt du dir dein Geld noch immer in Lohntüten auszahlen?“
„Nein, zufrieden? Ich habe meine Lektion gelernt. Es wird alles digital verbucht. Und mir ist auch klar, dass ich die Sache mit den Meerschweinchen irgendwann in den Griff bekommen muss. Aber die Tierchen bereiten mir einfach so viel Freude.“
„Achtzig Stück sind zu viele.“
„Wenigstens ist jemand zu Hause, wenn ich komme, du besuchst mich kaum.“
„Stimmt doch gar nicht“, sagte Merlan und bemerkte, wie der Skoda Fabia sich von hinten anschlich. Er hielt gerade an einer roten Ampel. Das Auto fuhr dicht neben ihn, sodass er durch die Scheibe auf den Rücksitz sehen konnte. Was er aber nicht wollte. Die Fahrradampel schlug zuerst auf Grün um, und er zog an einer lahmarschigen Studentin auf ihrer Alugurke vorbei. Er genoss es, die albernen Fahrradfahrer hinter sich zu lassen. Auf dem E-Roller kam er sich vor wie etwas Besseres. Jemand, der es verdient hatte, vor allen anderen aus dem Gurkenglas essen zu dürfen.
Auch wenn er nicht wirklich wusste, wo er gerade hinfuhr. Solange das Ding jedoch noch Strom hatte, machte ihm das aber auch nichts aus.
„Warum kommst du mich nicht heute Abend besuchen?“, schlug Merlans Vater vor. „Ich koche uns ein paar Rinderrouladen. Wir füttern die Schweinchen. Vergraben die toten, die wir in den Käfigen finden. Machen uns einen spaßigen Abend.“
„Ne du, danke. Dann hältst du wieder eine Stunde eine Grabrede und sprichst diese toten Meersäue heilig.“
„Siehst du, siehst du“, sagte sein Vater vorwurfsvoll und Merlan hörte, wie ein Lappen in Wasser getaucht wurde. „Und da soll man sich noch fragen, wieso man ist, wie man ist. Wenn der eigene Sohn nicht mehr zu Besuch kommt.“
„Ich war erst letzten Freitag bei dir.“
„Das ist eine Ewigkeit her!“
„Es ist Montag.“
Jogurt3 grummelte etwas Unverständliches.
Merlan erreichte die nächste rote Ampel und blieb stehen. Von hinten kam der Skoda Fabia angerollt und hielt so dicht neben Merlan, dass dieser fast von seinem E-Roller gedrängt wurde.
„Papa, ich muss auflegen, so ein Idiot versucht, mich zu überfahren.“
„Das putz ich aber nicht weg“, war das Letzte, was er seinen Vater sagen hörte.
Merlan rollte einen Meter vor, sodass er an die Beifahrerscheibe klopfen konnte. Der Fabia hielt Schritt und wieder konnte er nur die Rückfahrerscheibe erkennen.
„Gott verdammte Autofahrer …“, murmelte Merlan.
Dann blickte er durch die Scheibe ins Innere des Autos und erkannte etwas, das ihm das Pippi in der Blase gefrieren ließ. Seinem E-Roller ging vor Entsetzen der Saft aus und der Verkehr um ihn herum verlangsamte sich wie in Zeitlupe. Alle Geräusche verblassten und es wurde so still, als hätte jemand die Lautstärke auf Stumm gestellt. Merlan konnte seine eigenen Gedanken hören, wie sie von Simon Jäger vorgelesen wurden.
Konnte das wirklich sein?
War das etwa?
Aber wie?
Er blinzelte.
Und schon hatte er vergessen, warum er mit einem E-Roller an einer Ampel stand und ihm aus einem Skoda Fabia hilfesuchend zwei Augen entgegenstarrten.
Augen, die mit Tränen gefüllt waren.
1 Ich finde exakte Wegbeschreibungen in Büchern immer bescheuert. Als ob man jemals Lust hätte, die Wege der Protagonisten selber abzugehen. Wegbeschreibungen sind wie Personenbeschreibungen, meistens völlig überflüssig. Geht es Ihnen da auch so? Was jucken mich irgendwelche Straßennamen. Die Geschichte spielt in Berlin: Tegel. Tiergarten. Brandenburger Tor. Man hats verstanden.
2 Zusammen mit Irma Holder und Joachim Horn-Bernges.
3 Falls sie sich über den komischen Namen von Merlans Vater wundern. Gebürtig heißt der Mann zwar Rüdiger, doch als 1987 Spaceballs veröffentlicht wurde, verlor er auf tragische Weise eine Wette und war gezwungen, seinen Namen zu ändern. Sachen gibts, was?